Verwaltungsrecht

Entlassung aus der Freiwilligen Feuerwehr

Aktenzeichen  W 1 K 16.527

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 115152
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayFWG Art. 6 Abs. 4 S. 1, S. 2
AVBayFwG § 8 S. 1
VwGO § 114 S. 2
GG Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Charakterliche Schwächen sollen nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 S.2 BayFwG sanktioniert werden können. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Begriff der gröblichen Dienstpflichtverletzung gem. § 6 Abs. 4 Satz 2 BayFwG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid vom 5. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2016 ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Heranzuziehende Rechtsgrundlage ist vorliegend Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayFwG, wonach ein Feuerwehrkommandant einen Feuerwehrdienstleistenden, der seine Dienstpflichten gröblich verletzt, vom Feuerwehrdienst ausschließen kann.
a) Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG ist vorliegend nicht einschlägig. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG verpflichtet den Feuerwehrkommandanten dazu, einen Feuerwehrdienstleistenden, der die Eignung für den Feuerwehrdienst ganz oder teilweise verloren hat, in entsprechendem Umfang vom Feuerwehrdienst zu entbinden. Schon der Wortlaut und die Struktur der Norm sprechen dafür, dass mit Satz 1 nur körperliche oder geistige Mängel gemeint sind, nicht jedoch auch charakterliche Schwächen. Solche unterliegen in der Regel einer subjektiven Einschätzung, so dass die Verbindung mit einer zwingenden Rechtsfolge problematisch erscheint. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayFwG sieht für den Ausschluss aufgrund gröblicher Dienstpflichtverletzung dagegen eine Ermessensentscheidung vor, worunter daher nach Ansicht des Gerichts auch charakterliche Mängel, die sich in einer gröblichen Dienstpflichtverletzung manifestieren, zu fassen sind. Auch Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayFwG stellt auf die Eignung ab und zeigt in Satz 3 schließlich die Möglichkeit auf, ein ärztliches Gutachten zu verlangen, was gegen die Beinhaltung auch charakterlicher Schwächen, welche auf subjektiver Einschätzung beruhen und ärztlich nicht feststellbar sind, spricht. Auch in der Kommentarliteratur werden lediglich körperliche (z.B. Bluthochdruck, Diabetes, Schwangerschaft) und geistige (z.B. Demenz, geistige Verwirrtheit) Einschränkungen als Beispiele für diese Norm dargestellt (Forster/Pemler, BayFwG, Art. 6 Rn. 33 f.; Schober, Das Bayerische Feuerwehrrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2014, 8.4.2).
Charakterliche Schwächen sollen nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayFwG sanktioniert werden können. Dienstpflichtverletzungen resultieren in der Regel aus charakterlichen Schwächen. Nicht jede, vom Kommandanten möglicherweise als anstrengend oder störend empfundene Charaktereigenschaft soll jedoch zur zwingenden Entbindung führen können. Anderenfalls könnte der Feuerwehrkommandant unliebsame Personen gegen ihren Willen allzu leicht aus der Freiwilligen Feuerwehr entfernen. Erforderlich ist vielmehr eine gröbliche Dienstpflichtverletzung.
Soweit § 8 Satz 1 AVBayFwG neben der körperlichen und geistigen Eignung auch die Zuverlässigkeit als Voraussetzung für die Aufnahme in den Feuerwehrdienst fordert, ergibt sich daraus nichts anderes. Hätte der Gesetzgeber das Merkmal der Zuverlässigkeit als Entbindungsgrund i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG vorsehen wollen, hätte er es dort aufgenommen bzw. darauf verwiesen. Da der Verordnungsgeber die Zuverlässigkeit neben die Eignung stellt, macht er deutlich, dass damit etwas anderes, nämlich im Ergebnis die charakterliche Eignung zusätzlich zu prüfen ist.
b) Eine gröbliche Dienstpflichtverletzung i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayFwG liegt hier nicht vor.
Der Begriff der gröblichen Dienstpflichtverletzung stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Maurer, KommP Bay 2000, 344; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 114 Rn. 24). Beispiele für gröbliche Dienstpflichtverletzungen sind: Unehrenhaftes Verhalten im Dienst, grobes Vergehen gegen Kameraden im Dienst, Unterschlagung von Geldern der Feuerwehr, fortgesetzte Nachlässigkeit oder Nichtbefolgen dienstlicher Anweisungen, Trunkenheit im Dienst, Aufhetzen zum Nichtbeachten von Anordnungen, dienstwidrige Benutzung oder mutwillige Beschädigung von Dienstkleidung, Geräten und sonstigen Ausrüstungsgegenständen der Feuerwehr (Maurer, KommP Bay 2000, 344; Forster/Pemler, BayFwG, Art. 6 Rn. 37).
Die Verfehlungen des Klägers sind jedoch nicht von gleicher Qualität wie die geschilderten Beispiele. Auch wenn es sich lediglich um Beispiele handelt, setzen sie jedoch hinsichtlich der Schwere der erforderlichen Verstöße einen Maßstab fest, der vorliegend noch nicht erreicht wird. Lediglich beim Vorfall vom 30. Oktober 2014 handelt es sich um ein Einsatzgeschehen. Dabei hat der Kläger den Kommandanten der Feuerwehr zwar beleidigt, sich aber dennoch seinen Anweisungen gebeugt. Eine gröbliche Dienstpflichtverletzung ist darin noch nicht zu sehen. Zudem hat der Kläger für dieses Verhalten am 4. November 2014 bereits eine Abmahnung erhalten, so dass derselbe Sachverhalt nicht erneut zur Begründung des Ausschlusses aus der Feuerwehr herangezogen werden kann (Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, vor § 620 Rn. 38, 41).
Die übrigen von der Beklagten dargestellten Vorfälle (die als wahr unterstellt werden) zeigen, dass der Kläger zwar Probleme hat, sich in der Feuerwehr unterzuordnen und dort getroffene Entscheidungen zu akzeptieren. Eine gröbliche Dienstpflichtverletzung vermag das Gericht darin aber noch nicht zu erkennen.
c) Selbst wenn von einer gröblichen Pflichtverletzung ausgegangen würde, liegt jedenfalls ein vom Gericht überprüfbarer Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauch i.S.d. § 114 VwGO vor. Da die Beklagte in ihrer Entscheidung von einer gebundenen Entscheidung gem. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG ausgegangen ist, hat sie das ihr im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayFwG eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt. Der Bescheid vom 5. Juni 2015 lässt keinerlei Ermessenserwägungen erkennen. Da es sich beim Ausschluss um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises handelt, ist die Widerspruchsbehörde (hier das Landratsamt) auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit beschränkt gem. Art. 119 Nr. 1 GO und kann daher einen an Ermessensfehlern leidenden Ausschlussbescheid nicht dadurch heilen, indem sie eigene Ermessenserwägungen anstellt (Maurer, KommP Bay 2000, 344).
Zwar ist es gem. § 114 Satz 2 VwGO der Ausgangsbehörde auch noch möglich ihre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen, allerdings ist dies auf Fälle beschränkt, in denen unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden; nicht erfasst sind hingegen solche, in denen es an Ermessenserwägungen bisher fehlte (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 114 Rn. 50). Zudem hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung lediglich darauf verwiesen, dass eine Ermessensreduktion auf Null vorläge. Diese Einschätzung teilt das Gericht jedoch gerade nicht. Um einen Fall der Ermessensreduktion auf Null handelt es sich z.B. bei besonderer Schwere oder einem besonderen Ausmaß der Gefahr für wichtige Rechtsgüter, also wenn sich lediglich eine einzige Entscheidung als die richtige darstellt (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 114 Rn. 6). Da sich der Kläger im Einsatzgeschehen aber den Anweisungen des Einsatzleiters (wenn auch widerwillig) untergeordnet hat, ist kein besonderes Ausmaß der Gefahr oder ein besonders eindeutiger, nicht anders zu entscheidender Fall erkennbar. Somit war auch aus diesem Grund der Verwaltungsakt aufzuheben.
2. Selbst wenn man jedoch Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG als richtige Rechtsgrundlage ansieht, war eine vollständige Entbindung des Klägers vom Feuerwehrdienst nicht rechtmäßig. Weder ist der Kläger für den Feuerwehrdienst ungeeignet, noch ist er unzuverlässig gem. § 8 AVBayFwG.
a) Zwar folgt das Gericht nicht der Ansicht des Klägerbevollmächtigten, wonach die Beklagte durch die vorangegangene Beurlaubung des Klägers ihren Beurteilungsspielraum bereits abschließend ausgeübt hätte. Das Gericht vermag schon keinen Beurteilungsspielraum der Beklagten hinsichtlich der Beurteilung der Geeignetheit des Klägers zu erkennen.
Bei dem Merkmal der Geeignetheit für den Feuerwehrdienst handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG folgt ein Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Daraus ergibt sich grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Nur ausnahmsweise und bei Vorliegen ganz besonderer Voraussetzungen ist es daher zu rechtfertigen, der Verwaltungsbehörde bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs einen eigenen, gerichtlicher Kontrolle nur beschränkt zugänglichen Beurteilungsspielraum einzuräumen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der jeweiligen Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen ist, der Verwaltung das abschließende Urteil über das Vorliegen der durch einen unbestimmten Gesetzesbegriff gekennzeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen zu übertragen (OVG NRW, B.v. 30.6.2008 – 8 A 2895/07 – juris Rn. 11; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rn. 22, 99 ff.). Die hier maßgebenden Rechtsvorschriften lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber der Verwaltung die verbindliche Letztentscheidung über das Entfallen der Eignung einräumen wollte. Der Begriff der Eignung enthält gerade kein wertendes oder prognostisches Element, was auf einen Beurteilungsspielraum hindeuten könnte. Insbesondere kann die Eignung nach hiesiger Ansicht mit Hilfe ärztlicher Atteste festgestellt werden und ist daher nachprüfbar.
Die Beklagte konnte daher durch die Suspendierung des Klägers zunächst die Funktionsfähigkeit der Feuerwehr sichern und hat dadurch ihre Reaktionsmöglichkeit auch hinsichtlich einer vollständigen Entbindung des Klägers nicht verwirkt.
b) Allerdings ist die Eignung i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG des Klägers nicht entfallen. Körperliche oder geistige Mängel des Klägers wurden nicht dargelegt. Die charakterlichen Eigenheiten des Klägers, insbesondere dass es ihm schwer fällt, getroffene Entscheidungen der Feuerwehrführung vorbehaltlos zu akzeptieren, sind nicht ausreichend, die Eignung des Klägers vollständig entfallen zu lassen. Die Reaktionen des Klägers waren zwar häufig nicht sozialadäquat oder höflichen bzw. üblichen Umgangsformen entsprechend. Eine derart negative charakterliche Schwäche, die zur völligen Ungeeignetheit des Klägers für den Feuerwehrdienst führen würde, kann daraus aber nach Ansicht des Gerichts noch nicht abgeleitet werden.
c) Auch ist der Kläger nicht unzuverlässig gem. § 8 AVBayFwG. Unzuverlässig ist im Ergebnis derjenige, dessen Verhalten berechtigten Anlass zu Zweifeln daran gibt, dass sich seine Kameraden auch in zugespitzten Gefahrensituationen auf ihn verlassen können. Die Feuerwehrangehörigen bilden eine Gefahrengemeinschaft, die ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis voraussetzt (VG München, U. v. 13.8.2014 – M 7 K 12.5982 – juris; Forster/Pemler, BayFwG, Art. 6 Rn. 23). Wie oben bereits erörtert hat der Kläger gerade in der Einsatzsituation am 30. Oktober 2014 gezeigt, dass er selbst bei entgegenstehender eigener Ansicht in der Lage ist, sich den Anweisungen des Einsatzleiters zu beugen und seine Ansicht jedenfalls im Einsatz hintanzustellen. Zwar hat der Kläger eine Beleidigung gegenüber dem Einsatzleiter geäußert, dies führt aber noch nicht dazu, dass sich seine Kameraden in der Einsatzsituation nicht mehr auf ihn verlassen könnten und das Vertrauensverhältnis im Hinblick auf die Verlässlichkeit in der Einsatzsituation daher zerstört sei. Die übrigen Vorfälle fanden nicht im Rahmen eines Einsatzgeschehens statt, so dass auch hieraus noch nicht die Unzuverlässigkeit in Gefahrensituationen hergeleitet werden kann.
Nach alldem ist der Bescheid unter allen denkbaren Gesichtspunkten rechtswidrig und war daher aufzuheben.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war als notwendig anzuerkennen gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, da sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt der Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Kläger nach seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht zumutbar war, das Verfahren selbst zu führen (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 162 Rn. 18). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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