Verwaltungsrecht

Dublin-Verfahren – Italien

Aktenzeichen  M 1 S 19.51219

Datum:
8.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14000
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 77 Abs. 1
Dublin III-VO Art. 27 Abs. 4

 

Leitsatz

Wird die Vollziehung einer Abschiebungsandrohung gem. § 80 Abs. 4 VwGO ausgesetzt, erweist sich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen diese Androhung gerichteten Klage als unzulässig, weil es dem Antragsteller an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2019, zugestellt am 31. Oktober 2019, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Am *. November 2019 hat der Antragsteller Klage (M 1 K 19.51218) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt zugleich in diesem Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Die Antragsgegnerin setzte mit Schreiben vom 2. April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO aus, weil im Hinblick auf die Entwicklung der Corona-Krise Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten seien. Weiter erklärte die Antragsgegnerin, dass die abgegebene Erklärung unter dem Vorbehalt des Widerrufs gelte.
Mit Schreiben vom 1. Mai 2020 forderte das Gericht den Antragsteller dazu auf, eine prozessbeendende Erklärung abzugeben. Eine Rückäußerung des Antragstellers erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte, auch im Verfahren M 1 K 19.51218 Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheides ist abzulehnen, weil er im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig ist.
Die Antragsgegnerin hat mit ihrem Schreiben vom 2. April 2020 die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt. Da somit derzeit keine Vollziehung droht, ist der Eilantrag im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig (vgl. VGH BW, B.v. 18.6.1991 – 8 S 1306/91 – VBlBW 1991, 469, OVG Bdg, B.v. 12.6.1998 – 4 B 39/98 – juris Rn. 5; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 278, 498).
Dem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses steht nicht entgegen, dass die Aussetzung der Vollziehung von der Antragsgegnerin unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 11 CS 05.826 – juris Rn. 16 ff.; VG München, B.v. 19.5.2020 – M 30 S 20.50186 – juris Rn. 8; B.v. 18.5.2020 – M 19 S 20.50141 – n.V.). Denn eine solche Erklärung gibt nur die ohnehin bestehende Rechtslage wieder, wonach die zuständige Behörde die Aussetzungsentscheidung, soweit keine anderweitigen rechtlichen Bindungen bestehen, ändern oder aufheben kann. Die Tatsache, dass sich in § 80 Abs. 4 VwGO keine dem § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO entsprechende Regelung findet, bedeutet allenfalls, dass die Aussetzungsentscheidung nicht jederzeit geändert oder aufgehoben werden darf. Zu einer Neubeurteilung berechtigen jedoch allemal veränderte rechtliche oder tatsächliche Umstände (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2001 – 4 VR 19/01 – NVwZ-RR 2002, 153; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 319 f.), im konkreten Fall etwa der Wegfall der Pandemie. Dass sich die Antragsgegnerin mit dem erklärten Widerrufsvorbehalt von diesen bundesgesetzlichen Bindungen lösen möchte – und deshalb das Fortbestehen der Zulässigkeit des Antrags zu erwägen sein könnte – ist nicht ersichtlich. Auch ist der Antragsteller durch die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erklärte Aussetzung der Vollziehung nicht rechtsschutzlos gestellt, weil er eine künftige Änderungsentscheidung der Antragsgegnerin über § 80 Abs. 7 VwGO zum Gegenstand eines weiteren Rechtsschutzverfahrens machen kann.
Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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