Verwaltungsrecht

Einstweilige Anordnung, Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) bis zur amtsärztlichen Feststellung der Reisefähigkeit, Depressive Störung, Suizidgefahr, Keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, Aufklärungspflicht der Ausländerbehörde

Aktenzeichen  M 10 E 21.2244

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12223
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die ungarische Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aussetzung ihrer Abschiebung nach Ungarn, bis ihre Reisefähigkeit amtsärztlich festgestellt worden ist.
Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 19. September 2019 im Verfahren M 10 K 18.1011 verwiesen, mit dem die Klage der Antragstellerin gegen die Feststellung des Verlusts ihres Rechts auf Einreise und Aufenthalt abgewiesen worden ist (vgl. hierzu auch die Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren: BayVGH, B.v. 12.12.2019 – 10 ZB 19.2195; B.v. 23.1.2020 – 10 S 20.136).
Der Antrag der Antragstellerin auf internationalen Schutz vom 13. Februar 2020, der insbesondere mit der Angst vor einem gewalttätigen Mann, vor dem sie die ungarischen Behörden nicht schützen würden, sowie mit einer Angst- und Panikstörung mit Suizidalität begründet wurde, wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Dezember 2020 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Über die hiergegen gerichtete Klage zum Verwaltungsgericht München (M 17 K 21.30044) ist noch nicht entschieden. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vorgesehene Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht München vom 4. Februar 2021 abgelehnt (M 17 S 21.30045). Das Gleiche gilt für den unter Bezugnahme auf ärztliche Unterlagen von 11., 15. und 30. März 2021 gestellten Antrag auf Abänderung dieses Beschlusses nach § 80 Abs. 7 VwGO im Verfahren M 17 S7 21.30654 (B.v. 15.4.2021).
Die Antragstellerin beantragte mit Fax ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16. März 2021 unter Vorlage der ärztlichen Unterlagen vom 11. und 15. März 2021 die amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin auf ihre Reiseunfähigkeit. Mit Schriftsatz vom 16. April 2021 erwiderte die Antragsgegnerin hierauf, die vorgelegten ärztlichen Unterlagen seien geprüft worden. Im Hinblick auf die dort gestellte Diagnose sowie die im asylrechtlichen Verfahren festgestellten Behandlungsmöglichkeiten in Ungarn könne aus Sicht der Ausländerbehörde die Ausreise bzw. Abschiebung verantwortet werden. Die Antragstellerin werde daher bis spätestens 27. April 2021 um Vorlage eines Nachweises über ihre Ausreise mit Termin spätestens am 6. Mai 2021 gebeten. Anderenfalls behalte sich die Antragsgegnerin die Einleitung von Vollzugsmaßnahmen mit einer entsprechenden Gestaltung der Abschiebung (ärztliche Begleitung, Sicherheitsbegleitung und Inempfangnahme in Ungarn) vor.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 26. April 2021, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt,
Der Antragsgegnerin wird untersagt, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragstellerin einzuleiten oder durchzuführen, bevor die Reisefähigkeit der Antragstellerin nicht amtsärztlich festgestellt ist.
Zur Begründung wird vorgetragen, der am 16. März 2021 gestellte Antrag auf amtsärztliche Untersuchung sei noch nicht verbeschieden worden. Gleichzeitig sei jedoch eine Grenzübertrittsbescheinigung bis 6. Mai 2021 ausgestellt und die Antragstellerin verpflichtet worden, bis spätestens 27. April 2021 den Nachweis der Ausreise zu führen. Anderenfalls seien Vollstreckungsmaßnahmen angedroht worden.
Zum Nachweis für die gesundheitliche Situation der Antragstellerin wurden zwei Arztberichte des …-Klinikums … … vom 11. und 30. März 2021 betreffend zwei stationäre Klinikaufenthalte der Antragstellerin vorgelegt. Nach diesen im Wesentlichen inhaltsgleichen Berichten leide die Antragstellerin insbesondere an einer gegenwärtig schweren Episode einer rezidivierenden depressiven Störung sowie an psychischen und Verhaltensstörungen durch Sedativa oder Hypnotika. Anlass für die Aufnahme in die Klinik sei jeweils gewesen, dass die Antragstellerin Informationen über ihre Abschiebung erhalten, deswegen starke Suizidgedanken bekommen habe und aus dem Fenster habe springen wollen. Es habe bereits mehrfache stationäre Aufenthalte der Antragstellerin im Zeitraum von 2016 bis 2021 gegeben. Nach dem psychopathologischen Befund bei der Aufnahme sei die Antragstellerin von akuter Suizidalität glaubhaft und nachdrücklich distanziert gewesen. Auch im Verlauf des (2 bzw. 4 Tage dauernden) stationären Aufenthalts und bei Entlassung sei die Antragstellerin von Suizidalität klar und glaubhaft distanziert gewesen. Nach der zudem übermittelten Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. … vom 15. März 2021 befinde sich die Antragstellerin seit 29. November 2018 in Behandlung. Sie habe eine rezidivierende schwere Depression mit psychischen Symptomen sowie eine Panikstörung. Vom 9. März bis 12. März 2021 sei sie aufgrund von Suizidalität erneut in der Klinik gewesen. Vor diesem Hintergrund sei eine Abschiebung nach Ungarn, wo keine tatsächlichen Bindungen mehr bestünden, eine „besondere Härte, insbesondere mit der Gefahr der Induktion eines erneuten Krankheitsschubs – auch mit Suizidalität“. Sie sei derzeit nicht als reisefähig anzusehen.
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2021 hat die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unbegründet, da kein Anordnungsanspruch gegeben sei. Die Ausreise sei rechtlich nicht unmöglich. Es werde auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 4. Februar 2021 im Verfahren M 17 S 21.30045 verwiesen.
Auf telefonische Nachfragen des Gerichts vom 28. April 2021 und 10. Mai 2021 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass die Grenzübertrittsbescheinigung bis 21. Mai 2021 verlängert worden sei. Derzeit sei eine Abschiebung nicht konkret geplant; ein Abschiebungsverfahren müsse erst noch eingeleitet werden. Für eine Abschiebung fehle es auch noch an einem gültigen Pass der Antragstellerin.
Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021 hat die Antragstellerin einen weiteren Arztbericht des …-Klinikums … … vom 30. April 2021 über ihren stationären Aufenthalt vom 13. bis 30. April 2021 wegen akuter Suizidalität vorgelegt. Auch nach diesem Bericht ist die Antragstellerin im Verlauf des stationären Aufenthalts und bei Entlassung von Suizidalität klar und glaubhaft distanziert gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bleibt ohne Erfolg, da er nicht begründet ist.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
Im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 123 VwGO zwar zulässig, insbesondere ist vor der gerichtlichen Inanspruchnahme mit Schriftsatz vom 16. März 2021 ein entsprechender Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt worden. Aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 16. April 2021 ist auch zu entnehmen, dass diese nicht beabsichtigt, dem Antrag nachzugehen.
Der Antrag nach § 123 VwGO ist aber unbegründet, da die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bis zur amtsärztlichen Feststellung der Reisefähigkeit glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO).
1. Im konkreten Fall fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit.
Im Hinblick auf eine Abschiebung ist ein Anordnungsgrund erst anzunehmen, wenn konkrete Abschiebungsmaßnahmen der Ausländerbehörde beabsichtigt sind. Die Abschiebung muss unmittelbar bevorstehen (vgl. hierzu: VG Würzburg, B.v. 1.4.2014 – W 6 S 14.30302 – BeckRS 2014, 50335; B.v. 25.10.2001 – W 7 E 01.30939 – BeckRS 2001, 27402 Rn. 10; VG Ansbach, B.v. 17.2.2003 – AN 5 E 03.00062 – BeckRS 2003, 19268 Rn. 10 f.).
Vorliegend ist die Antragstellerin zwar mit Schreiben vom 16. April 2021 aufgefordert worden, das Bundesgebiet bis 6. Mai 2021 – zwischenzeitlich verlängert bis 21. Mai 2021 – zu verlassen; anderenfalls würden Vollzugsmaßnahmen eingeleitet.
Aber dieses Schreiben zeigt gerade, dass die Abschiebung noch nicht unmittelbar bevorsteht. Das Abschiebungsverfahren muss erst noch eingeleitet werden. Dies ist dem Gericht auch explizit telefonisch am 28. April und 10. Mai 2021 bestätigt worden. In diesen Telefonaten wurde überdies mitgeteilt, dass die Antragstellerin derzeit nicht über einen gültigen Pass verfüge, was einer Abschiebung auch bei Ablauf der Grenzübertrittsbescheinigung grundsätzlich entgegenstehe. Vor diesem Hintergrund ist eine besondere Eilbedürftigkeit nicht anzunehmen (so in Fällen von Passlosigkeit und bei fehlendem konkreten Abschiebungstermin ebenso: VG Augsburg, B.v. 22.5.2013 – Au 1 E 13.30143 – BeckRS 2013, 52300 Rn. 14; VG Düsseldorf, B.v. 5.1.2011 – 2 L 2067/10.A – BeckRS 2011, 45345; B.v. 5.5.2009 – 24 L 602/09 – BeckRS 2009, 39710).
2. Im Übrigen liegt ein Anordnungsanspruch auf Einleitung bzw. Durchführung der Abschiebung erst nach amtsärztlicher Feststellung der Reisefähigkeit der Antragstellerin nicht vor. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur amtsärztlichen Feststellung ihrer Reisefähigkeit.
Die Abschiebung eines Ausländers ist gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Anhaltspunkte für eine tatsächliche Unmöglichkeit im Sinne von § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Abschiebung ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne von § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG. Ein rechtliches Ausreisehindernis ergibt sich insbesondere nicht unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG).
Im konkreten Fall hat die Antragstellerin die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht durch die Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG widerlegt.
Die Arztberichte des …-Klinikums … … vom 11. und 30. März 2021 sowie vom 30. April 2021 sind insoweit schon keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, da sie sich nicht zu einer etwaigen Reiseunfähigkeit verhalten. Jedenfalls war die Antragstellerin nach diesen Berichten während des Klinikaufenthalts und bei der Entlassung glaubhaft von Suizidalität distanziert.
Auch bei der Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. … vom 15. März 2021 handelt es sich nicht um eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung über die Reiseunfähigkeit. In diesem aus wenigen Sätzen bestehenden Bericht wird behauptet, die Antragstellerin sei derzeit nicht reisefähig. Dies wird jedoch nicht konkret begründet. Es finden sich in der Stellungnahme auch keine nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG erforderlichen Angaben zum Behandlungsverlauf, zur Anamnese, zur Methode der Tatsachenerhebung und zur Medikation. Zudem findet keine substantiierte Auseinandersetzung mit den Folgen der Erkrankung statt. Es wird lediglich in einem Satz pauschal festgestellt, dass eine Abschiebung nach Ungarn, wo keine tatsächlichen Bindungen mehr bestünden, eine besondere Härte darstellen würde, auch mit der Gefahr der Suizidalität. Abgesehen davon, dass nicht klar herausgearbeitet wird, woraus die Suizidalität abgeleitet wird, lässt sich dieser Feststellung allenfalls eine zielstaatsbezogene Argumentation, nicht jedoch eine Suizidalität infolge der Abschiebung als solcher und damit ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis entnehmen.
Da die Antragstellerin ihre Reiseunfähigkeit nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nachgewiesen hat, besteht im konkreten Fall keine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur weiteren Sachaufklärung. Die Antragstellerin hat insbesondere keinen Anspruch auf amtsärztliche Untersuchung zur Feststellung ihrer Reiseunfähigkeit.
Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht (vgl. hierzu: OVG Magdeburg, B.v. 6.9.2017 – 2 M 83/17 – BeckRS 2017, 131949 Rn. 6; in diese Richtung wohl auch: Röder in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrationsrecht, 7. Ed. 1.1.2021, § 60a AufenthG Rn. 40 ff.; anders zur alten Rechtslage wohl: OVG Hamburg, B.v. 13.1.2015 – 1 Bs 211/14 – NVwZ-RR 2015, 478 (479); VGH Mannheim, B.v. 6.2.2008 – 11 S 2439/07 – BeckRS 2008, 32846 Rn. 9: Aufklärungspflicht bei substantiiert vorgetragener oder sonst bekannt gewordener Suizidgefahr infolge einer psychischen Erkrankung). Hierfür spricht, dass auch das Verwaltungsgericht nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht zur weiteren Aufklärung des Gesundheitszustands, insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, verpflichtet ist, wenn ein Ausländer seine Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht hat (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – BeckRS 2018, 1335).
Im vorliegenden Fall ergibt sich auch aus § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG nichts Anderes (vgl. zu dieser Ausnahme: OVG Magdeburg, a.a.O., Rn. 6). Dies wäre nur der Fall, wenn der Ausländer unverschuldet an der Einholung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung gehindert war oder anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Soweit Letzteres der Fall ist, hat die Ausländerbehörde diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des Art. 24 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Hier war die Antragstellerin jedoch nicht unverschuldet an der Einholung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung gehindert. Die Antragstellerin hat vielmehr ärztliche Unterlagen vorgelegt, die allerdings – wie dargelegt – den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen. Im Übrigen liegen nicht anderweitige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Allein mit der Vorlage ärztlicher Bescheinigungen, die nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen, können grundsätzlich keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Erkrankung im Sinne des § 60a Abs. 2d AufenthG begründet werden, da andernfalls eine Aushöhlung der gesetzlichen Wertungen des § 60a Abs. 2c AufenthG drohen würde (OVG Magdeburg, a.a.O., Rn. 10). Abgesehen von den ärztlichen Bescheinigungen sind hier jedoch ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. In der Antragsbegründung vom 26. April 2021 wird schon nicht konkret dargelegt, woraus sich die Reiseunfähigkeit genau ergeben soll. Selbst in dem insoweit an sich nicht zu berücksichtigenden Attest vom 15. März 2021, das sich als einziges zur Reiseunfähigkeit verhält, wird lediglich auf fehlende Bindungen in Ungarn abgestellt, nicht aber auf den Abschiebungsvorgang selbst. Auch die mehrfachen Klinikaufenthalte in der Vergangenheit lassen für sich genommen nicht auf eine Reiseunfähigkeit schließen. Überdies hat die Antragsgegnerin selbst mit Schriftsatz vom 16. April 2021 angegeben, die Abschiebung entsprechend zu gestalten (ärztliche Begleitung, Sicherheitsbegleitung und Inempfangnahme in Ungarn).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. mit Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs 2013.


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