Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz, Vergabe von Jugendhilfeleistungen, „Interimsvergabeverfahren“

Aktenzeichen  M 18 E 21.3668

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22095
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
SGB VIII § 13

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Untersagung der interimsweisen Vergabe von Jugendhilfeleistungen in Form der Schulsozialarbeit nach § 13 SGB VIII aufgrund eines Vergabeverfahrens durch den Antragsgegner.
Mit Schiebebeschluss vom 10. Juni 2021 untersagte das Gericht im zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens geführten Verfahren M 18 E 21.2712 dem Antragsgegner bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO vorläufig, Leistungen auf Grund des Vergabeverfahrens „SaS – Sozialpädagogische Arbeit an den weiterführenden Schulen des Landkreises …“ zu vergeben. In dem im Verfahren M 18 E 21.2712 streitgegenständlichen Vergabeverfahren sollten Leistungen der Schulsozialarbeit an mehreren weiterführenden Schulen des Antragsgegners – im Einzelnen an der Realschule …, der Realschule … …, der Realschule …, der Realschule …, am Gymnasium …, am Gymnasium …, am Gymnasium … … und am Gymnasium … – für den Zeitraum 1. September 2021 bis 31. August 2024 vergeben werden.
Mit E-Mail vom 7. Juli 2021 wandten sich die Bevollmächtigten des Antragsgegners an den Antragsteller und teilten mit, dass der Antragsgegner die interimsweise Beschaffung von „Sozialpädagogischer Arbeit an den weiterführenden Schulen des Landkreises …“ beabsichtige und ein entsprechendes Vergabeverfahren durchführen werde. Die betroffenen Schulen seien im Einzelnen die Realschule …, die Realschule … …, die Realschule …, die Realschule …, das Gymnasium …, das Gymnasium … und das Gymnasium … Es sei ein fester Vertragsschluss für den Zeitraum 1. September 2021 bis zum 31. Dezember 2021 vorgesehen, nebst einer optionalen Verlängerung bis zum Ende des 1. Schulhalbjahres am 28. Februar 2022. Der Antragsteller werde gebeten, bis Dienstag 13. Juli 2021 mitzuteilen, ob an der Teilnahme an dieser Interimsvergabe Interesse bestehe. Die Interessenten würden sodann zur Abgabe eines Angebots bis zum 23. Juli 2021 aufgefordert werden.
Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2021, eingegangen am 13. Juli 2021, beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München durch seinen Bevollmächtigten,
das mit E-Mail vom 7. Juli 2021 eröffnete „Interimsvergabeverfahren“ vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller – wie im Verfahren M 18 E 21.2712 – auch dieses Vorgehen für rechtswidrig erachte. Er teilte zudem mit, sich an der „Interimsvergabe“ nicht zu beteiligen und stattdessen einen Antrag auf Förderung nach § 74 SGB VIII stellen zu wollen.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021,
den Antrag abzulehnen.
Er führte aus, dass die Angebotsfrist für die Bieter im streitgegenständlichen Vergabeverfahren am 23. Juli 2021 ende. Den Zuschlag werde der Antragsgegner voraussichtlich in der Kalenderwoche 31 erteilen. Vorgesehen sei, vorbehaltlich der weiteren Verfahrensentwicklung im Verfahren M 18 E 21.2712, zunächst ein Vertragszeitraum vom 1. September 2021 bis 31. Dezember 2021.
Der Antrag sei bereits unzulässig, da dem Antragsteller die Antragsbefugnis und das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis fehle.
Eine Verletzung des Antragstellers in eigenen Rechten werde nicht aufgezeigt. Er habe kein Recht darauf, dass eine Marktansprache in einem Vergabeverfahren nach der Unterschwellenvergabeverordnung zur Deckung eines ab dem 1. September 2021 bestehenden Bedarfs unterbleibe. Zudem sei das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für einen Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz nicht gegeben; der Antragsteller habe nicht aufgezeigt, dass die Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Dies sei nach Lage der Dinge auch ausgeschlossen. Die Durchführung eines Interimsvergabeverfahrens sei für eine etwa zu treffende Entscheidung über einen künftigen Förderantrag nach § 74 SGB VIII rechtlich ohne Belang. Es sei ausgeschlossen, dass der Antragsteller dadurch in eigenen Rechten verletzt werde, dass der Antragsgegner Anbieter in einem nach der Unterschwellenvergabeordnung geführten Vergabeverfahren zur Angebotsabgabe auffordere. Das gleiche gelte für den Fall, dass das Interimsvergabeverfahren durch Beauftragung eines Dritten enden sollte. Zum einen hätte dies der Antragsteller in der Hand, da es ihm offenstehe, sich mit einem Angebot an der Vergabe zu beteiligen, zum anderen wäre auch ein Vertragsschluss mit einem Dritten irrelevant für geschützte Rechtsposition des Antragstellers.
Ein Anordnungsanspruch sei des Weiteren nicht gegeben, da ein etwaiger Anspruch des Antragstellers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Förderantrag nach § 74 SGB VIII nicht betroffen sei. Dafür fehle es bereits an einem Förderantrag. Zudem seien die Voraussetzung § 74 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VIII nicht erfüllt. Ein künftiges Recht aus § 74 SGB VIII könne nicht Grundlage für eine einstweilige Anordnung sein, jedenfalls seien die Voraussetzungen einer Ermessensreduktion auf Null nicht glaubhaft gemacht. Im Übrigen führe eine bei der Unterstellung offener Erfolgsaussichten anzustellende, hauptsacheunabhängige Interessensabwägung nicht dazu, dass die begehrte Anordnung zu erlassen wäre. Es bestehe ein gesteigertes öffentliches Interesse an der unterbrechungsfreien Erbringung der streitgegenständlichen Jugendhilfeleistungen. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, das Hauptsacheverfahren zu betreiben, zumal er es in der Hand habe, sich am Vergabeverfahren zu beteiligen und er jedenfalls keine daraus folgenden unzumutbaren Nachteile glaubhaft mache. Des Weiteren fehle es auch an einem Anordnungsgrund. Denn ein künftiger Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Anspruch nach § 74 SGB VIII werde durch die Durchführung eines Verfahrens zur Entscheidungsvergabe nicht berührt.
Mit E-Mail vom 14. Juli 2021 wandten sich die Bevollmächtigten des Antragsgegners an den Antragsteller und teilten mit, dass der Antragsgegner die interimsweise Beschaffung von Leistungen der „Jugendsozialarbeit an Schulen“ (JaS) auch an der … in … ab dem 1. September beabsichtige und ein entsprechendes Vergabeverfahren durchführen werde. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021 beantragte der Antragsteller daraufhin durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München, auch dieses „Interimsvergabeverfahren“ vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen (M 18 E 21.3726).
Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2021 teilten die Bevollmächtigten des Antragsgegners des Weiteren mit, dass der Antragsteller beim Antragsgegner mit Schreiben vom 12. Juli 2021 einen Antrag auf Finanzierung nach § 74 SGB VIII für die SaS-Leistungen an den streitgegenständlichen Schulen gestellt habe.
Im Verfahren M 18 E 21.2712 erklärte das Gericht den Verwaltungsrechtsweg mit Vorabbeschluss vom 22. Juli 2021 für zulässig.
Der Antragsgegner teilte dem Gericht am 28. Juli 2021 telefonisch mit, dass der Vertragsschluss im streitgegenständlichen Vergabeverfahren frühestens am 4. August 2021 erfolgen werde und legte am 29. Juli 2021 die Behördenakte elektronisch vor. Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass die interimsweise Vergabe der SaS-Leistungen in acht Teillosen zunächst für den Zeitraum vom 1. September 2021 bis zum 31. Dezember 2021 erfolgen solle, um die Kontinuität der Erbringung sozialpädagogischer Leistungen an den betreffenden Schulstandorten sicherzustellen. Die Vergabe erfolge nach der UVgO; der Schwellenwert sei unterschritten.
Wegen des weiteren Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und den Verfahren M 18 E 21.2712 und M 18 E 21.3668 sowie die vorgelegten Behördenakten ergänzend Bezug genommen.
II.
Für den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, für die keine abdrängende Sonderzuweisung gegeben ist.
Ein Ausschluss des Verwaltungsrechtswegs durch die Sonderzuweisung an die Vergabekammern nach §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB steht vorliegend – anders als in dem zwischen den Beteiligten geführten Parallelverfahren M 18 E 21.2712 – nicht in Rede. Ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern kommt nach der Systematik des GWB nur bei öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen in Betracht, die die in § 106 Abs. 2 näher bestimmten Schwellenwerte erreichen oder übersteigen (vgl. Kau in Burgi/Dreher, Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 106 GWB Rn. 17). Der in Hinblick auf die Erbringung von Jugendhilfeleistungen nach § 13 Abs. 1 SGB VIII hierfür allein in Betracht kommende Art. 4 lit. d der RL 2014/24/EU i.V.m. § 106 Abs. 1 Nr. 2 GWB legt für öffentlichen Dienstleistungsaufträge betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der Richtlinie einen Schwellenwert von 750.000 EUR fest. Unabhängig davon, ob die streitgegenständliche Auswahl eines freien Jugendhilfeträgers zur Erbringung von Leistung nach § 13 SGB VIII tatsächlich unter den Begriff des öffentlichen Auftrags zu subsumieren ist, wird dieser Schwellenwert – auch bei einer Berücksichtigung von etwaigen Optionen oder Vertragsverlängerungen nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VgV – jedenfalls vorliegend nicht erreicht. Einer Zuständigkeitsabgrenzung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von den Vergabekammern bedarf es daher an dieser Stelle nicht. Die Ausführungen des Gerichts in der Vorabentscheidung vom 22. Juli 2021, mit der im Verfahren M 18 E 21.2712 die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges festgestellt wurde, sind vorliegend daher nur teilweise zu übertragen.
Bei der im Streit stehenden Frage, ob die Beauftragung eines freien Jugendhilfeträgers zur Erbringung von Leistungen nach § 13 Abs. 1 SGB VIII durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Vergabewege erfolgen kann, handelt es sich jedenfalls um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, über die vorliegend das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat.
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist für die Frage des einschlägigen Rechtswegs im Bereich der Unterschwellenvergabe die Rechtsform staatlichen Handeln maßgeblich: Ist diese privatrechtlich, so ist es grundsätzlich auch die betreffende Streitigkeit; vollzieht sich das staatliche Handeln in den Bahnen des öffentlichen Rechts, ist hingegen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (BGH, B.v. 23.1.2012 – X ZB 5/11 – juris Rn. 20; sich dem anschließend ThürOVG, B.v. 26.2.2020 – 3 VO 517/17 – juris Rn. 7 und NdsOVG, B.v. 29.10.2018 – 10 ME 363/18 – juris Rn. 8 jeweils unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 2.5.2007 – 6 B 10/07 – juris). Auch öffentlich-rechtliche Streitigkeiten können auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Diese sind dann öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet (BVerwG, B.v. 2.5.2007 – 6 B 10/07 – juris Rn. 4; ThürOVG, B.v. 26.2.2020 – 3 VO 517/17 – juris Rn. 13).
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Beziehung zwischen Leistungserbringer und Jugendhilfeträger im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 12 C 18.313 – juris, Rn. 7). Auch bei der hier in Rede stehenden Finanzierung, die sich wohl außerhalb des Dreiecks bewegt, schaltet der Antragsgegner als Träger der öffentlichen Jugendhilfe freie Träger ein, um seiner in § 79 Abs. 2 SGB VIII statuierten Gewährleistungspflicht zur Schaffung eines ausreichenden Angebots an Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen nachzukommen. Unabhängig davon, ob eine Finanzierung dieser Leistung über eine Förderung nach § 74 SGB VIII oder eine Vereinbarung nach § 77 SGB VIII erfolgt, erfolgt ein solche prägend in den Formen des öffentlichen Rechts (vgl. zur Finanzierung eines Kindertagesstätte NdsOVG, B.v. 29.10.2018 – 10 ME 363/18 – juris Rn. 8 ff.; zu § 77 SGB VIII VG Münster, U.v. 18.8.2004 – 9 L 970/04 – juris Rn. 8).
Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist hier demnach zu bejahen.
Im Übrigen dürfte sich eine Zuständigkeit auch daraus ergeben, dass der Antragsteller die begehrte Unterlassung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens auf eine (potentielle) Verletzung seines aus § 74 Abs. 1 SGB VIII abgeleiteten Rechts auf ermessensfehlerfreie Förderung stützt, mithin auf eine öffentlich-rechtlich Anspruchsgrundlage. Denn welcher Rechtsnatur eine Rechtsstreitigkeit ist, richtet sich im Allgemeinen nach der Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klaganspruch nach dem unterbreiteten Lebenssachverhalt hergeleitet wird (vgl. Rennert in: Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO § 40 Rn 31 f. m.w.N.).
Der Antrag bleibt jedoch ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest teilweise – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Dem Antragsteller steht zwar für seinen Antrag ein (qualifiziertes) Rechtsschutzbedürfnis zu. Ein Anordnungsgrund ist jedoch nicht gegeben. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und mithin die Frage, ob hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistungen der Jugendhilfe überhaupt ein Vergabeverfahren durchgeführt werden durfte, kann daher zumindest im vorliegenden Verfahren dahinstehen.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann der Antragsteller für seinen Antrag auf Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse beanspruchen. Ein solches liegt im Allgemeinen vor, wenn beim Zuwarten auf die behördliche Maßnahme die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen können, es mithin nicht zuzumuten ist, den Antragsteller auf den nachträglichen vorläufigen Rechtsschutz zu verweisen (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 40. EL Februar 2021, § 123 Rn. 45 f.). Der Antragsgegner hat vorliegend bereits ein Interessensbekundungsverfahren zur Vergabe der streitgegenständlichen Jugendhilfeleistungen eingeleitet und am 14. Juli 2021 zur Abgabe von Angeboten aufgerufen. Die Erteilung des Zuschlages soll voraussichtlich am 4. August 2021 erfolgen und steht damit konkret bevor. Wird der Zuschlag erteilt, schließt dies den Primärrechtsschutz des Antragstellers aus (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 29.10.2018 – 10 ME 363/18 – juris Rn. 16 m.w.N.). Diesem kann daher nicht zugemutet werden, die Vergabeentscheidung abzuwarten. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach diesem Zeitpunkt würde ins Leere laufen.
Ein Anordnungsgrund ist hingegen zu verneinen.
Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und schutzwürdiger Interessen Dritter nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. Buchheister in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 123 Rn. 20; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 84). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 12 CE 11.2215 – juris Rn. 6).
Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2021 im Verfahren M 18 E 21.2712 hat der Antragsteller mitgeteilt, die Leistung der Schulsozialarbeit an den streitgegenständlichen Schulen des Antragsgegners bis zum jetzigen Zeitpunkt mit vier Vollzeitstellen durchzuführen. In Erwartung der Fortsetzung der Leistungserbringung werde entsprechendes Personal vorgehalten. Bei Vornahme der Vergabeentscheidung würden dem Antragsteller daher nicht unerhebliche finanzielle Nachteile entstehen. Zwar hat der Antragsteller in Bezug auf das streitgegenständliche „Interimsvergabeverfahren“ keine weiteren Ausführungen zu einem etwaigen Anordnungsgrund gemacht, die obige Argumentation lässt sich jedoch auch auf das vorliegende Verfahren übertragen.
Die vom Antragsteller angeführten finanziellen Einbußen vermögen jedoch nach Einschätzung des Gerichts keine unzumutbaren Nachteile i.S.d.§ 123 Abs. 1 VwGO zu begründen. Anders als im Verfahren M 18 E 21.2712 umfasst der zu schließende Vertrag zur Erbringung von Leistungen der Schulsozialarbeit hier einen relativ kurzen Zeitraum von (zumindest zunächst) vier Monaten. Ein erheblicher finanzieller Schaden, selbst bei Vorhalten von vier Vollzeitstellen, dürfte für den Antragsteller in dieser Zeit nicht entstehen. Schwerer wiegen auf der anderen Seite die Interessen der Schülerinnen und Schüler – die Leistungsempfänger im Rahmen des § 13a SGB VIII n.F. – denen bei Ausbleiben der Schulsozialarbeit, sei es auch nur für einen Zeitraum von wenigen Monaten, erhebliche Nachteile entstehen würden. Ein kontinuierliches Angebot von niederschwelligen sozialpädagogischen Leistungen mit Beginn des neuen Schuljahres dürfte gerade in Pandemiezeiten unerlässlich sein. Das mit vorliegendem Verfahren begehrte Unterlassen der Vergabeentscheidung dürfte die Erbringung der Jugendhilfeleistungen allerdings aller Voraussicht nach verzögern, so dass keine kontinuierliche Leistung insbesondere zum Schuljahresanfang zur Verfügung stünde. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass dem Antragsteller die Möglichkeit offen stand, sich ebenfalls an dem „Interimsvergabeverfahren“ zu beteiligen. In Hinblick auf den kurzen Übergangszeitraum hätte dies – anders als bei dem Vergabeverfahren im Verfahren M 18 E 21.2712, bei dem es einschließlich der Verlängerungsoption um einen Vertragszeitraum von sechs Jahren geht – dem Antragsteller auch zugemutet werden können.
Der Antrag war daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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