Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung bei Erteilung eines Negativzeugnisses

Aktenzeichen  RN 4 S 17.1853

Datum:
11.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143630
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1
LStVG Art. 18 Abs. 2, Art. 37 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 4

 

Leitsatz

1 Die erforderliche Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts muss eindeutig erkennen lassen, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinandergesetzt hat; eine bloße Wiedergabe der Rechtslage reicht nicht. (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung als Nebenbestimmungen zu einem Negativzeugnis sind rechtswidrig, wenn der Adressat zu den isoliert anfechtbaren Anordnungen nicht angehört worden ist, diese nicht begründet worden sind und es an nachvollziehbaren Ermessenentscheidungen hinsichtlich der einzelnen Anordnungen fehlt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 23.10.2017 gegen den Bescheid der Gemeinde S. vom 26.9.2017 wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen sicherheitsrechtliche Anordnungen im Zusammenhang mit der Erteilung eines sogenannten Negativzeugnisses.
Mit Bescheid vom 12.7.2016 hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin ein zeitlich begrenztes Negativzeugnis für den Hund B … der Rasse Cane Corso, Wurftag 2.1.2016, erteilt. Dieses Negativzeugnis galt bis 2.6.2017 (Nr. 1). Unter Nr. 2 des Bescheids wurden auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützte Anordnungen getroffen, die näher begründet wurden.
Mit Antrag vom 4.7.2017 beantragte die Antragstellerin die Befreiung von der Erlaubnispflicht (Negativzeugnis) gemäß Art. 37 LStVG i.V.m. § 1 Abs. 2 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit. Sie legte ein Gutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für „Verhalten von Hunden im Hinblick auf Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren“, des praktischen Tierarztes … vom 24.7.2017 vor. Der Sachverständige stellte fest, dass der Hund keine Kampfhundeeigenschaften im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LStVG besitze und die Freistellung des Hundes von der Erlaubnispflicht zu befürworten sei. Die Antragstellerin sei eine geeignete Hundehalterin, präventive behördliche Auflagen gemäß Art. 36 Abs. 2 BayVwVfG bzw. gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG seien nicht indiziert.
Die Antragsgegnerin erteilte sodann mit Bescheid die unbefristete Befreiung von der Erlaubnispflicht (Negativzeugnis) für den Hund B … Der Bescheid trägt im Bescheidskopf das Datum 26.9.2017, die Unterschrift erfolgte neben dem Datum 26.7.2017. Neben dem Ausspruch „Die sofortige Vollziehung wird angeordnet.“ befindet sich der Hinweis „(siehe Beiblatt Anforderungen)“. In den Gründen des Bescheids ist ausgeführt: „Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit war im öffentlichen Interesse geboten (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung), da ein eventuell eingelegter Widerspruch aufschiebende Wirkung hätte. In der Rechtsbehelfsbelehrung:ist die Klage als richtiger Rechtsbehelf genannt. Es ist darauf hingewiesen, dass das Widerspruchsverfahren in diesem Rechtsbereich abgeschafft worden sei.
Das „Beiblatt Anforderungen“ hat folgenden Inhalt:
„2.1 Der Hund darf nur vom Antragsteller oder einer hierzu geeigneten erwachsenen Bezugsperson ausgeführt werden.
2.2 Außerhalb Ihres Grundstückes ist der Hund mit einer reißfesten und durchbisssicheren Leine (nicht länger als 3,0 Meter) mit schlupfsicherem Halsband zu führen.
2.3 Freier Auslauf ist nur mit angelegtem Maulkorb außerhalb der im Zusammenhang bebauter Ortsteile zulässig.
2.4 Es muss gewährleistet sein, dass der unter Ziffer 1 genannte Hund durch ausbruchsichere Unterbringung (z.B. Zwinger, Zaun, Schließvorrichtung) sicher verwahrt wird, d.h. weder das Grundstück, auf dem er gehalten wird, unbeaufsichtigt verlassen, noch dort befugt aufhaltende Personen gefährden kann.
3. Die sofortige Vollziehung der unter Nr. 2 genannten Auflagen wird angeordnet.
4. Für den Fall des Verstoßes gegen die Anordnungen aus den Ziffern 2.1 bis 2.4 dieses Bescheids wird jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500,00 € fällig.
5. Sie haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
6. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr in Höhe von 25,00 € festgesetzt. Die Auslagen betragen 5,60 €. Insgesamt sind 30,60 € zu zahlen.“
Der „Auszug aus dem Negativzeugnis“ ist mit dem Datum 26.9.2017 versehen. Der Bescheid wurde der Antragstellerin laut „Abholerklärung“ am 27.9.2017 ausgehändigt.
Hiergegen ließ die Antragstellerin am 23.10.2017 Klage erheben (RN 4 K 17.1854) mit dem Begehren,
die Auflagen/Anordnungen Nrn. 1, 2, 3 und 4,
hilfsweise Nrn. 3 und 4 des Bescheids aufzuheben.
Des Weiteren begehrt die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz.
Zur Begründung wird vorgetragen:
– Der Bescheid weise widersprüchliche Ausstellungs- bzw. Bescheidsdaten aus.
– Das Beiblatt sei nicht unterzeichnet.
– Eine den konkreten Fall betreffende Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs enthalte der Bescheid nicht
– Auch eine Begründung für die einzelnen Anordnungen fehle
– Eine Ermessensausübung enthalte der Bescheid nicht
– Rechtliches Gehör sei nicht gewährt worden
– Wegen der evidenten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids überwiege das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse
– Die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage seien evident. Vom Hund der Antragstellerin gehe nachweislich keinerlei Gefahr aus, die es (auch nur vorübergehend bis zur Entscheidung in der Hauptsache) etwa abzuwehren gelte.
– Der Hinweis auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9.11.2010 verfange nicht.
Die Antragstellerin beantragt,
1.Die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin mit Klageschriftsatz vom 20. Oktober 2017 gegen den Bescheid der Gemeinde S. vom 26.9.2017/26.7.2017 erhobenen Anfechtungsklage wird wiederhergestellt und die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in dem vorgenannten Bescheid wird aufgehoben und dessen Vollziehung ausgesetzt.
2.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Grundlage für die Anordnungen von Nrn. 2.1 bis 2.7 (richtig Nrn. 1 bis 4) sei Art. 18 Abs. 2 LStVG i.V.m. Art. 36 Abs. 2 BayVwVfG. Es werde auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 9.11.2010 – 10BV06.3053 – sowie die Entscheidung vom 13.5.2005 verwiesen. Die Ausführungen im Bescheid unter Nr. 3 deckten sich mit den Ausführungen der Entscheidung des BayVGH aus dem Jahr 2010.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die vorliegenden Behördenakten und die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Das Gericht geht davon aus, dass der Bescheid das Datum 26.9.2017 trägt. Dies ergibt sich aus dem „Auszug aus dem Negativzeugnis“, der ebenfalls das Datum 26.9.2017 trägt, und dem Umstand, dass der Antragstellerin der Bescheid am 27.9.2017 ausgehändigt wurde.
Nach gefestigter Rechtsprechung ist eine isolierte Anfechtungsklage gegen die jeweilige Klagepartei belastende Nebenbestimmungen grundsätzlich statthaft (vgl. BayVGH, Urteil vom 2.11.2017 – 2BV. 2712 -, juris).
1. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell rechtswidrig.
Gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings dann, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat. Diese Anordnung ist § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen, wobei die Begründung eindeutig erkennen lassen muss, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinandergesetzt hat.
Der streitgegenständliche Bescheid enthält eine derartige Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der genannten Nebenbestimmungen nicht. Die Ausführungen zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in den Gründen gibt lediglich die Rechtslage wieder, geht jedoch im vorliegenden Fall ins Leere, da der streitgegenständliche Bescheid nicht mit Widerspruch, sondern, wie in der Rechtsbehelfsbelehrung:zurecht ausgeführt, mittels Klageerhebung angefochten werden kann.
2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage bei Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
Das Gericht trifft hierfür eine eigene originäre Entscheidung aufgrund einer summarischen Würdigung der zum Entscheidungszeitpunkt gegebenen Erkenntnislage unter Abwägung der Interessen des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfes und dem Interesse der Behörde an der geltend gemachten sofortigen Vollziehbarkeit, wobei besonderes Gewicht den voraussichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache zukommt. Ergibt die summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein wird, trifft das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Überprüfung als rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Die Hauptsacheklage wird voraussichtlich erfolgreich sein.
Die Antragstellerin ist hinsichtlich der isoliert anfechtbaren Anordnungen vor Bescheidserlass nicht angehört worden. Zudem fehlt jegliche Begründung für diese Anordnungen. Soweit der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin auf Ausführungen im Bescheid verweist, meint er offensichtlich den Bescheid vom 12.7.2016, der jedoch nicht Streitgegenstand ist. Damit fehlt es auch an einer nachvollziehbaren Ermessensentscheidung hinsichtlich der einzelnen Anordnungen. Bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens hätte einbezogen werden müssen, dass der Sachverständige derartige Anordnungen nicht für erforderlich gehalten hat. Wenn sich die Antragsgegnerin auf die genannte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – bei der es sich um einen Bullterrier gehandelt hat – beruft, hätte geprüft und begründet werden müssen, ob die getroffenen Aussagen auf den vorliegenden Hund übertragbar sind.
Auf die weiteren Einwendungen der Antragstellerin braucht nicht mehr eingegangen zu werden.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5, 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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