Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 1 K 17.30198

Datum:
7.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9408
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, nach einer Rückkehr nach Afghanistan zwangsweise von den Taliban rekrutiert oder nach einer Verweigerung derselben bestraft zu werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, jedoch unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 11. Januar 2017 ist – soweit er noch Gegenstand dieser Klage ist – einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt der Begründung des Bundesamts in dem angegriffenen Bescheid vom 11. Januar 2017, § 77 Abs. 2 AsylG. Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Dies zugrunde gelegt hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG.
Der Kläger hat im Kern vorgetragen, die Taliban hätten ihn entführt und in einer Koranschule an Waffen und mit einem Sprengstoffgürtel für ihre Zwecke ausgebildet. Von dort habe er entkommen können und sei sodann von den Taliban gesucht worden. Einer erneuten Zwangsrekrutierung habe er sich durch Flucht aus dem Heimatland entzogen.
1. Die Erkenntnismittellage zu Zwangsrekrutierungen durch die Taliban stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt hierzu aus, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden nicht auszuschließen seien. Konkrete Fälle kämen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (Lagebericht vom 19.10.2016, S. 12).
Der UNHCR erläutert im fraglichen Zusammenhang, dass in Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen die Kontrolle über die Bevölkerung ausübten, eine Vielzahl von Mechanismen bestehe, um Kämpfer zu rekrutieren, einschließlich durch Zwangsmaßnahmen. Es gebe Berichte, dass regierungsfeindliche Gruppen weiterhin auch Kinder, sowohl Jungen als auch Mädchen, für ihre Zwecke rekrutierten. Daher könnten Männer im kampffähigen Alter oder Kinder, die sich einer zwangsweisen Rekrutierung widersetzt hätten, des internationalen Flüchtlingsschutzes aufgrund deren (unterstellter) politischer Meinung oder aus anderen relevanten Gründen bedürfen. (UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 44 ff.).
Das Bundesasylamt der Republik Österreich hat in seiner Staatendokumentation vom 2. April 2012 zu Afghanistan betreffend die Rekrutierung durch die Taliban ausgeführt, es gebe eine Vielzahl von Gründen, warum sich in Afghanistan Menschen den Taliban anschließen. Ein wesentlicher Faktor seien Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Ausbildung. So werde die Beteiligung am Aufstand als Möglichkeit gesehen, sich und die eigene Familie zu versorgen. Bis zu 70% der Taliban sollen aus jungen arbeitslosen Männern bestehen, die versuchten, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Vor allem Flüchtlingslager in Afghanistan und Pakistan und die dortigen schlechten Lebensumstände schienen die Rekrutierung zu begünstigen. Ein weiterer Grund, sich den Taliban anzuschließen, könne auch in der persönlichen Rache für die Tötung von Angehörigen liegen. Außerdem gelinge es den Taliban immer wieder geschickt, lokale Konflikte auszunutzen, um neue Verbündete zu finden. Vor diesem Hintergrund einer Vielzahl ökonomischer, machtpolitischer und ideologischer Beweggründe, sich den Taliban anzuschließen, basiere die tatsächliche Rekrutierung jedoch im Wesentlichen auf den persönlichen Kontakten zu lokalen Kommandanten und Mullahs bzw. es würden Personen in Koran-Schulen angeworben und indoktriniert. Eine Facette der Politik der Taliban gegenüber der Bevölkerung liege in der Vermeidung lokaler Konflikte. So suchten die Taliban die Unterstützung der Dorfältesten, bevor sie in ein Gebiet eindringen würden. Seit ihrem Sturz versuchten die Taliban, alle zu rekrutieren, die ihre Herrschaft in den 1990er Jahren unterstützt und mit der Vertreibung der Taliban im Jahr 2001 an Einfluss verloren hätten. In einigen Fällen seien das auch Nicht-Paschtunen. Grundsätzlich scheine die Zwangsrekrutierung im Sinne einer Rekrutierung durch Waffengewalt eher ein Randphänomen zu sein. Es müsse jedoch festgehalten werden, dass die allgemeine Quellenlage über Rekrutierung durch die Taliban rar sei. Auffällig sei, dass die Fälle von Zwangsrekrutierung mit Waffengewalt sich nach den vorliegenden Quellen ausschließlich in Pakistan zugetragen hätten. Es gebe keine Berichte über konkrete Fälle aus jüngerer Zeit. Die Mehrheit der Kämpfer scheine sich freiwillig den aufständischen Gruppen anzuschließen. Gehe man davon aus, dass die Taliban in einem nicht geringen Ausmaß auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung beim Kampf gegen die Regierung und die internationalen Gruppen angewiesen seien und die Zuverlässigkeit von zwangsrekrutierten Kämpfern sehr zweifelhaft sei, sei eine Politik der Zwangsrekrutierung auch kontraproduktiv. Dies würde die eigene Schlagkraft schwächen und den Widerstand der Bevölkerung provozieren. Dieser Befund decke sich auch mit der Feststellung, dass die Taliban bemüht seien, Konflikte mit der lokalen Bevölkerung weitestgehend zu vermeiden, indem sie die lokalen Würdenträger vor dem Beginn ihrer Aktivitäten in einem bestimmten Gebiet in Kenntnis setzten und ihre Zustimmung einholten. Wenn überhaupt, gehe man davon aus, dass es nur in von Taliban kontrollierten Gemeinschaften zu Zwangsrekrutierungen gekommen sein könne.
Das European Asylum Support Office stellt in seinem Herkunftsländer-Report zu Afghanistan „Taliban Strategies – Recruitment“ vom Juli 2012 u.a. dar, die Basis für die Rekrutierung durch die Taliban stelle die lokale Zelle dar. Dies könne eine Koran Schule, ein Mullah, ein örtlicher Kommandant oder ein Stammesältester sein. Die Taliban versuchten, besser ausgebildete Menschen von den Schulen und Universitäten in den großen Städten zu rekrutieren, um die Kommunikation sowie das technische und medizinische Know How der Organisation weiterzuentwickeln. Zwangsrekrutierungen hätten in der Vergangenheit in Afghanistan stattgefunden. Quellen aus den Jahren 2010 bis 2012 erwähnten, dass Zwangsrekrutierungen in der Provinz Helmand stattgefunden hätten, ebenso in Marjah sowie in Camps, in denen sich Binnenvertriebene aufhielten. Berichte über Ängste vor Vergeltung wegen verweigerter Rekrutierung gebe es aus Kunduz, Kunar und Gebieten in Pakistan. Zwei Quellen erwähnten den Gebrauch von Zwang und Einschüchterung zum Zwecke der Rekrutierung in der Provinz Uruzgan. Andere Quellen berichteten explizit, dass Gewalt und Zwang in ihren Provinzen nicht für Rekrutierungsmaßnahmen angewendet worden seien, nämlich in Ghazni, Herat und Logar. Quellen, die die generelle Situation in Afghanistan diskutierten, würden feststellen, dass Zwang beim Rekrutierungsprozess selten sei. Vorkommen könne dies in Flüchtlingscamps und Gebieten unter dem starken Einfluss der Taliban. Einige Quellen erwähnten Argumente, die gegen Zwangsrekrutierungen sprächen. So würde diese die Bevölkerung verstimmen, zum anderen bestehe hierfür auch keine Notwendigkeit, da die Taliban auf ausreichend Freiwillige zurückgreifen könnten. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban als außergewöhnlich anzusehen seien. Eine Vielzahl glaubwürdiger Quellen stelle dies explizit heraus und gebe plausible Argumente für diese Einschätzung.
Auch im EASO-Bericht vom September 2016 (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Recruitment by armed groups, September 2016, S. 22) wird bestätigt, dass Fälle von Zwangsrekrutierungen in Afghanistan als außergewöhnlich zu bezeichnen sind.
Dr. M. D. führt in seinem Gutachten vom 30. April 2013 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu der Frage, ob in den letzten Jahren in Afghanistan Fälle von Rückkehrern aus dem Ausland oder von Binnenflüchtlingen bekannt geworden seien, die in der Stadt Kabul von den Taliban aufgespürt und getötet oder bestraft worden seien, weil sie sich durch Flucht einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, und wenn ja, wie häufig dies vorkomme, aus, ihm seien drei Personen bekannt geworden, die hätten zwangsrekrutiert werden sollen und nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan erneut von den Taliban behelligt worden und daraufhin ein weiteres Mal geflohen seien. Des Weiteren berichtet er über zwei weitere Fälle von Binnenflüchtlingen, die aus ihrer Heimatregion geflohen und in der Hauptstadt Kabul von den Taliban wiederum bedroht worden seien. Es gebe keine Statistik über solche Fälle, aber Informanten berichteten, dass es häufig zu Fällen komme, in denen junge Männer getötet würden und Gerüchte wollten wissen, dass es sich um Racheakte der Taliban handele. Konkret könne er die Frage nach der Häufigkeit solcher Racheaktionen nicht beantworten. Zur weiteren Frage, ob die Taliban in Kabul über Netzwerke verfügten, mittels derer sie gezielt Nachforschungen anstellten, ob sich unter Rückkehrern und Binnenflüchtlingen Personen befinden, die sich in ihrer Heimatregion einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, erklärt Herr Dr. D., konkret könne er diese Frage nicht beantworten, seine Informanten hätten bei ihren Recherchen nicht feststellen können, ob innerhalb der Informationszentren der Taliban Strukturen existierten, die dazu dienten, nach solchen Personen zu suchen. Seine Kollegen seien jedoch der Überzeugung, dass die Taliban selbst in der Hauptstadt zwangsrekrutierten. Ob die Taliban in den genannten Fällen, in denen sie abgeschobene Personen ein zweites Mal zu rekrutieren versuchten, gezielt nach ihnen gesucht hätten, könne er nicht beantworten. Er müsse davon ausgehen, dass die Taliban mindestens in der Lage seien, viele der Personen, die eine Zwangsrekrutierung abgelehnt hätten, zu finden. Auf die weitere Frage, ob Rückkehrer und Binnenflüchtlinge, die sich einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, einer erhöhten Gefahr ausgesetzt seien, in Kabul von den Taliban entdeckt zu werden, wenn sie aus einer Region im näheren Umkreis von Kabul stammten, führt Dr. D. aus, dass es vor allem darauf ankomme, ob sie einem paschtunischen Stamm angehörten, aus dem viele Taliban kämen. Dann sei eine solche Person in Kabul leichter zu identifizieren als jemand, der aus einem nicht-paschtunischen Volk stamme.
2. Dies zugrunde gelegt besteht nach Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchten müsste, durch die Taliban zwangsrekrutiert oder im Falle der Ablehnung einer Zusammenarbeit bestraft oder gar getötet zu werden. Der Erkenntnismittellage lässt sich nämlich insoweit zusammenfassend entnehmen, dass derartige Vorkommnisse zwar nicht auszuschließen sind, dass es sich jedoch bei Zwangsrekrutierungen um seltene Fälle handelt, da sich die Menschen in aller Regel freiwillig den Taliban anschließen, wobei insbesondere finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dies scheint aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan und der hohen Arbeitslosigkeit auch zwanglos nachvollziehbar. Die Taliban sind also in der Lage, auf einen sehr großen Pool an freiwilligen Kämpfern und Unterstützern zurückzugreifen. Auch die Tatsache, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die Taliban unverzichtbar ist, stützt die Annahme, dass es sich bei zwangsweisen Rekrutierungen allenfalls um ein Randphänomen in Afghanistan handelt. Schließlich ist auch für die Taliban vorhersehbar, dass zwangsweise rekrutierte Menschen allenfalls eine eingeschränkte Motivation und Zuverlässigkeit bieten und daher für die eigenen Zwecke wenig zielführend sind. Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Darstellung des Dr. D. erschüttert. Er berichtet in seinem Gutachten von insgesamt fünf konkreten Personen, die nach einem erfolglosen Zwangsrekrutierungsversuch durch die Taliban erneut von diesen behelligt worden seien, sich dann aber erneut durch Flucht entzogen hätten. Dass derartige Fälle im Einzelfall vorkommen, ergibt sich jedoch bereits aus den anderen ausgewerteten Erkenntnismitteln. Die darüber hinausgehenden Aussagen des Dr. D. sind jedoch ausgesprochen vage und geben teilweise nur Gerüchte wieder. Sie beruhen nach Auffassung des Gerichts nicht auf einer gesicherten Tatsachengrundlage und lassen keinen tragfähigen Erkenntnisgewinn über die anderweitigen Erkenntnismittel hinaus zu. Auch ist der Umstand, dass sich aus sämtlichen Erkenntnismitteln keine eingehenden konkreten Informationen zu Zwangsrekrutierungen entnehmen lassen, als starkes Indiz dafür zu werten, dass es sich bei derartigen Vorfällen tatsächlich nur um eine Randerscheinung handelt. Das verbleibende Restrisiko, nach einer Rückkehr nach Afghanistan zwangsweise von den Taliban rekrutiert oder nach einer Verweigerung derselben bestraft zu werden, ist nach alledem als gering einzustufen, jedenfalls besteht nach Überzeugung des Gerichts nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit hierfür.
3. Eine abweichende Risikobewertung für den Kläger ergibt sich auch nicht aus dem von ihm geschilderten Vorfluchtereignis, so dass diesem auch nicht die Vermutungsregelung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zugutekommt. Das Vorbringen des Klägers ist nämlich insgesamt nicht glaubhaft. Die Ausführungen des Klägers, die seine Vorverfolgung in Afghanistan begründen sollen, sind in der Gesamtschau oberflächlich, vage und unsubstantiiert geblieben. Der Kläger hat insoweit vor dem Bundesamt lediglich eine fragmentarische Rahmengeschichte geschildert, die nicht den Eindruck erweckt, als dass es sich hierbei um tatsächliche Erlebnisse des Klägers handeln würde. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf den erkennenden Einzelrichter beim Vortrag seines Verfolgungsschicksals nicht den Eindruck gemacht, dass seine knappen diesbezüglichen Schilderungen über die erfolgte Zwangsrekrutierung durch die Taliban erlebnisbasiert gewesen sind. Gegen die Glaubhaftigkeit der klägerischen Ausführungen spricht nach Überzeugung des Gerichts auch, dass der Kläger vor Gericht seine angebliche Entführung durch die Taliban auf dem Schulweg und die zeitlich zuvor stattgefundene Aufforderung der Taliban in der örtlichen Moschee, Jugendliche für den Heiligen Krieg zur Verfügung zu stellen, gar nicht mehr erwähnt hat. Insoweit fehlt es an einem konsistenten Vortrag im Hinblick auf das Vorbringen vor dem Bundesamt und bei Gericht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung darüber berichtet hat, dass er bei den Taliban habe eine Sprengstoffweste anziehen müssen und man ihm in diesem Zusammenhang erläutert habe, dass Polizisten und Soldaten Ungläubige seien und man diese umbringen dürfe, so handelt es sich hierbei um einen erheblich gesteigerten Sachvortrag gegenüber dem Vorbringen beim Bundesamt, der den Kläger auch persönlich unglaubwürdig erscheinen lässt. Nachvollziehbare Gründe dafür, dass er von diesem markanten Erlebnis beim Bundesamt nichts berichtet hat, sind nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich hierbei um asyltaktisches Vorbringen, nachdem der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht erfolgreich war und er mit dem erweiterten Vortrag offensichtlich die Intensität seiner Verfolgung im Heimatland in besonderer Weise herausstellen möchte.
Wie bereits korrekt im Bundesamtsbescheid ausgeführt weist das Vorbringen des Klägers darüber hinaus hinsichtlich der zeitlichen Abläufe des vorgetragenen Verfolgungsschicksals erhebliche Widersprüche auf. Einmal berichtet der Kläger beim Bundesamt davon, dass zwischen dem Aufruf der Taliban nach dem Freitagsgebet in der Moschee und dem Verlassen des Heimatsdorfes acht Tage gelegen haben sollen, ein anderes Mal spricht er von einem Zeitraum von rund eineinhalb Monaten. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger darüber hinaus erklärt, dass sein Vater ihn, nachdem er habe aus der Koranschule entkommen können, direkt am nächsten Morgen nach Kabul und von dort außer Landes gebracht habe. Vor dem Bundesamt dagegen hat der Kläger auf Nachfrage erläutert, dass zwischen der Flucht von den Taliban und dem erneuten Erscheinen derselben im Heimatdorf eine Woche gelegen habe. Dann sei sein Vater mit ihm nach Kabul gegangen. Dies lässt sich ersichtlich zeitlich nicht miteinander in Einklang bringen. Schließlich war der Kläger auch nicht in der Lage, lebensnah und widerspruchsfrei zu erklären, wie er den Taliban hat entkommen können. Beim Bundesamt hat er diesbezüglich angegeben, dass die Taliban per Funk die Nachricht erhalten hätten, dass die Amerikaner kämen und die Schule besuchen würden. Die Taliban seien dann Richtung Berge gerannt und sie seien geflüchtet und nach Hause gelaufen. In der mündlichen Verhandlung dagegen erläuterte der Kläger in diesem Zusammenhang, dass die Taliban mittels Spionen mitbekommen hätten, dass amerikanische Soldaten im Tal unterhalb der Koranschule vorbeiziehen. Die Taliban hätten die jungen Männer dann wegbringen wollen; denn es sei wie ein Gefängnis gewesen. Der Kläger und ein Freund hätten die Gelegenheit dann genutzt zu entkommen. Es erscheint auch wenig realistisch, dass die Taliban die zwangsweise rekrutierten jungen Männer einerseits wie in einem Gefängnis gehalten haben sollen, während es dem Kläger dann andererseits offenbar möglich gewesen ist, seinen Entführern ohne weiteres zu entkommen; nicht einmal von einer Verfolgung des Klägers durch die Taliban war hierbei die Rede.
4. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert zudem auch daran, dass vorliegend keiner der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe einschlägig ist. Selbst wenn man entgegen obiger Ausführungen diesen Vortrag als glaubhaft unterstellen wollte, so ist nach Überzeugung des Gerichts anzunehmen, dass Personen, die zwangsrekrutiert werden sollen, keine bestimmte soziale Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG bilden, da diese bereits keine deutlich abgegrenzte Identität in Afghanistan besitzen und auch von der sie umgebenden Gesellschaft nicht als andersartig betrachtet werden. Darüber hinaus ist auch das Merkmal der politischen Überzeugung nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG vorliegend nicht einschlägig; dies gilt auch unter Berücksichtigung von Abs. 2 der genannten Vorschrift, wonach eine vom Verfolger unterstellte politische Überzeugung ausreichend ist. Die alleinige Nichtbeteiligung an einer Organisation, ohne dass hierfür die Beweggründe näher zutage getreten wären, kann noch nicht zu der Annahme einer dem Kläger von Seiten der Taliban zugeschriebenen politischen Überzeugung gegen diese Organisation führen. Eine gegenteilige Einschätzung ist der Erkenntnismittellage nicht zu entnehmen. Es ist vielmehr nichts dafür ersichtlich, dass die geltend gemachte Verfolgung gerade aus Gründen einer dem Kläger unterstellten politischen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung gegen die Taliban erfolgt, was Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wäre.
5. Unabhängig von vorstehenden Ausführungen bestünde jedoch für den Kläger in Afghanistan die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG in Kabul, wenn man – entgegen obiger Ausführungen – davon ausginge, dass der Kläger vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist wäre, nachdem er dort bereits einmal von den Taliban zwangsweise zu seiner Ausbildung rekrutiert und nach der Flucht aus der Koranschule von diesen im Heimatdorf gesucht wurde.
Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger in der afghanischen Hauptstadt Kabul internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es sprechen nämlich stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat. Bei dem Kläger handelt es sich nämlich in keiner Weise um ein hochrangiges Verfolgungsziel, das ein aktuell noch fortbestehendes Interesse der Taliban an dessen Ergreifung auch in Kabul nur ansatzweise wahrscheinlich sein lässt. Der Kläger hat sich nämlich weder zu irgendeinem Zeitpunkt aktiv gegen die Taliban engagiert noch weist er besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten auf, die ein besonderes Augenmerk auf den Kläger nahelegen könnten. Er hat sich lediglich nach einer Woche Ausbildungszeit den Taliban durch Flucht entzogen. Auch hat der Kläger angegeben, dass seine Familie weiterhin – offensichtlich unbehelligt – im Heimatort lebt, was nicht anzunehmen wäre, wenn der Kläger ernsthaft verfolgt würde. Denn ansonsten bestünde die Gefahr, dass insbesondere auch sein Vater in das Visier der Verfolger geraten würde bzw. diese sich stellvertretend an den im Herkunftsort verbliebenen Familienmitgliedern rächen, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass auch eine Gefahr für seine Familie bestanden habe. Abgesehen davon, dass die Taliban eine Woche nach der Flucht des Klägers aus der Koranschule die verschwundenen jungen Männer einmal im Heimatdorf gesucht haben sollen, ist von einer fortdauernden weiteren Suche nach dem Kläger nichts berichtet worden, so dass diese offensichtlich das Interesse verloren haben, des Klägers weiterhin habhaft zu werden. Insofern könnte der Kläger erst recht in Kabul sicher leben, denn dadurch würde er seinen Wohnsitz nicht nur innerhalb seiner Heimatprovinz wechseln, sondern über die Provinzgrenzen hinweg in die Millionenstadt Kabul, was seine Sicherheit weiter signifikant erhöht. Nach alledem sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland in Kabul erneut von einer Verfolgung der vorgetragenen Art bedroht wäre.
Der Kläger könnte darüber hinaus sicher und legal nach Kabul reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan und Kabul stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familienbzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.
Aus der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes für Afghanistan vom 28. Juli 2017 ergibt sich insoweit nichts grundlegend Abweichendes: In fast allen Regionen werde von der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt. Die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenvertriebenen sei im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 25% gesunken. Die afghanische Regierung habe unter Beteiligung der internationalen Geberschaft sowie internationaler Organisationen mit der Schaffung einer Koordinierungseinheit zur Reintegration der Binnenflüchtlinge und Rückkehrer reagiert. Ein Großteil der internationalen Geberschaft habe zu-dem beschlossen, die Finanzmittel für humanitäre Hilfe im Rahmen eines Hilfsappells des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheit OCHA aufzustocken. Trotz internationaler Hilfe übersteige der derzeitige Versorgungsbedarf allerdings das vorhandene Maß an Unterstützungsmaßnahmen seitens der Regierung.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 14.09.2017, Seite 27 ff.) führt aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt bleibe, wobei der Anteil der notleidenden Bevölkerung im Verlaufe des Jahres 2016 um 13% angestiegen sei; 2017 benötigten 9,3 Millionen Afghanen dringend humanitäre Hilfe. Die Arbeitslosenquote sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte rasant angestiegen und inzwischen auch in städtischen Gebieten hoch. Gleichzeitig seien die Löhne in Gebieten, welche von Rückkehrströmen betroffen seien, signifikant gesunken. Nach wie vor seien die meisten Menschen in der Land- und Viehwirtschaft oder als Tagelöhner tätig. Die zunehmenden Rückkehrströme hätten zu einem enormen Anstieg an Unterkunftsbedarf geführt, weshalb sich insbesondere in der Hauptstadt Kabul die Wohnraumsituation extrem verschärft habe. Rund 68% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu adäquaten Sanitätsinstallationen und ca. 45% keinen Zugang zu aufbereitetem Trinkwasser. Rund 40% der Bevölkerung sei von Lebensmittelunsicherheit betroffen. Die Zahl der von ernsthafter Lebensmittelunsicherheit betroffenen Menschen steige an und umfasse inzwischen 1,6 Millionen Personen. In Gebieten, die von hohen Rückkehrströmen betroffen waren, seien die Lebensmittelpreise stark angestiegen. Etwa 9 Millionen Menschen, in besonderem Maße Frauen und Kinder, hätten keinen oder nur beschränkten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, welchen es auch an angemessener Ausstattung mangele. Im Jahr 2016 sei der Druck zur Rückkehr auf afghanische Flüchtlinge im Iran und in Pakistan dramatisch angestiegen; Kabul sowie die Provinzen im Norden, Nordosten und Osten des Landes seien in besonderem Maße betroffen gewesen. Rückkehrende fänden oft keine adäquate Unterkunft; sie lebten oft in notdürftigen Behausungen mit schlechten Sanitäranlagen. Der eingeschränkte Zugang zu Land, Nahrungsmitteln und Trinkwasser und die begrenzten Möglichkeiten zur Existenzsicherung stellten eine enorme Herausforderung für diesen Personenkreis dar. Aufgrund der äußerst schwierigen Lebensbedingungen würden Rückkehrende oft zu intern Vertriebenen, deren Zahl Ende 2016 auf etwa 1,4 Millionen Menschen geschätzt worden sei und deren Lage sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert habe. Auch für Flüchtlinge aus Europa gestalte sich eine Rückkehr schwierig. Die Bevölkerung Kabuls solle sich binnen nur sechs Jahren verdreifacht haben. Dort lebten etwa 75% der Bevölkerung in informellen und behelfsmäßigen Behausungen, die oft weder ans Wasserversorgungsnetz noch an die Kanalisation angeschlossen seien. Der Zugang zu Lebensmitteln habe sich rasant verschlechtert, was unter anderem auf die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten zurückzuführen sei. Armut sei weit verbreitet. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung Kabuls könne sich keine medizinische Behandlung leisten. Die große Zahl der Rückkehrenden und intern Vertriebenen führe zur Überlastung der bereits äußerst stark beanspruchten Infrastruktur zur Erbringung der Grunddienstleistungen in der Hauptstadt Kabul aber auch andernorts, insbesondere in den wichtigsten Provinzstädten und Bezirken.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Kabul niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt -, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 19-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken ist (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2017, Februar 2018, S. 1). Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zu-dem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Schweiz in einer Entscheidung vom 13.10.2017 (Az. D-5800/2016) zu einem anderen Ergebnis kommt und ausführt, ohne besonders begünstigende Faktoren wie das Vorhandensein eines tragfähigen sozialen Netzes in Kabul sei ein Zurückschicken auch bei gesunden jungen Männern unzumutbar, kann sich dem das Gericht auf der Grundlage der oben aufgezeigten Erkenntnislage nicht anschließen. Mit der Rechtsprechung des Bayer. VGH (vgl. zuletzt B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, sind alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfä-higen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben.
Bei dem Kläger ist darüber hinaus individuell zu berücksichtigen, dass er in Afghanistan zumindest zwei Jahre lang die Schule besucht hat und ausweislich seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, dass er auf Paschtu lesen und schreiben könne. Überdies habe ihm sein Cousin in Afghanistan Englisch beigebracht, wobei er mittlerweile besser Deutsch spreche. Unter diesen Voraussetzungen ist der Kläger gegenüber den vielen Analphabeten in Afghanistan im Vorteil und auf diese Weise auch in der Lage, ein größeres Spektrum an Tätigkeiten als diese auszuüben, was wiederum seine Chancen auf eine Erwerbstätigkeit erhöht. Positiv ist überdies zu erwähnen, dass der Kläger bereits Erfahrungen in der Landwirtschaft auf dem elterlichen Bauernhof gesammelt hat. Die Landwirtschaft stellt immer noch den wichtigsten Erwerbszweig in Afghanistan dar, sodass er diese Kenntnisse und Erfahrungen sicherlich auch nach seiner Rückkehr in sein Heimatland gewinnbringend wird einsetzen können. Der Kläger hat darüber hinaus mehr als 16 Jahre in Afghanistan gelebt und damit die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seines Heimatlandes in einer Weise kennengelernt, um sich auch nach seiner Rückkehr dort zurechtfinden zu können. Ohne dass es von Rechts wegen noch hierauf ankäme, ist auch davon auszugehen, dass der Kläger im Bedarfsfall Unterstützung durch seine in Afghanistan verbliebenen Verwandten, insbesondere seinen Vater, erhalten könnte. Dieser hat ihn auch bereits durch die Finanzierung seiner Fluchtkosten nach Europa unterstützt. Es ist im Kulturkreis des Klägers absolut üblich, dass in Notsituationen über derartige Kontakte Unterstützung geleistet wird und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend nicht geschehen würde, zumal der Kläger in diesem Zusammenhang angegeben hat, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie in Afghanistan durchschnittlich gewesen seien, was unter Berücksichtigung der Tatsache, dass 36% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben müssen, durchaus beachtlich ist und eine Unterstützung auch realistisch erscheinen lässt.
Auch nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall.
Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und Starthilfen im Umfang von 500,00 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700,00 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt wer-den, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann und Amnesty International, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.; Amnesty International, Auskunft an das VG Leipzig vom 8.1.2018 und an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018). Denn nach Überzeugung des Gerichts bieten die geschilderten persönlichen Verhältnisse und Ressourcen ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben Kabul zumutbar erscheinen zu lassen.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in Kabul in Anspruch nehmen, so dass auch aus diesem Grunde ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheidet.
II.
Der Kläger hat weiterhin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Gefahr eines diesbezüglichen ernsthaften Schadens ist bereits nicht glaubhaft gemacht worden, jedenfalls besteht jedoch eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul. Diesbezüglich wird vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen.
2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Paktia. Dasselbe gilt für die Hauptstadt Kabul als interner Schutzmöglichkeit entsprechend obiger Ausführungen. In der Südostregion, zu der die Provinz Paktia gehört, wurden im Jahre 2017 1.183 Zivilpersonen getötet oder verletzt, in der Zentralregion, zu der die Stadt Kabul gehört, 2.240 Zivilpersonen (vgl. UNAMA, Annual Report 2017 Afghanistan, Februar 2018, S. 7). Die Anschlagswahrscheinlichkeit lag damit sowohl für die Südost- als auch für die Zentralregion im Jahr 2017 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Damit ist derzeit noch nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Abhandlung von Frau Friederike Stahlmann (Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei, so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht.
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 pro – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I.5. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG bestehen ebenfalls keine Bedenken.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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