Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines algerischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 8 K 19.30361

Datum:
17.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16487
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4, § 25, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Bei einer Gefahr für Leib uns Leben durch nichtstaatliche Dritte kann auf die zuständigen Behörden in Algerien verwiesen werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet, sodass im Anschluss an eine Rückkehr die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz möglich ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien keine eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht (vgl. auch BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; B.v.14.8.2018 – 15 ZB 18.31693 – juris).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine Verfolgung bzw. Bedrohung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine ernsthafte Gefahr oder ein ernsthafter Schaden (§ 4 AsylG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger kein ernsthafter Schaden drohte bzw. bei einer Rückkehr nach Algerien droht. Hinsichtlich der geltend gemachten Bedrohung durch Private (Terroristen) müsse sich der Kläger auf nationale interne Schutzmöglichkeiten verweisen lassen. Von der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des algerischen Staates sei grundsätzlich auszugehen. Zumindest in allen größeren Städten des Landes biete die Regierung Schutz vor nichtstaatlichen Verfolgern. Eine inländische Fluchtalternative bestehe (vgl. auch VG Gießen, U.v. 14.1.2019 – 1 K 4364/17.GI.A – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris). Im Einzelnen kann auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden.
Ergänzend ist anzumerken, dass der Kläger schon kein durchwegs zweifelfreies und in sich stimmiges Vorbringen geleistet hat. Insbesondere zur Frage, ob er sich schon in Algerien an die Polizei gewandt habe, hat er bei der Bundesamtsanhörung (S. 6 des Anhörungsprotokolls, Bl. 57 der Bundesamtsakte) auf die Frage, ob eine Anzeige bei der Polizei oder Armee erfolgt sei, geantwortet: Das hilft nichts. Sie werden nichts machen. Der Kläger hat die Frage nicht eindeutig bejaht. Demgegenüber gab er in der mündlichen Verhandlung an, schon selbst zur Polizei gegangen zu sein, aber die hätten ihm gesagt, sie könnten ihm nicht helfen. Er sei bei der Polizei gewesen und habe ihr erklärt, dass er bedroht werde. Er sei auch mit den Drohbriefen zur Polizei gegangen. Weiter zweifelhaft und unaufgeklärt blieben die Aussagen zum Aufenthalt des Klägers unmittelbar vor seiner Ausreise. Während er beim Bundesamt zunächst erklärte, er habe die letzte Nacht vor der Ausreise in seinem Elternhaus verbracht (S. 2 des Anhörungsprotokolls, Bl. 53 der Bundesamtsakte), gab er kurz danach an, er habe dort in der Nähe gewohnt, er habe aber alleine gewohnt. Er habe vor seiner Ausreise nicht im Elternhaus gewohnt (S. 6 des Anhörungsprotokolls, Bl. 57 der Bundesamtsakte). Auch in der mündlichen Verhandlung legte sich der Kläger nicht eindeutig fest. Er erklärte erst, er habe mit seiner Ehefrau im gleichen Ort gewohnt wie seine Eltern, allerdings etwas entfernt von der Wohnung. Er habe kurz vor der Ausreise in der Nähe des Elternhauses gewohnt. Er habe in einer anderen Wohnung gewohnt, nicht in seinem Elternhaus. Dort habe er nicht offiziell gewohnt. Gleich darauf gab er indes an, er habe seine Frau verlassen und auch die Wohnung, er sei zu seiner Mutter gegangen. Am letzten Tag vor seiner Ausreise sei er bei seiner Mutter gewesen.
Außerdem erwähnte der Kläger auf wiederholte Nachfragen in der mündlichen Verhandlung, er sei schriftlich bedroht worden, er sei auch beobachtet worden. Demgegenüber hat er beim Bundesamt zusätzlich angegeben, er habe auch Anrufe bekommen (vgl. S. 5 des Anhörungsprotokolls, Bl. 56 der Bundesamtsakte). In der mündlichen Verhandlung war davon nicht die Rede.
Aber selbst, wenn man die Angaben des Klägers zu seinen Bedrohungen zugrunde legt, gelangt das Gericht nicht zu der Überzeugung, dass dem Kläger eine ernstliche Gefahr bzw. ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte. Denn der Kläger hielt sich immerhin von 2011 bis 2017 sechs Jahre in seiner Heimatstadt bzw. in der Umgebung auf und ist dort nach eigenen Angaben 10- bis 20mal bedroht worden. Die Terroristen, die ihn bedroht hätten, hätten auch seinen Aufenthaltsort gekannt. Gleichwohl ist festzuhalten, dass dem Kläger und seinen Angehörigen sechs Jahre lang nichts passiert ist. Der Einwand des Klägers, er habe sich immer an sicheren Orte bewegt und sei selbst beim Militär gewesen, vermag zur Überzeugung des Gerichts nicht zu erklären, dass Terroristen, die dem Kläger wirklich töten wollten, dies nicht innerhalb von sechs Jahren hätten schaffen oder zumindest einmal versuchen können. Von tätlichen Übergriffen hat der Kläger indes nichts berichtet. Warum die Terroristen sechs Jahre nicht die Möglichkeit gehabt haben sollten, den Kläger tatsächlich anzugreifen oder umzubringen, ist für das Gericht nicht einleuchtend.
Schließlich droht dem Kläger bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien auch keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens Dritter – konkret seitens der Angehörigen der terroristischen Gruppe -, weil der Kläger insoweit zum einen gehalten ist, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für ihn jedenfalls eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG). Abgesehen davon ist schon fraglich, ob seitens der terroristischen Gruppe überhaupt noch ein Interesse besteht, gegen den Kläger tatsächlich gewaltsam vorzugehen (zumal der Kläger nichts von aktuellen Bedrohungen gegen sich durch diese Personen in den letzten Jahren nach seiner Ausreise berichtet hat). Jedenfalls besteht für den Kläger in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn er sich in einem anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlässt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 17). Der Kläger muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Angehörigen der terroristischen Gruppe den Kläger ohne weiteres auffinden können sollten, wenn er seinen ursprünglichen Heimatort meidet und in andere Großstädte geht. Angesichts der Größe Algeriens und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger fürchten müsste, von den Angehörigen der terroristischen Gruppe entdeckt und gefährdet zu werden. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzbereit und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (vgl. VG Gießen, U.v. 14.1.2019 – 1 K 4364/17.GI.A – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; Saarl. OVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 48/15 – juris).
Danach ist es dem Kläger zumutbar, sich in Algerien niederzulassen, ohne dass die Gruppe der Terroristen überhaupt herausfinden müsste, dass der Kläger in sein Heimatland zurückgekehrt ist und wo er sich aufhält. Die pauschale Angabe des Klägers, dass gerade diese terroristische Gruppe, die sich vorwiegend in den Bergen aufhält, über ein Netzwerk verfügen sollte, um den Kläger jederzeit landesweit ausfindig machen zu können, hält das Gericht aufgrund der Erkenntnislage nicht für realitätsnah. Zudem hat der Kläger in der Vergangenheit nicht einmal versucht, in Algerien außerhalb der Umgebung seines bisherigen Heimatortes Schutz und Sicherheit zu finden, zumal schon in seinem Heimatort in der Vergangenheit überhaupt kein tätlicher Angriff erfolgt ist.
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 21 ff.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Kläger ist noch jung genug und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, wie in der Vergangenheit – zusätzlich zu seiner Pension – zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Kläger eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (im Ergebnis ebenso BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – juris; U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – juris; VG Stade, U.v. 1.4.2019 – 3 A 32/18 – Milo; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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