Verwaltungsrecht

Entlassung aus der Bundeswehr wegen des Konsums von Legal Highs, hier: Vierjahresfrist

Aktenzeichen  6 B 19.951

Datum:
25.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24794
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 40 Abs. 6, § 55 Abs. 4 S. 1, S. 2, S. 3
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 1, § 130a
StGB § 323a
StPO § 153a Abs. 2
WBO § 23 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei der für die Entlassungsfrist maßgeblichen vierjährigen Dienstzeit eines Soldaten nach § 55 Abs. 4 S. 1 SG ist jede Art des Wehrdiensts, der in der Bundeswehr bis zur Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit geleistet worden ist (z.B. freiwilliger Wehrdienst gemäß § 58b SG), zu berücksichtigen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser zeitliche Schutz, der die Entlassungsmöglichkeit eines Soldaten auf Zeit auf die ersten vier Dienstjahre beschränkt, geht auch nicht dadurch verloren, dass sich ein Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Mannschaften zwischenzeitlich um die Bewährung in einer höheren Laufbahn bemüht, hier Anwärter für die Offizierslaufbahn. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Offizieranwärter, die zuvor in einer anderen Laufbahn verwendet worden sind, sind nicht zu entlassen, sondern in diese zurückzuführen, soweit sie noch einen dieser Laufbahn entsprechenden Dienstgrad (hier: Hauptgefreiter) führen, ansonsten würde die Vorschrift des § 55 Abs. 4 Satz 3 SG weitgehend leerlaufen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 K 18.131 2018-11-27 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. November 2018 – W 1 K 18.131 – geändert.
Der Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 12. April 2017 und der Beschwerdebescheid derselben Behörde vom 8. August 2017 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.880,28 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen seine durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (im Folgenden: Bundesamt) verfügte Entlassung aus der Bundeswehr.
Der 1989 geborene Kläger leistete vom 1. April 2013 bis zum 30. Juni 2014 freiwillig Wehrdienst bei der Bundeswehr. Mit Erklärung vom 20. Mai 2014 verpflichtete er sich, bei der Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit 15 Jahre lang Wehrdienst zu leisten. Mit Wirkung vom 1. Juli 2014 wurde der Kläger als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit übernommen und in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten (Besoldungsgruppe A4Z) eingewiesen. Das Dienstzeitende wurde zuletzt auf den 31. März 2018 festgesetzt.
Am 19. Dezember 2014 rauchte der Kläger außerhalb des Dienstes eine Kräutermischung (sog. Legal Highs), die synthetische Cannabinoide enthielt. Daraufhin verlor er das Bewusstsein. Die herbeigerufenen Rettungskräfte wurden von zwei Polizeibeamten begleitet. Der Kläger wehrte sich im Anschluss so heftig, dass ein Polizist am linken Unterarm Verletzungen in Form von Quetschungen, Hautabschürfungen und Schwellungen oberhalb des Handgelenks sowie Schmerzen im Schulterbereich erlitt. Vor diesem Hintergrund wurde gegen den Kläger ein Strafverfahren gemäß § 323a StGB (Vollrausch) eingeleitet, das mit Beschluss vom 3. September 2015 vorläufig gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 3.000 € eingestellt wurde. Endgültig eingestellt wurde das Strafverfahren mit am 1. März 2016 beim Ausbildungskommando eingegangenem Beschluss des Amtsgerichts H. nach § 153a Abs. 2 StPO, nachdem der Kläger die festgesetzten Auflagen und Weisungen vollständig und rechtzeitig erfüllt hatte. Eine disziplinarische Ahndung des Fehlverhaltens unterblieb.
Mit Bescheid vom 12. April 2017 entließ das Bundesamt den Kläger gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG wegen mangelnder Eignung zum Offizier aus der Bundeswehr. Die vom Kläger erhobene Beschwerde wies es mit Beschwerdebescheid vom 8. August 2017 zurück. Der Beschwerdebescheid ist auf die Vorschrift des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG gestützt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Entlassung aus der Bundeswehr mit Urteil vom 27. November 2018 abgewiesen.
Der Kläger hat gegen das Urteil die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Berufung eingelegt und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. November 2018 abzuändern und den Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 12. April 2017 in Gestalt des Beschwerdebescheides vom 8. August 2017 aufzuheben.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 29. Juli 2020 gemäß § 130a VwGO darauf hingewiesen, dass eine Stattgabe der Berufung durch Beschluss in Betracht kommt, weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Hierzu haben sich die Beteiligten geäußert.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die – zulässige – Berufung des Klägers nach entsprechender Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a VwGO durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Anfechtungsklage ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts begründet. Denn der Entlassungsbescheid des Bundesamts vom 12. April 2017 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 8. August 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bundesamt hat die Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit auf zwei verschiedene gesetzliche Tatbestände gestützt, nämlich im Ausgangsbescheid alleine auf § 55 Abs. 4 Satz 2 SG, im Beschwerdebescheid wohl auch auf § 55 Abs. 4 Satz 1 SG. Allein letzterer ist maßgeblicher Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Denn Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Der Widerspruchsbescheid, an dessen Stelle für eine Klage aus dem Wehrdienstverhältnis gemäß § 23 Abs. 1 WBO der Beschwerdebescheid tritt, gibt dem ursprünglichen Bescheid die letztlich maßgebliche Gestalt (vgl. Happ in Eyermannn, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 79 Rn. 5 ff. m.w.N.). Keine der im Beschwerdebescheid angeführten Vorschriften rechtfertigt die Entlassung des Klägers.
1. Die Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG ist rechtwidrig.
Nach dieser Vorschrift kann ein Soldat auf Zeit in den ersten vier Jahren seiner Dienstzeit entlassen werden, wenn er die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen sind, nicht mehr erfüllt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar bestehen keine durchgreifenden tatsächlichen oder rechtlichen Bedenken gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich der Kläger aufgrund des (wiederholten) Konsums einer „Kräutermischung“, die synthetische Cannabinoide enthielt, sowie dessen Folgen nicht zum Offizier eignen wird. Im Zeitpunkt der Entlassung hatte der Kläger jedoch die ersten vier Jahre seiner Dienstzeit, innerhalb der eine Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG hätte verfügt werden können, bereits abgeleistet.
Nach § 40 Abs. 6 SG wird in die Dienstzeit der Wehrdienst eingerechnet, der in der Bundeswehr bis zur Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit geleistet worden ist. Hierbei wird jede Art des Wehrdienstes erfasst, die vor einer Ernennung zum Soldaten auf Zeit geleistet wurde, zum Beispiel der Wehrdienst als freiwillig Wehrdienstleistender gemäß § 58b SG (Sohm in Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Aufl. 2016, § 40 Rn. 42, § 55 Rn. 27). Der Kläger hatte vom 1. April 2013 bis zum 30. Juni 2014 gemäß § 58b SG freiwillig Wehrdienst geleistet. Er gehörte während dieser Zeit als Gefreiter und Obergefreiter der Laufbahn der Mannschaften an. Vom 1. Juli 2014 bis zu seiner Entlassung war der Kläger Soldat auf Zeit und gehörte als Hauptgefreiter wiederum der Laufbahn der Mannschaften an. Von seinem Eintritt in den Wehrdienst am 1. April 2013 bis zur Bekanntgabe des Entlassungsbescheids am 13. April 2017 war somit ein Zeitraum von mehr als vier Jahren vergangen.
Soweit sich das Bundesamt darauf stützt, dass der Kläger aufgrund seines gezeigten Verhaltens charakterlich nicht geeignet sei und sich auch nicht für die Laufbahn der Mannschaften eigne, ist dem entgegenzuhalten, dass auch hierbei die Vierjahresfrist zu beachten gewesen wäre. Ist nämlich der zur Beendigung des Anwärterstatus führende Eignungsmangel so erheblich, dass der Offizieranwärter, der zuvor in einer anderen Laufbahn verwendet worden ist, auch den Anforderungen an diese Laufbahn nicht mehr genügt, ist in den ersten vier Jahren seiner Dienstzeit eine Entscheidung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG herbeizuführen. Es ist nicht erkennbar, warum der von § 55 Abs. 4 Satz 1 SG vermittelte zeitliche Schutz, der die Entlassungsmöglichkeit eines Soldaten auf Zeit auf die ersten vier Dienstjahre beschränkt, dadurch verloren gehen sollte, dass sich ein Soldat auf Zeit zwischenzeitlich um die Bewährung in einer höheren Laufbahn bemüht hat (VG Sigmaringen, U.v. 31.1.2018 – 5 K 6704/17 – juris Rn. 31; Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/4062 S. 23; Sohm in Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 45). Dem entspricht im Übrigen Nr. 710 der ZDv A-1340/49. Danach sind Soldaten, die zuvor in einer anderen Laufbahn verwendet worden sind, in den ersten vier Jahren ihrer Dienstzeit nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG zu entlassen, wenn sie auch den Anforderungen an diese Laufbahn nicht mehr genügen.
2. Die Entlassung kann auch nicht auf § 55 Abs. 4 Satz 2 SG gestützt werden.
Nach dieser Vorschrift soll (u.a.) ein Offizieranwärter, der sich nicht zum Offizier eignen wird, zwar unbeschadet des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG entlassen werden. Diese Entlassungsmöglichkeit besteht bis zur Beendigung des Anwärterstatus, so dass die in § 55 Abs. 4 Satz 1 SG enthaltene zeitliche Einschränkung auf die ersten vier Dienstjahre für sie nicht gilt (s. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/4062 S. 23). Ist der Offizieranwärter zuvor in einer anderen Laufbahn verwendet worden, soll er allerdings gemäß § 55 Abs. 4 Satz 3 SG nicht entlassen, sondern in diese zurückgeführt werden, soweit er noch einen dieser Laufbahn entsprechenden Dienstgrad führt. Diese Sollvorschrift war auch auf den Kläger anwendbar, der im Zeitpunkt der Entlassung den zur Laufbahn der Mannschaften gehörenden Dienstgrad des Hauptgefreiten geführt hat. In Übereinstimmung mit dieser gesetzlichen Vorgabe für den Regelfall hatte das Bundesamt selbst mit Schreiben vom 24. Juni 2016 seine Absicht angekündigt, den Kläger wegen mangelnder Eignung als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes zu entlassen und ihn in die Laufbahn der Mannschaften zu überführen. Nach der Sollbestimmung des § 55 Abs. 4 Satz 3 SG geht eine Rückführung in die frühere Laufbahn einer Entlassung grundsätzlich vor (vgl. VG Sigmaringen, U.v. 31.1.2018 – 5 K 6704/17 – juris Rn. 30 ff.).
Die vom Bundesamt hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Dass sich die Regelung nach der früheren Gesetzesfassung des § 55 Abs. 4 Satz 3 SG auf Unteroffiziere bezog, die sich bereits in ihrer Laufbahn bewährt hatten und bei mangelnder Eignung zum Offizier nicht entlassen, sondern zurückgeführt werden sollten, steht einer Rückführung eines Offizieranwärters in den Mannschaftsdienstgrad nicht entgegen. Die jetzige Gesetzesfassung beschränkt sich nicht auf Unteroffiziere, sondern wurde nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut auf alle Anwärter im Sinn des § 55 Abs. 4 Satz 2 SG erweitert (s. BT-Drs. 14/4062, S. 23). Der Kläger soll nach § 55 Abs. 4 Satz 3 SG auch nicht in das – auf maximal 23 Monate befristete – freiwillige Wehrdienstverhältnis (§ 58b SG) zurückgeführt werden, sondern als Soldat auf Zeit in die Laufbahn der Mannschaften. Dem entspricht Nr. 710 der ZDv A-1340/49, wonach Offizieranwärter, die zuvor in einer anderen Laufbahn verwendet worden sind, nicht entlassen, sondern in diese zurückgeführt werden sollen, soweit sie noch einen dieser Laufbahn entsprechenden Dienstgrad (hier: Hauptgefreiter) führen. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, dass ein Offizieranwärter nicht über längere Zeit in die Laufbahn der Mannschaften zurückgeführt werden sollte, ließe die Vorschrift des § 55 Abs. 4 Satz 3 SG weitgehend leerlaufen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 40.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.


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