Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage eines irakischen Staatsangehörigen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 4 K 16.32670

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1
RL 2011/95/EG Art. 4 Abs. 4
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Wegen seines christlichen Glaubens droht dem Kläger nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung bzw. eine asylrelevante Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure  (Rn. 15). (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Region Kurdistan – Irak wie auch in den weiteren Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Autonomieregion stehen, sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (Rn. 16). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Dezember 2016 ist in Ziffer 2 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 AsylG) im Fall des Klägers nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Bei der Beurteilung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise i.S. einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen, in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936 ff.; VG München v. 28.1.2015 – M 12 K 14.30579 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden (vgl. VG Augsburg vom 11.7.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris Rn. 21). Dadurch werde der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seiner Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauerer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es i.d.R., wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH Baden-Württemberg v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Irak landesweit von einer Verfolgung betroffen war. Insoweit kann auf die Begründung des Bescheids vom 12. Dezember 2016 verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend sei lediglich darauf hingewiesen, dass auch der Sachvortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung wenig substantiiert war. So hat er auf Frage des Gerichts erklärt, er werde seitens des IS bedroht und durch die Militärs. Die Bedrohung seitens des Militärs hat er jedoch nur insoweit konkretisiert, als er vortrug, dass man seinen Computer, den er zu Hause gehabt habe, mitgenommen habe. Ganz nachvollziehbar ist der Vortrag im Hinblick auf die Bedrohung durch das Militär aber auch deshalb nicht, da er in der mündlichen Verhandlung weiter vorgetragen hat, dass auch sein Vater beim Militär gewesen sei und dieser jetzt sogar eine Rente vom Militär erhalte. Dem vom Klägervertreter gezogenen Schluss, der Kläger sei im Irak ein „Staatsfeind“, kann daher nicht gefolgt werden. Im Übrigen ist die Aussage des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, der Kläger sei Soldat gewesen und Geheimnisträger mit den Antworten des Klägers vor dem Bundesamt nicht zu vereinbaren, denn dort hat der Kläger lediglich erklärt, er sei 2008 zur Armee gegangen und nach etwa fünf bis sechs Monaten in die Küche gewechselt. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, das Küchenpersonal beim Militär als „Geheimnisträger“ anzusehen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags des Klägervertreters, der Kläger sei mittlerweile offiziell zum Christentum konvertiert. Selbst, wenn man diesen Vortrag als wahr unterstellen würde, woran erhebliche Zweifel bestehen, da der Kläger diesen Vorgang mit keinem Wort in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, würde ihm wegen seines christlichen Glaubens nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit eine staatliche Verfolgung bzw. eine asylrelevante Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure drohen.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht von folgender Lage der Christen im Irak aus: In der Region Kurdistan – Irak wie auch in den weiteren Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Autonomieregion stehen, sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (vgl. zum Vorstehenden: AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: Dezember 2016, S. 12). Nach dem Vorstoß des IS im Sommer 2014 in den Nord- und Zentralirak, der auch das christliche Kernland im Irak traf, sind 10.000 Christen in die kurdische Autonomieregion geflohen. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung von Christen. Die kurdische Regionalregierung fördert den Kirchenbau, wie auch die Kirche als Institution mit staatlichen Ressourcen (zum Vorstehenden: AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak, Stand: Dezember 2016, S. 18). Von einer staatlichen Verfolgung oder eine asylrelevanten Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure kann daher keine Rede sein. Bestätigt sieht sich das Gericht durch die Berichte in den allgemein zugänglichen Quellen. Beispielhaft sei hier auf den Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 13. Juni 2016 verwiesen und das dort gedruckte Interview mit dem im Irak aktiven Pater Jens Petzold. Laut diesem gibt es keine systematische Ausrottung, wie das bisweilen auch von christlichen Hilfsorganisationen aus dem Westen behauptet würde. Deren Rede von einem „Genozid“ an den Christen halte er für fahrlässig und unverantwortlich. In dem ebenfalls allgemein zugänglichen Bericht von Deutschlandfunk vom 8. Februar 2017 (www.deutschland.de/christen-im-irak-kampf-ums-ueberleben.1773.de) erklärt der chaldäisch-katholische Erzbischof Bashar Varda, dass in Ankawa, dem traditionellen christlichen Viertel von Erbil, Christen eine gute Behandlung durch die kurdischen Autoritäten genössen. Es gebe für sie zwar keine Privilegien, man sei sich aber bewusst, dass Erbil auch eine christliche Stadt sei und weil es dort auch Gesetze gebe, die respektiert würden. Dies mache es einfacher, in Erbil als anderswo im Irak zu leben.
Der Kläger ist nach alldem kein Flüchtling i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG, denn er könnte jedenfalls im Nordirak seine Religion ausüben.
Nach alledem ist der Bescheid des Bundesamtes, soweit er angefochten wurde, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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