Verwaltungsrecht

Eine andauernde Arbeitsbelastung ist kein sachlicher Grund iSd § 75 S. 1 VwGO

Aktenzeichen  B 3 K 16.30403

Datum:
26.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 75
GG GG Art. 16a Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 S. 1
AsylG AsylG § 24 Abs. 4
RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Auch wenn gerichtsbekannt ist, dass das Bundesamt durch die stark erhöhten Asylbewerberzahlen überlastet ist, reicht dies nicht aus, um einen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung anzunehmen, da es sich nicht um eine kurzfristig erhöhte Geschäftsbelastung, sondern um eine permanente Überlastung der Behörde handelt. Eine andauernde Arbeitsbelastung ist kein sachlicher Grund iSd § 75 S. 1 VwGO. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Kläger vom 10.12.2015 innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Untätigkeitsklage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Erklärung vom 10.01.2017) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.02.2016 – Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage zulässig (§ 75 VwGO, § 42 Abs. 1 Alt. 3 VwGO).
Die in § 75 VwGO geregelten besonderen Anforderungen bei einer Untätigkeitsklage sind vorliegend erfüllt. Gemäß § 75 Sätze 1 und 2 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.
a) Ein entsprechender Antrag auf Entscheidung über die Asylanträge der Kläger im nationalen Verfahren auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde mit anwaltlichem Schreiben vom 10.12.2015 bei der Beklagten gestellt (vgl. hierzu auch VG Bremen, B.v. 12.01.2017 – 5 K 3131.16, juris).
b) Die Klage ist nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO zulässigerweise erhoben worden. Auch im Bereich des Asylrechts gilt als Zulässigkeitsvoraussetzung die Wahrung der dreimonatigen Frist des § 75 Satz 2 VwGO und zwar im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht bzw. im schriftlichen Verfahren im Zeitpunkt der Zustellung des Urteils. Die in § 24 Abs. 4 AsylG genannte sechsmonatige Frist bezieht sich demgegenüber nicht auf die Frage der Sachurteilsvoraussetzungen in einem gerichtlichen Verfahren, sondern nur auf die Frage des Mitteilungsanspruchs gegenüber dem Bundesamt innerhalb des Verwaltungsverfahrens (vgl. VG München, U.v. 21.12.2016 – M 17 K 16.34299 – juris). Ungeachtet dessen mussten die Kläger mit ihrer Klage keine weitere Zeit zuwarten, weil das Bundesamt keinen Zeitpunkt mitteilte, bis wann über den Antrag entschieden werden kann. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die in § 75 Satz 2 VwGO vorgesehene Dreimonatsfrist aktuell auch nicht durch Art. 31 AsylVf-RL n.F. verlängert wird (vgl. hierzu ausführlich, VG München, U.v. 21.12.2016 – M 17 K 16.34299 – juris). Die Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO von drei Monaten ist daher längst abgelaufen.
c) Ein zureichender Grund für die Nichtentscheidung durch das Bundesamt (§ 75 Satz 1 VwGO) liegt nicht vor. Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 18.07.2016 lediglich dahingehend geäußert, dass eine generelle Klärung des Verfahrens nach Aufhebung von Drittstaatenbescheiden bislang innerhalb des Bundesamts noch nicht vorliege und die gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkte des Bundesamts hierfür eine Rolle spielen könnten. Auch wenn gerichtsbekannt ist, dass das Bundesamt durch die stark erhöhten Asylbewerberzahlen überlastet ist, reicht dies nicht aus, um einen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung anzunehmen. Zum einen handelt es sich nicht um eine kurzfristig erhöhte Geschäftsbelastung, sondern um eine permanente Überlastung der Behörde. Eine andauernde Arbeitsbelastung ist kein sachlicher Grund im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO. In einem solchen Fall ist es Aufgabe des zuständigen Bundesministeriums bzw. der Behördenleitung, entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen (vgl. VG München, U.v. 6.6.2016 – M 15 K 16.30406 – juris). In der Stellungnahme im Klageverfahren vom 18.07.2017 klingt sogar an, dass die Antragsgegnerin gegenwärtig gar kein Interesse hat bzw. nicht gewillt ist, über den Antrag förmlich zu entscheiden, obwohl – nach dem vorgelegten Aktenvermerk vom 13.11.2015 – das Bundesamt scheinbar der Auffassung ist, dass den Klägern lediglich eine Duldung durch die Ausländerbehörde erteilt werden könne und keine weiteren Feststellungen im Asylverfahren möglich seien. Warum diese Rechtsauffassung der Beklagten den Klägern nicht förmlich mitgeteilt und zum Gegenstand eines Bescheides gemacht wird, ist für das Gericht in keiner Weise nachvollziehbar.
2. Die zulässige Untätigkeitsklage ist teilweise begründet. Die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt zeitnah über den Antrag vom 10.12.2015 entscheidet.
a) Die materielle Pflicht der Beklagten zur Entscheidung über den gestellten Antrag ergibt sich direkt aus Art. 16 a Abs. 1 GG als einem subjektiv-öffentlichen Recht. Diesem Grundrecht kann nur durch aktives staatliches Handeln Geltung verschafft werden. Eine Verletzung dieses Grundrechts kann deshalb bereits durch reines Unterlassen, also durch Nichtverbescheidung von Anträgen, eintreten. Somit begründet Art. 16 a Abs. 1 GG eine Pflicht des Staates zur Bescheidung von Asylanträgen, die die Gerichte sowohl unmittelbar aufgrund von Art. 16 a Abs. 1 GG als auch aufgrund von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu gewährleisten haben. Auch Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU, der eine möglichst rasche Entscheidung über den Antrag normiert, gewährt den Klägern subjektiv öffentliche Rechte, die durch die Untätigkeit der Beklagten verletzt werden (vgl. hierzu VG München, U.v. 6.6.2016 – M 15 K 16.30406 – juris). Die Beklagte hat insbesondere auch über – ihrer Ansicht nach – bereits unzulässige Anträge förmlich zu entscheiden, damit die Kläger eine rechtsmittelfähige Entscheidung erhalten.
b) Im Rahmen der vorliegenden Untätigkeitsklage sieht sich das Gericht jedoch insoweit wegen der Besonderheiten des Asylverfahrens nicht gehalten, „durchzuentscheiden“ und eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Denn für eine gerichtliche Sachentscheidung ist unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Besonderheiten kein Raum. Die besondere – auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde – gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylgesetz steht der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange – wie vorliegend – noch keine Verwaltungsentscheidung über den Antrag ergangen ist (vgl. hierzu ausführlich VG Gelsenkirchen, U.v. 01.09.2016 – 8a K 5354/15.A – juris, mit weiteren Nachweisen auch zu abweichenden Auffassungen). Insbesondere kommt vorliegend ein „Durchentscheiden“ nach Auffassung des Gerichts auch nicht ausnahmsweise in Betracht, weil die Kläger bereits in Deutschland ein Asylverfahren geführt haben. Zwar erging mit Datum vom 20.04.2015 ein Bescheid der Beklagten, den das Verwaltungsgericht Bayreuth mir Urteil vom 29.07.2015 aufgehoben hat, jedoch enthielt auch dieser Bescheid keine materielle Prüfung der Asylanträge. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 14.12.2016 (Az.: 1 C 4.16, juris) seine bisherige Rechtsprechung dahingehend fortentwickelt, dass selbst bei Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen keine Verpflichtung der Gerichte zum „Durchentscheiden“ besteht. Somit sieht sich das Gericht auch in der vorliegenden Konstellation nicht gehalten, eine Entscheidung in der Sache zu treffen.
Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben