Verwaltungsrecht

Einstellung eines Popularklageverfahrens nach Rücknahme der Popularklage, die den Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen bei Gemeinde- und Landkreiswahlen gemäß § 12 GLKrWO zum Gegenstand hatte.

Aktenzeichen  Vf. 2-VII-21

Datum:
15.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27103
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 15. September 2021 über die Popularklage des Herrn M. H. in R. auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 12 der Gemeinde- und Landkreiswahlordnung (GLKrWO) vom 7. Novembe 2006 (GVBl S. 852, BayRS 2021-1/2-1-I), die zuletzt durch Verordnung vom 18. November 2019 (GVBl S. 695) geändert worden ist

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe

I.
Gegenstand der später zurückgenommenen Popularklage vom 1. Januar 2021 ist die Regelung zum Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen bei Gemeinde- und Landkreiswahlen in § 12 der Gemeinde- und Landkreiswahlordnung (GLKrWO) vom 7. November 2006 (GVBl S. 852, BayRS 2021-1/2-1-I), die zuletzt durch Verordnung vom 18. November 2019 (GVBl S. 695) geändert worden ist.
Die angegriffene Bestimmung lautet wie folgt:
㤠12
Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen
Der Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen ist zulässig bei
1. der Vorbereitung der Wahl,
2. der Durchführung der Wahl mit Ausnahme der Stimmabgabe sowie
3. bei der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses und bei der Erstellung von Statistiken.“
II.
1. Der Antragsteller hat gerügt, § 12 GLKrWO verstoße gegen die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV genannten Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahl, die nach Art. 12 Abs. 1 BV auch für die Gemeinden und Gemeindeverbände Geltung beanspruchten. Eine Überprüfung der Sicherheit und Korrektheit der Datenverarbeitungsanlagen sei nicht vorgesehen und auch nicht durchgeführt worden, sodass die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze nicht sichergestellt werden könne. Die bei den Kommunalwahlen verwendete Software „OK.VOTE“ der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) weise beispielsweise gravierende Sicherheitsmängel und „Korrektheitsfehler“ auf. Jede Manipulationsmöglichkeit verstoße offensichtlich gegen die Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvC 3/07) zur Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl könnte auch grundsätzlich auf die bayerische Wahlordnung anwendbar sein. Danach sei die Verwendung von Wahlcomputern nur zulässig, wenn sichergestellt werde, dass nur solche Wahlgeräte zugelassen und verwendet würden, die den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit genügten.
2. Der Bayerische Landtag hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Die Bayerische Staatsregierung hält die Popularklage für unzulässig, da die Ausführungen des Antragstellers nicht den Anforderungen an die Darlegung einer verfassungswidrigen Grundrechtseinschränkung genügten. Dem Vorbringen des Antragstellers lasse sich nicht entnehmen, inwiefern die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 BV normierten Wahlrechtsgrundsätze durch § 12 GLKrWO berührt sein sollten. Er lege insbesondere nicht dar, inwiefern aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zur Überprüfung der Sicherheit und Korrektheit der Datenverarbeitungsanlagen in § 12 GLKrWO, die lediglich der technischen Unterstützung der Wahlvorbereitung sowie der Vereinfachung des Zählvorgangs und der Ergebniszusammenstellung auf der Grundlage jederzeit nachprüfbarer Stimmzettel dienten, Manipulationen der Wahlergebnisse möglich sein sollten und dies zu einer Verletzung der Grundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl führen könnte. Die Anforderungen an den Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen sowie die damit verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten seien im Bayerischen Datenschutzgesetz (BayDSG) sowie im Bayerischen E-Government-Gesetz (BayEGovG) geregelt. Auch eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl habe der Antragsteller nicht substanziiert dargelegt. Der durch § 12 GLKrWO zugelassene Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen sei nicht mit dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07, BVerfGE 123, 39) zugrundeliegenden Einsatz von rechnergesteuerten Wahlgeräten vergleichbar, die auch als elektronische Wahlgeräte oder „Wahlcomputer“ bezeichnet würden. Bei dem nach Art. 58 Satz 2 Nr. 20 des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes (GLKrWG) i. V. m. § 12 Nr. 2 GLKrWO zulässigen Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen sei sichergestellt, dass der Wähler die Abgabe seiner Stimme beim Einwurf seines Stimmzettels in die Urne kontrollieren könne und das Wahlergebnis für jedermann nachprüfbar sei; die bloße Zählung der Stimmen durch den Rechner könne durch Stichproben oder – beim Auftreten von Zweifeln – durch eine manuelle Nachzählung aller Stimmen kontrolliert werden. Soweit der Antragsteller rüge, dass eine von manchen Städten und Gemeinden bei den Gemeinde- und Landkreiswahlen am 15. März 2020 eingesetzte Wahlsoftware Sicherheitslücken gehabt habe, stehe allenfalls ein Verstoß insbesondere gegen Art. 11 Abs. 1 Satz 2 BayEGovG im Raum, der aber nicht den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit des § 12 GLKrWO begründen könnte. Aus diesen Gründen sei die Popularklage jedenfalls unbegründet.
3. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 8. Juni 2021 die Popularklage zurück genommen. Ein Antrag nach Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 2 VfGHG auf Entscheidung der Popularklage wurde nicht gestellt.
III.
Das Verfahren ist einzustellen.
Das Popularklageverfahren nach Art. 98 Satz 4 BV dient dem Schutz der Grundrechte als Institution. Da kein Antrag nach Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 2 VfGHG gestellt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nach Rücknahme der Popularklage darüber zu befinden, ob ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens besteht (Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 1 VfGHG). Dies ist dann anzunehmen, wenn eine verfassungsgerichtliche Klärung von Fragen, die den Gegenstand des Verfahrens bilden, im öffentlichen Interesse geboten erscheint (vgl. VerfGH vom 2.12.1997 VerfGHE 50, 268/270; vom 16.3.2016 – Vf. 10-VII-15 – juris Rn. 11; vom 10.5.2017 – Vf. 6-VII-15 – juris Rn. 13; vom 20.11.2018 – Vf. 1-VII-18 – juris Rn. 8).
Im vorliegenden Fall ist die Popularklage nicht in zulässiger Weise erhoben worden. Auch ohne die Rücknahmeerklärung des Antragstellers wäre es deshalb nicht zu einer verfassungsgerichtlichen Klärung hier inmitten stehender Fragen gekommen. Ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens besteht somit nicht (vgl. VerfGH vom 18.10.2005 – Vf. 16-VII-04 – juris Rn. 8).
Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Unzulässig ist die Popularklage, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt oder wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung der entsprechenden Norm nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 21.2.1986 VerfGHE 39, 17/21). Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn ein Antragsteller lediglich behauptet, dass die angefochtene Rechtsvorschrift nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnorm berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 39, 17/21; VerfGH vom 12.4.1988 VerfGHE 41, 33/36 f.; vom 26.6.2012 VerfGHE 65, 118/122 f.; vom 26.6.2018 BayVBl 2018, 773 Rn. 35). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, aufgrund von Ausführungen, die sich in vagen Andeutungen und nicht nachvollziehbaren Behauptungen erschöpfen, von Amts wegen Ermittlungen aufzunehmen und Nachforschungen anzustellen, ob möglicherweise eine Verfassungsverletzung in Betracht kommt (VerfGHE 65, 118/124; VerfGH vom 26.3.2018 BayVBl 2018, 590 Rn. 56). Soweit ein Unterlassen des Gesetzgebers Gegenstand der Popularklage ist, muss in substanziierter Weise geltend gemacht werden, der Normgeber sei aufgrund eines bindenden Verfassungsauftrags oder einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung zum Erlass einer bestimmten Regelung verpflichtet (VerfGH vom 25.9.2015 VerfGHE 68, 198 Rn. 115 m. w. N.; vom 12.9.2016 VerfGHE 69, 236 Rn. 44; BayVBl 2018, 773 Rn. 41).
Diesen Anforderungen wird die Popularklage nicht gerecht, wobei offenbleiben kann, ob das Vorbringen des Antragstellers dahin auszulegen ist, dass er sich gegen die in § 12 GLKrWO eingeräumte Möglichkeit wendet, bei Gemeinde- und Landkreiswahlen Datenverarbeitungsanlagen einzusetzen, oder ob er ein Unterlassen des Verordnungsgebers rügt oder ob er eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Den Ausführungen des Antragstellers lässt sich schon nicht entnehmen, ob er beim Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen Manipulationsmöglichkeiten und darauf zurückzuführende Fehler bei der Vorbereitung der Wahl, ihrer Durchführung (mit Ausnahme der Stimmabgabe) oder der Ermittlung des Wahlergebnisses befürchtet. Der Antragsteller führt nicht ansatzweise aus, inwiefern durch die auf Art. 58 Abs. 2 Nr. 20 GLKrWG beruhende Regelung des § 12 GLKrWO trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung der Städte und Gemeinden, die Sicherheit der informationstechnischen Systeme im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sicherzustellen (Art. 11 Abs. 1 BayEGovG), die in Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV normierten Wahlrechtsgrundsätze sowie der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, der die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge sichert (BVerfGE 123, 39/68 ff.; BVerfG vom 9.7.2013 BVerfGE 134, 25 Rn. 12; vgl. auch: VerfGH vom 23.10.2014 VerfGHE 67, 263 Rn. 38; Wollenschläger in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 14 Rn. 46; Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 14 Rn. 32), verletzt sein könnten. Ein angeblich fehlerhafter Vollzug einer Norm des bayerischen Landesrechts (vgl. zu sicherheitsrelevanten Fragen bei dem Einsatz der Wahlsoftware OK.VOTE: Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Finanzen und für Heimat vom 20.3.2021 auf Frage 2.3 der schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Benjamin Adjei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LT-Drs. 18/14862 S. 7) wird im Rahmen einer Popularklage nicht überprüft (VerfGH vom 9.8.2011 VerfGHE 64, 136/143 m. w. N.).
IV.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Eine Auslagenerstattung zugunsten des Antragstellers (vgl. Art. 27 Abs. 5 VfGHG) war nicht anzuordnen (vgl. VerfGHE 50, 268/271). Aus den vorstehenden Gründen wäre die Popularklage voraussichtlich als unzulässig abzuweisen gewesen.


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