Verwaltungsrecht

Einweisung als Polizeihauptkommissar der Besoldungsgruppe A 12

Aktenzeichen  B 5 E 19.718

Datum:
27.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41841
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 33 Abs. 2
BLV § 50 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, den Beigeladenen im Rahmen der „Beförderungsrunde 2019“ in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 einzuweisen, bis über den Widerspruch des Antragstellers gegen die Auswahlentscheidung bestandskräftig entschieden worden ist.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 15.336,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin, den beigeladenen Polizeihauptkommissar der Besoldungsgruppe A 11 in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 einzuweisen.
1. Der am …1985 geborene Antragsteller ist als Polizeihauptkommissar (A 11) Beamter im Dienst der Antragsgegnerin. Er ist als Polizeifachleiter beim Bundespolizeiaus- und – fortbildungszentrum (BPOLAFZ) B… auf einem mit A 10/A 12 bewerteten Dienstposten tätig. Vom 01.10.2016 bis zum 30.04.2017 war er mit der Tätigkeit als stellvertretender Dienstgruppenleiter an der Bundespolizeiinspektion (BPOLI) O… beauftragt. Seit dem 03.09.2018 ist er als Sachbearbeiter zum Bundespolizeipräsidium (BPOLP) P… abgeordnet. Die letzte Beförderung fand am 26.04.2017 statt.
Die Antragsgegnerin beabsichtigte, im August 2019 Beförderungen von Verwaltungs- und Polizeivollzugsbeamten vorzunehmen, darunter neun Einweisungen als Polizeihauptkommissar der Besoldungsgruppe A 12. Stichtag für die Auswahlentscheidung war der 01.07.2019. Voraussetzung für die Beförderung war im ersten Schritt mindestens eine Gesamtnote B2 in der Regel- bzw. Anlassbeurteilung 2019, also über den Zeitraum 2016 bis 2019, sowie eine Durchschnittsnote bei den Leistungsmerkmalen von 3,00 Punkten. Dabei fand eine Umrechnung dergestalt statt, dass die Note B1 mit vier und die Note B2 mit drei Punkten angesetzt wurde. Hilfsweise waren eine Gesamtnote von acht Punkten in der Regelbeurteilung 2014 (Zeitraum 2012 bis 2014) sowie ein Durchschnitt der damaligen Leistungsmerkmale von 8,5 Punkten notwendig und weiter hilfsweise eine Beförderungsrangfolgenpunktzahl von mindestens 78. Ernannt werden sollten diesem Verfahren gemäß die auf den Rangziffern eins bis neun der Rangfolgeliste befindlichen Beamten.
Für den Antragsteller wurde anlässlich der Beförderungsrunde über den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.06.2019 eine Anlassbeurteilung erstellt. Vom Erstbeurteiler wurde diese Anlassbeurteilung am 12.07.2019 unterzeichnet. Am selben Tag wurden die Noten aus dem Beurteilungsentwurf vom Erstbeurteiler an die Personalabteilung der Bundespolizei vorab gemeldet, die diese vorgemeldeten Noten in die Rangfolgeliste eintrug. Der Zweitbeurteiler gab seine Bewertung am 18.07.2019 ab. Vom 29. bis 31.07.2019 traf die Leitung der Bundespolizei die Entscheidung über die Ausschöpfung der Beförderungsmöglichkeiten und die zu befördernden Beamten. Am 01. und 02.08.2019 holte die Personalleitung die Stellungnahmen des Gleichstellungsbeauftragten und des Gesamtpersonalrats zu den geplanten Beförderungen ein und machte im Anschluss daran die zu befördernden Personen bekannt. Vom 12. bis 14.08.2019 wurden die Ernennungsunterlagen versandt. Am 13.08.2019 wurde der Antragsteller über den Inhalt seiner Anlassbeurteilung per Email informiert, am 20.08.2019 wurde sie ihm persönlich eröffnet. In der Anlassbeurteilung erhielt der Antragsteller in den Einzelnoten 19 Mal sowie auch insgesamt die Note B2, darunter alle besonders zu gewichtenden Leistungsmerkmale, und zweimal die Note B1. Mit in diese Beurteilung eingeflossen waren eine Anlassbeurteilung vom 19.07.2018 über den Beurteilungszeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.06.2018 und eine Anlassbeurteilung vom 08.08.2018 über den Beurteilungszeitraum vom 01.10.2016 bis zum 08.08.2018. In diesen hatte der Antragssteller ebenfalls jeweils insgesamt sowie in den Einzelbewertungen 19 Mal die Note B2, darunter auch in allen Leistungsmerkmalen, und jeweils in zwei Einzelbewertungen die Note B1 erhalten. Ebenfalls floss in die Anlassbeurteilung 2016 ein Beurteilungsbeitrag des BPOLP vom 20.06.2019 über den Beurteilungszeitraum vom 01.09.2018 bis zum 30.06.2019 ein, in dem der Antragsteller in den Einzelmerkmalen zweimal die Note B3, zehn Mal die Note B2 (darunter drei Leistungsmerkmale) und zweimal die Note B1 (darunter ein Leistungsmerkmal) erhalten hatte. In der Regelbeurteilung über den Zeitraum 01.10.2012 bis 30.09.2014 hatte er eine Gesamtnote von sieben Punkten und eine Durchschnittsnote in den Leistungsmerkmalen von 7,5 Punkten erhalten.
Gegen diese ihm am 20.08.2019 eröffnete Beurteilung hat der Antragsteller am selben Tag Widerspruch erhoben, über den die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden hat.
Auf Platz neun der Rangfolgeliste zum Stichtag 01.07.2019 befand sich der Beigeladene. Er hatte in der Beurteilung 2016 in allen Leistungsmerkmalen sowie auch insgesamt die Note B2 und in der Regelbeurteilung 2014 insgesamt die Note sieben und eine Durchschnittspunktzahl in den Leistungsmerkmalen von 8,5 Punkten erhalten.
Bereits mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 01.08.2019 hatte der Antragsteller sich gegen die – zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnete – Anlassbeurteilung und seine Nichtberücksichtigung im Rahmen der Beförderungsrunde gewandt und um die Abänderung der Anlassbeurteilung gebeten.
2. Mit Schreiben vom 04.08.2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 05.08.2019, Az.: …, beantragte der Antragssteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er beantragte,
der Antragsgegnerin zu untersagen, die ab sofort beabsichtigte Einweisung von neun Polizeihauptkommissaren A 11 in das Amt der Besoldungsstufe A 12 – bis zur Verbescheidung seines Antrages vom 01.08.2019 auf Abänderung seiner Anlassbeurteilung – dienstrechtlich zu vollziehen.
Zur Begründung führte er aus, dass er sowohl die erforderliche Mindestgesamtnote in der Anlassbeurteilung 2016, als auch den Mindestdurchschnitt in den Leistungsmerkmalen aufweise. Lediglich das weitere Auswahlkriterium, nämlich eine Gesamtnote von acht Punkten in der Beurteilung 2014, erfülle er nicht. Sein Antrag ziele auf die Anhebung mindestens einer Einzelnote in der Anlassbeurteilung 2016, die zu einem höheren Durchschnitt in den Leistungsmerkmalen führen und ihn zum Adressatenkreis der höheren Einweisung gehören lassen würde. Auf das nachrangige Kriterium der Gesamtnote 2014 käme es dann bei ihm nicht mehr an. Die Anlassbeurteilung 2016 sei ihm zwar noch nicht eröffnet worden, aber in einem Telefonat habe der Erstbeurteiler ihn über die geplante Notenvergabe informiert und mitgeteilt, dass eine Einzelnote aus dem Beurteilungsbeitrag des BPOLP in P…, die für die Aufnahme in den Kreis der zu Befördernden genügt hätte, nicht übernommen werden solle.
Der Antragsteller habe in einer Gegenvorstellung vom 01.08.2019 der Antragsgegnerin dargelegt, dass er die beabsichtigte Notenvergabe nicht akzeptieren könne. Er sehe vorläufig sowohl inhaltliche, als auch formelle Fehler an der – bis dorthin nur mündlich mitgeteilten – Beurteilung. Seitens der aktuellen Dienststelle sei ihm im Bereich „Zuverlässigkeit“ eine bessere Note gegeben worden (B1). Deren willkürliche Nichtberücksichtigung ohne Begründung sei rechtswidrig. Ebenso verhalte es sich mit den Noten der Leistungsmerkmale Fachwissen, Qualität und Verwertbarkeit sowie Initiative, die mit dem Argument eines Automatismus nach einer im April 2017 erfolgten Beförderung ohne Berücksichtigung seines Antrags auf Abänderung sowohl von seiner Stammdienststelle, als auch der aktuellen Dienststelle pauschal auf die Bewertung B2 herabgesetzt worden seien. Eine Behördenentscheidung zu seiner Gegenvorstellung sei bislang nicht ergangen. Die Einweisung von neun Beamten in die Besoldungsgruppe A 12 ohne Prüfung des bisherigen Verwaltungshandelns in Bezug auf seine Anlassbeurteilung würde ihn in seinen Rechten verletzen. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Einweisung der neun Beamten zum nächstmöglichen Zeitpunkt beabsichtigt sei. Sollte dem Antragsteller erst nach Einweisung der neun Beamten die Anlassbeurteilung eröffnet und sein Änderungswunsch bezüglich der Einzelnote berücksichtigt werden, wäre es ihm nicht mehr möglich, in den Adressatenkreis zu gelangen, weil die Bundespolizei dann ihr Einweisungskontingent in das Amt A 12 ausgeschöpft hätte. Es bestünde dann keine Möglichkeit mehr, den Antragsteller nachträglich einzuweisen.
Mit Schreiben vom 06.08.2019 äußerte sich der Antragsteller, mit Schreiben vom 07.08.2019 die Antragsgegnerin zur Frage der örtlichen Zuständigkeit.
Mit Beschluss vom 08.08.2019 erklärte sich das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mit der Begründung, dass der Antragsteller seinen dienstlichen Wohnsitz an der Stammdienststelle in B… habe, unabhängig davon, wo er gegenwärtig tatsächlich tätig sei.
Die Antragsgegnerin beantragt
mit Schreiben vom 13.08.2019 den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, dass der Antrag zum Zeitpunkt der Antragstellung sowohl unzulässig als auch unbegründet gewesen sei.
Die Unzulässigkeit rühre daher, dass dem Antragsteller die Anlassbeurteilung erst am 13.08.2019 übermittelt worden sei. Bei Antragstellung am 05.08.2019 habe die Beurteilung also rechtlich noch nicht existiert, da sie noch nicht eröffnet gewesen sei. Der Antrag auf Abänderung der Anlassbeurteilung sei daher unzulässig. Ein vorsorglicher Angriff einer Anlassbeurteilung, die dem Betroffenen im Detail nocht nicht bekannt ist, sei nicht möglich. Überdies sei der Antrag unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch geltend machen könne. Der Antragsteller erfülle derzeit nicht die Beförderungsvoraussetzungen, da er in der aktuellen Anlassbeurteilung insgesamt und in allen Leistungsmerkmalen die Note B2 aufweise. Sein Notendurchschnitt in den Leistungsmerkmalen betrage daher 3,0. Eingedenk des weiteren Kriteriums, der Gesamtnote in der Regelbeurteilung 2014 von sieben Punkten, liege der Antragsteller damit auf Ranglistenplatz … Durch Anhebung einer Einzelnote auf B1 ergäbe sich ein Durchschnitt von 3,25, wodurch es auf die Regelbeurteilung nicht mehr ankäme, da der Antragsteller damit auf Ranglistenplatz drei käme und die nachfolgenden Beamten nur einen Durchschnitt von 3,0 hätten. Die Anhebung eines Leistungsmerkmals sei aber nicht möglich, da die Anlassbeurteilung formell und materiell rechtmäßig erstellt worden sei und die vergebenen Noten in den Leistungsmerkmalen die Leistungen des Antragstellers widerspiegeln würden. Bei dem genannten Telefonat mit dem Erstbeurteiler habe es sich um das Gespräch vor der Beurteilung gemäß Nr. 5.4 der Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 10.12.2015 (BeurtRL BPOL) gehandelt, das aufgrund der gegenwärtigen Tätigkeit des Antragstellers in P… nicht persönlich habe stattfinden können. Auf die subjektive Wahrnehmung der erteilten Noten als ungerecht komme es nicht an, sondern nur auf die Einschätzung von Erst- und Zweitbeurteiler. Die Anlassbeurteilung sei in sich schlüssig und nachvollziehbar. Soweit der Antragsteller behaupte, der Beurteilungsbeitrag vom 20.06.2019 habe keine Berücksichtigung gefunden, stehe dem die Notiz in Ziffer III der Anlassbeurteilung entgegen. Hier werde der Beurteilungsbeitrag als zugrundegelegte Erkenntnisquelle genannt. Weiterhin erkläre der Erstbeurteiler, dass in dem Beurteilungsbeitrag erstmals die Note B1 für ein Leistungsmerkmal erteilt worden sei. Der Antragsteller verkenne aber die Bedeutung des Beurteilungsbeitrags. Dieser enthalte nur für einen bestimmten Zeitraum und eine bestimmte Tätigkeit eine Aussage, weise aber keine Gesamtnote aus. Von den 2,5 Jahren, die die Anlassbeurteilung umfasse, beziehe sich der Beurteilungsbeitrag nur auf neun Monate, also nicht einmal die Hälfte. Erforderlich sei daher zwar eine Berücksichtigung, aber keine Übernahme der Bewertungen aus dem Beurteilungsbeitrag. Zudem gebe der Erstbeurteiler an, die Note B2 für das fragliche Leistungsmerkmal „Zuverlässigkeit“ sei hinsichtlich des Bewertungsbestandteils „übertrifft die Anforderungen gelegentlich“ maßgeblich auf den Beurteilungsbeitrag gestützt worden, es handle sich also um eine gute B2 mit Tendenz nach oben. Mit dem Leistungsdenken des Art. 33 des Grundgesetzes (GG) sei unvereinbar, dass der Antragsteller erwarte, zwei Jahre nach der letzten Beförderung quasi turnusgemäß weiterbefördert werden zu müssen. Vielmehr komme es für eine Beförderung auf die gezeigte Leistung an – diese liege aber ausweislich der erteilten Noten beim Antragsteller gerade nicht vor. Auch sei der Antragsteller nach der letzten Beförderung nicht automatisch niedriger bewertet worden, sondern aufgrund der neuen Vergleichsgruppe im neuen Statusamt. Dass er die damit verbundenen, anspruchsvolleren Aufgaben nicht sofort mit einer überragenden Leistung erfülle, sei nachvollziehbar und nicht ungewöhnlich.
Mit weiteren Schriftsätzen vom 16.09.2019 und 25.09.2019 führt die Antragsgegnerin aus, dass dem Antrag insgesamt das Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil sich erstens der Antrag gegen die Beförderung aller neun Polizeihauptmeister richte, hiervon aber acht inzwischen bereits in Ämter der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen worden seien. Zweitens werde dem Antragsteller die neunte Stelle einstweilen freigehalten und die Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen die Anlassbeurteilung zeitnah erstellt.
3. Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
II.
1. Das Gericht legt das Begehren des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers nach § 88,§ 122 Abs. 1 VwGO dahingehend aus, dass er sich mit dem Eilantrag nicht in erster Linie gegen die ihm am 20.08.2019 eröffnete Anlassbeurteilung zur Wehr setzen will, sondern gegen die Einweisung zumindest eines der auf den Ranglistenplätzen eins bis neun befindlichen Beamten in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12. Maßgeblich bei der Auslegung des Antrags ist das Rechtsschutzziel, wie es sich aus dem geäußerten Parteiwillen und sonstigen Unständen ergibt. Gemessen hieran ist das Ziel des Antragstellers, als Kandidat für die Beförderung in Betracht gezogen zu werden, nicht in der Abänderung seiner Beurteilung erschöpft. Vielmehr steht die Anlassbeurteilung nur mittelbar in Frage, weil sie das erstrangige Auswahlkriterium für die Einweisung in die höhere Besoldungsgruppe darstellt. Das geht bereits aus der Formulierung des Antrags hervor: Dieser ist erkennbar primär darauf gerichtet, die Ausschöpfung des Einweisungskontingents für Polizeihauptkommissare in Ämter der Besoldungsgruppe A 12 zu verhindern, weil ansonsten die Einweisung des Antragstellers faktisch nicht mehr möglich wäre.
2. Der so verstandene, auf einstweilige Untersagung der Einweisung des Beigeladenen in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 im Rahmen der Beförderungsrunde 2019 gerichtete Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, gegebenenfalls bereits vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird.
§ 123 Abs. 1 VwGO setzt ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Maßgebend für die Beurteilung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Ist die geltend gemachte materielle Rechtsposition grundsätzlich sicherungsfähig, hängt die Bejahung eines Anordnungsanspruchs regelmäßig davon ab, welche Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren bestehen. Die gerichtliche Überprüfung der hier streitgegenständlichen Auswahlentscheidung ist im Hauptsacheverfahren – verfassungsrechtlich unbeanstandet – grundsätzlich darauf beschränkt, ob der Dienstherr ermessens- und beurteilungsfehlerfrei über die Bewerber entschieden hat. Dagegen kann der unterlegene Bewerber – von dem unwahrscheinlichen Fall einer Reduzierung des Beurteilungsspielraumes bzw. des Ermessens auf Null abgesehen – unter Berufung auf Art. 33 Abs. 2 GG nicht gerichtlich feststellen lassen, dass er an Stelle des ihm vorgezogenen Konkurrenten hätte ausgewählt werden müssen. Streitgegenstand ist mithin nicht ein möglicher Anspruch auf die fragliche Einweisung, sondern allein das dahinter zurückbleibende Recht auf fehlerfreie Auswahl unter den Bewerbern. Wird dieses subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, folgt daraus, dass der unterlegene Beamte eine erneute Entscheidung über die Einweisung zumindest dann beanspruchen kann, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, das heißt wenn seine Auswahl möglich erscheint. Derselbe Maßstab wie im Hauptsacheverfahren ist auch anzulegen, wenn der bei der Auswahl eines Beförderungsbewerbers unterlegene Beamte verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz zur vorläufigen Sicherung seines Anspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG begehrt. Da hier effektiver Rechtsschutz letztlich nur im Wege eine einstweiligen Anordnung zu leisten ist, dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen des unterlegenen Bewerbers im Hauptsacheverfahren gefordert werden könnte (BVerfG, B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 – BayVBl 2003, 240 – juris Rn. 14).
b) Der Antragsteller hat nach diesen Maßstäben sowohl einen Anordnungsanspruch (aa)) als auch einen Anordnungsgrund (bb)) glaubhaft gemacht.
aa) Das zu sichernde Recht des Antragstellers ist der beamtenrechtliche Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG, der jedem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gewährt. Die Auswahl unter mehreren Bewerbern muss demgemäß ermessensfehlerfrei geschehen. Der Bewerberauswahl dürfen nur Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen. In Bezug auf die Vergabe höherer Dienstposten handelt es sich um Kriterien, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amtes genügt (BVerwG, U.v. 30.6.2011 – 2 C 19.10 – BverwGE 140, 83). Der geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um einen höher bewerteten Dienstposten muss anhand aussagekräftiger, das heißt aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden (BVerwG, U.v. 19.12.2001 – 2 C 21.01 -; U.v. 4.11.2010 – 2 C 16.09 -; U.v. 30.6.2011 – 2 C 19.10 – alle juris). Damit die Auswahlentscheidung selbst den grundgesetzlichen Anforderungen genügt, müssen auch die zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen gewissen Anforderungen genügen, nämlich frei von Beurteilungsfehlern sein. Im Streit um eine unter anderem auf Beurteilungen gestützte Auswahlentscheidung hat das Gericht daher auch diese zu überprüfen. Dies gilt auch im einstweiligen Rechtsschutz, wenn die mögliche Fehlerhaftigkeit einer Beurteilung Einfluss auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens haben kann (vgl. VG Köln, B.v. 26.02.2019 – 15 L 2679/18 – juris Rn. 7).
Dabei ist die gerichtliche Inzidentprüfung der dienstlichen Beurteilung auf denjenigen Maßstab beschränkt, der auch sonst für die Überprüfung einer Beurteilung als Akt wertender Erkenntnis gilt: Um den Beurteilungsspielraum des Dienstherren zu wahren, ist das Gericht darauf beschränkt, zu überprüfen, ob der anzuwendende Begriff oder der gesetzliche Rahmen, in dem sich der Beurteilende bewegen kann, verkannt wurde, ob ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt oder allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt wurden. Soweit der Beurteilung Richtlinien zugrunde liegen, wird auch überprüft, ob sich der Beurteilende an die Richtlinien gehalten hat, die Richtlinien im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung bleiben und sie auch sonst mit höherrangigem Recht in Einklang stehen (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1980 – 2 C 8/78 – BVerwGE 60, 245/246; BayVGH, B.v. 29.1.1997 – 3 B 95.1662; U.v. 22.5.1985 – 3 B 94 A.1993).
Gemessen hieran war die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und dürfte den Bewerberverfahrensanspruch des Antragstellers verletzt haben. Die Auswahlentscheidung wurde nämlich aufgrund einer fehlerhaften Erkenntnisgrundlage getroffen. Es kann dabei dahinstehen, ob die Anlassbeurteilung inhaltlich Beurteilungsfehler aufweist oder nicht, weil ihre Zugrundelegung an sich bereits zur Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung führt.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung, denn es kommt auf die Erwägungen an, die der Dienstherr hierfür in Ausübung seines Auswahlermessens und des ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Eignung der Kandidaten angestellt hat (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2012 – 2 A 7.09 -; B.v. 16.12.2008 – 1 WB 19.08 -; U.v. 25.4.2007 – 1 WB 31.06 – alle juris). An diesem Tage sind Eignung, Befähigung und fachliche Leistung aller Kandidaten zu bewerten und miteinander zu vergleichen. Demgemäß fehlt es vorliegend an einer tragfähigen Auswahlgrundlage. Der Dienstherr darf eine Beurteilung nämlich nur dann als Grundlage einer Auswahlentscheidung heranziehen, wenn sie dem Beamten zuvor eröffnet worden ist. Denn wenngleich es sich bei dienstlichen Beurteilungen nicht um Verwaltungsakte handelt, erlangen sie gegenüber dem Beamten erst Wirksamkeit, wenn sie ihm bekanntgegeben werden. Das folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 43 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Vor dem Zeitpunkt der Bekanntgabe sind Beurteilungen rechtlich betrachtet nicht existent und demgemäß nicht verwendbar (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2011 – 1 WB 59.10 – juris Rn. 10; OVG NW, B.v. 11.2.2016 – 1 B 1206/15 – juris Rn. 13; B.v. 16.10.2014 – 1 B 856/14 – juris Rn. 6 ff.).
Von der Antragsgegnerin war als Auswahlstichtag der 01.07.2019 festgelegt worden. Die Anlassbeurteilung des Antragstellers, die Eingang in die Beförderungsrangliste fand und auf die sich die Auswahlentscheidung maßgeblich stützte, wurde ihm aber erst am 13.08.2019 per Email mitgeteilt und erst am 20.08.2019 persönlich eröffnet, also erst rund sieben Wochen nach dem Auswahlstichtag. Auch ungeachtet der Frage ihrer Eröffnung war die Anlassbeurteilung des Antragstellers überdies zum Auswahlstichtag noch nicht einmal vom Erst- und Zweitbeurteiler unterzeichnet. Ersterer unterzeichnete sie erst am 12.07.2019, letzterer am 18.07.2019. Damit stand zum Stichtag 01.07.2019 noch nicht einmal der Inhalt der Beurteilung unabrückbar fest (vgl. VG Stuttgart, B.v. 19.2.2014 – 12 K 4747/13 – beck-online). Zusätzlich zum Stichtag lagen auch die übrigen Verfahrensschritte zur Besetzung der Beförderungsstellen sämtlich vor dem Zeitpunkt der Beurteilungseröffnung: Ausweislich des von der BPOLAK … übermittelten Zeitplans wurde die Entscheidung über die faktische Stellenvergabe durch die Personalleitung vom 29. bis zum 31.07.2019 getroffen. Am 02.08.2019 lag bereits die Zustimmung des Gleichstellungsbeauftragten und des Gesamtpersonalrats vor und die geplanten Beförderungen wurden bekannt gegeben. Spätestens hiermit hat sich die Antragsgegnerin auf die zu befördernden Personen endgültig festgelegt. Durch den Versand der Ernennungsurkunden bis Mitte August 2019 sollten die Ernennungen lediglich noch vollzogen werden. Bis frühestens zur Übermittlung der Anlassbeurteilung per Email am 13.08.2019 hatte der Antragsteller aber keinerlei Möglichkeit sich mit deren Inhalt überhaupt zu befassen. Die „inoffiziellen“ Noten fanden vielmehr „vorab“ Eingang in die Beförderungsrangliste, nämlich per telefonischer Weitergabe durch den Erstbeurteiler an die Personalleitung am 12.07.2019, sogar noch bevor der Zweitbeurteiler sein Votum abgegeben hatte. Dieses Vorgehen ist auch mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar, weil der Antragsteller vor der Bekanntgabe der Beurteilung keine Möglichkeit hat, sich damit differenziert auseinanderzusetzen und Einwände gegen sie zu erheben (vgl. OVG NW, U.v. 27.6.2013 – 6 A 63/12 – juris Rn. 40). Insgesamt stützte sich die Auswahlentscheidung damit auf eine rechtlich noch nicht existente Beurteilung, deren erst nach dem Auswahlstichtag „unter der Hand“ durchgegebener Inhalt überdies zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal vom Zweitbeurteiler bestätigt worden war. Hierin liegt jedenfalls keine tragfähige Erkenntnisgrundlage für die Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers.
Weil die angegriffene Auswahlentscheidung auf einer fehlerhaften Erkenntnisgrundlage getroffen wurde, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller für die Einweisung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 in Betracht kommt, auch wenn er gegenwärtig auf Platz Nummer … der Beförderungsrangliste steht.
bb) Auch einen Anordnungsgrund hat der Antragsteller glaubhaft gemacht. Der Anordnungsgrund – also die Eilbedürftigkeit der Sache – besteht bei Konkurrentenstreitigkeiten in der Gefahr der Vereitelung des Primärrechtsschutzes durch die Besetzung der streitbefangenen Stelle mit einem Konkurrenten (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2003 – 2 C 14.02 – juris Rn. 16 m.w.N.). Bis auf den Beigeladenen wurden bislang alle Einweisungen der Beförderungsrunde 2019 vorgenommen und das Kontingent bis auf das streitgegenständliche Amt ausgeschöpft, sodass es der vorliegenden Anordnung bedarf, um das Interesse des Antragstellers an der Wahrung seines Bewerberverfahrensanspruchs einstweilen zu sichern.
3. Die Antragsgegnerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene, der sich mangels eigener Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 Satz 1 VwGO), seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, § 162 Abs. 3 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 6 Satz 4 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Auch für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Streitwert unter Rückgriff auf § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG wie für eine Hauptsacheklage auf Verpflichtung zur Neuverbescheidung des Beförderungsbegehrens zu bemessen und damit an die Bezüge des angestrebten Amtes zu koppeln; diese sind unter Zugrundelegung von Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) gegenüber dem sich aus § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG ergebenden Wert hier nochmals zu halbieren (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2017 – 6 C 17.1429 – juris Rn. 10 ff.). Er beträgt also ein Viertel des nach § 52 Abs. 1 Sätze 2 und 2 GKG zu berechnenden Jahresbetrags. Mangels näherer Angaben der Beteiligten geht das Gericht von der Besoldungsstufe 8 als Endstufe der Besoldungsgruppe A 12 aus. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Antragseingangs beim Verwaltungsgericht Ansbach am 05.08.2019 (vgl. § 40 GKG) ergibt sich somit ein Grundgehalt von monatlich 5.112,00 €, dies führt zu einem Streitwert in Höhe von 15.336,00 €.


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