Verwaltungsrecht

Dublin-Verfahren, Spanien, Zuständigkeit Spaniens aufgrund visumsfreier Einreise, alleinstehender Mann, nicht vulnerabel, kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh, Covid-19-Pandemie, Hodenschmerzen

Aktenzeichen  W 1 S 21.50343

Datum:
9.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40171
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
Dublin-III-Verordnung Art. 14

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wurde er eigenen Angaben zufolge am … … 1998 in Herat geboren. Er sei afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Er habe sein Heimatland am 22. August 2021 verlassen und sei sodann über Dubai und Griechenland nach Spanien geflogen, wo er sich ca. 18 bis 19 Tage aufgehalten habe. Von Spanien aus sei er per Flugzeug am 18. September 2021 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der Antragsteller hat am 18. September 2021 ein Asylgesuch geäußert, dass dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 20. September 2021 schriftlich zur Kenntnis gelangt ist. Der Antragsteller hat sodann am 5. Oktober 2021 einen förmlichen Asylantrag gestellt. Eine Eurodac-Abfrage verlief negativ.
Nachdem der Antragsteller ein Dokument der spanischen Behörden vorgelegt hatte, wonach er die Absicht bestätigt habe, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und er autorisiert werde, bis zum Ablaufdatum von 45 Tagen in Spanien zu bleiben und sodann einen förmlichen Asylantrag zu stellen, stellte das Bundesamt am 10. November 2021 ein Übernahmeersuchen aufgrund der Verordnung (EU) Nummer 604/2013 – Dublin-III-Verordnung – gegenüber Spanien. Die spanischen Behörden haben mit Schreiben vom 16. November 2011 ihre Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung erklärt.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 5. Oktober 2021 sowie 3. November 2021 zur Zulässigkeit seines Asylantrages gab er an, dass er am 22. August 2021 zuerst in den Mitgliedstaat Spanien eingereist sei. Dort seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden und sie hätten 25,00 EUR sowie Essen bekommen. Von dort aus sei er dann nach 18 bis 19 Tagen weiter nach Deutschland geflogen. Nach Spanien wolle er nicht zurück, da er dort niemanden habe.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25. November 2021 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Abschiebung nach Spanien wurde angeordnet (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 6. Dezember 2021 Klage erhoben (W 1 K 21.50342), über die bislang nicht entschieden ist. Er berufe sich auf die bei der Anhörung geltend gemachten Gründe. Überdies habe er Probleme am Hoden, wegen derer derzeit eine ambulante Behandlung in Angriff genommen werde. Der Antragsteller legte diesbezüglich ein Attest des Krankenhauses St. J. in S. vom 26. Oktober 2021 vor.
Zugleich beantragte der Antragsteller im hiesigen Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Spanien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren, im Verfahren W 1 K 21.50342 sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 25. November 2021 ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 152; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Klage in der Hauptsache dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Hoppe in Eyermann a.a.O., Rn. 90 ff.).
Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Antrag vorliegend abzulehnen, weil sich der angefochtene Bescheid nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
1. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG.
Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-Verordnung sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-Verordnung der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Vorliegend ergibt sich die Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz aus Art. 14 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung. Reist danach ein Drittstaatsangehöriger in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates ein, in dem für ihn kein Visumzwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Dies ist hier der Fall, da die zuständigen spanischen Behörden dem Antragsteller am 22. August 2021 ein Dokument ausgestellt haben, wonach es ihm möglich war, visumsfrei nach Spanien einzureisen, nachdem er die Absicht erklärt hatte, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Das Dokument hatte eine Gültigkeitsdauer von 45 Tagen, innerhalb derer er bei der zuständigen Behörde einen förmlichen Asylantrag zu stellen hatte. Mit Schreiben vom 16. November 2021 haben die spanischen Behörden sodann folgerichtig auf das vom Bundesamt am 10. November 2021 nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 Dublin-III-Verordnung fristgerecht gestellte Aufnahmegesuch innerhalb von 2 Monaten ihre Zustimmung zur Aufnahme des Antragstellers erteilt, Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung. Spanien ist somit nach Art. 18 Abs. 1a) Dublin-III-Verordnung zur Aufnahme des Antragstellers verpflichtet.
Es ergibt sich hier auch keine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Dublin-III-Verordnung, da der Antragsteller unter Zugrundelegung seiner Angaben beim Bundesamt auf dem Evakuierungsflug von Kabul aus dort offensichtlich allenfalls zwischengelandet und jedenfalls nicht eingereist ist. Eine illegale Einreise in Griechenland lag nach alledem dort nicht vor, sodass auch die Frage dort etwaig bestehender systemischer Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen dahinstehen kann, Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-Verordnung.
Der Fortbestand der Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht nachträglich nach Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 1 oder Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin-III-Verordnung erloschen, wie sich aus den Angaben des Antragstellers entnehmen lässt. Ebenso wenig ergibt sich eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-Verordnung, da die dort geregelte sechsmonatige Überstellungsfrist seit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Spanien ersichtlich noch nicht abgelaufen ist.
2. Die Antragsgegnerin ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris Rn. 106) bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK (vgl. Nds OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 26) bei einer Rückkehr des Antragstellers nach Spanien aufgrund systemischer Mängel im Asylverfahren oder in den dortigen Aufnahmebedingungen feststellbar. Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht sowie keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“, vgl. auch EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-173/17 – juris Rn. 82, und U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 9.1.2019 – 1 C 36.18 – juris Rn. 19; Nds. OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (ABl. 2013, L 180/96), die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (ABl. 2011, L 337/9) oder die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (ABl. 2013, L 180/60) genügen, um die Überstellung eines Schutzsuchenden an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Kann einem Mitgliedstaat hingegen nicht unbekannt sein, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, hat eine Überstellung zu unterbleiben (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn. 85; vgl. auch BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Systemische Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 -juris Rn. 92). Das Gericht muss auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte (in einem Klageverfahren) feststellen, dass dieses Risiko für diesen Antragsteller gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 98). Der Nachweis obliegt dem Schutzsuchenden (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C 163/17 – juris Rn. 95).
Es bestehen nach Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisquellen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass in Spanien die Anforderungen gemäß der europäischen Asylrichtlinien sowie nach der EMRK, der GR-Charta und der GFK betreffend das dortige Asylverfahren und die entsprechenden Aufnahmebedingungen nicht eingehalten werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien, Gesamtaktualisierung vom 3.2.2021; Aida, Country Report: Spain, 2020 Update; USDOS, Spain 2020 Human Rights Report). Das spanische Asylsystem weist nach Überzeugung des Gerichts keine systemischen Mängel auf, sodass mit der einhelligen Rechtsprechung nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller in Spanien Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. etwa: VG Würzburg, B.v. 26.11.2021 – W 2 S 21.50320; B.v. 22.12.2020 – W 8 S 20.50327 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, Uv. 24.8.2020 – OVG 3 B 35.19 – juris; VG Ansbach, B.v. 18.3.2020 – AN 17 S 20.50116 – juris; VG Berlin, B.v. 14.3.2019 – 31 L 828.18 A – juris; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 – 8 B 16/19 – juris).
Nach der Erkenntnismittellage verfügt Spanien über ein rechtsstaatliches Asylsystem mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Bei Ankunft der Dublin-Rückkehrer koordiniert die Asylbehörde (OAR) sich mit dem Sozialministerium, das für die Unterbringung zuständig ist. 2018 gab es Berichte über Dublin-Rückkehrer ohne Zugang zu Versorgung. Nach einer Reihe von Gerichtsurteilen wurden Vorkehrungen getroffen um den Zugang von Dublin-Rückkehrern, die Spanien freiwillig in Richtung anderer EU-Länder verlassen hatten, zum Versorgungssystem zu gewährleisten. Dennoch gab es im Juni 2019 NGO-Berichte über einige Dublin-Rückkehrer, denen das OAR die Unterbringung verweigert habe und die daher von NGOs versorgt wurden. Dublin-Rückkehrer haben keine Probleme beim neuerlichen Zugang zum Asylverfahren. Ihre Interviews werden priorisiert, falls sie einen Asylantrag stellen wollen. Wenn ihr voriges Verfahren abgebrochen wurde („discontinued“), müssen sie einen neuerlichen Asylantrag einbringen, der jedoch nicht als Folgeantrag gilt. Wenn Asylbewerbern finanzielle Mittel fehlen, haben Sie ein Recht auf Unterbringung und soziale Dienste zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse. Die materiellen Bedingungen sind für alle Antragsteller dieselben, egal in welcher Art von Verfahren sie sich befinden. 2019 wurden Probleme im spanischen Unterbringungssystem für Asylbewerber kritisiert, etwa auch der Mangel an Unterbringungsplätzen, der zu Fällen von Obdachlosigkeit in Madrid geführt hat. Diese Probleme bestanden auch Anfang 2020 weiter fort. Um dieses Problem zu lösen, begann Anfang 2020 das zuständige Ministerium bezüglich der Verwendung leerstehender Wohnungen für Asylbewerber und Migranten zu verhandeln. Das spanische Recht sieht für alle Asylbewerber den vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem wie für spanische Bürger vor, einschließlich Zugang zu spezialisierter Behandlung für Personen, die Folter, schwere körperliche oder seelische Misshandlungen oder Traumatisierung erlitten haben. Der universelle Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem gilt auch für irreguläre Migranten. Bestimmte Gruppen wie Asylbewerber, illegale Migranten und Obdachlose können beim Zugang zu medizinischer Versorgung auf Hürden administrativer oder anderer Natur stoßen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien, Gesamtaktualisierung vom 3.2.2021; Aida, Country Report: Spain, 2020 Update).
Vor diesem Hintergrund ist eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Spanien nicht erkennbar. Sollte es gleichwohl im Einzelfall zur Verweigerung von gesetzlich vorgesehenen Rechten kommen, so ist es dem nicht vulnerablen Antragsteller möglich und zumutbar, gerichtlichen Rechtsschutz hiergegen in Anspruch zu nehmen. Etwaig bestehende gewisse Unzulänglichkeiten bei den Aufnahmebedingungen stellen keine systemischen Mängel dar, da die spanischen Behörden diese nach der Erkenntnismittellage offensichtlich nicht tatenlos hinnehmen, sondern sich bestehenden Problemen durch die Einleitung effektiver Gegenmaßnahmen annehmen. Überdies stehen auch von nichtstaatlichen Stellen und Organisationen geleistete Unterstützungsleistungen, wenn sie tatsächlich und hinreichend geeignet sind, eine Situation extremer materieller Not abzuwenden, der Annahme von systemischen Schwachstellen entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris). Der nicht vulnerable Antragsteller hat schließlich auch nichts Substantiiertes vorgetragen, was gegen diese Einschätzung sprechen würde, sondern lediglich erklärt, dass er in Spanien alleine sei und niemanden habe, was im Übrigen gemäß seiner Angaben auch auf seine Situation in Deutschland zutrifft.
Eine andere Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der Covid-19-Pandemie angezeigt.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller in Spanien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Belgien getroffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie sowie auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/spanien-node/spaniensicherheit/210534) – keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Antragstellers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Spanien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Spanien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen. Gegenteiliges hat der Antragsteller auch nicht vorgetragen. Vielmehr ist das spanische Bruttoinlandsprodukt nach Verlusten im Vorjahr in 2021 wieder um real 4,6% gestiegen und im kommenden Jahr wird ein Anstieg um 5,5% erwartet. Die spanische Regierung stützt die Wirtschaft mit umfangreichen Direkthilfen, die Möglichkeit zur Kurzarbeit wurde bis zum 28. Februar 2022 verlängert. Im September 2021 wurde der Mindestlohn angehoben. Spanien erhält überdies den größten Anteil an den Corona-Finanzhilfen der EU. Der für den Arbeitsmarkt wichtige Tourismussektor hat sich ebenfalls 2021 erholt mit einer Wachstumsrate von 131% gegenüber dem Vorjahr (vgl. https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/spanien/wirtschaftliche-trendwende-mit-risiken-234604).
Des Weiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung begründen könnten. Insbesondere ist eine besondere Vulnerabilität des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht.
3. a) Die Feststellung der Antragsgegnerin, dass im Falle des Antragstellers keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Spanien bestehen, ist zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Antragsteller individuell nichts vorgetragen, was das Bestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Spanien nahelegen könnte. Auch insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheids Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und macht sich diese zu Eigen. Ebenso wird auf die vorstehenden Ausführungen unter 2. vollumfänglich verwiesen.
b) Schließlich liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur dann vor, wenn der Antragsteller unter einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Die Erkrankung muss nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht werden.
Der Antragsteller hat insoweit in seiner Klagebegründung vorgetragen, dass er Probleme am Hoden habe. Einem vorgelegten Attest des Krankenhauses St. J. vom 26. Oktober 2021 lässt sich insoweit die Diagnose Hodenschmerzen entnehmen, unter denen der Antragsteller anamnestisch seit einigen Monaten leide ebenso wie unter Bauchschmerzen. Zusammenfassend wird festgestellt, dass eine notfallmäßige Vorstellung in der Urologie nicht notwendig sei und sich die Schmerzen nach Gabe eines Schmerzmittels gebessert hätten. Bei den geltend gemachten Beschwerden handelt es sich damit erkennbar nicht um eine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, zumal die Beschwerden bereits während des Aufenthalts in Spanien bestanden haben sollen. Darüber hinaus bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden nicht grundsätzlich auch in Spanien behandelbar wären. Der Antragsteller hat – wie bereits ausgeführt – auch einen Anspruch auf die erforderliche medizinische Hilfe in Spanien.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den gesundheitlichen Gefahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, denn die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird durch § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG gesperrt. Die Gefahr einer Infektion betrifft die gesamte Bevölkerung allgemein. Es liegt auch keine Extremgefahr vor, die es verfassungsrechtlich gebieten würde, die Sperrwirkung von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise entfallen zu lassen (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris).
Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei seiner Rückkehr nach Spanien mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wobei sich diese ausschließlich auf den Tod aufgrund einer Infektion mit Covid-19 oder einen besonders schweren Verlauf beziehen kann. Dies ist beim Antragsteller nicht anzunehmen, denn der 23-jährige Antragsteller ohne erkennbare relevante Vorerkrankungen gehört nach dem oben genannten Maßstab bereits nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessinid= DC346DA1D7E1A04E3FB153F23B3AF998. internet092#doc13776792bodyText15). Der Antragsteller hätte überdies im Falle einer etwaigen Erkrankung an Covid-19 Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung in Spanien (vgl. oben). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass jeder das eigene Infektionsrisiko durch eine Impfung bzw. durch Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln maßgeblich verringern kann.
4. Weiterhin ist kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorgetragen oder ersichtlich, welches im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zum Prüfungsumfang des Bundesamts und demzufolge auch des Verwaltungsgerichts gehört (BayVGH, B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris m.w.N.). Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/spanien-node/spaniensicherheit/210534). Auch ist angesichts der vorgetragenen sonderlichen Beschwerden keine Reiseunfähigkeit ersichtlich, zumal der Antragsteller noch vor kurzem mit den bereits bestehenden Beschwerden den umgekehrten Reiseweg von Spanien nach Deutschland unbeschadet hat vornehmen können.
Da somit die erhobene Klage in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich sein wird und unabhängig hiervon keine Interessen des Antragstellers ersichtlich sind, die das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.


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