Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz bei Ablehnung einer beantragten Verlängerung eines Aufenthaltstitels (mit Fortgeltungswirkung) und bei Ablehnung einer beantragten Ersterteilung eines Aufenthaltstitels (ohne Fortgeltungswirkung), Keine Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für einen (weiteren) Antrag auf Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis während des Verwaltungsverfahrens zur Verlängerung eines bisherigen Aufenthaltstitels, Schutz der Ehe (Art. 6 GG und Art. 8 EMRK), Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 1, 2 AufenthG, Einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  M 2 S 21.3305

Datum:
19.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13734
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 6
EMRK Art. 8
VwGO § 80, § 123
AufenthG § 28, § 31, § 81

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller möchte im Wege des Eilrechtsschutzes verhindern, dass er vor Abschluss eines auf die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausreisen muss.
Der im … 1979 geborene Antragsteller ist marokkanischer Staatangehöriger und reiste erstmals am 19. September 2002 mit einem gültigen Visum zur Studienvorbereitung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 31. Oktober 2002 beantragte er eine Aufenthaltserlaubnis zur Studienvorbereitung mit anschließendem Studiumsbeginn (Fachrichtung Jura). Die Erlaubnis wurde befristet erteilt und sodann mehrfach – wegen zahlreicher Umzüge des Antragstellers durch verschiedene Ausländerbehörden – verlängert. Bescheinigungen über einen Studienfortschritt wurden nicht vorgelegt. Zuletzt erfolgte eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde K. bis zum 12. April 2012.
Am 14. Januar 2012 heiratete der Antragsteller eine deutsche Staatsangehörige. Zum 18. Januar 2012 meldete er sich von K. nach M. um. An die gleiche Anschrift meldete sich die Ehefrau (von ihrer bisherigen Anschrift in J.) um. Am 4. April 2012 beantragte der Antragsteller die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug. Er und seine Ehefrau erklärten am 14. Mai 2012 gegenüber der Ausländerbehörde M., in ehelicher und häuslicher Gemeinschaft zu leben und über keine weiteren Wohnsitze zu verfügen. Der Antragsteller erhielt daraufhin am 14. Mai 2012 einen bis zum 13. Mai 2013 befristeten Aufenthaltstitel.
Am 1. Juli 2012 meldeten sich der Antragsteller und seine Ehefrau zum früheren Wohnsitz der Ehefrau in J. um. Am 30. April 2014 beantragte der Antragsteller die Verlängerung seines Aufenthaltstitels; dieser wurde bis zum 16. Mai 2015 verlängert. Am 14. Januar 2014 meldeten sich der Antragsteller und seine Ehefrau erneut nach München (wiederum an die alte Anschrift) um. Zum 20. April 2015 meldete sich die Ehefrau des Antragstellers in München ab und gab an, nach Österreich umzuziehen. Der Antragsteller blieb an der Anschrift in München gemeldet.
Am 12. Mai 2015 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und teilte einerseits im entsprechenden Ankreuzfeld „Familienstand“ mit, seit dem 20. April 2015 von seiner Ehefrau getrennt zu leben, andererseits gab er im Feld „Ehepartner“ als Anschrift seiner Ehefrau weiterhin die der Münchner Wohnung an. Am 26. August 2018 bestellte sich ein Bevollmächtigter; in dem Schreiben wird der Antrag des Antragstellers als „Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis“ bezeichnet. Mit Schreiben vom 20. Mai 2019 modifizierte der Bevollmächtigte den Antrag dahingehend, dass eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufentG „spätestens zum Zeitpunkt des 4. April 2012“ begehrt werde.
Bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids wurden dem Antragsteller jeweils befristete Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Am 8. Februar 2016 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags wegen Zweifeln am Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft angehört. Mit Schreiben vom 24. Februar 2016 wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eingeleitet, das jedoch am 12. September 2016 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Ehe ist durch amtsgerichtlichen Beschluss vom 16. Mai 2018 geschieden worden.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 beantragte der Bevollmächtigte für den Antragsteller ferner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG. Der Antragsteller habe mittlerweile ein von der Ehe unabhängiges Aufenthaltsrecht erworben. Er arbeite als selbständiger Taxifahrer. Die Trennung der Eheleute sei erst im Juni 2015 erfolgt; hierzu wurde eine entsprechende Erklärung der früheren Ehefrau vom 1. September 2016 gegenüber dem Bevollmächtigten vorgelegt.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2021, dem Bevollmächtigten des Antragstellers ausweislich des in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 18. Juni 2021 zugegangen, lehnte die Antragsgegnerin beide Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 1), forderte den Antragsteller auf, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bis zum 31. August 2021 zu verlassen (Nr. 2) und drohte für den Fall der Nichtbefolgung dieser Verpflichtung die Abschiebung nach Marokko an (Nr. 4). Unter Nummer 3 des Bescheids wurde mitgeteilt, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt werden könne, wenn der Antragsteller nicht fristgemäß ausreise.
Zur Begründung der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wurde ausgeführt, dass ein Anspruch zum Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Mai 2015 nicht mehr gegeben gewesen sei. Der Antragsteller und seine Ehefrau hätten bereits (seit dem 20.4.2015) getrennt gelebt. Die Ablehnung sei daher zwingend, ein Ermessen nicht auszuüben. Ein Anspruch aus § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestehe ebenfalls nicht. Die hierfür erforderliche Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau habe nicht drei Jahre bestanden. Sie lag mangels gemeinsamen Wohnsitzes nicht schon im Moment der Eheschließung vor, sondern erstmals mit der Begründung des gemeinsamen Wohnsitzes am 24. Januar 2012, von der die Behörde am 4. April 2012 durch die Antragstellung erfahren habe. Daher habe mit Erteilung der Fiktionsbescheinigung vom 4. April 2012 die maßgebliche Frist begonnen. Aus den dokumentierten wiederholten Wohnsitzwechseln zwischen den immer gleichen Anschriften in München und J. werde allerdings ersichtlich, dass der Antragsteller und seine Ehefrau immer zwei Wohnsitze behalten hätten, auch wenn die Ummeldungen gemeinsam erfolgt seien. Hieraus ergäben sich Zweifel an der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller und seine Ehefrau lediglich die Ehe geschlossen hätten, um dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Ein Grund für getrennte Wohnsitze sei nicht vorgetragen worden. Getrenntes Wohnen sei für ein junges Ehepaar auch sehr untypisch, zumal die Strecke nach München lediglich 50 km betrage, so dass gegebenenfalls – etwa zur Erreichung des Arbeitsplatzes – Pendeln möglich sei. Außerdem habe der Antragsteller im Rahmen der jeweiligen Antragsverfahren wahrheitswidrig das Bestehen weiterer Wohnsitze immer verneint. Ermittlungen der Behörden hätten zudem ergeben, dass an der Anschrift in J. nur die Ehefrau, in München nur der Antragsteller jeweils bekannt gewesen wären. Auch die zahlreichen Wohnortwechsel seit 2002 zeigten, dass der Antragsteller immer darauf erpicht gewesen sei, vor den Behörden zu verschleiern, dass er sein Studium überhaupt nicht ernsthaft betreibe. Die Ehe sei kurz vor Ablauf des Aufenthaltstitels geschlossen worden und die Trennung erfolgte in einem Moment, in dem der Antragsteller annahm, über einen von der Ehe unabhängigen Aufenthaltstitel zu verfügen. Gründe für eine Härtefallentscheidung nach § 31 Abs. 2 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben, insbesondere genüge hierfür allein die lange Aufenthaltszeit des Antragstellers in der Bundesrepublik nicht. Eine Reintegration in seinem Heimatland werde zwar nicht einfach, aber möglich sein. Die Ausreisepflicht ergäbe sich aus § 50 Abs. 1 AufenthG, eine Abschiebungsandrohung sei notwendig, um die Ausreiseverpflichtung gegebenenfalls zwangsweise durchsetzen zu können. Duldungsgründe nach § 60 AufenthG, die einer Abschiebung entgegenstünden, seien nicht erkennbar.
Am 21. Juni 2021 erhob der Antragsteller durch eine bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, mit der er die Aufhebung des Bescheids und die Verpflichtung der Beklagten begehrte, die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (M 2 K 21.3304). Zugleich beantragte er Eilrechtsschutz.
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 29. Juli 2021 ausgeführt, dass sich der Antragsteller seit 19 Jahren in der Bundesrepublik aufhalte. Gegen die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO habe sich die Antragsgegnerin nicht mittels Gegenvorstellung gewehrt, so dass sie jetzt aus dem diesem Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalt – Verdacht auf Scheinehe – keine Schlüsse zu Lasten des Antragstellers ziehen dürfe. Im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Mai 2012 habe ein Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bestanden, da die Ehe auch nach dem beruflich bedingten Fortzug der Ehefrau noch bis September 2015 fortbestanden habe. Der Antragsteller und seine Ehefrau hätten trotz getrennter Wohnorte eine Beistandsgemeinschaft gebildet. Der Antragsteller könne zudem eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Die eheliche Lebensgemeinschaft habe über drei Jahre bestanden. Maßgeblicher Zeitpunkt sei, das habe die Antragsgegnerin inzwischen eingeräumt, insoweit der Zeitpunkt der Antragstellung. Der Antragsteller und seine Ehefrau hätten die beiden Wohnungen in J. und in München finanzieren können; die Miete sei jeweils sehr günstig gewesen (450 bzw. 330 EUR). Die Eheleute hätten den größten Teil ihrer Ehezeit in J. verbracht, die Wohnung in München sei bei Bedarf v.a. an den Wochenenden genutzt worden. Erst als absehbar geworden sei, dass die Ehefrau aus beruflichen Gründen nach Österreich umziehen werde, sei die Wohnung in München wieder die gemeinsame Ehewohnung geworden. Der Kläger habe in dieser Zeit im Schichtdienst bei einer Produktionsfirma gearbeitet (regelmäßig bis 24 Uhr), so dass er einen atypischen Rhythmus gelebt habe und es deshalb nicht verwunderlich sei, wenn die Ermittlungen ergeben hätten, dass er tagsüber in J. nicht gesehen worden sei. Im Übrigen habe eine polizeiliche Ermittlung im Januar 2016 und im April 2016 angesichts des bereits erfolgten Umzugs der Ehefrau nach Österreich keine relevanten Erkenntnisse erbringen. Hätte die Antragsgegnerin zeitnah und nicht etwa sechs Jahre später über den Antrag des Antragstellers entschieden, fiele es ihm leichter, Beweise für das tatsächliche Zusammenleben mit seiner Ehefrau zu erbringen. Einen Zeugen, einen gemeinsamen Freund, könne er hierfür aber dennoch benennen.
Der Antragsteller beantragte wegen der Rechtswidrigkeit der Antragsablehnung im Wege des Eilrechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 6. Juli 2021,
den Antrag abzulehnen.
Sie verwies insoweit auf die Begründung ihres Bescheids.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 2 K 21.3304, Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag ist teilweise zulässig (A). Soweit er zulässig ist, ist er unbegründet (B).
A. I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist statthaft, soweit er sich gegen die Ablehnung des auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützten Antrags richtet. Der Verlängerungsantrag vom 12. Mai 2012 hinsichtlich des bis zum 16. Mai 2015 befristeten Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat wegen der rechtzeitigen Antragstellung die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst. Der Antragsteller verfügt daher über ein seinen Status verstärkendes Bleiberecht, das durch die Ablehnung in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids zu seinem Nachteil beendet wurde und Raum für die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung bietet (vgl. VG Aachen, B.v. 24.5.2016 – 8 L 1025/15 – juris Rn. 5).
II. Hinsichtlich des auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gestellten Antrags vom 17. Dezember 2018 tritt allerdings keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ein, da der Antrag nicht vor Ablauf des damaligen Aufenthaltstitels gestellt wurde. Ein Fall der unbilligen Härte nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wird weder behauptet noch ist sein Vorliegen anderweitig erkennbar. Daher verfügt der Antragsteller insoweit nicht über ein seinen Status verstärkendes Bleiberecht; es besteht kein Raum für die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist insoweit nicht statthaft.
Vorliegend ist auch eine Umdeutung in einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht geboten, da ein solcher Antrag nicht zulässig wäre. Für einen Antrag, gerichtet darauf, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über die beantragte Aufenthaltserlaubnis auszusetzen (vgl. hierzu auch VG München, B.v. 14.4.2022 – M 2 S 21.3973 – Rn. 21 ff.), ist deshalb von vorherein kein Raum – so dass insoweit ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO regelhaft nicht zulässig ist (anders wohl VG München, B.v. 24.2.2020 – M 4 E 19.6044 – juris Rn. 56; VG Aachen, B.v. 24.5.2016 – 8 L 1025/15 – juris Rn. 14: jeweils unbegründet) -, wenn ein nicht gemäß § 81 Abs. 3 bzw. Abs. 4 AufenthG geschützter Ausländer die Erteilung eines Aufenthaltstitels begehrt. Denn dieser muss die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich im Ausland abwarten (vgl. OVG NW, B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 – juris Rn. 8; VG Düsseldorf, B.v. 8.7.2021 – 2 L 1096/21 – juris Rn. 15; VG Aachen, B.v. 24.5.2016 – 8 L 1025/15 – juris Rn. 11). Ein dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geschuldeter Ausnahmefall, in dem ohne einstweilige Anordnung einem möglichen Begünstigtem die Inanspruchnahme einer ausländerrechtlichen Regelung vereitelt würde, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt (BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 19 CE 21.363 – juris Rn. 7 und Rn. 12; OVG NW, B.v. 11.1.2016 – 17 B 890/15 – juris Rn. 9 ff.), liegt nicht vor. Der begehrte Aufenthaltstitel nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt nach der Beendigung der Ehe den Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet nicht voraus. Durch eine Ausreise wird ein möglicher Anspruch auf Erteilung nicht vereitelt. Insoweit ist der Antrag unzulässig; Aufenthaltstitel nach § 28 AufenthG und § 31 AufenthG bilden trotz ihrer Verortung im gleichen Abschnitt deshalb keinen einheitlichen Streitgegenstand, weil der eine ein abgeleitetes, der andere gerade ein vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 11.1.2011 – 1 C 22/09 – juris Rn. 19).
III. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist ferner statthaft, soweit er sich gegen die Abschiebungsandrohung richtet. Diese stellt eine belastende Regelung dar, der hiergegen statthaften und erhobenen Anfechtungsklage kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zu. Die im Bescheid (Nr. 2) festgelegte Ausreisefrist bis zum 31. August 2021 ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zwar bereits abgelaufen; Erledigung nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG tritt hierdurch aber nicht ein, weil der Ablauf der Frist noch Rechtsfolgen – als Voraussetzung für eine Abschiebung – zeitigt.
B. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid ist insoweit voraussichtlich rechtmäßig.
I. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn eine Abwägungsentscheidung des Gerichts ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Maßgeblich kommt es insoweit auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache an.
II. Die im Eilverfahren gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
1. Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist rechtmäßig, ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis besteht nicht. Der Antragsteller hat zwar ausweislich seines formularmäßigen Antrags vom 12. Mai 2015 eine Niederlassungserlaubnis (offenbar nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) beantragt; allerdings ist in dem der Antragstellung folgenden Schriftwechsel zwischen der Behörde und dem Bevollmächtigten des Antragstellers von einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Rede (vgl. Schreiben vom 26. August 2015), die zudem noch auf eine rückwirkende Erteilung konkretisiert wurde.
Grundsätzlich ist, da es sich in der Hauptsache um eine Verpflichtungsklage handelt, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. Pietzsch in Kluth/Hornung/Koch, Zuwanderungsrecht, 3. Aufl. 2020, § 9 Rn. 134). Es kommt daher nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Mai 2015 infolge des Umzugs der früheren Ehefrau nach Österreich schon von einer Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft auszugehen ist. Denn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht die eheliche Lebensgemeinschaft offenkundig nicht mehr.
Es liegen auch nicht die Voraussetzungen für eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vor, die mit einer Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts verbunden wäre. Zwar kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für Zeiträume in der Vergangenheit (allerdings maximal zurück bis zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Ausländerbehörde, vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 5/10 – juris Rn. 14; s. a. VG München, B.v. 19.5.2022 – M 2 E 21.3635 – Rn. 29) erteilt werden, wenn in dem entsprechenden vergangenen Zeitraum die Voraussetzungen für ihre Erteilung erfüllt waren und der Ausländer an der rückwirkenden Erteilung ein schutzwürdiges Interesse hat, insbesondere wenn die Dauer des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis für die aufenthaltsrechtliche Stellung des Ausländers von Bedeutung ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 7/08 – juris Rn. 13 ff.; VG München, U.v. 17.02.2015 – M 24 K 14.2259; Maor in Kluth/Hornung/Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 65). Vorliegend fehlt es an einem berechtigten Interesse des Antragstellers für eine rückwirkende Erteilung einer Erlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Selbst für den Fall, dass mit dem 4. April 2012 – dem Tag der ersten Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG – dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden hätte müssen, ist für ihn damit kein Vorteil verbunden, der eine nun nachträgliche Erteilung rechtfertigen könnte. Denn für eine Erteilung des – wegen der unstreitigen Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Jahr 2015 – seither allenfalls möglichen Aufenthaltstitels nach § 31 AufenthG kommt es nur darauf an, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Besitz einer nach § 28 oder § 30 erteilten (vgl. Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand: 10. Ed., 15.1.2022, § 31 AufenthG Rn. 9) oder nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG fortgeltenden Aufenthaltserlaubnis ist. Das war der Antragsteller, gleich ob man von der Beendigung der Lebensgemeinschaft mit dem 20. April 2015 (so die Ausländerbehörde) oder vom September 2015 (so der Antragsteller) ausgeht. Im ersteren Fall war die Frist (16.5.2015) für die zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis noch nicht abgelaufen, im letzteren Fall galt für den Antragsteller mit Ablauf des 16. Mai 2015 der Titel nach § 81 Abs. 4 Satz 1 als fortgeltend. Des Weiteren meint das Tatbestandsmerkmal der „rechtmäßigen Lebensgemeinschaft“ (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) nicht nur die Gültigkeit der Ehe – hieran bestehen keine Zweifel -, sondern auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Ehepartner. Insoweit kommt es nicht darauf an, auf Basis welchen Titels der Antragsteller sich rechtmäßig im Bundegebiet aufgehalten hat (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Stand: 32. Ed., 1.10.2021, § 31 AufenthG Rn. 14). Dies ist beim Antragsteller auch ohne rückwirkende Erteilung der Erlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG der Fall. Der Antragsteller befindet sich seit der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2002 bis zur Ablehnung seines Antrags durch den streitgegenständlichen Bescheid rechtmäßig im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Eine nachträgliche Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zeitraum verschafft ihm somit keinen Vorteil.
Die Ablehnung des Antrags auf rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erscheint daher im gerichtlichen Entscheidungsmoment rechtmäßig, die Klage hat in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Verpflichtungsklage ist daher abzulehnen.
2. Die Androhung der Abschiebung nach Marokko unter Bestimmung einer zweimonatigen Frist für die freiwillige Ausreise ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er keinen erforderlichen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt. Nach § 58 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Die Abschiebung ist nach Maßgabe des § 59 AufenthG anzudrohen.
a) Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig, da er über keinen Aufenthaltstitel (mehr) verfügt. Die Ausreisepflicht ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch vollziehbar, weil die Wirkungen des § 81 Abs. 4 AufenthG mit der Entscheidung der Ausländerbehörde durch den streitgegenständlichen Bescheid endet (vgl. Kluth in Kluth/Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Stand: 32. Ed., 1.10.2020, § 81 AufenthG Rn. 38).
b) Soweit sich der Antragsteller (wohl) auf das Vorliegen von Gründen für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung wegen seines rund zwei Jahrzehnte währenden Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland beruft, steht das der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Grundsätzlich sind ohnehin wegen § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG Abschiebungsverbote für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht relevant. Anderes gilt nur, wenn hinreichend sicher ist, dass auf unabsehbare Zeit ein Abschiebungshindernis bestehen wird, weil dann die Abschiebungsandrohung erkennbar ihren Zweck verfehlen würde (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 22.11.2021 – 2 M 124/21 – juris Rn. 12 ff.; Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand: 10. Ed., 15.1.2022, § 59 AufenthG Rn. 21). Vorliegend besteht jedoch ein solches Hindernis für unabsehbare Zeit nicht.
(2) Die auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland bezogenen Argumente des Antragstellers begründen ebenfalls kein solches Hindernis. Dem Antragsteller dürften die unter dem Topos „faktischer Inländer“ entwickelten Abwägungskriterien im Zusammenhang mit Art. 8 EMRK bereits nicht zugutekommen, weil er erst im Alter von rund 23 Jahren erstmals in das Gebiet der Bundesrepublik eingereist ist und daher auch im Falle gelungener Integration und Verwurzelung einem Inländer nicht gleichstehen dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 10). Jedenfalls besteht auch für sog. „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot, auch wenn der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen ist (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 19 ZB 21.2053 – juris Rn. 30). Erst wenn infolge eines langjährigen Aufenthalts der Ausländer über so starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte zum Aufnahmestaat verfügt, dass ihm ein Leben in dem Land seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. OVG Saarl, B.v. 19.6.2001 – 2 B 318/09 – juris Rn. 6; s. a. BVerwG, B.v. 19.1.2010 – 1 B 25/09 – juris Rn. 4), ist von rechtlicher Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszugehen. Die Anforderungen sind insoweit streng (vgl. Endres de Oliveira in Huber/Eichenhofer/ Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 1. Aufl. 2017, Rn. 1206; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016 Rn. 22).
Das Berufen auf eine Verwurzelung in diesem Sinn setzt ferner einen rechtmäßigen Aufenthalt und ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand des Aufenthalts voraus (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2012 – 10 CE 12.778 – juris Rn. 4). Jedenfalls an der letzten Voraussetzung fehlt es. Der Antragsteller wusste um die Befristung seines Aufenthaltsrechts und durfte damit nicht auf den Fortbestand seines Aufenthalts vertrauen. Wiederholte Befristungen vermitteln grundsätzlich keinen materiellen Duldungsgrund nach Ablauf der letzten Befristung und damit erst recht kein dauerhaftes Hindernis im oben genannten Sinne. Auch im Übrigen ist weder ersichtlich noch vorgetragen, weshalb von einer tiefgreifenden Entwurzelung aus dem Heimatland, in dem der Antragsteller immerhin die ersten rund 23 Jahre seines Lebens verbracht hat, auszugehen wäre, die eine Rückkehr unzumutbar machen würde.
cc) Zur weiteren Begründung folgt das Gericht den Ausführungen der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid und nimmt insoweit darauf Bezug (§ 117 Abs. 5 VwGO).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
D. Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5, 8.1 des Streitwertkatalogs und beträgt – da zwei Streitgegenstände in Rede stehen – für den unzulässigen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenso 2.500 EUR wie für den zulässigen, aber unbegründeten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.


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