Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage irakischer Kurden

Aktenzeichen  M 4 K 16.32011

Datum:
3.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16827
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Keine subsidiäre Schutzberechtigung irakischer Kurden wegen ernsthafter individueller Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mangels einer landesweit bestehenden Konfliktsituation, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 3. Mai 2018 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
I.
Den Klägern steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Asylgesetz -AsylG-) oder Asylanerkennung, des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
1. Die Kläger haben zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Auch wenn man den Vortrag der Kläger als wahr unterstellt, ist schon kein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal im Sinne der §§ 3ff. AsylG ersichtlich. Zudem ergibt sich nach Auffassung des Gerichts aus dem Vortrag nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Bedrohung für die Kläger, da schon nicht ersichtlich ist, dass es sich bei den beobachteten schwarz maskierten Männern um die Männern handelte, die auch die telefonischen Bedrohungen aussprachen. Konkret ist den Klägern vom Beginn der Bedrohungen im Oktober 2015 bis zu ihrer Ausreise im Dezember 2015 nichts passiert, dass über bloße Belästigungen hinausginge. Jedenfalls sind die Kläger darauf zu verweisen, zunächst internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG in Anspruch zu nehmen. So hätten und könnten die Kläger in einem anderen Teil der kurdischen Autonomiegebiete, insbesondere einer anderen großen Stadt, leben und wären in weitgehender Anonymität vor möglichen Verfolgern sicher.
2. Die Anerkennung als Asylberechtigte wurde im Asylverfahren schon nicht beantragt; hiervon abgesehen lägen aber auch die Voraussetzungen mit Verweis auf obige Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft nicht vor.
3. Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
a) Die Norm des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegt erkennbar nicht vor.
b) Ebenso sind die Kläger auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, weil ihnen eine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Die Kläger lebten zuletzt in den Kurdischen Autonomiegebieten, Dohuk. Zwar fand im Irak ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasste und bei dem das irakische Militär nur langsam die Oberhand zu gewinnen schien. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht. Im Gegenteil ist dieses Gebiet zum Zufluchtsort vieler Binnenflüchtlinge aus den übrigen Teilen des Iraks geworden. Das Vordringen von Kämpfern des IS ist an den Grenzen der Kurdischen Autonomiegebiete aufgehalten worden. Die Kurdischen Autonomiegebiete sind und waren von Kämpfen oder sonstigen Ereignissen, die als „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“ angesehen werden könnten, nicht betroffen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7. Februar 2017, S. 4, 7, 12 ff.; vgl. auch das Gutachten des europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 7.9.2015). Auch aktuell ist für das Gericht insbesondere anhand der tagesaktuellen Berichterstattung von Print- und Onlinemedien nicht ersichtlich, dass sich die Sicherheitslage in den Kurdischen Autonomiegebieten wesentlich verschlechtert hätte, auch wenn Unabhängigkeitsbestrebungen zwischenzeitlich zu Spannungen führten (vgl. bspw. Bericht vom 27.09.2017 https://www.ntv.de/politik/Kurdenstimmenfuer-Unabhaengigkeitvom-Irakarticle20055642.html).
c) Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor. Eine Gefahr ist für das Gericht nicht ersichtlich. Auf die zur Flüchtlingseigenschaft getätigten Ausführungen wird verwiesen, insbesondere hinsichtlich einer zuerst in Anspruch zu nehmenden innerstaatlichen Fluchtalternative.
4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
a) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich, vgl. insofern oben.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Iraks auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind für das Gericht nicht ersichtlich.
5. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziff. 5, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert werden, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie sind, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtling anzuerkennen, noch steht ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu; sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m.§§ 708 ff. ZPO.


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