Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage einer nigerianischen Staatsangehörigen wegen unglaubhaften Angaben zum Verfolgungsschicksal

Aktenzeichen  Au 7 K 17.30377

Datum:
18.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 1, § 34, § 38 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Unglaubhafte Verfolgungsgeschichte bzgl. einer drohenden Genitalverstümmelung. (Rn. 27 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Religiös motivierte Auseinandersetzungen in Nigeria begründen kein Abschiebungsverbot. (Rn. 47 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die problematische wirtschaftliche und soziale Lage in Nigeria stellt für einen Großteil der Bevölkerung eine Gefahr dar und begründet in der Regel keine Individualgefahr. (Rn. 50 – 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 18. Oktober 2017 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 20. Januar 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Zwar stellt die Gefahr, einer Genitalverstümmelung unterzogen zu werden, eine im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG zu berücksichtigende Verfolgung dar. Die Klägerin konnte jedoch weder glaubhaft machen, dass ihr in Nigeria eine derartige Gefahr gedroht hat noch dass ihr im Falle der Rückkehr nach Nigeria diese Gefahr droht.
a) Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Die Klägerin konnte mit ihrem individuellen Vortrag nicht glaubhaft machen, dass ihr in Nigeria eine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen eines Verfolgungsmerkmals gedroht hat bzw. heute noch im Falle der Rückkehr nach Nigeria drohen würde. Ihre Verfolgungsgeschichte ist lebensfremd, und sie hat beim Bundesamt einerseits und in der mündlichen Verhandlung andererseits zu wesentlichen Punkten ihrer Verfolgungsgeschichte widersprüchliche Angaben gemacht. Ihr Vortrag, sie habe Nigeria verlassen, weil Bewohner ihres Heimatortes und/oder ihre Familie sie der Beschneidung/Genitalverstümmelung unterziehen wollten, ist damit unglaubhaft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Klägerin Nigeria unverfolgt, aus asylrechtlich nicht relevanten Gründen, verlassen hat.
Bereits die von der Klägerin behaupteten Umstände ihrer Ausreise aus Nigeria bzw. ihrer Reise nach Deutschland können nur als frei erfunden gewertet werden. Der Reiseweg stellt aber ein starkes Indiz dafür dar, ob sich eine Ausreise aus dem Heimatland als Flucht vor unmittelbar drohender Verfolgung, oder als organisiertes/geplantes Verlassen des Heimatlandes, z.B. zum Zweck der Migration, darstellt.
Die Behauptung der Klägerin, ein bis dahin Fremder habe ohne Bezahlung, nur aus Mitleid/altruistischen Gründen, ihre direkte Einreise nach Europa auf dem Luftweg organisiert, stellt sich als äußerst lebensfremd und damit unglaubhaft dar. Zudem handelt es sich um ein Standardvorbringen, das in nur unwesentlich abweichenden Variationen von einer Vielzahl von Asylbewerbern behauptet wird, die aus asyltaktischen Gründen entweder über ihren tatsächlichen Reiseweg (insbesondere die Einreise über einen Mitgliedstaat) oder über die Tatsache, dass sie ohne Verfolgungsdruck ihre Ausreise organisieren und auch die finanziellen Mittel hierfür aufbringen konnten, keine Auskunft geben wollen. Dies ist nach Überzeugung des Gerichts offensichtlich auch bei der Klägerin der Fall. Bereits die Beantwortung der Fragen in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Reisebegleiter – sie wisse nur, dass der Mann, der ihre Ausreise organisiert, bezahlt und sie auch noch bis Deutschland begleitet habe, dunkelhäutig sei, sie wisse aber nicht, ob er ein Nigerianer oder ein Europäer oder Amerikaner sei (vgl. Sitzungsprotokoll S. 7) – zeigt, dass sie nicht die Wahrheit sagt. Denn zumindest einen „Landsmann“ (Nigerianer) hätte die Klägerin – wenn es denn tatsächlich den behaupteten Helfer gegeben hätte – erkennen müssen. Beim Bundesamt (Anhörung vom 28.10.2016) hat die Klägerin behauptet, dass sie „kurz vor ihrer Ausreise“ im August 2014 (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 4, 4. Absatz) von ihrer Familie in … gefunden worden sei, dann zwangsweise in ihren Heimatort verbracht worden sei, ihr nach „ein paar Tagen“ die Flucht nach … gelungen sei und sie (erst) dort auf der Straße den Mann getroffen habe, der dann ihre Ausreise aus Nigeria per Flugzeug nach „…“ (gemeint wohl: … Airport / Flughafen …) organisiert habe. Nach dieser Version hätte der unbekannte Helfer die für eine Einreise nach Europa erforderlichen Ausweisdokumente – Reisepass und Schengen-Visum – erst kurz vor August 2014 besorgt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin dagegen angegeben, dass sie auf das Visum „ein paar Monate“ warten musste (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 6 letzter Absatz). Zudem hat sie auf entsprechende Frage des Gerichts angegeben, dass dieser Mann auch ihren Reisepass organisiert hat (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 7). Dagegen ergibt sich aus der Bundesamtsakte (Bl. 6), dass ihr bereits im Mai 2013 in Nigeria ein Reisepass ausgestellt wurde (s. Auszug aus der Visadatei, Ausländerzentralregister, Bl. 6 der Bundesamtsakte). Die Ausstellung des nigerianischen Reisepasses der Klägerin mit der Ausweisnummer, Gültigkeitsdauer: 9. Mai 2013 bis 8. Mai 2018, zeigt daher nicht nur deutlich, dass die Klägerin die Geschichte mit dem altruistischen Helfer frei erfunden, sondern vielmehr auch, dass sie ihre Ausreise aus Nigeria nach Europa langfristig plante und organisierte und auch die finanziellen Mittel aufbringen und nachweisen konnte, die für die Ausstellung eines Schengen-Visums erforderlich sind; ein solches wurde im Falle der Klägerin, ausgehend von ihren Angaben, dass sie auf dem … Airport / Flughafen … gelandet ist, möglicherweise von den italienischen Behörden ausgestellt.
Dass die Behauptungen der Klägerin, ihre Eltern hätten sie erstmals mit 20 Jahren (im Jahr 2005) beschneiden wollen, was sie durch das Verlassen ihrer Familie (Umzug nach …) verhindert habe, und sie sei dann neun Jahre später (2014) zwecks Beschneidung zwangsweise in ihren Heimatort verbracht worden, völlig unplausibel und unglaubhaft sind, hat das Bundesamt bereits im streitgegenständlichen Bescheid ausführlich und nachvollziehbar dargelegt. Im Übrigen zeigen auch noch folgende Behauptungen der Klägerin, dass sie ihr Verfolgungsschicksal frei erfunden hat:
Während die Klägerin beim Bundesamt angab, dass sie nach ihrer zwangsweisen Verbringung in ihren Heimatort dort „ein paar Tage“ eingesperrt gewesen sei, bis ihr die Flucht gelungen sei (vgl. Bundesamtsprotokoll, S. 4), behauptete sie in der mündlichen Verhandlung, sie sei dort nur einen Tag bzw. eine Nacht geblieben und habe bereits dann fliehen können (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 8). Auch die Schilderung, wie ihr die Flucht gelungen sein will – die Türe sei nicht verschlossen gewesen, so dass sie sich aus dem Zimmer habe schleichen können – kann nur als schlecht erfunden bewertet werden. Denn hätten die Dorfbewohner und/oder ihre Familie ein so großes Interesse an der Beschneidung der Klägerin gehabt, dass sie sie auch noch nach vielen Jahren der Abwesenheit aufspürten und entführten, dann hätten sie wohl nicht „vergessen“, den Raum, in dem sie die Klägerin bis zur Durchführung der Beschneidung gefangen halten wollten, abzusperren oder sonst wie zu sichern. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch noch behauptet, sie habe nach ihrer (angeblichen) Flucht aus dem Heimatort, in der Zeit, in der sie „ein paar Monate“ lang auf das Visum gewartet habe, weiterhin unter ihrer bisherigen Adresse …,, gewohnt (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 6/7). Wäre die Verfolgungsgeschichte der Klägerin wahr, dann hätte sie damit rechnen müssen, dass die Dorfbewohner und/oder ihre Familie sie auch nach ihrer (angeblichen) Flucht weiterhin zwecks Durchführung der Beschneidung suchen werden. In diesem Fall hätte sie sich mit Sicherheit eine andere Unterkunft gesucht oder ihren Helfer um anderweitige Unterbringung gebeten.
Nach allem ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin ihre Verfolgungsgeschichte, sie habe gegen ihren Willen zwangsweise beschnitten werden sollen, frei erfunden hat, was nur den Schluss zulässt, dass sie ihr Heimatland aus asylrechtlich nicht relevanten Gründen verlassen hat.
c) Der unverfolgt aus Nigeria ausgereisten Klägerin drohen auch im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland keinerlei Verfolgungsmaßnahmen.
Da der Klägerin die Gefahr der Genitalverstümmelung bereits vor ihrer Ausreise nicht gedroht hat, ist schon nicht ersichtlich, warum ihr nunmehr im Falle der Rückkehr nach Nigeria eine solche Gefahr drohen könnte, zumal die nigerianische Regierung im Jahr 2015 die Genitalverstümmelung landesweit unter Strafe gestellt hat. Zudem ist die Klägerin nunmehr schwanger und wird, entsprechend den vorgelegten Unterlagen, voraussichtlich im Januar 2018 ihr Kind entbinden. Für eine Frau, die bereits ein Kind entbunden hat, besteht die Gefahr, beschnitten zu werden, noch weniger.
Es bestehen auch keine Erkenntnisse darüber, dass abgelehnte Asylbewerber bei einer Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Asylantragstellung mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätten (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Stand: September 2016 – vom 21. November 2016 – Lagebericht – Nr. IV.2).
2. Der beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG bleibt ohne Erfolg, wofür ergänzend auf die zu § 3 AsylG erläuterten Gründe verwiesen wird.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Ihre Schilderungen zur Gefahr, zwangsweise beschnitten zu werden, sind unglaubhaft. Im Herkunftsstaat hat ihr offensichtlich keine derartige Gefahr gedroht. Weshalb ihr bei der Rückkehr ein ernsthafter Schaden, insbesondere eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder gar die Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) drohen sollte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden. Schließlich besteht in Nigeria auch kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde (Ziffer 4).
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 f.).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14). Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
a) Wie bereits unter 1. ausgeführt wurde, droht der Klägerin nicht die Gefahr der Beschneidung (siehe unter 1.)
b) Die religiös motivierten Auseinandersetzungen in Nigeria können ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht rechtfertigen. Die immer wieder aufkommenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gruppen bzw. die Angriffe und Auseinandersetzung mit der Terrororganisation „Boko Haram“ sind überwiegend regional begrenzt und weisen nicht die Merkmale eines innerstaatlichen Konflikts und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auf (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 2013 –, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 –, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 –, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 und U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – sowie B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 –, jeweils juris).
Das Ausmaß dieser Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit jedenfalls nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die in Nigeria nicht festzustellen sind, vergleichbar.
Nach den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln (Tagespresse, Medien) und Erkenntnissen des Gerichts kam es zwar auch in diesem Jahr fast täglich zu Anschlägen der Gruppe „Boko Haram“ und sind auch die Einsätze der nigerianischen Sicherheitskräfte mit Gewaltexzessen und willkürlichen Verhaftungen verbunden. Allerdings konzentrieren sich die Anschläge von „Boko Haram“ und die daraus folgenden Auseinandersetzungen immer noch hauptsächlich auf den Norden bzw. Nordosten Nigerias, während es im Süden des Landes, insbesondere auch in dem im Südwesten Nigerias gelegenen Bundesstaat, in dem die Klägerin vor ihrer Ausreise gelebt hat, nur vereinzelt zu Anschlägen bzw. Terrorakten gekommen ist (vgl. dazu: AA, Lageberichte von Nigeria vom 26. November 2016, 28. November 2014, jeweils Zusammenfassung S. 5 sowie II, 1.4., vom 28. August 2013, vom 6. Mai 2012, 7. März 2011, 11. März 2010 und vom 21. Januar 2009, jeweils Ziffer II. 1.4).
c) Auch die wirtschaftliche Situation in Nigeria kann ein Abschiebeverbot aus humanitären Gründen nicht rechtfertigen.
Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 – 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-)Landwirtschaft. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht (vgl. zur wirtschaftlichen Situation: AA, Lageberichte Nigeria 21. November 2016, vom 3. Dezember 2015 und 5. Dezember 2014, jeweils Ziffer IV 1.1, 1.2 und Länderinformation/Nigeria/Wirtschaft unter www.auswaertiges-amt.de, Stand: März 2017; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.N.; Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unter www.giz.de weltweit-afrika-nigeria; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter www.bmz.de – länder-regionen-subsahahra-nigeria (dort: u.a. „Soziale Schieflage“).
Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. auch dazu BVerwG, B.v. 25.10 2012 – 10 B 16/12 – juris Rn. 8 f.).
Anhaltspunkte für einen besonderen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person der Klägerin zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung bzw. gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich.
Für die Klägerin kann auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn man berücksichtigt dass die Klägerin nunmehr schwanger ist und zusammen mit einem Kind nach Nigeria zurückkehrt.
Wie bereits unter 1. ausgeführt wurde, kann der Klägerin zwar ihre Verfolgungsgeschichte nicht geglaubt werden. Zur Überzeugung des Gerichts ist aber ihr Vortrag glaubhaft, dass sie einen höheren Schulabschluss, der zum Studium an einer Universität oder Polytechnikum berechtigt, und zwei Abschlüsse an einem Polytechnikum (Ordinary National Diploma und Higher National Diploma) in der Fachrichtung Versicherungswesen erworben hat. Denn zum einen stimmen die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, z.B. über die zeitliche Dauer der Ausbildung oder die Art der Abschlüsse, mit den (Ausbildungs-)Verhältnissen in Nigeria überein. Und zum anderen hat die Klägerin (nur) hierzu klare, widerspruchsfreie Angaben gemacht. Auch ihre Aussage, dass sie einen einjährigen Dienst (von Februar 2008 bis März 2009) beim „National Youth Service Corps“ abgeleistet hat (im Bundesstaat …), stimmt mit den Verhältnissen in Nigeria überein, da dieser Dienst nur von Universitätsabsolventen („Graduates“) abzuleisten ist, die diesen Dienst in der Regel auch fern von ihrer Heimatregion absolvieren müssen.
Die Schulbildung der Klägerin erweist sich damit für nigerianische Verhältnisse als weit überdurchschnittlich, zumal insbesondere gerade Mädchen bzw. Frauen in Nigeria eine solche Ausbildung kaum erhalten (können) – die Analphabetenquote beträgt bei Männern 30 Prozent, bei Frauen sogar rund 50 Prozent (s. Auswärtiges Amt, Länderinformation/Nigeria/Kultur und Bildung unter www.auswäertiges-amt.de, Stand: März 2017). Dies zeigt, dass die Klägerin aus einer für nigerianische Verhältnisse wohlhabenden und bildungsoffenen Familie stammt, so dass das Gericht davon überzeugt ist, dass sie (und ihr Kind) im Falle der Rückkehr nach Nigeria auch auf Hilfeleistungen der (Groß-)Familie zurückgreifen können. Der Behauptung der Klägerin, ihre Familie verlassen zu haben bzw. zu ihrer Familie keinen Kontakt zu haben, kann bereits deswegen kein Glauben geschenkt werden, da sich ihre Angaben zur Verfolgungsgeschichte als völlig unglaubhaft erwiesen haben. Die gut ausgebildete, junge, gesunde und arbeitsfähige Klägerin wird daher auch im Falle der Rückkehr nach Nigeria in der Lage sein, den Lebensunterhalt für sich (und ihr Kind) sicherzustellen.
4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig, weil die Klägerin nicht als Asylberechtigte anerkannt wurde, ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, subsidiärer Schutz nicht gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und die Klägerin nicht im Besitz sonstiger – asylunabhängiger – Aufenthaltstitel ist. Die Ausreisefrist von dreißig Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
5. Bedenken gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
6. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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