Aktenzeichen M 6 E 16.3949
Leitsatz
Ein Antrag auf Einstellung der Vollstreckung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nicht statthaft, wenn der Antragsteller gegen die der Vollstreckung zugrunde liegenden Rundfunkbeitragsbescheide keinen Widerspruch eingelegt oder Anfechtungsklage erhoben hat und – im vorläufigen Rechtsschutz – keinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hat, so dass die Bescheide bestandskräftig und vollziehbar sind. (redaktioneller Leitsatz)
Zudem kann eine bereits erfolgte Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nur nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung wieder gelöscht werden. Auch fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag, die Behörde zur Einstellung der Vollstreckung zu verpflichten, wenn der Schuldner sich nicht zuvor an die Vollstreckungsbehörde gewandt hat (Art. 21 BayVwZVG). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 59,58 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Zwangsvollstreckung aus Rundfunkbeitragsbescheiden durch den Antragsgegner.
Mit Vollstreckungsersuchen vom … Juni 2016 beantragte der Antragsgegner beim Amtsgericht A. die Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin aus Festsetzungsbescheiden vom 2. November 2015 und 2. Juli 2015 über insgesamt a… EUR. Gegen keinen der Bescheide war beim Antragsgegner ein Widerspruch eingegangen.
Im weiteren Verlauf des Vollstreckungsverfahrens setzte das Amtsgericht A. auf einen Widerspruch der Antragstellerin hin zunächst mit Beschluss vom 19. August 2016 eine Eintragung im zentralen Schuldnerverzeichnis einstweilen aus. Mit Beschluss vom 26. August 2016 wies das Amtsgericht A. jedoch den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Eintragungsanordnung durch die Gerichtsvollzieherin vom … August 2016 zurück.
Weitere Vollstreckungsersuchen sind nach Aktenlage bislang nicht ergangen.
Am … September 2016 beantragte die Antragstellerin zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zunächst klageweise die Feststellung, „dass die offene Gesamtforderung bis 06.2016 in Höhe von b… Euro zu Unrecht besteht und eventuelle zukünftige Beitragsforderungen zu Unrecht festgesetzt werden“ (Antrag Nr. 1; Klageverfahren M 6 K 16.3948). Außerdem beantragte sie noch (Antrag Nr. 2):
„Der Beklagte wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verpflichtet, die eingeleiteten sowie eventuelle zukünftige Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen.“
Als Anlage gab Sie ein Schreiben vom … September 2016 mit dem Betreff „Vollstreckungsabwehrklage – Begründung zur Nichtzahlung des Rundfunkbeitrags aus Gewissensgründen“ (in dem sie ihre Beweggründe darlegte, den Rundfunkbeitrag nicht entrichten zu wollen, ohne dass ein Antrag enthalten gewesen wäre) und eine Kopie eines Festsetzungsbescheids vom 3. Juni 2016 bei. Mit letzterem hatte der Antragsgegner rückständige Rundfunkbeiträge für eine Wohnung zuzüglich eines Säumniszuschlags von insgesamt c… EUR für den Zeitraum … Juli 2015 bis … März 2016 festgesetzt. Darin war auch mitgeteilt worden, dass das Beitragskonto einschließlich des festgesetzten Betrags bis Ende 06.2016 einen offenen Gesamtbetrag von b… EUR aufweise, der auch fällige Beiträge von d… EUR für 04.2016 bis 06.2016 enthalte.
Der Antragsgegner legte mit Schriftsatz vom 8. September 2016 seine Akte vor und beantragte, die Klage abzuweisen sowie
den Antrag abzulehnen.
Soweit die Antragstellerin vorbeugenden Rechtsschutz gegen „eventuelle künftige Vollstreckungsmaßnahmen“ begehre, sei der Antrag bereits unzulässig. Die Feststellungsklage sei auch unzulässig, was weiter ausgeführt wurde.
Die Antragstellerin erklärte mit Schriftsatz vom … September 2016 insbesondere, dass sie die Zahlung des Rundfunkbeitrags aus Gewissensgründen eingestellt habe, auf die der Antragsgegner nicht eingegangen sei. Das Amtsgericht A. habe im Beschluss vom 26. August 2016 darauf hingewiesen, dass das Vollstreckungsgericht nicht über Gewissensgründe entscheiden könne und für Vollstreckungsabwehrklagen nicht zuständig sei. Sie sei darauf verwiesen worden, sich an das Verwaltungsgericht zu wenden.
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 6 K 16.3948 sowie auf die vorgelegte Akte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der ausdrücklich auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – gerichtete Antrag ist unzulässig.
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Vorschriften des § 123 Absätze 1 bis 3 VwGO gelten jedoch nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO, § 123 Abs. 5 VwGO.
Der erst nach Einleitung der Zwangsvollstreckung und dem Erlass des für die Antragstellerin negativen Beschlusses des Amtsgerichts A. vom 26. August 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist daher schon deshalb nicht statthaft, weil die Antragstellerin gegen die der Vollstreckung zugrunde liegenden Bescheide vom 2. November 2015 und 2. Juli 2015 hätte Widerspruch einlegen oder Anfechtungsklage erheben können. Hierzu hätte sie dann, unter Einhaltung des § 80 Abs. 6 und 4 VwGO, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage stellen können, § 80 Abs. 5 VwGO. Solches hat sie jedoch versäumt. Diese beiden Bescheide, und auch der nachfolgend ergangene vom 3. Juni 2016, sind mittlerweile bestandskräftig und damit endgültig vollziehbar geworden.
Sodann hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags nicht einmal behauptet, wobei Berücksichtigung hätte finden müssen, dass die Eintragung der Antragstellerin in das Schuldnerverzeichnis bereits erfolgt und nur nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung – ZPO – wieder zu löschen ist.
Außerdem wäre bei einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel, den Antragsgegner im Sinne des Art. 21 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – zu einer Einstellung seiner Vollstreckungsbemühungen zu verpflichten, zu beachten, dass sich zum einen die Antragstellerin vor Anrufung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München nicht zuvor mit einem entsprechenden Begehren an den Antragsgegner selbst gewandt hat, was das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lässt. Zum anderen macht die Antragstellerin keine Gründe im Sinne des Art. 21 Satz 2 VwZVG geltend.
Schließlich ist anzumerken, dass die hier erkennende Kammer erhebliche Bedenken gegen die Rechtsauffassung des Amtsgerichts A. in dessen Beschluss vom 26. August 2016 hat, dieses sei im Falle einer durch den Antragsgegner aus Rundfunkbeitragsbescheiden betriebenen Zwangsvollstreckung für eine Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO nicht zuständig. Die Frage des Rechtswegs und der Zuständigkeit eines Gerichts im Falle einer ausdrücklich nach § 767 ZPO erhobenen Vollstreckungsabwehrklage ist zu trennen von der Prüfung, ob eine solche zulässig und begründet ist, insbesondere unter Beachtung des § 767 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i. V. m. der Empfehlung in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).