Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens, Epilepsie, Entschließungsermessen

Aktenzeichen  11 ZB 22.640

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16890
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, 46 Abs. 1 S. 1
FeV Nr. 6.6 Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 6 K 21.880 2022-01-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner am 19. Dezember 1989 bzw. 16. April 1991 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1 (79.03, 79.04), A (79.03, 79.04), B, BE, C1, C1E und L.
Mit Schreiben vom 18. März 2020 teilte die Stadt N. an der Donau dem Landratsamt … mit, dass der Kläger aufgrund seines ungeklärten gesundheitlichen Zustands bis zur abschließenden Klärung durch die Betriebsärztin ein Fahrverbot für alle städtischen Fahrzeuge erhalten habe.
Auf Anforderung legte der Kläger dem Landratsamt am 15. April 2020 ein ärztliches Attest seines Hausarztes Dr. Z. vom 3. April 2020 hervor, wonach er seit Jahren an einem zerebralen Anfallsleiden im Sinne einer Epilepsie leidet. Die Laborwerte sprächen dafür, dass er seine Medikation regelmäßig einnehme. Aus dem neurologischen Befund ergebe sich kein Hinweis auf ein akutes Ereignis. Das EEG sei gut gewesen. Aufgrund des Ereignisses Ende 2019 habe der Kläger ein Fahrverbot für ein halbes Jahr erhalten. Anschließend sei eine weitere Vorstellung beim Neurologen geplant. Nach dem beigefügten Arztbrief des Neurologen Dr. B. vom 2. April 2020 ist eine fokal beginnende, sekundäre generalisierende Epilepsie diagnostiziert. Der letzte Anfall habe sich am 20. Dezember 2019 ereignet. Unter der Prämisse, dass die Schwester die regelmäßige Medikamenteneinnahme und die richtige Dosierung sicherstellen könne, und unter der Annahme, dass eine unregelmäßige Medikamenteneinnahme den Anfall verursacht habe, sei eine Begrenzung der Fahrnichteignung auf sechs Monate möglich. Die Wiedervorstellung in ca. sechs Monaten mit Elektroenzephalogramm (EEG) sei obligatorisch zur Aufhebung des Fahrverbots.
Mit Schreiben vom 16. April 2020 forderte das Landratsamt den Kläger auf, bis 30. Juli 2020 ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder alternativ eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zu den Fragen beizubringen, ob er den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 vollständig gerecht werden könne, ob eine ausreichende Compliance, u.a. kein Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inklusive Alkohol und eine regelmäßig überwachte Medikamenteneinnahme, vorliege und ob Beschränkungen und/oder Auflagen sowie ob und ggf. in welchen Abständen Nachuntersuchungen erforderlich seien. Die Fahrerlaubnisbehörde habe hier zwischen den persönlichen Belangen des Klägers und dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit abzuwägen. Aufgrund der festgestellten, nach Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung beeinträchtigenden Epilepsie, mit der jeweils eine entsprechende Medikation einhergehe, verstärkten sich die Fahreignungszweifel so erheblich, dass das der Fahrerlaubnisbehörde in § 11 Abs. 2 FeV eingeräumte Ermessen auf Null reduziert sei.
Die mit Schreiben vom 16. Juni 2020 an die vom Kläger ausgewählte Begutachtungsstelle für Fahreignung übersandte Akte wurde am 6. August 2020 an das Landratsamt zurückgesandt, ohne dass der Kläger in der Folge ein Gutachten vorlegte. Mit Schreiben vom 30. Juli 2020 beantragte sein Bevollmächtigter eine Verlängerung der Beibringungsfrist um zwei Monate, die stillschweigend gewährt wurde.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Kläger seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 vortragen, nach Aktenlage sei nicht in Erwägung gezogen worden, dass die Fahreignung nach Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV gegeben sei, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr bestehe, und dass Nachuntersuchungen angeordnet werden könnten. Die Gutachtensanordnung sei auch nicht hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich. Dies gelte insbesondere für Punkt 2 der Fragestellung, nachdem sich der Akte keine Anhaltspunkte für einen „Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inklusive Alkohol“ entnehmen ließen.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2021 entzog das Landratsamt dem Kläger gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis der Klassen AM, BE und C1E einschließlich Unterklassen und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Abgabe seines Führerscheins innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids auf. Am 3. Februar 2021 gab der Kläger seinen Führerschein beim Landratsamt ab.
Am 19. Februar 2021 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, was das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. August 2021 (M 6 S 21.1539) ablehnte. Ein Beschwerdeverfahren (11 CS 21.2318) hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Mit Urteil vom 25. Januar 2022 wies das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf seinen Beschluss und den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Klage ab. Im Klageverfahren sei in der Sache oder rechtlich nichts wesentlich Neues vorgetragen worden. Das Gericht hielt insbesondere daran fest, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung ausreichend Tatsachen vorgelegen hätten, um Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers zu begründen, und führte dies noch näher aus.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung und besondere tatsächliche Schwierigkeiten geltend und trägt zur Begründung vor, mit einer Bezugnahme auf die in der Sache im Eilverfahren ergangenen Entscheidungen könne die Klage nicht als unbegründet abgewiesen werden. Im Urteil selbst werde der Sachverhalt nicht unter die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV subsumiert. Unzutreffend gehe das Verwaltungsgericht davon aus, die Fahrerlaubnisbehörde habe das ihr durch § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV eingeräumte Ermessen wegen einer Ermessensreduzierung auf Null nur im Sinne der Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens ausüben können. Eine Ermessensausübung sei im Bescheid nicht erfolgt. Es werde lediglich erwähnt, dass das eingeräumte Ermessen auf Null reduziert gewesen sei, ohne dass sich dies der Begründung der Gutachtensaufforderung entnehmen lasse. Dementsprechend hätte der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen über die Beibringungsanordnung entscheiden müssen. Werde unzutreffend eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen, liege jedenfalls ein Ermessensnichtgebrauch und damit ein Ermessensausfall vor. Dies entspreche der im Senatsbeschluss vom 17. November 2021 zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15). Dementsprechend seien Mängel im Rahmen der Ermessensausübung, wenn im Aufforderungsschreiben jegliche Darlegungen dazu fehlten, weshalb das bestehende Ermessen in die eine oder andere Richtung ausgeübt worden sei, jedenfalls ein erheblicher Ermessensfehler. Ein solcher liege nur dann nicht vor, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen wäre, dass die Aufforderungsanordnung anders aufgefallen wäre. Dies sei auch der Fall, wenn etwaige Eignungszweifel wie vorliegend möglicherweise durch andere geeignete Beweismittel hätten ausgeräumt werden können. Der Akte lasse sich nicht entnehmen, dass dies überhaupt in Erwägung gezogen worden sei. Mithin habe vorliegend mit der Gutachtensanforderung keine gebundene Entscheidung vorgelegen. Vielmehr hätte jedenfalls eine Nachuntersuchung, beispielsweise beim behandelnden Neurologen, angeordnet werden können, um zu klären, ob nach Ablauf der neurologisch für unabdingbar gehaltenen sechs Monate Anfallsfreiheit die Fahreignung wieder bestanden habe oder für längere Zeit entfallen gewesen sei. Dies sei nicht erfüllt und hätte zu dem Ergebnis führen müssen, dass die Gutachtensanforderung jedenfalls materiell nicht rechtmäßig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht gehe auch unzutreffend davon aus, dass die Fragestellung anlassbezogen und verhältnismäßig gewesen sei. Wenn es eine Abklärung für angezeigt halte, ob „eine wie auch immer geartete fehlerhafte oder unwirksame Medikamenteneinnahme“ vorliege, hätte auch die Fragestellung so erfolgen müssen. Nicht aber hätte es davon ausgehen dürfen, dass eine nicht geklärte Ursache des letzten Anfalls und mögliche Wechselwirkung zwischen Alkohol und der Medikation bzw. der Epilepsie vorliegen könnten. Eine derartige Ausforschung sei unzulässig. Die Rechtssache weise auch besondere tatsächliche Schwierigkeiten auf. Soweit das Verwaltungsgericht mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof davon ausgehe, die behördliche Annahme, dass eine Beibringungsanordnung die einzig richtige Entscheidung sei, sei nicht zu beanstanden, werde in tatsächlicher Hinsicht nicht dargelegt, worauf sich diese Erkenntnis stütze. Denn aus der Akte und dem Arztbrief das Neurologen vom 2. April 2020 ergebe sich, dass die „Fahrnichteignung“ unter der Voraussetzung, die Schwester des Klägers stelle die regelmäßige Medikamenteneinnahme und richtige Dosierung sicher, und unter der Annahme, dass eine unregelmäßige Medikamenteneinnahme den Anfall verursacht habe, auf sechs Monate begrenzt werden könne. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses sei jedenfalls nach den dortigen Ausführungen gerade nicht davon auszugehen, dass der Kläger nicht wieder fahrgeeignet gewesen wäre. Wenn im Zeitpunkt des Bescheiderlasses nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werde, zugleich aber aufgrund des Arztbriefes der Zeitraum der dort ausgesprochenen Begrenzung der Nichteignung von sechs Monaten abgelaufen sei, wäre jedenfalls eine tatsächliche Feststellung, die besonderer Sachkunde bedürfe, über den Neurologen notwendig gewesen, sodass nicht einfach zulasten des Klägers davon hätte ausgegangen werden dürfen, dass er nach den sechs Monaten Anfallsfreiheit noch fahrungeeignet gewesen sei. Wäre dies entsprechend festgestellt worden, wäre ein Schluss auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht möglich gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO; BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI 04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 54), nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. nicht vorliegen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich jedenfalls nicht schon daraus, dass das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung auf die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlüsse Bezug genommen hat. Mit dieser Kritik hätte allenfalls ein Verfahrensfehler gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO begründet werden können, der aber offensichtlich nicht vorliegt. Denn Bezugnahmen auf den Beteiligten bekannte Entscheidungen oder sonstige Schriftstücke, insbesondere auf einen zwischen denselben Beteiligten ergangenen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, sind ohne weiteres zulässig (vgl. BVerwG, B.v. 30.1.2020 – 8 B 36.19 – ZOV 2020, 69 = juris Rn. 7; B.v. 1.6.2016 – 3 B 67.15 – BayVBl 2016, 826 = juris Rn. 17; Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn. 58).
Soweit der Kläger die Anlassbezogenheit der Beibringungsanordnung vom 16. April 2020 und einen Ermessensausfall bei ihrem Erlass rügt, wird auf die Ausführungen des Senats im Beschwerdebeschluss vom 17. November 2021 (Rn. 15 f., 21) Bezug genommen, die mit dem Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt worden sind. Der Fahrerlaubnisbehörde war im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsanordnung am 16. April 2020 bekannt, dass der Kläger – fachärztlich bestätigt – seit Jahren an einer Epilepsie litt, zuletzt am 20. Dezember 2019 einen epileptischen Anfall erlitten hatte, Medikamente gegen die Erkrankung benötigte und die Ursache seines letzten Anfalls ungeklärt war. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Kläger allenfalls knapp vier Monate anfallsfrei gewesen sein. Das Landratsamt musste sowohl nach der Einschätzung der Ärzte des Klägers, die (unter bestimmten weiteren, nicht nachgewiesenen Voraussetzungen) ein halbes Jahr der Anfallsfreiheit für ausreichend hielten, wie auch nach den Vorgaben des Verordnungsgebers (Nr. 6.6 der Anlage 4 zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13.12.2010 [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch die zum Teil am 1.1.2021 in Kraft getretene Verordnung vom 11.3.2019 [BGBl I S. 218]) bei Erlass der Beibringungsanordnung davon ausgehen, dass ihm jedenfalls bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem letzten epileptischen Anfall am 20. Dezember 2019 die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 und für Fahrzeuge der Gruppe 2 noch lange fehlen würde, sofern zusätzlich eine Medikation nicht mehr notwendig sein würde. Im Hinblick darauf und auf die Gefahren, die von einem ungeeigneten Kraftfahrer für hochrangige Rechtsgüter (Leben und Gesundheit) Dritter sowie des Klägers selbst konnte es nicht von einer fachärztlichen Aufklärung absehen, ob die Fahreignung (eventuell für Fahrzeuge der Gruppe 1) ggf. nach Ablauf der von dem untersuchenden Neurologen für unabdingbar gehaltenen sechs Monate Anfallsfreiheit wieder gegeben oder für längere Zeit entfallen sein würde.
Nachdem das Landratsamt dem Kläger die Gelegenheit gegeben hatte, zu seinem Gesundheitszustand (fach-)ärztliche Atteste vorzulegen, diese die Bedenken gegen seine Fahreignung aber nicht ausgeräumt haben, vielmehr die Fahreignung aufgrund des jüngst erlittenen Anfalls nach Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV fehlte, war es nicht verpflichtet, weiter zuzuwarten und dem Kläger aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzugeben, die Eignungsbedenken durch andere Beweismittel als die in § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV vorgesehene ärztliche Begutachtung auszuräumen. Zwar kann der Fahrerlaubnisinhaber Eignungszweifel bei medizinischen Fragen unter Umständen durch andere geeignete Beweismittel ausräumen. Das setzt allerdings voraus – was hier gerade nicht der Fall war -, dass keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben, weil aus den hierzu vorgelegten Unterlagen eindeutig auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar hervorgeht, dass die ursprünglichen Bedenken unbegründet sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – ZfSch 2020, 295 = juris Rn. 12 m.w.N.). Weder war seit dem letzten Anfall am 20. Dezember 2019 ausreichend anfallsfreie Zeit verstrichen, noch waren die Voraussetzungen nachgewiesen, unter denen der Neurologe ein halbes Jahr der Anfallsfreiheit für ausreichend erachtet hat. Die Ursache des Anfalls war nach dem ärztlichen Zeugnis ungeklärt.
Entgegen dem klägerischen Vortrag (zu § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) kommt es für die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids nicht darauf an, ob der Fahrerlaubnisinhaber im Zeitpunkt des Bescheiderlasses, hier am 27. Januar 2021, seine Fahreignung möglicherweise wiedererlangt hatte, sondern darauf, ob er ein formell und materiell rechtmäßig angeordnetes ärztliches Gutachten aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht fristgerecht beigebracht hat (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ist dies der Fall, darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung schließen, ohne dass sie diese nachzuweisen hat. Dies ist auch sachlich gerechtfertigt, weil der betroffene Fahrerlaubnisinhaber im Rahmen der Begutachtung die Gelegenheit gehabt hätte, seine Fahreignung nachzuweisen, und es zu seinen Lasten gehen muss, wenn er dabei nicht (hinreichend) mitwirkt.
Soweit der Kläger erneut die zweite Fragestellung kritisiert, ist zunächst auf die Ausführungen im Beschwerdebeschluss (Rn. 18) zu verweisen, die er mit seinem Vorbringen ebenfalls nicht in Frage gestellt hat. Mit der Frage nach einer ausreichenden Compliance, d.h. der Therapietreue oder dem Befolgen ärztlicher Anweisungen durch den Kläger, wozu auch die regel- und vorschriftsmäßige Medikamenteneinnahme zählt, hat die Fahrerlaubnisbehörde, anders als er behauptet, durchaus nach einer etwa fehlerhaften oder unwirksamen Medikamenteneinnahme gefragt. In dem Klammerzusatz zu der Frage werden lediglich zwei Beispiele (“u.a.“) für eine fehlende Compliance zur Erläuterung aufgezeigt, worauf der Gutachter u.a. ein Augenmerk legen sollte. Daraus ist nicht abzuleiten, dass die Behörde eines dieser Beispiele für beim Kläger gegeben gehalten hat. Auch das Gericht hat dies nicht getan, sondern lediglich zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Abklärung der unbekannten Ursache des Anfalls vom 20. Dezember 2019, die nach dem neurologischen Attest vom 2. April 2020 mutmaßlich eine fehlerhafte oder unwirksame Medikamenteneinnahme sei, angezeigt gewesen sei. Ferner beinhaltet die zweite Fragestellung – vom Sachverhalt ebenfalls veranlasst – die Überwachung der Medikamenteneinnahme.
Entgegen der Darstellung im Zulassungsantrag ist der Beibringungsanordnung vom 16. April 2020 sehr wohl zu entnehmen, dass die Fahrerlaubnisbehörde von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen ist (vgl. erster Absatz auf Seite 2). Aufgrunddessen geht die Annahme des Klägers fehl, die Fahrerlaubnisbehörde habe in der Beibringungsanordnung Ermessenserwägungen anstellen müssen. Bei einer Ermessensreduzierung auf Null erübrigen sich Ermessenserwägungen. Wie der Senat im Beschwerdebeschluss (Rn. 22) dargelegt hat, liegt bei einer Ermessensreduzierung auf Null auch dann kein Ermessensfehler vor, wenn die Behörde – anders als hier – das Vorliegen einer Ermessensnorm zwar übersehen hätte, aber die einzig rechtlich zulässige Rechtsfolge gewählt hat. Auch in diesem Fall besteht kein Anlass mehr für Ermessenserwägungen (Rennert in Eyermann, VwGO, § 114 Rn. 32; BVerwG, B.v. 3.10.1988 – 1 B 114.88 – Buchholz 316 § 40 VwVfG Nr. 8; vgl. auch U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 39). Ausschlaggebend ist dann allein die objektive Rechtmäßigkeit (und die Erfüllung der formellen Begründungspflicht des § 39 VwVfG), das Erfordernis der materiellen Begründungspflicht tritt zurück (Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 136).
Fehl geht auch die Annahme des Klägers, die Behörde habe auch beim Erlass des Entziehungsbescheids Ermessens ausüben müssen. Denn bei der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV handelt es sich um eine gebundene Entscheidung (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2022 – 11 CS 22.927 – juris Rn. 30; B.v. 4.12.2012 – 11 CS 12.2192 – juris Rn. 18; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 51 jeweils m.w.N.).
2. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die sich aus einem besonders unübersichtlichen und/oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 33 ff.) oder aus substantiierten Einwendungen gegen die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts ergeben können (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 124 Rn. 28e), hat der Kläger schon nicht hinreichend dargelegt.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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