Verwaltungsrecht

Entlassung von der Schule

Aktenzeichen  M 3 S 20.294

Datum:
3.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49642
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 86, 88

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500, – Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin besucht im laufenden Schuljahr 2019/2020 die 6. Jahrgangsstufe der Städtischen W. … Gesamtschule M. (im Folgenden: die Schule).
Mit Bescheid der Schule vom 20. Dezember 2019, der Mutter der Antragstellerin persönlich am 20. Dezember 2019 übergeben, wurde gegen die Antragstellerin als Ordnungsmaßnahme die Entlassung von der Schule ausgesprochen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, kurz vor Unterrichtsende am Donnerstag, den 5. Dezember 2019, (die Antragstellerin habe Unterrichtsentfall gehabt) sei es zu einem tätlichen Angriff der Antragstellerin gegenüber einem Fünftklässler gekommen. Die 5. Klasse habe gerade den Unterrichtsraum gewechselt, die Lehrkraft habe noch zugesperrt und sei hinterhergekommen. Die Antragstellerin sei auf die Klasse getroffen und habe mit einem viel kleineren Jungen aus der 5. Klasse eine kurze verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen gehabt. Die Antragstellerin sei daraufhin so wütend geworden, dass sie auf den Kopf des Jungen mit der Faust eingeschlagen habe. Außerdem habe sie den nach vorne gekrümmten Jungen mit dem Knie in den Bauch gekickt. Auch mit flachen Händen habe sie auf den Kopf des Jungen mehrfach abwechselnd eingeschlagen. Ein Zeuge habe dies wie „Trommeln auf den Kopf“ beschrieben. Eine Klassenkameradin des Jungen habe versucht, dazwischen zu gehen; die Antragstellerin habe sie mit dem Ellenbogen ins Gesicht geschlagen. Das Mädchen habe eine blutige Lippe davon getragen.
Die Antragstellerin habe den Jungen so heftig getroffen, dass er bewusstlos zu Boden gegangen sei. Selbst dann habe sie nicht von ihm abgelassen, sondern mit dem Fuß in seinen Körper gekickt und weiter mit den flachen Händen auf seinen Kopf ein“getrommelt“. Eine zu Hilfe eilende Sozialpädagogin könne bestätigen, dass der geschädigte Junge noch mehrere Sekunden bewusstlos gewesen sei. Als er aufgewacht sei, sei er desorientiert gewesen und habe gefragt, wo er denn sei. Den Tathergang hätten mehrere Zeugen, sowohl Erwachsene wie auch Schülerinnen und Schüler bestätigt.
Darüber hinaus wurde die Antragstellerin mit Bescheid vom 10. Dezember 2019 gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 1 BayEUG mit sofortiger Wirkung vorläufig vom Besuch der Schule ausgeschlossen.
Zur Niederschrift am 21. Januar 2020 erhob die Antragstellerin Klage (M 3 K 20.293) gegen den Bescheid vom 20. Dezember 2019 und beantragte außerdem beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Entlassung der Antragstellerin anzuordnen sowie
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Antragstellerin wieder am Unterricht der Schule teilnehmen zu lassen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, zu der Situation sei es nur gekommen, weil sich die Antragstellerin gewehrt habe. Der Mitschüler habe die Antragstellerin zu Beginn beleidigt und dann sei es zwischen dem Mitschüler und der Antragstellerin zu der Rangelei gekommen. Die Freunde des Mitschülers hätten der Lehrerin erzählt, dass der Mitschüler angeblich in Ohnmacht gefallen sei. Es sei nur die Version der Freunde des Mitschülers angehört worden, nicht jedoch die der Antragstellerin bzw. ihrer Freunde. Sowohl die vor Ort zuständigen Lehrkräfte sowie Vertrauenslehrer seien nicht hinzugezogen worden bzw. hätten sich nur die Version des Mitschülers angehört, ohne auch nur im Geringsten die Antragstellerin anzuhören sowie einzubeziehen.
Seit dem Vorfall gehe es der Antragstellerin und ihrer Mutter psychisch nicht gut und die Antragstellerin vermisse ihre Freunde und die Klasse an der Schule.
Bei der Antragstellerin bestehe die Möglichkeit der ADHS-Krankheit. Sofern dies wirklich der Fall sein sollte, könne man das unter Kontrolle bekommen und dies sei auch kein Grund, von der Schule verwiesen zu werden.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Die Klage sei wegen Verfristung bereits unzulässig.
Der Bescheid sei am 20. Dezember 2019 bekanntgegeben worden. Die am 21. Januar 2020 bei Gericht erhobene Klage sei außerhalb der Monatsfrist eingegangen und damit unzulässig.
Der Bescheid sei aber auch rechtmäßig, da er sowohl formell als auch materiell keinen Bedenken begegne.
Der durch die Schule ermittelte Sachverhalt stelle sich als eine schulische Gefährdung dar. Die Antragstellerin habe die Aufgabenerfüllung der Schule durch schweres und wiederholtes Fehlverhalten beeinträchtigt.
Die Entlassung von der Schule sei auch verhältnismäßig. Gegen die Antragstellerin sei im Vorfeld eine Vielzahl von Ordnungsmaßnahmen ausgesprochen worden. Mit Bescheid vom 13. Juni 2019 habe sie bereits die Androhung der Entlassung erhalten. Eine mildere Ordnungsmaßnahme sei daher nicht mehr in Betracht gekommen, da sich trotz der vielfachen schulischen Bemühungen das Verhalten der Antragstellerin nicht dauerhaft gebessert habe. Schwer wiege insbesondere, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit bereits mehrfach durch verbale und (schwere) körperliche Gewalt gegenüber den Mitgliedern der Schulfamilie in Erscheinung getreten sei.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig.
Streitgegenständlich im vorliegenden Verfahren ist der Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Dezember 2019 betreffend die Entlassung von der Schule gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 10 BayEUG.
Der Bescheid der Schule über die angeordnete Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule gemäß Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 BayEUG ist bereits bestandskräftig.
Ausweislich der Empfangsbestätigung der Mutter der Antragstellerin auf dem „Zustellnachweis für Einschreiben/Nachnahme“ (Bl. 56 der Behördenakte) hat diese den Entlassungsbescheid am 20. Dezember 2019 persönlich erhalten. Der Bescheid enthielt auch eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:.
Die Klagefrist des § 74 VwGO endete somit mit Ablauf des 20. Januar 2020.
Die am Dienstag, dem 21. Januar 2020 erhobene Klage ist damit verfristet und somit unzulässig.
Damit fehlt es an einer zulässigen Klage, deren aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte.
2. Der Antrag wäre aber darüber hinaus auch unbegründet.
Für die vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende eigene Ermessensentscheidung kommt es auf eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung mit den privaten Interessen der Antragstellerin an. In erster Linie fallen dabei die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in einem eventuellen Hauptsacheverfahren, wie sie augenblicklich beurteilt werden können, ins Gewicht. Ist die Erfolgsaussicht mit genügender Eindeutigkeit zu verneinen, ist der Antrag grundsätzlich abzulehnen; ist sie offensichtlich zu bejahen, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel wiederherzustellen. Im Übrigen kommt es auch darauf an, wie schwer die angegriffene Maßnahme durch ihren Sofortvollzug in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, ob und unter welchen Erschwernissen sie wieder rückgängig zu machen ist und wie dringlich demgegenüber das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des angegriffenen Verwaltungsakts zu bewerten ist (vgl. BayVGH, B. v. 7.4.1995, 7 CS 95.1163 – m.w.N.).
Von diesen Grundsätzen ausgehend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entlassung die privaten Interessen der Antragstellerin, da sich die Ordnungsmaßnahme nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist.
Die Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule, die ihre Rechtsgrundlage in Art. 86 Abs. 2 Nr. 10 BayEUG findet, darf nur bei schulischer Gefährdung verhängt werden, d.h. bei Gefährdung von Rechten Dritter oder der Aufgabenerfüllung der Schule durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten (vgl. Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG).
Im Hinblick darauf, dass die Entlassung die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme darstellt, die die Schule selbst verhängen kann, hat sich die Entscheidung, ob diese oder eine weniger einschneidende Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wird, daran zu orientieren, ob ein Verbleiben des Schülers an der Schule im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags oder wegen des Schutzes Dritter nicht mehr hingenommen werden kann und dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. Diese Beurteilung entzieht sich einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt sachnotwendig einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren pädagogischen Wertungsspielraum. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Entlassung erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Entlassung gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob sie ihre Entscheidungen auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.1993 – 7 CS 93.1736 -, BayVBl 1994, 346).
Für die Wahl der Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (vgl. BayVGH v. 2.9.1993 a.a.O.). Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als eine pädagogische Ermessensentscheidung. Hierbei hat die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss als deren Unterausschuss darauf zu achten, dass die Ordnungsmaßnahme der Entlassung zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht.
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme bei der im vorliegenden Verfahren ausreichenden summarischen Überprüfung als rechtmäßig.
Durchgreifende formelle Fehler im Rahmen des Entlassungsverfahrens sind nicht ersichtlich. Gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 88 Abs. 1 Nr. 3 BayEUG fiel die Entscheidung in die Zuständigkeit des – insoweit die Aufgaben der Lehrerkonferenz wahrnehmenden – Disziplinarausschusses der Schule. Den vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass er – wie vorgeschrieben – gemäß § 7 Abs. 5 der Bayerischen Schulordnung (BaySchO) vom 1. Juli 2016 (GVBl S. 164, ber. S. 241) mit der vollen Zahl seiner neun Mitglieder entschieden und mit 9 Stimmen die Entlassung beschlossen hat.
Die Antragstellerin und die allein sorgeberechtigte Mutter wurden auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahmen beteiligt. Ihnen wurde vor Erlass des Bescheids mit Schreiben vom 10. Dezember 2019 Gelegenheit zur persönlichen Äußerung bezüglich des vorgeworfenen Fehlverhaltens gegeben, außerdem wurden die Antragstellerin und ihre Mutter vor dem Disziplinarausschuss persönlich angehört (Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayEUG). Zudem wurden sie auf die ihnen gemäß Art. 88 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 BayEUG eröffnete Möglichkeit, eine Lehrkraft ihres Vertrauens einzuschalten, sowie den Elternbeirat beizuziehen, hingewiesen. Dass die Beteiligung des Schulpsychologen gemäß Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BayEUG im vorliegenden Fall als nicht erforderlich angesehen wurde, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu treffen.
Auch in materieller Hinsicht ist die Entscheidung des Disziplinarausschusses voraussichtlich rechtmäßig.
Das der Antragstellerin vorgeworfene Verhalten stellt ein schweres Fehlverhalten dar.
Die Antragstellerin hat durch das ihr vorgeworfene Verhalten die Rechte eines Mitschülers erheblich verletzt und die Aufgabenerfüllung der Schule gefährdet.
Die Antragstellerin hat das ihr vorgeworfene Verhalten im Wesentlichen zugegeben.
Zum anderen hat die Antragsteller auch die Gesundheit des betroffenen Mitschülers erheblich verletzt. Eine dermaßen schwerwiegende Misshandlung eines Mitschülers lässt sich selbst durch eine vorausgegangene beleidigende Äußerung dieses Mitschülers nicht mehr rechtfertigen.
Auch durfte die Schule berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin bisherige Ordnungsmaßnahmen in erheblicher Anzahl einschließlich der im vorangegangenen Schuljahr verhängten Androhung der Entlassung nicht zur Warnung dienen ließ und ihr Verhalten seitdem nicht geändert hat.
An die Reihenfolge der Ordnungsmaßnahmen des Art. 86 Abs. 2 BayEUG besteht keine Bindung. Es liegt im pädagogischen Ermessen der Schule, eine geeignete und angemessene Ordnungsmaßnahme zu verhängen. Im vorliegenden Fall ist die getroffene Ordnungsmaßnahme angesichts der dargestellten Gründe geeignet und auch verhältnismäßig.
Die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in der Hauptsache wären also selbst bei Einhaltung der Klagefrist für den Fall eines etwa erfolgreichen Antrags auf Wiedereinsetzung auch in materieller Hinsicht aus den dargestellten Gründen als gering anzusehen.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war deshalb abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters des Verfahrens auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben