Verwaltungsrecht

Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe

Aktenzeichen  5 B 293/21 MD

Datum:
26.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 5. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0126.5B293.21MD.00
Normen:
Art 33 Abs 2 GG
§ 23 Abs 3 BeamtStG
§ 47 VwVfG
§ 34 Abs 3 BG ST 2009
§ 7 PolLbV ST 2010
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1) Werden die gesetzlichen Entlassungsfristen im Entlassungsbescheid nicht beachtet, ist eine Umdeutung der Entlassungsentscheidung in eine Entlassung mit der gesetzlichen Frist möglich.2) Zu den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.3) Wird ein Beamter auf Probe aufgrund von charakterlichen Mängeln entlassen, bedarf es vor einer Entlassungsentscheidung nicht der Erstellung einer förmlichen Beurteilung, die diese Mängel benennt.4) Wird ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Entlassungsverfügung aufgrund einer reinen Interessenabwägung abgelehnt, kommt eine (anteilige) Belassung von Besoldungs- und Heilfürsorgeleistungen in Betracht.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entlassungsverfügung vom 17. November 2021 wird bis zum Ablauf des 31. März 2022 wiederhergestellt.
Ab dem 1. April 2022 wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entlassungsverfügung vom 17. November 2021 insoweit wiederhergestellt, als ihm die Hälfte seiner Dienstbezüge zu belassen und Heilfürsorge nach der Verordnung über die Heilfürsorge für Polizeivollzugsbeamte des Landes Sachsen-Anhalt zu gewähren ist.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.724,82 Euro festgesetzt.

Gründe

Die am 22. Dezember 2021 gestellten Anträge,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 9. Dezember 2021 und einer etwaig nachfolgenden Klage gegen die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 17. November 2021 wiederherzustellen,
hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs jedenfalls insoweit wiederherzustellen, als dem Antragsteller bis zur restlosen Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe während des Widerspruchs- und eines etwaigen Klageverfahrens in Anlehnung an die Regelung des § 38 Abs. 2 DG LSA die Hälfte seiner Dienstbezüge zu belassen und freie Heilfürsorge zu gewähren ist,
haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie sind im Hauptantrag zulässig aber nur teilweise begründet (1.), im Hilfsantrag zulässig und begründet (2.).
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, in denen – wie vorliegend – die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird, wiederherstellen. Bei der zu treffenden Entscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich begründet hat (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung das öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
Bei der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung ist in erster Linie darauf abzustellen, ob sich der angegriffene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig oder als offensichtlich rechtmäßig erweist. Denn an der sofortigen Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte besteht kein öffentliches Interesse. Demgegenüber überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, wenn sich der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist, die Klage also voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, und in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zusätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse hinzutritt.
Kann im Eilverfahren noch keine eindeutige Antwort zur Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts gegeben werden, weil z. B. der der Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt noch weiterer Aufklärung bedarf, ist eine Abwägung vorzunehmen. Zeigt sich im Rahmen der Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für oder gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, kann auch dies zur Gewichtung der betroffenen Interessen herangezogen werden. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann auch befristet werden, vgl. § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entlassungsverfügung vom 17. November 2021 bis zum Ablauf des 31. März 2022 anzuordnen. Denn die Entlassungsverfügung erweist sich als offensichtlich rechtswidrig, soweit die Antragsgegnerin die gesetzlichen Entlassungsfristen nicht berücksichtigt hat (a). Im Übrigen fällt die Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus, da die fristlose Entlassung in eine fristgemäße Entlassung umgedeutet werden kann und das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der so verstandenen Entlassungsverfügung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt (b).
a) Die dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 26. November 2021 zugestellte Entlassungsverfügung vom 17. November 2021 erweist sich insoweit als offensichtlich rechtswidrig, als der Antragsteller mit ihr entgegen § 34 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LBG LSA nicht mit einer Frist von 6 Wochen zum Schluss des Kalendervierteljahres, sondern zum Ablauf des 30. November 2021 entlassen wurde.
Gemäß § 34 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LBG LSA beträgt die Frist für die Entlassung nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BeamtStG bei einer Beschäftigungszeit von mindestens einem Jahr sechs Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Diese Frist findet vorliegend Anwendung. Der Antragsteller steht seit dem 1. März 2019 als Polizeimeister in einem Beamtenverhältnis auf Probe zum Land Sachsen-Anhalt. Im Zeitpunkt der Zustellung der Entlassungsverfügung am 26. November 2021 befand er sich seit mehr als einem Jahr im Beschäftigungsverhältnis. Die Antragsgegnerin hat ihre Entlassungsentscheidung auch auf § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG gestützt und gerade nicht § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG herangezogen, bei der eine Entlassung nach § 34 Abs. 4 Satz 2 LBG LSA ohne Einhaltung einer Frist erfolgen kann.
Bei Einhaltung der gesetzlichen Frist hätte die Antragsgegnerin eine Entlassung erst zum 7. Januar 2022 aussprechen können. Denn die sechswöchige Entlassungsfrist berechnet sich entsprechend § 31 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB ab dem Tag der Bekanntgabe der Entlassungsverfügung – hier dem 26. November 2021 -, wobei für das Ende der sechswöchigen Frist der Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis fällt, maßgeblich ist. Da die Kündigung nur zum Schluss eines Kalendervierteljahres ausgesprochen werden kann, darf die Entlassung erst zum 31. März 2022 Wirkung entfalten. Insoweit ist nach den obigen Grundsätzen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs befristet wiederherzustellen.
b) Die Rechtswidrigkeit der fristlos ausgesprochenen Entlassung führt indes nicht dazu, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers zeitlich unbefristet wiederherzustellen ist. Denn die fristlose Entlassungsverfügung kann nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 47 Abs. 1 VwVfG in eine Entlassung mit der gesetzlichen Frist umgedeutet werden.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung muss nicht zwingend von der erlassenden Behörde vorgenommen werden. Auch die Gerichte sind hierzu befugt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 47 Rn. 10).
Die fristgebundene Entlassung des Antragstellers ist auf das gleiche Ziel gerichtet wie die fristlose Entlassung. Zwar wird durch die Umdeutung die zunächst begründete Rechtsfolge der fristlosen Entlassung durch eine andere Rechtsfolge der fristgemäßen Entlassung ersetzt, jedoch bleibt der Verwaltungsakt ohne Auswechselung des Entlassungsgrundes auf das identische Ziel einer Beendigung des Dienstverhältnisses gerichtet (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 24.09.1992 – 2 C 6/92 –, BVerwGE 91, 73-77, juris, Rn. 32).
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die nach Umdeutung als fristgebunden zu betrachtende Entlassungsverfügung ist nicht wiederherzustellen. Die Entlassungsverfügung genügt noch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (aa) und ist voraussichtlich formell rechtmäßig ergangen (bb). Allerdings ist derzeit offen, ob sie sich auch als materiell rechtmäßig erweisen wird (cc). Die durch die Kammer anzustellende (reine) Interessenabwägungen geht zu Lasten des Antragstellers aus (dd).
aa) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt dem speziellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Hiernach ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll der Behörde den auch von Verfassungswegen bestehenden Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte „Warnfunktion“ beruht letztlich auf dem besonderen Stellenwert, den die Verfassung der aufschiebenden Wirkung beimisst. Art. 19 Abs. 4 GG ist deshalb verletzt, wenn die Anordnung überhaupt keine Begründung enthält. Der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begründungspflicht ist aber auch hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung mit Ausführungen allgemeiner Natur gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 2001 – 1 DB 26.01 –, juris Rn. 6 sowie Beschluss vom 31. Januar 2002 – 1 DB 2.02 –, juris Rn. 6). Allerdings verpflichtet § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO die Behörde nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. im Fahrerlaubnisrecht: VGH Bayern, Beschluss vom 10. März 2008 – 11 CS 07.3453 –, Rn. 16, juris).
Dem genügen die Ausführungen in der streitgegenständlichen Entlassungsverfügung noch. Die Entlassungsverfügung enthält zwar abstrakte Erwägungen, die auf jeden Fall einer mangelnden charakterlichen Eignung zuträfen. Das bedeutet aber nicht, dass die Ausführungen inhaltsleer sind. Vielmehr beziehen sie sich im vorliegenden Einzelfall auf das dem Antragsteller zur Last gelegten „Verhalten“. Anders als der Antragsteller meint, ist hinreichend erkennbar, welche Sachverhalte die Antragsgegnerin zur Begründung der mangelnden charakterlichen Eignung in den Blick genommen hat. Nämlich die, zu denen sie in der Entlassungsverfügung ausführt. Insofern hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung inhaltlich u.a. auf die Überlegung gestützt, die Allgemeinheit habe kein Verständnis dafür, wenn ein Polizeivollzugsbeamter, der der rechtsgerichteten und kurdenfeindlichen „Ülkücü-Bewegung“ nahesteht, weiterhin im Polizeivollzugsdienst tätig ist. Sie geht weiterhin davon aus, dem im Falle der Weiterbeschäftigung eintretenden Achtungs- und Vertrauensverlust müsse entgegengewirkt werden. Diese Überlegungen machen deutlich, dass die Antragsgegnerin sich gedanklich mit dem konkreten Fall auseinandergesetzt hat.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe die Anordnung der sofortigen Vollziehung tatsächlich rechtfertigen und ob die angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Denn das Gericht trifft insoweit eine eigenständige Entscheidung (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 14. März 2017 – 2 PA 6/17 –, NVwZ-RR 2017, 540 <541> m.w.N.). Trägt die gegebene Begründung den Sofortvollzug nicht bzw. liegen Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht vor, ist die aufschiebende Wirkung nicht wegen Verstoßes gegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO, sondern wegen Verstoßes gegen § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO wiederherzustellen (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 96).
bb) Die umgedeutete Entlassungsverfügung ist formell rechtmäßig ergangen. Soweit der Personalrat einer fristlosen Entlassung zugestimmt hat, ist hiervon auch die Zustimmung zu einer fristgemäßen Entlassung umfasst (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 24.09.1992 – 2 C 6.92 –, BVerwGE 91, 73-77, juris, Rn. 33).
cc) Allerdings kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden, ob die Entlassungsverfügung, deren Rechtmäßigkeit sich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit ihres Erlasses richtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 – 2 C 24/97 -, NVwZ 1982, 189, beck-online), voraussichtlich auch materiell rechtmäßig ergangen ist.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Entlassungsverfügung ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG. Hiernach kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat. Die Bewährung bezieht sich unter Berücksichtigung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, nach dem die Ernennung zur Beamtin auf Lebenszeit oder zum Beamten auf Lebenszeit nur zulässig ist, wenn die Beamtin oder der Beamte sich in einer Probezeit von mindestens sechs Monaten und höchstens fünf Jahren unter Berücksichtigung der in § 9 BeamtStG genannten Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung bewährt hat, auf alle Merkmale des Art. 33 Abs. 2 GG.
Der Begriff der Bewährung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, hinsichtlich dessen der Antragsgegnerin ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zukommt. Die Prognoseentscheidung des Dienstherrn ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der mangelnden Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des dem Dienstherrn zukommenden Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind (BVerwG, Urteil vom 28. April 1983 – 2 C 89.81 – juris Rn. 20 mit weit. Nachw.). Das Gesetz fordert dabei nicht, dass die mangelnde Bewährung mit Sicherheit feststeht. Mangelnde Bewährung liegt bereits dann vor, wenn ernst zu nehmende Zweifel bestehen, dass der Beamte aufgrund der während der Probezeit erbrachten Leistungen, seines während der Probezeit gezeigten Verhaltens oder sonstiger während der Probezeit bekannt gewordener Umstände voraussichtlich auf Dauer den an einen Beamten seiner Laufbahn zu stellenden persönlichen und fachlichen Anforderungen gewachsen sein wird (vgl. VGH München BeckRS 2016, 41747 Rn. 33). Die angenommenen ernsthaften Zweifel an der Eignung – hierzu zählt u. a. die charakterliche Eignung (BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 2 B 18/16 – juris Rn. 26) – des Beamten müssen indes auf tatsächlichen Feststellungen und Erkenntnissen basieren und dürfen sich nicht im Bereich bloßer Mutmaßungen bewegen (vgl. VGH Hessen, Beschluss vom 22. Oktober 2018 – 1 B 1594/18 – juris Rn. 7; VGH Bayern, Beschluss vom 6. Februar 2018 – 3 CS 17.1778 – juris Rn. 6). Zweifel an der charakterlichen Eignung können sich auch aus einem einzigen gravierenden Vorfall ergeben (vgl. VGH München BeckRS 2016, 41747 Rn. 35 ff.). Zum Nachweis von Charaktermängeln kann sowohl dienstliches als auch außerdienstliches Verhalten herangezogen werden (vgl. VGH München, BeckRS 2014, 55215 Rn. 23; VG Würzburg, BeckRS 2015, 47150).
Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Feststellung der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe sich nicht bewährt, weil erhebliche Zweifel an seiner charakterlichen Eignung bestehen, bei der allein möglichen summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig, noch als offensichtlich rechtswidrig.
Gegen die materielle Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung spricht entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht bereits, dass die Bewertung der charakterlichen Eignung außerhalb eines förmlichen Beurteilungsverfahrens getroffen wurde. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass die Bewährung eines Beamten nach §§ 7 Abs. 1 PolLVO LSA i.V.m. 7 Satz 1 LVO LSA vor Ablauf der Probezeit durch eine auf Grundlage der während der Probezeit nach § 20 Abs. 3 LBG LSA erstellten Beurteilung festzustellen ist. In dieser ist nach § 7 Satz 2 LVO LSA eine Prognose über die Eignung und Befähigung für die Aufgaben der Laufbahn abzugeben. Das bedeutet aber nicht, dass die – hier unabhängig von Fragen der Leistung und Befähigung des Antragstellers festgestellte – mangelnde charakterliche Eignung ausschließlich in einer förmlichen Beurteilung festgestellt werden könnte. Eine solche Ausschließlichkeit sieht der Wortlaut des Gesetzes nicht vor. Auch nach dem Sinn und Zweck der Entlassungsvorschriften ist eine dahingehende Auslegung nicht geboten. Denn in die Bewertung der charakterlichen Eignung haben auch außerdienstliche Umstände Berücksichtigung zu finden, die in einer Beurteilung grundsätzlich keinen Eingang finden, weil Grundlage der Beurteilungen regelmäßig allein eine Bewertung der Erfüllung der dienstlich übertragenen Aufgaben ist (vgl. zur (regelmäßigen) Nichtbewertung von Nebentätigkeiten in Wahrnehmung eines Nebenamts oder in Ausübung einer Nebenbeschäftigung außerhalb des i zugewiesenen hauptamtlichen Dienstpostens: BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2020 – 2 VR 2.19 –, juris Rn. 39). Zudem wäre es auch sachlich nicht gerechtfertigt, ein Beurteilungsverfahren abzuwarten, um eine Entlassungsentscheidung treffen zu können, die weder die Frage der Leistung noch die Frage der Befähigung des betreffenden Beamten tangiert. Dies gilt umso mehr, als eine Beurteilung ihrerseits – da sie mangels Verwaltungsaktcharakters allenfalls nach den Grundsätzen der Verwirkung in Rechtsbeständigkeit erwachsen kann – keine verbindliche Entscheidung über die mangelnde charakterliche Eignung treffen könnte und für das Entlassungsverfahren nicht vorgreiflich wäre. Maßgeblich ist daher unabhängig von einer erstellten Beurteilung allein die materielle Frage, ob sich der betroffene Bedienstete in tatsächlicher Hinsicht nicht im Sinne von § 10 Satz 1 BeamtStG bewährt hat (dahingehend auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Dezember 2020 – 1 A 2544/20 –, juris Rn. 27).
Aufgrund der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begrenzten Erkenntnismöglichkeiten ist derzeit offen, ob der von der Antragsgegnerin ihrer Entlassungsverfügung zugrunde gelegte Sachverhalt sich in einem Hauptsacheverfahren zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wird feststellen lassen. Andererseits kann derzeit auch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der dem Antragsteller vorgeworfene Sachverhalt zutreffen könnte.
Im Ausgangspunkt geht die Kammer aufgrund der Ausführungen in der Entlassungsverfügung vom 17. November 2021 i.V.m. mit der in der Entlassungsverfügung in Bezug genommenen Entscheidung über das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte vom 21. Oktober 2021 davon aus, dass die Antragsgegnerin für ihre angestellte Prognose mangelnder charakterlicher Eignung auf mehrere Sachverhalte abgestellt hat.
Sie legt dem Antragsteller zunächst zur Last, er sei Anhänger der rechtsextremistischen Organisation der „Ülkücü-Bewegung“, deren langfristiges Ziel es sei, ein türkisches Großreich, angelehnt an das osmanische Reicht, zu schaffen, in dem die „Turk-Völker“ unter Führung der Türken gemeinsam herrschen. Die Anhänger dieser Bewegung sähen sich als anderen Ethnien, Staaten und Religionen überlegen an; vor allem Juden, Armenier und Kurden werden abgewertet. Die Bewegung richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, und damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Weiterhin wirft die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine körperliche Auseinandersetzung mit einem albanischen Staatsangehörigen am 19. April 2021 vor. Der zu diesem Zeitpunkt nicht uniformierte Antragsteller habe vor dem Amtsgericht A-Stadt eine verbale Auseinandersetzung zwischen einem albanischen und einem deutschen Staatsbürger im Zusammenhang mit einem Einparkvorgang beobachtet. Der Antragsteller habe den albanischen Staatsbürger zu einem verkehrsgerechten Verhalten angehalten. Als dieser uneinsichtig geblieben sei, habe der Antragsteller die Verkehrssituation fotografiert, womit der albanische Staatsangehörige nicht einverstanden gewesen sei. Dieser sei aus seinem Pkw ausgestiegen, habe eine Gartenschere in der linken Hand gehalten und sei auf den Antragsteller zugegangen. Der Antragsteller habe sich bedroht gefühlt, mit einem Angriff gerechnet und sei diesem mit mehreren Schlägen in das Gesicht des Gegenübers zuvorgekommen.
Überdies habe der Antragsteller am 3. März 2021 – trotz kritischer Anmerkungen des Revierleiters zu vorherigen Bildveröffentlichungen im Internet am 27. Januar 2021 – ein Bild in seinen WhatsApp-Status eingestellt, welches ihn von hinten neben zwei geschlossenen mobilen Toiletten stehend in der Pose des Urinierens mit der Bildunterschrift „Fuck the System and be an Outlaw“ sowie dem Symbol eines erhobenen Mittelfingers und eines lachenden Emoticons zeigt. Dieses Bild lasse Zweifel daran aufkommen, ob der Antragsteller auf dem Boden der Verfassung stehe und zeige auch seine charakterliche Unreife. Zudem habe der Antragsteller ein Dokument aus einer anlassbezogenen Verfahrensakte veröffentlicht und damit trotz Belehrung gegen die Social-Media-Vereinbarung der Polizei verstoßen.
Mit Blick auf die dargestellten Sachverhalte ist zunächst festzustellen, dass aus der Entlassungsverfügung nicht eindeutig hervorgeht, ob diese Sachverhalte jeder für sich genommen die Prognose der mangelnden charakterlichen Eignung tragen sollen, oder ob die Prognoseentscheidung nur in einer Gesamtschau der dargestellten Sachverhalte getroffen wurde. Für letztgenannte Auslegung der Entlassungsverfügung spricht, dass sie mit den Worten endet: „Auch nach Auswertung der von Ihnen vorgetragenen Argumente bleibe ich in einer Gesamtschau bei meiner Einschätzung, dass eine Prognose gerechtfertigt ist, dass ihr Mandant den Anforderungen der von ihm als Beamten im mittleren Polizeivollzugsdienst wahrzunehmenden Ämter nicht gerecht werden kann, denn dies setzt u.a. eine nötige Charakterfestigkeit voraus“. Gegen die Annahme, nur alle Sachverhalte gemeinsam betrachtet seien für die Antragsgegnerin in Ausübung ihres Prognosespielraums maßgeblich gewesen, so dass die Prognose rechtswidrig wäre, wenn nur ein für das Prognoseergebnis maßgebliches Element wegbräche (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 28b m.W.N.), spricht indes entscheident, dass in der Verfügung vom 21. Oktober 2021 die angenommene Zugehörigkeit zur „Ülkücü-Bewegung“ bereit für sich genommen mit der Prognose verbunden wurde, dem Antragsteller fehle die innere Fähigkeit bzw. Bereitschaft, in der gebotenen Weise für grundlegende und unabdingbare Werte des Grundgesetzes einzutreten. Auch in der Entlassungsverfügung wird zwischen der Zugehörigkeit zur „Ülkücü-Bewegung“ und dem Einstellen des Bildes „Fuck the System and be an Outlaw“ insoweit differenziert, als dem Antragsteller bei letztgenanntem Verhalten lediglich eine „charakterliche Unreife“ vorgeworfen wird. Gegen die Annahme, nur alle vorgeworfenen Sachverhalte gemeinsam trügen die Eignungsprognose spricht ebenfalls, dass die Antragsgegnerin zum Vorwurf der Körperverletzung zwar ausführt, dieser sei trotz Einstellung des eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO nicht völlig auszublenden, auf das Verhalten in den weiteren Ausführungen indes keinerlei Bezug mehr nimmt.
Ist aufgrund der Auslegung der Entlassungsverfügung – eine Konkretisierung mag die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren vornehmen – davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Sachverhalte jeweils für sich genommen hat ausreichen lassen, um eine negative Eignungsprognose zu begründen, kann bei summarischer Prüfung auf Grundlage keines der dargestellten Sachverhalte die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Bescheides festgestellt werden.
Die Frage, ob der Vorwurf der Anhängerschaft des Antragstellers zur der rechtsextremistischen Organisation der „Ülkücü-Bewegung“ erweislich ist, ist derzeit offen.
Für eine Anhängerschaft bzw. zumindest Nähe des Antragstellers zur „Ülkücü-Bewegung“ spricht zwar der Umstand, dass der Antragsteller in seinem WhatsApp-Status das Bild eines nach oben offenen Halbmondes mit einem darauf platzierten Wolfskopf sowie darüber einen Stern und unterhalb des Bildes angebrachte Orchon- oder Türk-Runen eingestellt hat, die übersetzt „Alles beisammen, Türken“ bedeuten und weiterhin als Profilbild bei WhatsApp das Bild eines türkischen Polizeiabzeichens der Einheit „Özel Harekat“ verwendete, auf welchem er einen Teil der Melodie des Liedes „Özel Harekat“ des Sängers Alperen Kekilli verlinkte. Dieses Lied bezeichnet nach seinem Text die Mitglieder der Spezialeinheit Özel Harekat u.a. als „graue Wölfe“ – dem Erkennungszeichen der Ülkücü-Bewegung – und spricht von den „Spielbrechern im Südosten“, womit nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden „nur eines der größten Feindbilder der „Ülkücü“, die kurdische Minderheit in der Türkei“ gemeint sein könne. Der Sänger Alperen Kekilli steht nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden der Ülkücü-Bewegung nahe. Dennoch ist nach derzeitigem Ermittlungsstand offen, ob die von der Antragsgegnerin angenommene Anhängerschaft zur „Ülkücü-Bewegung“ aufgrund dieser Umstände nachweisbar sein wird, oder ob – worauf der Antragsteller sich beruft – die Dateien trotz der von ihm in der Stellungnahme vom 27. Januar 2021 angegebenen geschichtlichen Auseinandersetzung mit den türkischen Völkern in Unkenntnis der politischen Zusammenhänge veröffentlicht wurden. Eine dahingehende Prognose kann anhand der Aktenlage nicht sicher getroffen werden.
Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Entlassungsverfügung für die Begründung der Anhängerschaft zur „Ülkücü-Bewegung“ darauf abstellt, der Antragsteller habe am 29. Juni 2020 in der Facebook-Gruppe „Polizist=Mensch“ ein Bild eingestellt, welches ihn in voller Dienstbekleidung zeige und auf dem er eine Kette mit einem Wolfskopf deutlich sichtbar auf Brusthöhe trägt, kann die von der Antragsgegnerin gezogene Verbindung dieses Bildes zur „Ülkücü-Bewegung“ nicht ohne weiteres gezogen werden. Denn der Antragsteller hat nachvollziehbar ausgeführt, er habe den Wolfskopfanhänger nicht als Symbol der „Ülkücü-Bewegung“ getragen, sondern weil er Fan der Fantasy-Romane und entsprechender Videospiele von „The Witcher“ sei. Diese Behauptung stellt sich jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht als reine Schutzbehauptung dar. Der Antragsteller hat das Videospiel „The Witcher 3 – Wild Hunt“ für die Playstation 4, welches bereits im Jahr 2015 veröffentlicht wurde, sowie den auf den Bildern zu erkennenden Wolfsanhänger zu den Verfahrensakten gereicht. Bei Inaugenscheinnahme ist erkennbar, dass der vom Antragsteller auf den Bildern getragene Anhänger identisch ist mit dem auf dem Titelbild des Videospiels abgebildeten Anhänger des Protagonisten „Geralt von Riva“. Darüber hinaus hat der Antragsteller im Nachgang zu dem Bild vom 29. Juni 2020 ausweislich der Beiakten in seinem WhatsApp-Status vom 26. Januar 2021 erneut ein Bild eingestellt, welches eine Nahaufnahme der Dienstuniform mit der Aufschrift „Polizei“ zeigt, auf der ein Wolfsanhänger zu erkennen ist, wobei auf dem Bild der Satz „Here we go again“ zusammen mit dem Symbol eines Schwertes und eines Wolfes eingefügt ist. Auf diesem Bild hat der Antragsteller einen Link zur Titelmelodie der Netflix-Serie „The Witcher“ unter Verweis auf „Geralt of Rivia“ eingefügt. Dies alles geschah, bevor er am 27. Januar 2021 erstmals mit den Vorwürfen gegen sich konfrontiert wurde, wobei ausweislich des gefertigten Aktenvermerks weder das Bild vom 26. Januar 2021 noch das Bild vom 29. Juni 2020 Gegenstand der Vorhaltungen im Mitarbeitergespräch vom 27. Januar 2021 waren. Vor diesem Hintergrund scheint die Würdigung der Antragsgegnerin, die Einlassung des Antragstellers seien nicht glaubhaft, da er erst angesichts der ihm angekündigten Entlassung einen Bezug zum Videospiel hergestellt habe, kaum vertretbar. Denn bevor ihm konkrete Vorwürfe zu den Bildern vom 26. Januar 2021 und 29. Juni 2020 gemacht wurden, bestand für den Antragsteller gar kein Anlass, auf „The Witcher“ Bezug zu nehmen.
Wenn die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang weiterhin annimmt, der Antragsteller habe sich jedenfalls „gegenüber Vorgesetzten anscheinend nicht offen und aufrichtig geäußert, was die Zweifel an seiner charakterlichen Eignung eher noch verstärkt“, bleib schon unklar, ob der Vorwurf des Unterdrückens von Tatsachen – der nach den obigen Ausführungen nicht tragen dürfte – selbständig die Prognose der charakterlichen Nichteignung tragen soll. Eine offensichtliche Rechtmäßigkeit der Verfügung ergibt sich hieraus jedenfalls nicht.
Auch soweit der Antragsteller die Veröffentlichung des Bildes eines türkischen Polizeiabzeichens der Einheit „Özel Harekat“ mit einem Teil der Melodie des Liedes „Özel Harekat“ des Sängers Alperen Kekilli als Profibild bei WhatsApp dahingehend begründet, dass sein Cousin bei der Einheit tätig sei und er das Lied nur wegen der Melodie verlinkt hätte, bedarf es zur Bewertung dieses Sachverhaltes der persönlichen Anhörung des Antragstellers und ggf. weiterer Beweisaufnahmen, um zu klären, ob das Verhalten extremistisch motiviert, oder schlicht unreflektiert erfolgte. Erst dann kann auch der Widerspruch aufgeklärt werden, der sich daraus ergibt, dass PD Weigelt in seiner Stellungnahme vom 2. Februar 2021 davon spricht, der Antragsteller habe erklärt, sein Bruder sei Mitglied der türkischen Spezialeinheit, während der Antragsteller in seinen Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren angegeben hat, sein Cousin sei dort Mitglied. Ohne eine umfassende Würdigung der Einlassungen des Antragstellers nach persönlicher Anhörung in einem Hauptsacheverfahren kann die Richtigkeit des ihm zur Last gelegten Sachverhaltes auch deshalb nicht hinreichend beurteilt werden, weil nach der Stellungnahme des PD Weigelt vom 2. Februar 2021 im dienstlichen Kontext keinerlei Erkenntnisse zu einer extremistischen oder türkisch-nationalistischen Geisteshaltung des Antragstellers vorliegen und sich die Anhaltspunkte hierfür letztlich auf zwei Bilddateien beschränken.
Die Entlassungsverfügung erweist sich auch nicht mit Blick auf die dem Antragsteller weiterhin vorgeworfene Gewalthandlung gegen einen albanischen Staatsangehörigen als offensichtlich rechtmäßig. Denn aus der Entlassungsverfügung ergibt sich schon nicht, welches konkrete Verhalten dem Antragsteller in Abweichung von der staatsanwaltschaftlichen Würdigung im hier zu betrachtenden beamtenrechtlichen Verfahren auf Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe vorgeworfen wird. Insbesondere bleibt offen, warum das fragliche Verhalten Rückschlüsse auf die (mangelnde) charakterliche Eignung des Antragstellers zulassen soll. Unter welchen Umständen bei einer Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO – anders als bei einer Einstellung nach einer Opportunitätsentscheidung wegen geringer Schuld nach § 153 Abs. 2 StPO (vgl. hierzu Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. November 2019 – 1 B 372/19 –, juris Rn. 28) – ein beamtenrechtlicher „Überhang“ verbleiben kann, mag an dieser Stelle offenbleiben.
Auch der Vorwurf weiterer Veröffentlichungen von Bilddateien nach dem Gespräch vom 27. Januar 2021 führt nicht zur offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung. Denn die Antragsgegnerin bezieht sich auf Veröffentlichungen, die mit denen aus dem Gespräch vom 27. Januar 2021 nicht im Ansatz vergleichbar sind, da sich aus ihnen keinerlei Zusammenhang zur „Ülkücü-Bewegung“ ableiten lässt. Inwiefern Gespräche zu sonstigen Veröffentlichungen geführt wurden und inwieweit der Antragsteller fortgesetzt dienstlichen Weisungen mit Blick auf „sonstige“ Veröffentlichungen zuwidergehandelt hat, bleibt unklar. Gleiches gibt für die mit Blick auf diesen Vorwurf ggf. mögliche Bewährung bei einer Fortsetzung der Probezeit.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Veröffentlichung von Bildern durch den Antragsteller, wie sie sich in ihrer Gesamtheit aus der Verfahrensakte ergeben
– Bild des Antragstellers von hinten im Gegenlicht mit erhobener, auf die Sonne bzw. den Mond zielender Dienstwaffe und der Bildunterschrift „I would say this is a perfect shot“ (Datum: 20. Dezember 2020, Instagram), ein Bild beim Schießtraining mit gezogener Waffe (Datum: 4. Januar 2021); das Bild eines vermummten und schwer bewaffneten türkischen Soldaten vor einer türkischen Flagge mit türkischer Bildunterschrift der Bedeutung „Wie glücklich ist derjenige, der sagen kann, dass er Türke ist!“ (Datum: 25. Januar 2021, WhatsApp Statusbild); eine Nahaufnahme der Dienstuniform mit der Aufschrift „Polizei“, auf der ein Wolfsanhänger zu erkennen ist, wobei auf dem Bild der Satz „Here we go again“ zusammen mit dem Symbol eines Schwertes und eines Wolfes eingefügt ist (Datum: 26. Januar 2021, WhatsApp Statusbild); das Polizeiabzeichen der Einheit „Özel Harekat“ mit einer türkischen Bildunterschrift der Bedeutung „Wir Türken in Deutschland sind eine Spezialeinheit“ und „Wie stolz sagen zu können, dass man Türke ist!!“ (Datum: 26. Januar 2021, WhatsApp Statusbild); ein Bild, welches den Antragsteller von hinten neben zwei geschlossenen mobilen Toiletten stehend in der Pose des Urinierens zeigt mit der Bildunterschrift „Fuck the System and ba an Outlaw“, wobei die Bildunterschrift ergänzt ist durch das Symbol eines erhobenen Mittelfingers und ein lachendes Emoticon (Datum: 3. März 2021, WhatsApp Statusbild); Videosequenzen von Dienstfahrten mit überhöhter Geschwindigkeit ohne Einsatzauftrag (Datum: 5. März 2021, WhatsApp Statusbild); ein handschriftliche Entschuldigungsschreiben, wobei vermutet wurde, dass dieses Bestandteil einer anlassbezogenen Verfahrensakte sei (Datum: 10. März 2021, WhatsApp Statusbild) –
womöglich Zweifel an dessen charakterlicher Reife wecken könnten. Hierauf hat die Antragsgegnerin ihre Entlassungsverfügung aber nicht gestützt.
dd) Da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist, hat die Kammer eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese geht zu Lasten des Antragstellers aus, da das Vollzugsinteresse vorliegend das Aussetzungsinteresse überwiegt.
Dabei berücksichtigt die Kammer, dass § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO eine Ausnahme von dem zu den Grundprinzipien des Verwaltungsrechtsschutzes gehörenden Grundsatz der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO darstellt. Zudem nimmt sie das Interesse des Antragstellers an einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses auf Probe sowie das persönliche Interesse an einer Fortzahlung der Bezüge sowie der Gewährung freier Heilfürsorge und die familiäre Situation (Frau und zwei Kinder) in den Blick. Diese Umstände haben aber vorliegend hinter dem Vollzugsinteresse zurückzustehen, da jedenfalls mit Blick auf den offenen Vorwurf der Anhängerschaft der „Ülkücü-Bewegung“ eine Suspendierung der Wirkung der Entlassungsverfügung und damit eine Weiterbeschäftigung des Antragstellers einen Achtungs- und Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Unvoreingenommenheit und Verfassungsfestigkeit der Polizeivollzugsbehörden nach sich zöge. Insbesondere einem Aufeinandertreffen mit Minderheiten, die von der „Ülkücü-Bewegung“ als Feindbild erkannt werden, ist aufgrund der dem Antragsteller zur Last gelegten politischen Einstellung vorzubeugen. Dies gilt, obgleich die fraglichen Bilder über den WhatsApp-Status zum Teil nur für 24 Stunden zu sehen waren bzw. als WhatsApp-Profilbild nur demjenigen Personenkreis zugänglich waren, der über die Mobilfunknummer des Antragstellers verfügte. Selbst wenn hierdurch der Verbreitungsgrad der Darstellungen beschränkt ist, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Außenwirkung des Verhaltens des Antragstellers.
2. Der gestellte Hilfsantrag, der nach §§ 88 VwGO, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen ist, dass die Wirkung nicht bis zur „restlosen Klärung“ der Vorwürfe auszugehen ist, sondern sich – schon mangels hinreichender Bestimmtheit eines solchen Tenors nach den gesetzlichen Regeln (§ 80 Abs. 1 VwGO) richtet, ist indes begründet.
Entfällt aufgrund behördlicher Anordnung die einem Widerspruch nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO an sich zukommende aufschiebende Wirkung, so ist über einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs – wie geschehen – nach Maßgabe des Ergebnisses einer Abwägung der beteiligten Interessen zu entscheiden. Diese Interessenbewertung kann bei Verfügungen, durch die ein Beamter auf Probe aus dem Beamtenverhältnis entlassen wird, hinsichtlich des Anspruchs des Beamten auf Weiterbeschäftigung einerseits und hinsichtlich seines Anspruchs auf Weiterzahlung seiner Dienstbezüge andererseits unterschiedlich ausfallen (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 5 ME 121/07 –, juris Rn. 12; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Februar 1992 – 1 B 3364/91 –, juris Rn. 8). Dabei hat eine Vollziehungsanordnung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn zu entsprechen. Für die Sicherung der Lebensgrundlagen kommt diesem Grundsatz über das Ende der Dienstzeit hinaus auch bei Probebeamten Bedeutung zu (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Februar 1992 – 1 B 3364/91 –, juris Rn. 14). Dem Interesse des Beamten an einer Fortdauer der Alimentierung auch über das Ende seiner Beschäftigungszeit hinaus ist im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen Rechnung zu tragen ist (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Februar 1992 – 1 B 3364/91 –, juris Rn. 14). Hinter fiskalische Interessen des Dienstherrn muss dieses Interesse nur zurücktreten, wenn abzusehen ist, dass eine vom Beamten angefochtene Entlassungsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Lässt sich – wie im vorliegenden Fall – eine solche Feststellung hingegen nicht treffen, so reichen fiskalische Erwägungen als Grundlage für die Ablehnung eines auf die Fortzahlung eines Teils der Bezüge gerichteten Wiederherstellungsbegehrens nicht aus (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1989 – 2 BvR 1574/89 – NVwZ 1990, 853). Zugunsten des Dienstherren ist in derartigen Fällen aber zu berücksichtigen, dass der unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entlassene Beamte von der Verpflichtung zur Dienstleistung freigestellt ist und vielfach in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt auch anderweit sicherzustellen. Dabei entspricht es in Anlehnung an § 38 Abs. 2 DG LSA der Abwägung der beiderseitigen Interessen, dem Antragsteller die Hälfte seiner Dienstbezüge zu belassen (vgl. unter Bezugnahme auf § 92 Abs. 1 BDO: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Februar 1992 – 1 B 3364/91 –, juris Rn. 14).
Nach diesen Grundsätzen hat der Hilfsantrag Erfolg, da die Erfolgsaussichten des eingelegten Widerspruchs offen sind. Mit Blick auf die Besoldung und die Heilfürsorge ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.
Die Kammer macht indes darauf aufmerksam, dass sich der Antragsteller um die anderweitige Sicherstellung seines Lebensunterhaltes schon deswegen wird bemühen müssen, weil es je nach dem Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache dazu kommen kann, dass er die ihm nunmehr zu zahlenden Beträge gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 LBG LSA in Verbindung mit § 812 Abs. 1 BGB später an die Antragsgegnerin zurückzahlen muss (vgl. zum BbesG: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Februar 1992 – 1 B 3364/91 –, juris Rn. 14).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dabei geht die Kammer davon aus, dass der mit dem Hauptantrag verfolgten vollständigen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs eine größere Bedeutung beizumessen ist, als dem bloßen Interesse an einer Fortzahlung der Bezüge, weil der Antragsteller vorrangig seine Probezeit erfolgreich fortsetzen möchte. Da auch dem Hauptantrag jedenfalls zum Teil entsprochen wurde, spiegelt eine Kostenteilung den Anteilen der Beteiligten am Obsiegen und Unterliegen wider.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, 3 GKG. Danach ist in Verfahren, die die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, Streitwert die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlende Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn – wie hier – Gegenstand des Verfahrens nicht ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist. Der Antragsteller wird als Polizeimeister im Beamtenverhältnis auf Probe nach der Besoldungsgruppe A 7 LBesO besoldet (Im Zeitpunkt der Antragstellung 2.476,62 Euro monatlich). Zuzüglich der allgemeinen Stellenzulage nach Nr. 13 lit. b der Vorbemerkungen der Besoldungsordnungen A und B i.V.m. der Anlage 8 (98,32 Euro monatlich) ergibt sich für die Hälfte eines Kalenderjahres ein Wert von 15.449,64 Euro. Dieser Wert ist mit Rücksicht auf den nur vorläufigen Charakter der Entscheidung zu halbieren (vgl. Ziffer 1.5 Satz 1 Hs. 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen), sodass sich der Streitwert auf insgesamt 7.724,82 Euro beläuft.


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