Verwaltungsrecht

Eine medizinische und therapeutische Versorgung von psychisch Erkrankten ist in Albanien gewährleistet

Aktenzeichen  M 10 S 16.31449

Datum:
28.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 30 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

In Fällen einer PTBS ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. (redaktioneller Leitsatz)
Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist in Albanien grds. kostenlos über eine staatliche Krankenversicherung gesichert, sodass eine medizinische und therapeutische Versorgung von psychisch Erkrankten – zumindest medikamentös – auf rechtlich maßgeblichem Landesniveau gewährleistet und zugänglich ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 3. Juni 2016, denen es folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 9. Juni 2016 zur Post gegeben .
Die Antragstellerin hat durch ihren Bevollmächtigten am 17. Juni 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben (Az. M 10 K 16.31448). Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Ehemann der Antragstellerin sei von einem Nachbarn erschossen worden. Der Täter sei nach einigen Monaten U-Haft entlassen worden. Vom Sohn der Antragstellerin werde erwartet, dass er Blutrache ausübe. Dies setze die Familie der Antragstellerin unter großen sozialen Druck. Zudem sei die Antragstellerin psychisch erkrankt. Hierzu wurden eine psychologisch-psychiatrische Stellungnahme der psychologischen Psychotherapeutin … des … (ergänzend zu deren bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Stellungnahme vom 15. April 2016) sowie ein Gutachten von Dr. …, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, von 16. Juli 2016 vorgelegt. Eine erforderliche psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung könne die Antragstellerin in Albanien nicht im erforderlichen Umfang erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, insbesondere wurde die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gewahrt.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43 ff.). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – InfAuslR 1993, 196).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach – dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufentG entsprechenden – § 51 Ausländergesetz 1990: BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
An der Rechtmäßigkeit der im vorliegenden Fall vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) keine derartigen ernstlichen Zweifel. Das Gericht folgt den Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird zur vorgetragenen Erkrankung der Antragstellerin ausgeführt:
Eine Erkrankung kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur begründen, wenn die erhebliche konkrete Gefahr besteht, dass sich die lebensbedrohliche oder schwerwiegende Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat wesentlich verschlechtert, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – DVBl 1996,108).
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist eine Gefahr infolge einer bestehenden oder zu befürchtenden Erkrankung dann „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichende Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, U. v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn im Heimatland des Ausländers die notwendige Behandlung oder Medikation seiner Erkrankung zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. etwa BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris Rn. 9).
Mit der seit dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber – der bisherigen Rechtsprechung im Wesentlichen folgend – klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung könne die geforderte schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).
Das Gericht kann den genannten fachärztlichen Stellungnahmen eine derartige wesentliche Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung gerade nicht entnehmen. Die vorgelegten Stellungnahmen führen aus, dass die Antragstellerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Symptomatik leide. Zusammenfassend wird angeführt, dass im Falle einer Rückkehr ins Heimatland die Gefahr suizidaler Handlungen bestehe. Diese Bewertung lässt sich aber nach den weiteren Ausführungen der Stellungnahmen nicht nachvollziehen. Auch wenn man den psychischen Befund bzw. die Diagnose PTBS und Depression mit stark phobischen Symptomen zugrunde legt, wird in der Bewertung nicht klar, warum bei einer Rückkehr eine akute Suizidalität zu erwarten ist; die Antragstellerin hat immerhin seit dem Tod ihres Ehemannes im Oktober 2012 bis zur Ausreise im März 2015 in ihrem Heimatdorf gelebt. Die Prognose einer insgesamt lebensbedrohlichen Verschlechterung wird nicht überzeugend ausgeführt.
Zudem ist davon auszugehen, dass die Behandlung und auch der Zugang zu ihr für die geltend gemachte psychische Erkrankung in Albanien ebenfalls zureichend sichergestellt wäre (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 8.3.2016 – 17 K 5953/15.A; B. v. 1.02.2016 – 17 L 95/16.A – juris Rn. 26ff.; B. v. 9.12.2015 – 17 L 3839/15.A – juris; VG Arnsberg, B. v. 23.02.2016 – 5 L 242/16.A – juris Rn. 56 ff.; VG Berlin, B. v. 30.10.2015 – 33 L 305.15 A – juris Rn. 18 zu depressiver Störung mit Verweis auf Auskunft der Botschaft an das Bundesamt vom 21.03.2014 – jaf-17129706; sowie vom 29.03.2013 – jaf-16381022; VG München, Gerichtsbescheid v. 2.5.2016 – M 17 K 16.30321; B. v. 26.7.2016 – M 10 S 16.30811 – jeweils juris).
Mangels gegenteiliger durchgreifender Erkenntnisse ist eine medizinische und therapeutische Versorgung von psychisch Erkrankten – zumindest medikamentös – auf rechtlich maßgeblichem Landesniveau gewährleistet und zugänglich. Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos über eine staatliche Krankenversicherung gesichert (vgl. Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 29. März 2013 – zu Frage 22; s. bereits Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 3. September 2003; s. zur Erreichbarkeit und Kostenübernahme von Medikamenten Lagebericht, S. 13; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache, Auskunft der SFH- Länderanalyse, Stand: 13. Februar 2013, S. 6f.). Zudem sind insbesondere in Tirana Psychologen und Psychotherapeuten niedergelassen (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland; Auskunft vom 1. Juni 2012, Frage 2) und Nichtregierungsorganisationen ansässig, die Dienstleistungen für psychisch kranke Personen anbieten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache vom 13. Februar 2013, S. 7f.). Insbesondere Medikamente zur Behandlung psychischer Krankheiten sind in ganz Albanien verfügbar (vgl. Amtliche Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tirana an das Bundesamt vom 29. März 2013). Die Situation in psychiatrischen Kliniken mag erschreckend sein (Lagebericht S. 13), eine grundsätzliche Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen wird damit allerdings nicht in Frage gestellt. Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Behandlung von Epilepsie und Depressionen vom 2. Dezember 2015, S. 9f.) sind zwar Mängel bei der psychischen Behandlung von Patienten festzustellen, gleichwohl ist der Zugang zu Dienstleistungen im Bereich psychischer Gesundheit in Albanien in Landesteilen gewährt. Dem jüngsten Mental Health Atlas der World Health Organization (WHO) aus dem Jahr 2014 (WHO Mental Health Atlas 2011 – Albania,2014:www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles-2014/alb.pdf?ua=1.) ist zu entnehmen, dass Albanien derzeit zwei psychiatrische Abteilungen an allgemeinen Krankenhäusern, zwei psychiatrische Kliniken sowie zehn „Wohneinheiten“ („residental care units“) unterhält. Die ambulante Behandlung psychischer Erkrankungen ist in zehn Ambulatorien und zwei Tageskliniken („day treatment facilites“) möglich. Für zahlungsfähige Patientinnen und Patienten besteht außerdem die Möglichkeit der Behandlung in einer Privatklinik (vgl. VG München, Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2016 – M 17 K 16.30321).
Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin im Falle ei-ner Rückkehr nach Albanien in eine derart schlechte wirtschaftliche Lage kommen könnte, dass ausnahmsweise in ihrem außergewöhnlichen Einzelfall aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht zu ziehen wäre (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23-26 sowie Rn. 38).
Damit ist insgesamt die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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