Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage eines Asylbewerbers aus Sierra Leone

Aktenzeichen  M 30 K 17.49181

Datum:
10.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43408
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60

 

Leitsatz

1. Auch bei einer Suche durch die Geheimgesellschaft Poro besteht eine inländische Fluchtalternative in allen größeren Städten von Sierra Leone. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ergibt sich nicht aufgrund der Covid-19-Pandemie. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die Anträge des anwaltlich vertretenen Klägers waren nach §§ 88, 86 Abs. 3 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Anträge zu 3. und 4. jeweils in der genannten Reihenfolge hilfsweise für den Fall gestellt werden, dass der jeweils vorangegangene Antrag ohne Erfolg bleibt.
II.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamts vom 20. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG hat. Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Abschiebung des Klägers nach Sierra Leone vor. Die auf der Ablehnung des Asylantrags als unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit 30tägiger Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG und dessen Befristung sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG Münster, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris Rn. 21 f. m.w.N.). Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen (§ 3e AsylG), deren Inanspruchnahme zumutbar ist. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung sowie die Gefahr eines ernsthaften Schadens ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung. Dabei sind die Herkunft, der Bildungsstand und das Alter des Asylsuchenden sowie sprachliche Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Dem Ausländer obliegt es aber dennoch, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daher ist Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ein geeigneter Vortrag, welcher den Asylanspruch hinsichtlich der in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen – insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen – lückenlos trägt (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag sowie in Fällen, in welchen der Vortrag nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. VGH Kassel, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 15; VGH Mannheim, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35; BVerwG, B.v. 23.5.1996 – 9 B 273/96 – juris Rn. 2; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; U.v. 8.2.1989 – 9 C 29/87 – juris Rn. 8; U.v. 23.2.1988 – 9 C 273/86 – juris Rn. 11; B.v. 12.9.1986 – 9 B 180/86 – juris Rn. 5; U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658).
2. In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beim Kläger nicht vor.
2.1 Der klägerische Vortrag zu seinem Verfolgungsschicksal ist nicht glaubhaft.
2.1.1 Zunächst nimmt das Gericht auf die Ausführungen in dem Bescheid der Beklagten zur Glaubhaftigkeit des klägerischen Verfolgungsschicksals gemäß § 77 Abs. 2 AsylG vollumfänglich Bezug.
2.1.2 Der Kläger hat darüber hinaus auch mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung die fehlende Glaubhaftigkeit seines Verfolgungsschicksals deutlich unter Beweis gestellt. So trägt der Kläger vor, dass sich die Goldminen des Onkels im Norden des Landes befinden würden, in der Stadt Y* … Obwohl dieser Ort zentral in der Mitte des Landes liegt. Die Stadt Y* … liegt auch südlich der Stadt M* … und geographisch fast auf „gleicher Höhe“ zur Hauptstadt …town, in welcher sich der Kläger überwiegend aufgehalten hat. Daher ist es nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Goldminen im Norden des Landes befinden sollen.
Nicht nachvollziehbar ist auch der Vortrag, der Kläger sei in ein vier bis fünf Meter tiefes Loch geworfen worden und habe sich dabei lediglich im Gesicht verletzt. Stürze aus einer solchen Höhe führen zu schweren Verletzungen insbesondere Knochenbrüchen, inneren Verletzungen oder gar zum Tod. Wie der Kläger den Sturz ohne größere Blessuren und Verletzungen überstehen konnte, ist daher nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht nachvollziehbar. Der Kläger gab in diesem Zusammenhang lediglich an, dass er sich am Gesicht verletzt hätte.
Auch der Vortrag, der Kläger sei von einem Jäger gefunden worden, geht über die beim Bundesamt gemachten Angaben hinaus. Auf diese Steigerung angesprochen erklärte der Kläger – in unzureichender Weise -, dass er um Hilfe gerufen habe und sich nicht an die Polizei wenden konnte. Auf den Vorhalt des Gerichts, der Kläger habe gegenüber dem Bundesamt gesagt, er habe sich selbst befreien können, entgegnete dieser, dass er versucht habe, dem Bundesamt dies zu erklären. Die Personen dort hätten ihm aber gesagt, dass dies nicht wichtig sei. Eine solche Begründung ist unzureichend, um den Widerspruch hinreichend aufzuklären. Sie bleibt pauschal und ohne Substanz. Der klägerische Vortrag bei der Anhörung vor dem Bundesamt beschreibt unmissverständlich, dass die Befreiung aus der Notlage ohne fremde Hilfe erfolgt sein soll.
Auch die vorgelegten Fahndungsfotos und der Zeitungsartikel der „… … vom … April 2014“ führen dazu, dass der klägerische Vortrag nicht glaubhaft ist.
Auf den Fahndungsfotos findet sich neben dem angeblichen Fahndungsplakat des Klägers ein Fahndungsplakat wieder, welches ein „Kopfgeld“ von „KSH 2 Million“ verspricht. KSH ist die internationale Abkürzung für Kenia Schilling. In Sierra Leone wird in der Währung Leones bezahlt. Dies ist auch die amtliche Währung bzw. das amtliche Zahlungsmittel. Es ist daher auszuschließen, dass die Polizeibehörden Sierra-Leones „Kopfgelder“ in Fremdwährung bezahlen. Zwar erscheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass auch in Sierra Leone nach international gesuchten Verdächtigen gesucht werde und die jeweiligen „Kopfgelder“ in der Landeswährung des Verfolgerstaates angegeben werden. Dennoch verwundert es aber, dass auf dem klägerseits vorgelegten Bild von der angeblichen Polizeistation lediglich ein Fahndungsplakat mit internationalem Bezug zu erkennen sein soll; noch dazu das einzige, welches überhaupt ein „Kopfgeld“ verspricht. Andere, weitere internationale Fahndungsaufrufe finden sich nicht. Es erscheint auch wenig wahrscheinlich, dass in Sierra Leone nach Verdächtigen aus Kenia gesucht werde, da Kenia an der afrikanischen Ostküste und Sierra Leone an der afrikanischen Westküste liegt. Dazwischen liegt (fast) der gesamte Kontinent. Darüber hinaus verfügt Sierra Leone nicht einmal für seine inländischen Verdächtigen über ein zentrales Fahndungsbuch (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 4.11.2019 als Antwort auf den Beweisbeschluss des VG Regensburg vom 26. April 2019 – RN 14 K 14.33993), wie die Verfolgung international gesuchter Verdächtiger praktisch und effektiv umgesetzt werden soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Letztlich vermag das Gericht auf Grund seines visuellen Eindruckes, den es vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, diesen auch nicht auf dem angeblichen Fahndungsplakat zu erkennen. Die Gesichtszüge der auf dem Fahndungsplakat aufgedruckten Person sind wesentlich breiter, als die des Klägers. Eine nachvollziehbare Erklärung hierfür, sieht das Gericht nicht; auch wurde eine solche seitens der Klagepartei nicht vorgetragen.
Der vorgelegte Zeitungsartikel der „… … vom … April 2014“ besteht aus vielen Druckfehlern. So beginnt der erste Satz auf der Seite 3 des vorgelegten Zeitungsauszuges wie folgt: „measures to be taken all but ended as usual“. Zum einen beginnt der Satz bereits mit einem kleinen Anfangsbuchstaben, zum anderen fehlt dem Satzteil ein weitergehender Sinn. Unklar bleibt von welchem Maßnahmen die Rede sein soll. Auch sind die zwei Spalten Text auf der Seite 3 nicht wesentlich länger bzw. informativer, als der Einleitungstext auf der in der Anlage zum Schriftsatz vom 26. November 2017 beigefügten Titelseite der „… … vom … April 2014“. Der Artikel auf der Seite 3 wirkt vielmehr so, als ob er in die Zeitung gleichsam eines manipulierten bzw. frei erfundenen Textbausteins eingefügt worden ist. Auch ist die im Nachgang an den Artikel auf Seite 3 gedruckte Überschrift hinsichtlich eines neuen, thematisch anderen Artikels voller Druckfehler und nicht leserlich. Hinzu kommt, dass nach der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskunft der Bücherei des USKongresses, die letzte aktive Berichterstattung der … … auf den 15. Juli 2011 datiert.
Darüber hinaus, stimmen die Gesichtszüge der Person auf dem Fahndungsplakat sowie die – wenngleich nur schwer erkennbaren – Gesichtszüge der Person im Artikel der „… … vom … April 2014“ nicht überein. Die Gesichtszüge in dem Zeitungsartikel erscheinen wesentlich schmaler und weitaus weniger „rund“ als jene auf dem Fahndungsplakat. Der Kläger hat das Land im Mai 2014 verlassen. Es ist daher davon auszugehen, dass sowohl eine Zeitung als auch die Polizei ein möglichst aktuelles Bild der jeweils betroffenen Person für ihre Zwecke verwenden. Weshalb zwischen beiden Bildern ein derart erkennbarer Unterschied in den Gesichtszügen erkennbar ist, ist daher für das Gericht nicht nachvollziehbar und klägerseits in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt worden.
2.2 Vorsorglich führt das Gericht aus, dass auch für den Fall, dass der klägerische Vortrag als glaubhaft bewertet werden könnte, in einem solchen Falle das klägerische Begehren ohne Erfolg bliebe. Insoweit wäre der Kläger auf eine inländische Fluchtalternative i.S.v. §§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG zu verweisen.
2.2.1 Soweit eine Verfolgung durch die Geheimgesellschaft Poro drohen soll, hat der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er weder von dieser Geheimgesellschaft verfolgt worden sei, noch ihm bekannt sei, dass er von dieser verfolgt und gesucht werde. Aber auch für den – höchst unwahrscheinlichen – Fall, dass der Kläger wegen seiner Weigerung Mitglied der Geheimgesellschaft der Poro zu werden, von dieser gesucht werden würde, so wäre es diesem zumindest in allen größeren Städten von Sierra Leone möglich unbehelligt von der Geheimgesellschaft zu leben (std. Rspr. des VG München U.v. 5.4.2018 – M 30 K 17.39165 – juris; U.v. 14.5.2018 – M 30 K 17.40892 – beckonline; VG Augsburg, U.v. 22.03.2017 – Au 4 K 16.32061 – juris Rn 38 ff.). Auch in Bezug auf die behauptete Bedrohung durch den Onkel und die Polizei wäre es dem Kläger zumindest in allen größeren Städten von Sierra Leone möglich, unbehelligt von diesen zu leben; insbesondere droht dem Kläger keine Haft.
2.2.1.1 Es erscheint bereits fraglich, wie es einer Geheimgesellschaft wie Poro grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihr gesuchte Personen zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Wie das Auffinden von Personen gelingen soll, vermag das Gericht trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones und einer zu unterstellenden gewissen Vernetzung der Geheimgesellschaften untereinander nicht nachzuvollziehen. Dabei lassen sich den Erkenntnismitteln keine Erkenntnisse über gezielte überörtliche (Organisations-)Strukturen der Poro entnehmen, aufgrund derer von den örtlichen Geheimgesellschaften gesuchte Personen aufgefunden werden können. Vielmehr ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Mitglieder der Geheimgesellschaft den Kläger nicht noch einige Jahre später in ganz Sierra Leone und allen größeren Städten suchen werden. Der Aufwand für die Geheimgesellschaft in Sierra Leone, alle Personen, die der Geheimgesellschaft nicht beitreten wollen, in ganz Sierra Leone zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Zudem ist der Geheimgesellschaft bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt in Sierra Leone aufhält. Dabei ist zu unterstellen, dass gewisse, immer wieder berichtete Vodoo-Praktiken u.ä. dem Bereich des Okkulten und des Aberglaubens zuzuordnen sind und zur Überzeugung des Gerichts nicht funktionieren. Das Gericht geht nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes zudem davon aus, dass es jedenfalls in den größeren Städten Sierra Leones – mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von der Geheimgesellschaft Poro und anderen Geheimgesellschaften zu leben (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt. Auch der Kläger selbst trug in der mündlichen Verhandlung, dass er in …town nie Probleme mit der Poro Society gehabt habe, sondern lediglich einmalig im Heimatdorf seines Onkel, als er sich geweigert habe dort Mitglied zu werden.
2.2.1.2 Entsprechend den obigen Ausführungen zur Poro Society (vgl. Rn. 32) er scheint es auch bezüglich der behaupteten Bedrohung durch den Onkel des Klägers fraglich, wie es diesem möglich sein soll, den Kläger im Land zu finden. Insbesondere, da der Kläger das Land im Mai 2014 verlassen habe und von den Leuten des Onkels „zum Sterben“ in der Goldmine zurückgelassen worden sein soll. Es ist daher davon auszugehen, dass der Onkel vom Tod des Klägers überzeugt wäre und diesen schon nicht mehr im Land suchen würde.
2.2.1.3 Soweit der Kläger die Behauptung vorträgt, er werde im Herkunftsland von der Polizei gesucht und es drohe im Haft, ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass selbst wenn man zu der Überzeugung gelangen würde, das Fahndungsplakat zeige tatsächlich eine vor der Ausreise im Mai 2014 aufgenommene fotographische Ablichtung des Klägers und sei echt, das Gericht nach der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung den Kläger nicht auf dem Fahndungsplakat wiederzuerkennen vermag. Die Gesichtszüge des Klägers passen wie bereits ausgeführt nicht zu jenen auf dem Fahndungsplakat. Sie sind auf jenem deutlich „runder“ und „breiter“ als die Gesichtszüge des Klägers im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Das Gericht ist daher überzeugt, dass ein Polizist selbst bei Kenntnis dieses Fahndungsplakates den Kläger auf den Straßen Sierra Leones nicht wiedererkennen würde.
Darüber hinaus gelten für die Fahndung nach Personen in Sierra Leone im Wesentlichen auch die selbigen Erwägungen, wie jene zur Verfolgung durch die Poro Society (vgl. Rn. 32). Das fehlende ausreichende Melderegister sowie die Tatsache, dass Sierra Leone nicht über ein funktionierendes zentrales Fahndungsbuch, sondern lediglich jene Polizeidienststellen Informationen über vermeintliche Straftäter haben, gegen welche wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt werde (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 4.11.2019 als Antwort auf den Beweisbeschluss des VG Regensburg vom 26. April 2019 – RN 14 K 14.33993) führen vorliegend zu dem Ergebnis, dass es dem Kläger möglich ist, sich in anderen Landesteilen unbehelligt von der ermittelnden Polizeibehörde aufzuhalten.
2.2.2 Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich am Ort der inländischen Fluchtalternative den Lebensunterhalt zu verdienen.
Zentraler Bezugspunkt der Zumutbarkeitsprüfung ist der Begriff der „Niederlassung“ in der beabsichtigten Zielregion, womit – jedenfalls mittelfristig – eine dauerhafte Wohnsitznahme in der jeweiligen Zielregion gemeint ist, welche dem Kläger objektiv möglich sein muss und nicht an rechtlichen Zuwanderungsbeschränkungen scheitern darf (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Edition Stand: 1.7.2020, § 3e AsylG Rn. 36 f., 50). Unzumutbar ist eine Niederlassung jedenfalls dann, wenn dem Betroffenen in dem verfolgungssicheren Landesteil Gefahren i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG oder § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG drohen (Wittmann a.a.O Rn. 40; VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – BeckRS 2017, 135067 Rn. 63 f.).
2.2.2.1 Dem Kläger ist es rechtlich möglich, sich an jedem Ort in Sierra Leone niederzulassen und diesen Ort auch tatsächlich zu erreichen. In der Verfassung Sierra Leones sind die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und die Rückkehr verankert. Die Regierung respektiert diese Rechte üblicherweise, wenngleich es Berichte gibt, dass die Polizei Straßensperren nutzt um Geld von Reisenden für die Weiterfahrt zu erpressen (USDOS – U.S. Department of State – Sierra Leone 2019 Human Rights Report vom 11.3.2020 und Sierra Leone 2018 Human Rights Report vom 13.3.2019). Zwar erschweren solche Formen staatlicher Korruption ein Fortkommen innerhalb des Landes. Erkenntnismittel dafür, dass es den Menschen in Sierra Leone gänzlich unmöglich wäre innerhalb des Landes zu reisen oder die „Straßensperren“ ein Ausmaß an Korruption erreichen würden, welches die üblicherweise im Land vorhandene Korruption übersteigen würde, liegen nicht vor. Klägerseits wurden hierzu ebenfalls nichts vorgetragen.
2.2.2.2 Dem Kläger ist auch eine – jedenfalls mittelfristig – dauerhafte Niederlassung an einem anderen Ort als seinem Heimatort objektiv möglich.
2.2.2.2.1 Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
2.2.2.2.1.1 Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind davon nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben‚ wenn diese sich im Heimatstaat wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert. Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Allerdings hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG glaubhaft zu machen.
Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichende Versorgungslage, sind hingegen bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324/328; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6/95 – BVerwGE 102, 249/258 f.; U.v. 8.12.1998 – 9 C 4/98 – BVerwGE 108, 77/80 f.; U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2006 – 1 B 60/06 (1 C 21/06) – juris).
2.2.2.2.1.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht dem Kläger keine erheblich konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.
Bis auf die geltend gemachten Schmerzen in der Brust und dem Bereich der Rippen, ist der Kläger gesund. Hinsichtlich der Schmerzen ist auch keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt worden.
Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für den Kläger sind nach den nachfolgenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich ebenfalls nicht aufgrund der Covid-19-Pandemie. Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer – vorliegend nicht bestehenden – Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 – 11 A 2468/14.A – juris Rn. 14). Bei dem Großteil der Bevölkerung verläuft eine vom Coronavirus verursachte Erkrankung in der Regel eher mild. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen, auch wenn schwere Verläufe auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten können und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden (vgl. Steckbrief des RKI, Stand 27.11.2020, https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html). Der Kläger ist – bis auf die vorgetragenen Schmerzen – gesund und gehört zu keiner Risikogruppe. Eine solche Eigenschaft ist auch weder klägerseits vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich. Der Kläger wäre daher bei einer Rückkehr nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet.
Darüber hinaus wird die Ausländerbehörde etwaige Veränderungen in den humanitären Verhältnissen Sierra Leones vor einer Abschiebung prüfen und ggf. berücksichtigen müssen.
2.2.2.2.2 Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Sierra Leone unmenschlichen Verhältnissen i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt würde. Es wird dem Kläger trotz der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Sierra Leone möglich sein, sein Existenzminimum zu sichern. Ein außergewöhnlicher Fall, wonach unter dem allgemeinen Gesichtspunkt schwieriger humanitärer Bedingungen im Herkunftsland von einer Abschiebung entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ abzusehen wäre, liegt nicht vor.
Sierra Leone gehört trotz seines Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,1 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 539,2 US-Dollar (Stand Oktober 2019) eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2019 Rang 181 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Arbeitslosenrate im Land ist sehr hoch. Die Jungendarbeitslosigkeit ist ein besonderes Problem (Bertelsmann Stiftung, Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI) 2016 – Sierra Leone Country Report, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2016). Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 60,3% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 32,4% und der Industriesektor mit 5,2% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Ungelernten Arbeitslosen gelingt es nur durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnlichen Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (vgl. zu damals noch prekäreren Verhältnissen: OVG NRW, B.v. 6.9.2007 – 11 A 633/05.A – juris Rn 28). Die Lebensumstände in Sierra Leone sind also als äußerst schwierig zu bezeichnen. Man geht aber davon aus, dass sich ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum – wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs – erwirtschaften kann. (vgl. VG Regensburg, U.v. 11.02.2019 – RN 14 K 17.3514 – juris).
Die medizinische Versorgung ist in Sierra Leone nach wie vor schwierig und es herrscht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten (vgl. BFA Republik Österreich a.a.O.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder – Band 17 Sierra Leone, Mai 2010).
Auch angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie liegen keine Erkenntnisse vor, dass sich die Verhältnisse in Sierra Leone derart verschlechtert haben, dass es dem Kläger unzumutbar wäre, sich am Ort der inländischen Fluchtalternative den Lebensunterhalt zu verdienen.
Die tatsächlichen individuellen Umstände des Klägers werden es ihm daher ermöglichen, trotz dieser humanitären Verhältnisse in Sierra Leone seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der junge Kläger unterliegt keinen Unterhaltsverpflichtungen und hat in Sierra Leone die Schulausbildung mit der dortigen Allgemeinen Hochschulreife abgeschlossen. In Deutschland hat er Arbeitserfahrung gesammelt, indem er ein Praktikum im Handels- und Installationsbetrieb einer …handelsfirma absolviert hat sowie derzeit einer Ausbildung zum … nachgeht. Es kann daher von ihm erwartet werden, sich bei einer Rückkehr nach Sierra Leone durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit – möge diese auch in Form von Gelegenheitsarbeiten bestehen – ein ausreichendes Existenzminimum zu sichern und auf Dauer zu erhalten.
2.2.2.2.3 Eine dauerhafte Niederlassung ist auch aus sonstigen Umständen nicht unzumutbar.
2.3 Das Gericht konnte auch ohne dem in der mündlichen Verhandlung beantragten Beweisantrag stattzugeben und das beantragte Sachverständigengutachten einzuholen entscheiden. Das Gericht hat den in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2020 gestellten Beweisantrag mit Beschluss vom 10. Dezember 2020 abgelehnt. Der unter Beweis gestellte Sachverhalt ist unerheblich, da dem Kläger – wie bereits dargelegt – in Sierra Leone kein Gefängnisaufenthalt droht. Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass der Beweisantrag verspätet erfolgte, die Verspätung nicht genügend entschuldigt worden ist und die beantragte Beweisaufnahme die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Auf die Begründung des Beschlusses vom 10. Dezember 2020 wird Bezug genommen. Im Übrigen ist auszuführen, dass die Identität des Klägers nach wie vor ungeklärt ist. Dieser hat keinen Reisepass oder ähnliche Dokumente vorgelegt. Es kann schon daher nicht überprüft werden, ob die Fahndungsfotos auch tatsächlich den Kläger bezeichnen oder nicht. Aus den genannten Gründen ergeben sich auch keinerlei Umstände, die vorliegend eine Beweisaufnahme von Amts wegen erfordert hätten.
2.4.Das Gericht konnte auch ohne die Gewährung der in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfrist entscheiden. Auf die Gründe des Beschlusses vom 10. Dezember 2020 wird Bezug genommen. Im Übrigen ist auszuführen, dass die Identität des Klägers nach wie vor ungeklärt ist. Dieser hat keinen Reisepass oder ähnliche Dokumente vorgelegt. Es kann schon daher nicht überprüft werden, ob die Fahndungsfotos und der Zeitungsartikel auch tatsächlich den Kläger bezeichnen oder nicht. Dem Kläger wird dadurch auch nicht das rechtliche Gehör abgeschnitten. Es liegt in dessen Hand und der Hand seines Bevollmächtigten, in das Verfahren eingebrachte Tatsachenbehauptungen und diese stützende Beweismittel auf ihre Glaubhaftigkeit und ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und sich über ihrem Beweiswert zu äußern. Eine vom Gericht in der mündlichen Verhandlung geäußerte und von den klägerischen Vorstellungen abweichende rechtliche Bewertung der vorgetragenen Tatsachen und vorgelegten Beweismittel verletzt das rechtliche Gehör des Klägers nicht.
2.5 Mit den im klägerischen Schriftsatz vom … Dezember 2020, welcher als Faxschreiben am 11. Dezember 2020 um 11:55 Uhr bei Gericht eingegangen ist, eingebrachten Einwendungen und vorgelegten Anlagen, muss sich das Gericht in den Urteilsgründen nicht auseinandersetzen, da insoweit das Urteil bereits am 10. Dezember 2020 um 15:50 Uhr auf der Geschäftsstelle niedergelegt worden ist und somit der im Nachgang an das niedergelegte Urteil erfolgte neue Tatsachenvortrag nicht im maßgeblich relevanten Zeitpunkt, nämlich dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist.
3. Es besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK; auf obige Ausführungen wird verwiesen.
4. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor; auf obige Ausführungen wird verwiesen.
5. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung nach § 77 Abs. 2 AsylG, insbesondere hinsichtlich der Ausreisefrist von 30 Tagen und der Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG Bezug genommen.
Hinsichtlich dem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG erfolgte mit Verfügung im Beklagtenschriftsatz vom 9. Dezember 2020 eine Abänderung des Bescheids dahingehend, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf nunmehr auch im Tenor des Bescheids auf 30 Monate befristet wird. Insoweit hat die Beklagte ihr – offensichtlich erkennbares – Schreibversehen korrigiert. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate sind nicht ersichtlich. Diesbezüglich wird auf den Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
III.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
IV.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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