Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebungsanordnung nach Nigeria

Aktenzeichen  M 9 S 17.39406

Datum:
20.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56841
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 30 Abs. 1, § 75
AsylG § 30 Abs. 2
AsylG § 36 Abs. 4
AsylG § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Das Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die – auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende – Abschiebungsandrohung nach Nigeria ist unbegründet.  (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die nicht ausgewiesene Antragstellerin ist (alles nach eigenen Angaben) nigerianische Staatsangehörige, geboren am … Oktober 1995, sie reiste am 19. Juli 2015 (so die Angabe der Antragstellerin in der Dublin-Erstbefragung, Bl. 20 der Bundesamtsakten) auf dem Landweg von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. September 2015 Asylantrag.
Die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 16. August 2016. Zur Begründung des Asylbegehrens machte die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass sie Nigeria wegen der wirtschaftlich schwierigen Situation verlassen habe (so ausdrücklich Seite 3 unten des Anhörungsprotokolls, Bl. 52 der Bundesamtsakte). Auf die Niederschrift über die Anhörung im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 50 – 54 der Bundesamtsakte).
Bereits am 4. September 2015 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 26 – 29 sowie die Anlage Bl. 30f.) im Übrigen und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 32 – 34 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 28. April 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), forderte die Antragstellerin zum Verlassen der Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 5). Unter der Nr. 6 des Bescheids wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristet. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Ausweislich der bei den Bundesamtsakten befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 4. Mai 2017 zugestellt.
Die Antragstellerin erhob mit undatiertem Schreiben, bei Gericht eingegangen am 9. Mai 2017, Klage (M 9 K 17.39404) und beantragte,
den „Bescheid vom 3. Mai 2017“ [sic!] aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen und das Vorliegen der Voraussetzungen für Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutz sowie das Vorliegen der Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen gem. § 60 Abs. 3, 5 und 7 AufenthG festzustellen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Die Begründung der Rechtsbehelfe werde nachgereicht werden.
Die Antragsgegnerin hat die Akten vorgelegt, sich in der Sache jedoch nicht geäußert.
Mit Schreiben vom 26. Juli 2017 bestellte sich der Bevollmächtigte der Antragstellerin und begründete Klage und Antrag. Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren, auf die vorgelegten Behördenakten sowie auf die beigezogenen Akten der Geschwister der Antragstellerin (Az. M 13 S 17.39462 und M 13 K 17.39460 sowie M 27 S 17.39400 und M 27 K 17.39398) Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist unbegründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt für die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht ist daher die Prüfung, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Die Antragstellerin hat aller Voraussicht nach weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Abs. 1 GG) – wobei das nach dem undatierten Antragsschreiben, bei Gericht eingegangen am 9. Mai 2017 gar nicht beantragt ist, insoweit ist der streitgegenständliche Bescheid ohnehin bereits bestandskräftig – noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG noch subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 28. April 2017, auf den gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist unter Zugrundelegung des Prüfungsumfangs des Verfahrens auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Maßgabe der oben dargelegten Grundsätze bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils.
Die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils ist nach der Maßgabe von § 30 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG nicht zu beanstanden. Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Die Antragstellerin hat bezogen auf ein Asylbegehren, den Flüchtlingsschutz, und auch den subsidiären Schutz überhaupt nichts vorgetragen. Der Vortrag besteht ausdrücklich nur darin, dass die Situation in Nigeria für sie wirtschaftlich schlecht sei; alle Fragen zu denkbaren Anknüpfungstatsachen für Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz in der Anhörung wurden ausdrücklich verneint (vgl. Bl. 52f. der Bundesamtsakte). Der Vortrag im Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 26. Juli 2017 ist insofern nicht nachvollziehbar. Entgegen der dortigen Behauptung, dass die Antragstellerin „im Wesentlichen vorgebracht […] habe, dass sie aus der Biafra-Gegend stamme und somit von den nigerianischen Sicherheitsbehörden für eine Biafra gehalten“ werde, hat die Antragstellerin solches in ihrer Anhörung in keiner Weise geäußert, weder so, wie es der Bevollmächtigte darstellt noch auch nur irgendeine Andeutung o.ä., die in eine solche Richtung ginge. Wie der Bevollmächtigte auf diesen Vortrag kommt, ist nicht nachvollziehbar. Wie das Bundesamt im angegriffenen Bescheid zu Recht ausführt, liegt tatsächlich keine Anknüpfung an ein Merkmal, das für ein Asylbegehren, den Flüchtlingsschutz oder auch den subsidiären Schutz relevant ist, vor. Auch ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse im Heimatland kommt nicht in Betracht; insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die auch diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid, dort insbesondere auf Seite 6 unter 4. bis Seite 9 Mitte Bezug genommen; dabei weist das Bundesamt zutreffend auch auf die persönlichen Verhältnisse der Antragstellerin hin. Die Antragstellerin ist im Falle einer Rückkehr nach Nigeria auch nicht dauerhaft auf sich allein gestellt, vielmehr kann sie auf eine vorhandene Familie zurückgreifen; soweit auf die derzeit ebenfalls in Deutschland aufhältigen Geschwister der Antragstellerin abgestellt wird, ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls der Asylantrag des Bruders ebenfalls als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde – der Rechtsschutz hiergegen wurde ebenfalls bereits unanfechtbar abgelehnt (VG München, B. v. 22.11.2017 – M 13 S 17.39462) -, weswegen dieser vollziehbar ausreisepflichtig ist und deswegen in rechtlicher Hinsicht kein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland angenommen werden kann. Dass der Asylantrag der Schwester (vgl. hierzu – ebenfalls ablehnend – VG München, B.v. 22.12.2017 – M 27 S. 39400) „nur“ als einfach unbegründet abgelehnt wurde, ändert daran nichts. Die Bewertung des Bundesamts, dass bei der Antragstellerin die Voraussetzungen gemäß § 30 Abs. 2 AsylG vorliegen, ist vor dem Hintergrund des Vortrags der Antragstellerin ebenfalls nicht zu beanstanden, da die Antragstellerin tatsächlich nur vorträgt, dass sie nur aus wirtschaftlichen Gründen bzw. um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, nach Deutschland gekommen ist.
Es liegen auch ansonsten keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch § 60 Abs. 3 AufenthG liegt nicht vor, wobei nicht klar ist, aufgrund welcher tatsächlicher Umstände dieser überhaupt beantragt wurde.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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