Verwaltungsrecht

Eintritt der Rücknahmefiktion des Asylantrags erfordert übersetztes Hinweisschreiben und Empfangsbestätigung

Aktenzeichen  M 21 S 16.34702

Datum:
23.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

1 Der Nachteil, den ein Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht die Regelung des § 33 Abs. 4 AsylG. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Unabhängig davon, ob zur Erfüllung der Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts genügt oder erforderlich ist, dass dem Asylbewerber durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können (vgl. VG Augsburg BeckRS 2016, 54984), ist jedenfalls eine Übersetzung der Belehrung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht unentbehrlich. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Wenn § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich einen Hinweis gegen Empfangsbestätigung verlangt, lässt die Vorschrift eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen müsste, nicht zu. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, malischer Staatsangehöriger, reiste am 30 Juli 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. August 2013 einen Asylantrag.
Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) enthielt folgenden Hinweis in deutscher Sprache:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Können Sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorlegen, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
Die Zustellung der Ladung erfolgte am 5. November 2016 mittels Postzustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung (Einlegen in den Briefkasten).
Mit Bescheid vom 24. November 2016 (Bescheid am 24.11.2016 als Einschreiben zur Post gegeben) stellte das Bundesamt unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Mali an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung am 23. November 2016 erschienen.
Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid am 29. November 2016 Klage (M 21 K 16.34701). Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2016 zeigte der Bevollmächtigte die Vertretung an und beantragte, den Bescheid vom 24. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen.
Zugleich wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Vorsorglich wurde im Hinblick auf die Klage- und Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. In der Sache wurde ausgeführt, der Antragsteller habe den Termin zur Anhörung unverschuldet versäumt, da er das Ladungsschreiben nicht erhalten habe.
Das Bundesamt legte die Akten (elektronische Akte) mit Schreiben vom 30. November 2016 vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klageverfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige und insbesondere auch fristgerecht erhobene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die gemäß § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes vollziehbare Abschiebungsandrohung ist begründet.
Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG n.F. wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer jedoch auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er freilich den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig davon, ob eine Wiedergabe des Gesetzeswortlauts genügt oder erforderlich ist, dass dem Asylbewerber durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können (so VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 a.a.O.; vgl. auch Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, § 33 Rn. 7), ist jedenfalls eine Übersetzung der Belehrung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht unentbehrlich.
Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu.
Diesen Anforderungen genügt die ausschließlich in deutscher Sprache erfolgte Belehrung in der Ladung zur Anhörung, die dem Kläger lediglich im Wege der Ersatzzustellung zugestellt wurde, und die er nach seiner nicht widerlegten Einlassung nicht erhalten hat, nicht.
Nach alledem war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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