Verwaltungsrecht

Duldung einer Nutzung als Gehweg durch den Eigentümer, Aufstellen von Pflanzkübeln auf einer tatsächlich-öffentlichen Verkehrsfläche, Erschweren des Verkehrs auf einem Gehweg

Aktenzeichen  RN 4 K 20.514

Datum:
25.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12748
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2
StVO § 49 Abs. 1 Nr. 27
StVO § 32

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04.02.2020 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 17.03.2020 in Nr. 2 ist rechtmäßig, so dass der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der angefochtenen Anordnung ist Art. 7 Abs. 2 LStVG. Danach können die Sicherheitsbehörden, soweit nicht eine gesetzliche Ermächtigung in Vorschriften dieses Gesetzes oder in anderen Rechtsvorschriften enthalten ist, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anordnungen für den Einzelfall nur treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden (Nr. 1) oder um durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen (Nr. 2).
Die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind vorliegend erfüllt, weil der Kläger den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht hat, indem er Pflanzkübel auf dem Gehweg vor seinem Haus aufgestellt hat (dazu 1.1). Die Befugnis der Beklagten wird nicht durch eine andere spezialgesetzliche Befugnis verdrängt (dazu 1.2) und die Anordnung der Beseitigung leidet auch nicht an einem Ermessensfehler (dazu 1.3).
1.1 Das Aufstellen der Pflanzkübel auf dem Gehweg erfüllt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über das Bereiten von verkehrswidrigen Zuständen nach § 32 StVO verstößt. Nach dieser Vorschrift ist es verboten, die Straße zu beschmutzen oder zu benetzen oder Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann.
Vorliegend sind die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt, weil es sich bei der strittigen Fläche um eine tatsächlich öffentliche Verkehrsfläche handelt (dazu a)), der Kläger in Gestalt der Pflanzkübel Gegenstände auf die Straße gebracht hat, ohne hierzu berechtigt zu sein (dazu b)) und durch diese Aufstellung der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann (dazu c)).
a) Bei dem Gehweg vor dem Anwesen des Klägers handelt es sich um eine tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche.
Das Straßenverkehrsrecht geht nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aufgrund seiner sicherheitsrechtlichen Zwecksetzungen von einem umfassenderen Begriff der öffentlichen Verkehrsflächen als das Straßen- und Wegerecht aus, so dass zu den tatsächlich-öffentlichen Verkehrsflächen nicht nur öffentlich gewidmete Verkehrsflächen zählen, sondern auch solche Flächen, auf denen der Verfügungsberechtigte die Benutzung durch jedermann tatsächlich zugelassen hat und dementsprechend die typischen Gefahren des Straßenverkehrs abzuwehren sind (BayVGH, B.v. 14.07.2010 – 8 ZB 10.475, juris Rn. 8). Entscheidend ist demzufolge lediglich, dass die jeweiligen Flächen mit Zustimmung des Berechtigten ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse dem Gemeingebrauch überlassen wurden. Hierfür reicht eine ausdrückliche oder stillschweigende Freigabe durch den Berechtigten zur allgemeinen Verkehrsnutzung aus, bei der es nicht auf den inneren Willen des Berechtigten, sondern auf die äußeren Umstände ankommt (BayVGH, B. v. 16.05.2002 – 24 CS 02.43, juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Gericht keine Zweifel, dass die streitgegenständliche Fläche vorliegend als tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche einzustufen ist. Der Kläger hat selbst eingeräumt, dass er lange Zeit die Allgemeinbenutzung der sich in seinem Eigentum befindlichen Grundstücksfläche als Gehweg geduldet hat. Hierdurch ist diese Fläche zu einer tatsächlich-öffentlichen Verkehrsfläche geworden. Die Fläche hat ihren Charakter als tatsächlich-öffentliche Fläche auch nicht im Laufe der Jahre verloren. Unerheblich ist insbesondere, dass der Kläger vorträgt, seine „Einstellung hierzu“ habe sich mit den im Jahre 2012 begonnenen Bestrebungen der Beklagten geändert, im Rahmen der städtebaulichen Sanierung für die …straße ein neues Straßenkonzept aufzustellen, weil es, wie oben dargelegt, auf die innere Willensrichtung des Klägers gerade nicht ankommt.
b) Durch das Aufstellen der Pflanztröge hat der Kläger Gegenstände auf die Straße gebracht, ohne hierzu berechtigt zu sein. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich die Kammer anschließt, geklärt, dass zwar ein Eigentümer grundsätzlich nicht zur Duldung des tatsächlich-öffentlichen Verkehrs verpflichtet ist, wenn keine straßenrechtliche Widmung besteht, ihn dies jedoch nicht berechtigt, den öffentlichen Verkehr, den er oder ein Rechtsvorgänger zugelassen oder geduldet haben, zu behindern oder zu unterbinden (BayVGH, B.v. 14.07.2010, a.a.O, Rn. 10). Vielmehr kann die Eigenschaft einer Fläche als tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche endgültig nur in den von der Rechtsordnung bereitgestellten behördlichen und gerichtlichen Verfahren beseitigt werden, so dass sich ein eigenmächtiges Handeln als unerlaubte Selbsthilfe im Sinne des § 229, 859 Abs. 3 BGB darstellt, welche die rechtliche Einordnung als tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche gerade nicht aufhebt (vgl. BayVGH, B. v. 11.01.2005 – 8 CS 04.3275, juris, Rn. 12 m.w.N.).
c) Nicht ernstlich in Frage steht schließlich, dass durch die Handlung des Klägers der Verkehr im Sinn von § 32 StVO erschwert werden kann. Wie durch die Einnahme des Augenscheins bestätigt wurde, führt das beidseitige Aufstellen von Pflanzkübeln an der Hauswand und an der Straßenseite der Verkehrsfläche zur Entstehung einer Engstelle. Dass damit ein Fußgängerverkehr zumindest erschwert werden kann, liegt schon deshalb auf der Hand, weil bei der festgestellten Breite von ca. 1,30 m zweifelsfrei feststeht, dass jedenfalls zwei Kinderwägen oder zwei Rollstühle nicht gleichzeitig die Engstelle passieren können. Bestätigt wird die Annahme einer Erschwerung des Verkehrs zudem durch die Stellungnahme des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes vom 07.10.2020, der auf die Schwierigkeiten für sehbehinderte Menschen durch die vom Kläger geschaffene Engstelle hinweist.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht durch die im Rahmen des Augenscheins festgestellten Bezugsfälle. Zwar gibt es im Straßenverlauf insbesondere durch in die Gehwegfläche hineinragende Außentreppen mehrfach Stellen, wo ebenfalls die Gehwegbreite verringert ist. Zum einen handelt es sich dabei aber schon nicht – wie im Falle des Klägers – um beidseitig geschaffene Hindernisse, zum anderen ist die Rechtslage auch deshalb nicht vergleichbar, da jedenfalls die Außentreppen schon in der Bauzeit der Häuser errichtet worden und damit schon vor der Zurverfügungstellung des Gehwegs als Verkehrsfläche bestanden haben dürften, so dass der Tatbestand des § 32 StVO nicht erfüllt ist. Schließlich könnte der Kläger ohnehin nichts aus diesen Bezugsfällen für sich ableiten, da ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht besteht.
Da für den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit nach § 32 StVO eine „Erschwerung“ des Verkehrs ausreicht, ist auch nicht entscheidungserheblich, ob zusätzlich auch das Tatbestandsmerkmal einer „Gefährdung“ des Verkehrs verwirklicht ist, wofür in Anbetracht der Stellungnahme des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes vieles sprechen dürfte.
1.2 Die Anwendung von Art. 7 Abs. 2 LStVG wird auch nicht durch spezialgesetzliche Vorschriften verdrängt, die vorrangig wären. Insbesondere scheidet vorliegend ein Rückgriff auf die Bestimmungen der Art. 18 ff. BayStrWG aus, da die Fläche gerade nicht als öffentlich gewidmete Straße oder Weg anzusehen ist.
Die entscheidende Kammer folgt auch nicht der vereinzelt in der Literatur vertretenen Auffassung, dass Anordnungen nach Art. 7 Abs. 2 LStVG ausscheiden, weil Art. 76 Satz 1 BayBO als Spezialvorschrift vorrangig sei (in diesem Sinn Scheidler, Möglichkeiten behördlichen Einschreitens gegen das Blockieren tatsächlich-öffentlicher Wege und Straßen durch den Eigentümer, KommPBy 2012, 99 ff.). Hiergegen spricht schon, dass vorliegend eine andere Zielrichtung besteht, die im Falle einer Erschwerung oder Gefährdung des Verkehrs eigenständig neben den entsprechenden baurechtlichen Befugnisnormen steht.
1.3 Anhaltspunkte für einen Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und sich darauf gestützt, dass nicht ersichtlich sei, wie der durch das dauerhafte Einbringen von Gegenständen begangenen Ordnungswidrigkeit anders als durch deren Beseitigung begegnet werden könnte. Sie hat zudem zutreffend darauf verwiesen, dass eine Entfernung binnen weniger Stunden durchgeführt werden könnte.
Damit ist den an eine Ermessensausübung zu stellenden Anforderungen ersichtlich Genüge getan. Im Übrigen entspricht es ständiger obergerichtlichen Rechtsprechung, dass aufwändige Abwägungen mit Interessen Privater, die – wie vorliegend der Kläger – eine nach §§ 229, 230 Abs. 1, 859 Abs. 3 BGB unzulässige Selbsthilfe begehen, im Rahmen von Anordnungen nach Art. 7 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 LStVG i.V.m. §§ 32 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO nicht angezeigt sind (BayVGH, B.v. 14.07.2010 a.a.O., Rn. 15 m.w.N.).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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