Verwaltungsrecht

Disziplinarklage, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Sehr schweres Dienstvergehen durch erhebliche, sexuelle, Distanzverletzung im Lehrer-Schüler-Verhältnis, (Strafrechtlich nicht relevanter) wiederholter Geschlechtsverkehr mit siebzehnjähriger Schülerin, Ermöglichung von Drogenkonsum

Aktenzeichen  M 13L DK 18.3891

Datum:
8.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31828
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 11
BeamtStG § 34

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt. 
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis gemäß Art. 11 BayDG erkannt.
Trotz Ausbleiben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung am … Oktober 2021 konnte hierüber entschieden werden, da der Beklagte ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen wurde, Art. 3 BayDG i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO.
1. Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens sind weder i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG geltend gemacht noch von Amts wegen ersichtlich. Insbesondere ist dem Beklagten jeweils Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden.
2. Der dem Beklagten in der Disziplinarklage zur Last gelegte Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Insbesondere wird insoweit auf die Zeugenaussagen in den Strafverfahren 114 Js … und 227 Js … Bezug genommen, die gemäß Art. 26 Abs. 2 BayDG im Disziplinarverfahren ohne erneute Zeugenbefragung durch die Landesanwaltschaft im Disziplinarverfahren oder das Gericht in der mündlichen Verhandlung Verwertung finden können. Der Beklagte ist den Angaben der Schülerinnen im Verfahren auch nicht entgegengetreten.
a) Der Beklagte hatte im Zeitraum vom 19. Mai 2017 bis 24. Juni 2017 wiederholt, mindestens fünfzehn Mal in seiner Wohnung einvernehmlich vaginalen bzw. oralen Geschlechtsverkehr mit der zu diesem Zeitpunkt siebzehnjährigen Schülerin Lisa S., teilweise unter Alkoholeinfluss der Schülerin. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die umfangreiche Darstellung in der Disziplinarklage unter III. 1. bis 6. Bezug genommen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen.
b) Zudem hat der Beklagte am … September 2017 an einer Tankstelle für die in seinem Auto sitzenden Schülerinnen Lara W. und Selina S. Longpapers gekauft, die ihm mitgeteilt hatten, diese zum Konsum für Cannabis zu benötigen. In seiner Wohnung ließ der Beklagte im Anschluss zu, dass diese sich Joints anfertigten, und verwies sie auf Frage, wo sie zum Konsum hingehen könnten, auf den Balkon.
3. Der Beklagte hat dadurch ein einheitliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, da er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzte.
Das Dienstvergehen ist als innerdienstlich einzustufen, da das Verhalten im Zusammenhang mit der Stellung des Beklagten als Lehrer, insbesondere von Lisa S., zu sehen ist und daher eine materielle Dienstbezogenheit aufweist.
Durch den mindestens fünfzehnfachen und daher erheblich wiederholten Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Schülerin über einen Zeitraum von über einem Monat mag sich der Beklagte den Ausführungen der Staatsanwaltschaft … und Generalstaatsanwaltschaft im in Bezug genommenen Strafverfahren zwar (noch) nicht strafbar gemacht haben, hat jedoch in erheblicher Weise gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG und seine Dienstpflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung i.S.v. § 34 Satz 1 BeamtStG i.V.m. § 2 LDO verstoßen. Die erhebliche Distanzverletzung des Beklagten im Rahmen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses durch den – wenngleich einvernehmlichen – Geschlechtsverkehr ist zudem mit der Vorbildfunktion des eigenen Verhaltens i.S.v. Art. 131 der Bayerischen Verfassung und den in Art. 1 und 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Auch dann, wenn hierdurch kein Straftatbestand erfüllt wird, verletzt ein Lehrer, der sich sexueller Übergriffe schuldig macht oder der sexuelle Handlungen zwischen ihm und Schülern zulässt, seine Dienstpflichten. Dies gilt unabhängig vom Alter der betroffenen Schüler sowie davon, ob die Handlungen mit deren (vermeintlichem) Einverständnis erfolgen (OVG Koblenz, U.v. 24.2.2012 – 3 A 11426/11 – beck-online). Die Wahrung der Integrität der Schüler, die Pflicht zur Gewährleistung ihrer behutsamen persönlichen Entwicklung sowie Anspruch und Vertrauen der Eltern darauf, dass Lehrer das – auf Grund der allgemeinen Schulpflicht letztlich erzwungene – Obhuts- und Näheverhältnis zu den Schülern nicht zur Verfolgung eigener Bedürfnisse ausnutzen, verpflichten den Lehrer dazu, sich in sexueller Hinsicht uneingeschränkt korrekt – in Wort wie in Tat – zu verhalten. Körperliche Distanz hat daher das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern auch dann zu prägen, wenn der Schüler mit deren Aufgabe vordergründig einverstanden ist (OVG Koblenz a.a.O.; vgl. a. VGH München, Urt. v. 27. 10. 2004 – 16 a D 03.2067 – juris).
Durch das Zulassen des Drogenkonsums auf seinem Balkon und Beschaffen von Longpapers hierfür hat der Beklagte zudem gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BtMG verstoßen, wenngleich diese Dienstpflichtverletzung gegenüber dem wiederholten Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Schülerin nicht mehr übermäßig ins Gewicht fällt.
Die Einstellung der Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO bzw. § 153a StPO steht insofern gemäß Art. 15 BayDG dem vorliegenden Disziplinarverfahren und einer entsprechenden Disziplinarmaßnahme nicht entgegen.
Der Beamte handelte bei Begehung des Dienstvergehens vorsätzlich und ohne Schuldausschließungs- oder Rechtsfertigungsgründe.
4. Das Dienstvergehen wiegt derart schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG, dass ein endgültiger und vollständiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit in den Beklagten eingetreten ist. Unter Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten des Beklagten als Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG kommt keine andere Maßnahme als die Höchstmaßnahme in Betracht.
Der Beklagte hat im Kernbereich seiner beamtenrechtlichen Pflichten versagt und daher ein sehr schweres Dienstvergehen begangen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zum sexuellen Missbrauch durch Lehrer Folgendes ausgeführt:
„Sexuelle Verfehlungen von Lehrern an den ihnen anvertrauten Schülern betreffen den Kernbereich ihrer dienstlichen Pflichten und machen den Beamten regelmäßig untragbar (BayVGH vom 26.11.2003 Az. 16a D 00.1864 RdNr. 122; vom 27.10.2004 Az. 16a D 03.3070 RdNr. 36; VGH BW vom 25.3.1996 Az. D 17 S 20/95 RdNr. 21). Das große Gewicht, das dem Rechtsgut der Entwicklung junger Menschen im sexuellen Bereich zukommt, die unbehelligt durch von außen kommende Störungen bleiben soll, findet seinen Grund darin, dass der sexuelle Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen in hohem Maß persönlichkeits- und sozialschädlich ist. Er greift in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, weil es ihm in der Regel an der erforderlichen Reife fehlt, um das Erlebte intellektuell und gefühlsmäßig verarbeiten zu können (BVerwG vom 19.6.1996 BVerwGE 103, 349 f.). Dem Opfer werden – typischerweise – erhebliche körperliche und seelische Schäden zugefügt, deren Folgen ein ganzes Leben lang andauern können (BayVGH vom 27.10.2004, a.a.O., RdNr. 37; VGH BW vom 3.7.2002 Az. DL 17 S 24/01 RdNr. 27). Zugleich benutzt der Täter die Person eines Kindes oder Jugendlichen als „Mittel“ zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs. Damit macht er es zum Objekt seines eigenen Sexualverhaltens und verletzt so die nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützte unantastbare Menschenwürde des Betroffenen (BayVGH vom 27.10.2004, ebenda). Sexueller Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen schädigt ferner regelmäßig das Ansehen des Täters schwerwiegend. Denn der Schutz dieses Personenkreises vor sittlicher Gefährdung wird – trotz der Liberalisierung der gesellschaftlichen Anschauungen auf diesem Gebiet – von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung weiterhin sehr ernst genommen. Verstöße gegen die einschlägigen strafrechtlichen Schutzbestimmungen gelten nach wie vor als verabscheuungswürdig und setzen den Täter kritischer Resonanz und Missachtung aus (vgl. BVerwG vom 19.6.1996, a.a.O., S. 350; vom 27.7.2010 Az. 2 WD 5.09 RdNr. 16). Überschreitet ein Lehrer die ihm gesetzten klaren Grenzen im sexuellen Bereich gegenüber den ihm anvertrauten Schülern, so ist ein solches Verhalten bei entsprechender Intensität regelmäßig geeignet, die Integrität des handelnden Beamten als Erzieher und Vorbild für die seiner Obhut anvertrauten jungen Menschen zu zerstören (OVG RhPf vom 22.10.2002 Az: 3 A 11064/02 RdNr. 35). Hinzu kommt, dass ein Lehrer, der die von ihm in überzeugender Weise vorzulebenden Werte dergestalt verletzt, zugleich das Vertrauen in die Integrität amtlicher Aufgabenträger erschüttert (BayVGH vom 27.10.2004, ebenda). Ein Lehrer, der sexuelle Handlungen an ihm zur Erziehung und Ausbildung zugewiesenen Schülern vornimmt oder durch solche Personen sexuelle Handlungen an sich vornehmen lässt, verstößt damit nicht nur gegen die Pflicht zur gewissenhaften Erfüllung des ihm übertragenen Amtes (Art. 64 Abs. 1 Satz 2 BayBG a.F.) und zu achtungswürdigem Verhalten (Art. 64 Abs. 1 Satz 3 BayBG a.F.); wegen der Unvereinbarkeit einer solchen Handlungsweise mit den sich aus dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen ergebenden Verhaltensvorgaben verletzt er darüber hinaus das Gebot, die Gesetze zu beachten (Art. 62 Abs. 1 Satz 2 BayBG a.F.).“
(BayVGH, U.v. 15.12.2010 – 16a D 08.1287 – juris Rn. 84 – 86)
Diese Ausführungen sind vorliegend zur Überzeugung des erkennenden Gerichts weitgehend übertragbar. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass vorliegend der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs nach Einschätzung von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft nicht bejaht wurde und zu berücksichtigen ist, dass der Geschlechtsverkehr des Beklagten mit der Schülerin einvernehmlich erfolgte. Wie seitens des Bevollmächtigten der Schülerin im Strafverfahren jedoch vorgetragen wurde, hatte die Angelegenheit aber durchaus psychische Folgen für die Schülerin. Zudem ging die Initiative für den privaten Kontakt (Austausch der Telefonnummern – Zeugenaussage Lisa S. (Bl. 46 Strafakte 114 Js …*) und im weiteren Verlauf auch die körperliche Annäherung (Versuch des Küssens in der Tiefgarage – Zeugenaussage Lisa S.; Bl. 48 Strafakte 114 Js …*) vom Beklagten aus und erfolgte die Kontaktaufnahme im Zusammenhang mit der Befürchtung der Schülerin, die Englisch-Schulaufgabe sei nicht so gut gelaufen (Zeugenaussage Lisa S. (Bl. 46 Strafakte 114 Js 12487/17). Das Gericht sieht das Verhalten des Beklagten daher jedenfalls an der Grenze zum strafbaren Missbrauch von Schutzbefohlenen.
Neben der Ermöglichung des gemeinsamen Alkoholkonsums und insbesondere des Drogenkonsums auf seinem Balkon für zwei Schülerinnen verstärken einige im Persönlichkeitsbild vom 7. Juli 2017 und in der Disziplinarakte befindliche (Schüler) Aussagen über distanzloses Verhalten des Beklagten den Eindruck, dass der Beklagte den Anforderungen an ein distanziertes, vorbildliches Verhalten als Lehrkraft nicht gerecht wird. Dabei hat das Gericht den noch in der Personalakte befindlichen Vorwurf aus September 2012 ausdrücklich unberücksichtigt gelassen.
Durchgreifende Milderungsgründe sind hingegen nicht ersichtlich. Insbesondere das Persönlichkeitsbild des Beklagten und die bisherigen dienstlichen Beurteilungen sind vorliegend nicht geeignet, zu einer milderen Maßnahme zu führen. Dies gilt ebenso wenig dafür, dass der Beklagte bislang weder strafrechtlich noch disziplinarisch in Erscheinung getreten ist. Diese Umstände stellen ein normales Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar. Sie sind nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens so abzumildern, dass von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte. Die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung ist – selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen – für sich genommen regelmäßig nicht geeignet, derartige Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09. 3029 – juris Rn. 96).
Auch die überlange Verfahrensdauer greift nicht als mildernder Aspekt durch. Der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer ist nicht mit dem Zweck des Disziplinarrechts vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, wenn die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, gleichwohl weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 9).
Die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ist letztlich auch nicht unverhältnismäßig, sondern zweckmäßig, geeignet, erforderlich und auch angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.


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