Verwaltungsrecht

Eine schwangerschaftsbedingte Reiseunfähigkeit stellt kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar

Aktenzeichen  M 17 K 16.30011

Datum:
26.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29a, § 71 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 7
GG GG Art. 16a Abs. 2
VwGO VwGO § 84 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Anfechtungsklage gegen die zeitliche Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine schwangerschaftsbedingte Reiseunfähigkeit stellt kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet.
Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen Nr. 4 des Bescheids vom 18. Dezember 2015 richtet (s.u. I.), im Übrigen ist sie unbegründet (s.u. II., III.), da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
I. Bezüglich Nr. 4 des Bescheids vom 18. Dezember 2015, in der das sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG lediglich gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zeitlich befristet wird, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn die schlichte Aufhebung der Nr. 4 des Bescheids aufgrund einer Anfechtungsklage beträfe lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das – unmittelbar kraft Gesetz geltende – Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Rechtsstellung der Klägerin wäre somit nicht verbessert. Das Ziel einer kürzeren Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung nach § 11 Abs. 2 AufenthG müsste, ebenso wie die Erteilung einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG, im Wege der Verpflichtungsklage erstritten werden (vgl. NdsOVG, B. v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B. v. 12.1.2016 – M 21 S 15.31689 – UA S. 8; VG Ansbach, B. v. 20.11.2015 – AN 5 S 15.01667 – juris Rn. 2; B. v. 18.11.2015 – AN 5 S 15.01616 – UA S. 2; VG Aachen, B. v. 30.10.2015 – 6 L 807/15.A – juris Rn. 8; Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 183, 190, 193, 196; a.A. wohl VG München, U. v. 9.12.2015 – M 2 K 15.31158 – UA S. 14).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass von Klägerseite keine substantiierten Bedenken gegen die Länge der Befristung vorgebracht wurden.
II. Im Übrigen ist die Klage zulässig (vgl. insbesondere zu Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 189), aber unbegründet.
1. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrages nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
2. Hier hat die Beklagte zu Recht die erneute Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt, da die Klägerin die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG i. v. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 4 AsylG bzw. § 60 AufenthG nicht glaubhaft machen konnte.
Insoweit wird vollumfänglich auf die im Bescheid der Beklagten getätigten Ausführungen verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch im Gerichtsverfahren wurden gegenüber dem früheren Asylverfahren keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgetragen, die zu einem Wiederaufgreifen führen würden.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
2.1 Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a GG) scheidet schon deswegen aus, weil die Klägerin auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylG eingereist ist.
2.4 Das Heimatland der Klägerin, Serbien, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Gegen die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat bestehen aber weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung der deutschen Verwaltungsgerichte, der sich das Gericht anschließt (vgl. z. B. vG Regensburg, B. v. 24.2.2015 – RN 6 S 15.30120 – juris Rn. 18; VG Bayreuth, B. v. 13.2.2015 – B 3 S 15.30041 – juris Rn. 17; VG Berlin U. v. 28.01.2015 – 7 K 546.15 A – juris Rn. 19-32; B. v. 9.12.2014, 7 L 603.14 A – juris; VG Hamburg B. v. 6.3.2015 – 5 AE 270/15 – juris Rn. 4; VG Gelsenkirchen, B. v. 29.1.2015 – 19a L 94/15.A; VG Oldenburg B. v. 9.4.2015 – 7 B 1548/15 – juris Rn. 22; VG Aachen, B. v. 3.2.2015 – 9 L 680/14.A – juris Rn. 9; a. A. vG Münster, Beschl. v. 27.11.2014, 4 L 867/14.A – juris sowie Bader in InfAuslR, 2015, 69 ff.).
Die Klägerin hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 23. November 2015 (S. 7ff.) gibt es keinerlei Anzeichen für systematische staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten. Die meisten Minderheitenvertreter bezeichneten ihre eigene Situation vielmehr als grundsätzlich zufriedenstellend.
2.2 Soweit sich die Klägerin unsubstantiiert auf wirtschaftliche Schwierigkeiten beruft, vermag dies schon mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG zu begründen.
2.3 Die nunmehr erstmals geltend gemachte schwangerschaftsbedingte Reiseunfähigkeit der Klägerin stellt kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B. v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Zum einen begründet eine Schwangerschaft grundsätzlich keine erhebliche und konkrete Gefahr im oben genannten Sinn und auch aus dem vorgelegten Mutterpass ist nicht ersichtlich, dass eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustands der Klägerin alsbald nach ihrer Rückkehr nach Serbien im Sinne der oben genannten Rechtsprechung droht. vielmehr ist dem Pass lediglich zu entnehmen, dass bei der Erstuntersuchung der Klägerin ein Schwangerschaftsrisiko (pauschal) angenommen wurde, nachdem bei der Klägerin die Rubriken „besondere psychische Belastung (z. B. familiäre oder berufliche)“ und „besondere soziale Belastung (Integrationsprobleme, wirtschaftliche Probleme)“ angekreuzt wurden und die Schwangere unter 18 Jahren alt ist. Auch von Klägerseite wurde das Vorliegen der Reiseunfähigkeit aufgrund einer Risikoschwangerschaft zwar behauptet, aber nicht näher erläutert.
Zum anderen könnte selbst im Fall des tatsächlichen Vorliegens der schwangerschaftsbedingten Reiseunfähigkeit kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden, da es sich insoweit um kein zielstaatsbezogenes, sondern um ein inlandsbezogenenes Vollstreckungshindernis handelt, das allenfalls von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden kann.
Schließlich ist laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 23. November 2015 (S. 15ff.) die medizinische Versorgung in Serbien grundsätzlich gewährleistet. Im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems genießen Angehörige von Minderheiten die gleichen Rechte wie die serbische Mehrheitsbevölkerung. Im Gegenteil werden Angehörige der Roma-Minderheit, sofern sie wegen ihrer traditionellen Lebensweise keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt haben, grundsätzlich kostenfrei und ohne finanzielle Eigenbeteiligung behandelt.
3. Auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG in Nr. 3 des Bescheids vom 18. Dezember 2015 ist rechtmäßig.
Die Klägerin hat gegen diese Einreise- und Aufenthaltsverbot keine substantiierten Einwendungen vorgebracht, sondern lediglich ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG aufgrund einer vermeintlichen Risikoschwangerschaft und damit verbundener Reiseunfähigkeit geltend gemacht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (s. 2.3) verwiesen. Zudem ist nicht ersichtlich, warum dieser Umstand einem Einreiseverbot entgegenstehen sollte. Im Übrigen sind die Ermessenserwägungen der Beklagten im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal fehlerhaftes Ermessen von der Klägerin auch nicht gerügt wurde.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. v. m. §§ 708 ff. ZPO.


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