Verwaltungsrecht

Einstweilige Anordnung zur Klärung des Gesundheitszustandes des Antragstellers

Aktenzeichen  M 11 S 17.46101

Datum:
29.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Hinsichtlich der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG ist bei einem Folgeantrag in der Hauptsache eine (hilfsweise zu erhebende) Verpflichtungsklage statthaft, da das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich ausdrücklich festzustellen hat, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 111567).(Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nach § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 938 Abs. 1 ZPO erforderlich, aber auch ausreichend, dem Bundesamt aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung des betroffenen Ausländers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hauptsacheverfahren vorläufig nicht vollzogen werden darf. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist davon auszugehen, dass die medizinische Versorgung in Somalia grundsätzlich nicht gewährleistet ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde unverzüglich mitzuteilen, dass der Antragsteller bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht nach Somalia abgeschoben werden darf. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben somalischer Staatsangehöriger mit der Clanzugehörigkeit Shikhal. Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 3. März 2017 (Az.: …) ist sein Asylerstantrag abgelehnt worden. Gegen diesen Bescheid wurde keine Klage erhoben.
Am 4. Juli 2017 stellte der Antragsteller einen Asylfolgeantrag (Az.: …). Auf die Niederschrift zur Folgeantragstellung (Bl. 74 ff. der Behördenakte) wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 (zugestellt an den Bevollmächtigten des Antragstellers am 20. Juli 2017) lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 3. März 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes ab (Ziff. 2).
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Aus dem Sachvortrag des Antragstellers seien keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen gewesen. Auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen nicht vor. Zwar habe der Antragsteller durch Atteste dargelegt, an einer offenen Tuberkulose zu leiden. Die vorgelegten Atteste enthielten aber keine prognostischen Aussagen im Hinblick auf eine Rückkehr nach Somalia. Anknüpfungspunkt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG sei aber nicht eine derzeit bestehende Erkrankung, sondern die künftige Gefahr der wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands nach Rückkehr aufgrund von Umständen, die im Zielstaat der Abschiebung lägen. Es bestehe auch keine Pflicht, den Sachverhalt bzgl. möglicher Gesundheitsgefahren weiter aufzuklären. Soweit eine Krankheit des Antragstellers vorgetragen sei, könne diese in der Ausprägung, wie sie den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen sei, auch in Somalia behandelt werden. Eine Tuberkulose lasse sich außerdem in der Regel gut medikamentös behandeln. Der Antragsteller habe sich nach den vorgelegten Unterlagen bereits in Behandlung befunden. Auf einem vor seiner Entlassung durchgeführten Röntgen-Thorax hätten sich die Veränderungen etwas rückläufig gezeigt, sodass von einem Therapieerfolg ausgegangen werden könne. Die Tuberkulose-Medikation sei bis Anfang August 2017 geplant worden. Eine möglicherweise nachfolgende weitere Behandlungsbedürftigkeit sei nicht vorgetragen worden. Die Behandlung werde offensichtlich Anfang August 2017 abgeschlossen.
Der Antragsteller hat am 21 Juli 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben lassen (M 11 K 17.46100).
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine nähere Antragsbegründung ist bisher nicht erfolgt.
Die Antragsgegnerin hat in der Folge die Akten vorgelegt, sich aber in der Sache nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im zugehörigen Klageverfahren sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat teilweise Erfolg.
1. Soweit der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtet ist, ist er unbegründet.
Vorliegend braucht nicht entschieden zu werden, ob in der vorliegenden Konstellation, in der bei Ablehnung eines Asylfolgeantrags gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG keine neue Abschiebungsandrohung erlassen wird, weiterhin ein Antrag nach § 123 VwGO, gerichtet auf Unterlassen bzw. Rückgängigmachung der Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 VwGO, oder ob vielmehr in Folge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2016 (1 C 4/16), als dessen Folge nun die Anfechtungsklage die statthafte Klageart gegen die Ablehnung eines Folgeantrags als unzulässig darstellt, ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die statthafte Antragsart ist. Der Antrag gegen Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids hat unabhängig von der Antragsart keinen Erfolg. Dies folgt daraus, dass der Antragsteller zwar behauptet, aber in keinster Weise näher dargelegt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG erfüllt sind. Zwar hat er auf Blatt 2 der Niederschrift zur Folgeantragstellung unter Frage 2 angekreuzt, dass es neue Gründe gebe, die erst nach Abschluss des Erstverfahrens entstanden seien. Hierzu hat er jedoch in der Folge nichts weiter ausgeführt. Mindestvoraussetzung ist jedoch insoweit ein schlüssiger Sachvortrag. Im Weiteren wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid der Antragsgegnerin verwiesen.
2. Soweit der Antrag jedoch auf vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Abänderung des Bescheids vom 3. März 2017 bzgl. der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtet ist, hat er Erfolg.
Der Antrag ist insoweit von Amts wegen als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO auszulegen.
Hinsichtlich der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist in der Hauptsache weiterhin unstreitig eine (hilfsweise zu erhebende) Verpflichtungsklage statthaft (BVerwG, U. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 20 a.E.). Dies folgt daraus, dass das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich festzustellen hat, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (dazu BVerwG, a.a.O., juris Rn. 18 und 20). In Bezug auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat sich das Bundesamt somit anlässlich einer Entscheidung über einen Folgeantrag sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 20). Es darf sich nicht mit der Prüfung begnügen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Vielmehr hat es – so ausdrücklich § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG – „festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen“ (rechtswidrig war es deshalb, dass sich das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid auch hinsichtlich der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG mit der bloßen Prüfung von Wiederaufnahmegründen begnügt hat). Stellt das Bundesamt fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen oder trifft es entgegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG die vorgesehene Feststellungsentscheidung nicht, dann kann der betroffene Ausländer zusätzlich zu der gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig gerichteten Anfechtungsklage (hilfsweise) eine Verpflichtungsklage auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erheben (s. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 20 a.E.).
Für den vorläufigen Rechtsschutz gegen drohende Abschiebungsmaßnahmen anlässlich der Ablehnung eines Folgeantrags, den der Ausländer darauf stützt, dass entgegen der Entscheidung des Bundesamts nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ergibt sich daraus, dass in der Konstellation, in der es – wie vorliegend – an einer erneuten Abschiebungsandrohung fehlt, ein Antrag nach § 123 VwGO statthaft ist. Gibt es keine erneute Abschiebungsandrohung, dann gibt es auch in der Hauptsache keine Anfechtungsklage gegen eine Abschiebungsandrohung, der Verweis gemäß §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG auf den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO „gegen die Abschiebungsandrohung“ geht ins Leere. Hinsichtlich der vom Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu treffenden Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, ist in der Hauptsache – wie oben ausgeführt – nicht die Anfechtungsklage, sondern eine (hilfsweise zu erhebende) Verpflichtungsklage statthaft.
Zweck einer solchen Anordnung nach § 123 VwGO ist es, einen Anspruch des betroffenen Ausländers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorläufig zu sichern. Zur Erreichung dieses Zweckes (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO) ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dem Bundesamt aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung des betroffenen Ausländers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hauptsacheverfahren vorläufig nicht vollzogen werden darf. Auf die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG kann hingegen nicht abgestellt werden, da diese allein den Folgeantrag nach § 71 AsylG betrifft (vgl. zu all dem VG München, B. v. 10.05.2017 – M 2 S. 17.38234 – juris Rn. 14 f.).
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Das Gericht entscheidet nach seinem Ermessen, welche Anordnungen im Rahmen des Antrags nach § 123 VwGO erforderlich sind (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 33).
Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch jedenfalls in Bezug auf das mögliche Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG und damit eines möglichen Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 7 AufenthG auf der Grundlage von § 51 VwVfG bzw. §§ 48, 49 VwVfG hinreichend glaubhaft gemacht. Die nähere Prüfung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Der Antragsteller hat den Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht, da er vollziehbar ausreisepflichtig ist. Im Hinblick auf das mögliche Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG hat der Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch durch Vorlage von substantiierten ärztlichen Attesten hinreichend glaubhaft gemacht.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710/94 – juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht (vgl. VG Arnsberg, B.v. 23.2.2016 – 5 L 242/16.A – juris Rn. 64 m.w.N.). Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st.Rspr. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris).
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris Rn. 25).
Ein (ausländerrechtlicher) Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen (inlandsbezogener) rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist hingegen unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn; vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14).
Wie sich aus dem zuletzt vorgelegten fachärztlichen Bericht vom 3. April 2017 ergibt, befand sich der Antragsteller zwischen 6. Februar 2017 (06.02.1995 insoweit wohl ein Schreibfehler) und 29. März 2017 in stationärer Behandlung. Er leidet an einer offenen Tuberkulose. Dies stellt weltweit gesehen die häufigste tödliche Infektionskrankheit dar. Sie führt bei unbehandeltem Verlauf grundsätzlich zum Tode. Das Gericht geht auch davon aus, dass die medizinische Versorgung in Somalia grundsätzlich nicht gewährleistet ist. Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Zudem behindert die unzureichende Sicherheitslage ihre Arbeit (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 01.01.2017, S. 16). Mithin kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller eine behandlungsbedürftige Tuberkulose, anders als das Bundesamt dies im streitgegenständlichen Bescheid annimmt, in Somalia behandeln lassen könnte. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er den erforderlichen Zugang zu ärztlicher Behandlung und Medikamenten hätte.
Selbst im Falle, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen sollten, ist anerkannt, dass das Ermessen gemäß § 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG zugunsten eines Ausländers regelmäßig auf Null reduziert ist, wenn er im Zielstaat der drohenden Abschiebung einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U. v. 20.10.2004 – 1 C 15/03 – juris Leitsatz 1 sowie Rn. 16). Von einer derartigen individuellen Gefahr wäre im Falle einer Abschiebung, trotz Vorliegens einer nach wie vor behandlungsbedürftigen Tuberkuloseerkrankung nach Somalia, auszugehen.
Im Übrigen würde auch eine reine Interessenabwägung ergeben, dass die Interessen des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib in Deutschland diejenigen der Antragsgegnerin an einer Abschiebung überwiegen. Die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, sich später aber herausstellen würde, dass die Abschiebung des Antragstellers rechtswidrig war, wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, sich später aber herausstellen würde, dass die Abschiebung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre der Antragsteller einer konkreten Gesundheitsgefahr ausgesetzt, hierfür bestehen jedenfalls begründetet Anhaltspunkte, und im Übrigen wäre auch eine Fortführung seines Asylfolgeantrags angesichts der angespannten Lage in Somalia kaum möglich. Demgegenüber könnte der Antragsteller ohne weiteres auch zu einem späteren Termin abgeschoben werden. Sein Aufenthalt würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 14. Dezember 2016 – 2 BvR 2557/16 –, juris Rn. 9; Einstweilige Anordnung vom 22.2.2017 – 2 BvR 392/17 – juris Rn. 18).
Für das vorliegende Eilverfahren folgt hieraus, dass eine einstweilige Anordnung erlassen werden konnte, da nicht mit ausreichender Gewissheit feststeht, dass die Erkrankung des Antragstellers nicht mehr behandlungsbedürftig ist und eine extreme individuelle Gefahr im o.g. Sinne im Falle einer Abschiebung nicht vorliegt.
Im Hauptsacheverfahren wird daher durch die Vorlage entsprechender dezidierter Atteste bzw. Befund- und Behandlungsberichte, die Frage nach dem Gesundheitszustand des Antragsstellers zu klären sein, insbesondere unter Berücksichtigung der Frage, was, auch im Falle dass er noch nicht als genesen angesehen werden kann, bei fehlender Weiterbehandlung geschieht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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