Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  M 15 K 16.32091

Datum:
25.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen gelingt nicht, wenn widersprüchliche Aussagen über die Fluchtgeschichte des Asylsuchenden gemacht werden.   (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid des Bundesamtes rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Der Kläger hat im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG. Auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylG oder die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans besteht kein Anspruch.
Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Her kunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Selbst wenn man unterstellt, dass die Taliban (und diesen nahestehende andere bewaffnete Gruppierungen) oder lokale Machthaber als nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 3c Nr. 3 AsylG zu qualifizieren sind, da derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (vgl. hierzu VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 19), so hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft dargelegt, dass eine Verfolgungslage durch diese Akteure gegeben ist.
Bei der Beurteilung des Vorbringens eines Schutzsuchenden genügt mit Rücksicht darauf, dass sich dieser vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, bezüglich dieser geltend gemachten Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ge botene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, die auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 11; Urteile vom 16.04., 01.10. und 12.11.1985, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nrn. 32, 37 und 41).
Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 20.10.1987, Buchholz 310, § 86 Abs. 3 VwGO, Nr. 37; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG, Nr. 113). Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Gefährdung die volle Überzeugung gewinnen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. Art. 4 QualRL sowie BVerfG, B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris). Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu seinem behaupteten Verfolgungsschicksal machen.
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbingen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 -juris; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist beim Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich aufgrund seines Vortrages nicht feststellen, dass er vor seiner Ausreise aus Afghanistan oder im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan von einer Verfolgung im oben genannten Sinne betroffen oder bedroht sein würde.
So fällt bereits auf, dass der Vortrag des Klägers zum Vorfall am Wahltag bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2016 eklatant von dem abweicht, was er noch bei der Anhörung vor dem Bundesamt ausgeführt hat. So hat er beim Bundesamt ausgeführt, dass drei bewaffnete Männer ihn und seinen Bruder „rausgezogen“ und gefragt hätten, wo sie hingehen. Sein Bruder sei dann von den Männern gefragt worden, mit welchem Finger er wählen wolle. Dem gegenüber sagte er bei Gericht, dass die Männer ohne zu fragen seinen Bruder vom Motorrad gerissen hätten und nur er habe weiterfahren können, nachdem er schnell Gas gegeben habe. Die Männer hätten noch versucht auf ihn zu schießen. Dieser Umstand wird in der Anhörung beim Bundesamt überhaupt nicht erwähnt.
Insbesondere sagte der Kläger – im Widerspruch zu seiner Aussage beim Bundesamt – dass die Männer eine andere Sprache gesprochen hätten und sie sich nicht hätten unterhalten können. Dann ist es aber nicht möglich, dass sich der Bruder des Klägers mit den Männern unterhalten haben soll, wie noch beim Bundesamt behauptet. Auch widersprechen sich die Aussagen insoweit, als nach dem Vortrag beim Bundesamt die Männer gefragt haben sollen, wohin der Kläger mit seinem Bruder gehe, sie demgegenüber nach der Aussage bei Gericht den Bruder des Klägers unvermittelt vom Motorrad gezogen haben sollen. Widersprüchlich sind auch die Aussagen des Klägers zum Schusswechsel der Polizei mit den drei Bewaffneten. So hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der Schusswechsel an der Stelle stattgefunden haben soll, an der sein Bruder vom Motorrad gezogen worden sei. Dann kann es aber nicht sein, dass der Kläger vor dem Wahllokal, das sieben bis acht Minuten von dieser Stelle entfernt ist, einen Schusswechsel gehört haben will. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die vom Kläger genannte Entfernung auf den Fußweg oder die Fahrt mit dem Motorrad bezieht. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auch erstmals angegeben, an der Tür seines Ladens einen Zettel mit einer Drohung entdeckt zu haben. In der Bundesamtsanhörung machte der Kläger hierzu überhaupt keine Angaben. Widersprüchlich ist auch der Vortrag zur angeblichen Entführung seines Bruders. So hat der Kläger beim Bundesamt angegeben, dass sein Bruder und sein Neffe von einer verhüllten bewaffneten Person festgenommen worden sei, wohingegen es in der mündlichen Verhandlung dann drei Männer gewesen sein sollen. Auch hat er erstmals in der mündlichen Verhandlung angegeben, aufgrund mehrerer Drohanrufe seine SIM-Karte gewechselt zu haben, wohingegen in der Anhörung beim Bundesamt nur von einem Anruf die Rede war.
Insgesamt ist der Vortrag des Klägers zu seiner Verfolgungsgeschichte in sich so widersprüchlich, dass das Gericht davon ausgeht, dass sie sich tatsächlich ereignet hat.
Die Widersprüche lassen sich auch nicht dadurch erklären, dass die Dolmetscherin seine Aussagen vor dem Bundesamt falsch wiedergegeben habe. Die Niederschrift war dem Kläger jedoch rückübersetzt worden.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, insbesondere nicht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12- Diakité, zur identischen Regelung des Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004). Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921).
Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren ist, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136,377).
Der Kläger stammt aus der Provinz Kunduz, so dass hinsichtlich der Gefahrenlage primär darauf abzustellen ist. Die Provinz Kunduz wird von der Unterstützungskommission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www.unama.unmissions.org) der Nordostregion Afghanistan (Provinzen: Kunduz, Takhar, Badakhshan und Baghlan) zugeordnet, in der etwa 3.855 Millionen Einwohner leben (wikipedia.org/wiki/Provinces_of_Afghanistan).
Die Gefahrendichte ist in dieser Provinz nicht so hoch, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2015 – 13a ZB 14.30450).
Nach dem UNAMA Midyear Report 2015 zählte die UNAMA für die erste Jahreshälfte 2009 35 zivile Tote und Verletzte; hochgerechnet auf das Gesamtjahr 2009 ist daher von etwa 70 Toten und Verletzten auszugehen (UNAMA Midyear Report 2015, S. 12). Damit lag im Jahr 2009 die Wahrscheinlichkeit, bei einem Anschlag getötet oder verletzt zu werden, bei etwa 0,003%, also im Bereich unter einem Promille.
In der ersten Jahreshälfte 2016 zählte UNAMA für die Nordostregion 548 Tote und Verletzte (UNAMA, Midyear Report 2016, S. 12; https: … unama. unmissi-ons.org/sites/default/files/protection_of_civilians_in_armed_conflict_midyear_report_ 2016_final_rev.1-9sept.pdf) so dass für das Jahr 2016 hochgerechnet eine Opferzahl von etwa 1.100 zu befürchten ist. Für das Jahr 2016 ist damit von einer Wahrscheinlichkeit von 0,03% auszugehen, als Zivilist in der Nordostregion bei einem Anschlag getötet oder verletzt zu werden. Das Risiko ist damit zwar angestiegen, die Wahrscheinlichkeit liegt aber weiter unter einem Promille. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass aufgrund der schweren Kämpfe in Kunduz zum Jahresende 2015 sich die Opferzahl für das Jahr 2015 (1.978) gegenüber dem Vorjahr (2014: 929) verdoppelt hat (UNAMA, Annual Report 2015, Seite 8; abrufbar unter: https: …unama.unmissions.org/sites/default/files/poc_annual_report_2015_final_14_fe b_2016.pdf).
Eine Aufschlüsselung der Opferzahlen nach den einzelnen Provinzen lässt sich den UNAMA-Berichten nicht entnehmen. Hinweise für die Gefahrendichte in den einzelnen Provinzen lassen sich aber aus den zuletzt für das 1. Quartal 2013 veröffentlichten Berichten des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO, www.ngosafety.org) herleiten. Hiernach gab es im Jahr 2012 in Kunduz 460 Anschläge (ANSO 4. Quartal 2012, S. 13).
Bezogen auf Afghanistan wurden bei jedem Anschlag im Jahr 2012 rechnerisch etwa 0,34 Personen verletzt, da in diesem Jahr 22.425 Angriffe (ANSO Quarterly Data Report Q.4 2012, S. 13) mit 7.559 zivilen Opfern (Tote und Verletzte) gezählt wurden (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2012 Protection of Civilians in Armed Conflict, S. 1). Legt man zugrunde, dass auch bei jedem Anschlag in Kunduz rechnerisch rund 0,34 Personen getötet oder verletzt werden, so wurden 2012 etwa 156 Personen getötet oder verletzt. Bei einer Gesamteinwohnerzahl der Provinz Kunduz von 1.010.000 (wikipedia.org/wiki/Provinces_of_Afghanistan) ergab sich damit im Jahr 2012 eine Wahrscheinlichkeit von unter 0,015% für eine Zivilperson in der Provinz Kunduz, bei einem Anschlag getötet oder verletzt zu werden.
Auch wenn der Vergleich der Opferzahlen mit der Zahl der Angriffe nicht exakt auf die tatsächliche Opferzahl schließen lässt, gibt er doch eine realistische Basis für die erforderliche Risikoabschätzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Nordostregion weiterhin angespannt bleibt und sich gerade in Kunduz gegenüber dem Jahr 2009 verschlechtert hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region oder in der Provinz Kunduz einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte.
Es bestehen keine Hinweise darauf, dass sich die allgemeine Gefahr beim Kläger durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzt. Unabhängig davon hätte der Kläger eine inländische Fluchtalternative nach § 4 Abs. 3, § 3e AsylG (vgl. OVG NRW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1551/15.A – juris Rn. 8 ff.).
Auch Abschiebungsverbote liegen nicht vor. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. Das Gericht schließt sich der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 12. Februar 2015 an, wonach in Afghanistan die Lage jedoch nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (Az. 13a B 14.30309 – juris Rn. 12). Besondere Umstände, die vorliegend zu einer anderen Beurteilung führen würden, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Dass er wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt wäre, ist nicht anzunehmen. Er ist nach seinen Angaben Paschtune und damit Mitglied der mit einem Anteil von 40% an der Gesamtbevölkerung Afghanistans größten Bevölkerungsgruppe (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand November 2015, S. 10).
Auch auf eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann sich der Kläger nicht berufen. Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger auch nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten wäre. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist jedoch geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; U.v. 30.1.2014 – 13a B 13.30279 – juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Der Kläger hat zudem selbst angegeben, Inhaber eines Ladens zu sein und keine finanziellen Probleme gehabt zu haben. Außerdem kann er auf familiären Rückhalt in Afghanistan zurückgreifen, da seine Frau, sein Onkel und sein Neffe noch in Afghanistan leben.
Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald einer existenzbedrohenden Mangellage ausgesetzt wäre, nicht vor (BayVGH, U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris Rn. 22).
Gegen die auf § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung bestehen ebenso wenig Bedenken wie im Hinblick auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 2 AufenthG), zu dessen Anordnung die Beklagte aufgrund § 75 Nr. 12 AufenthG befugt war und das sich innerhalb der Frist des § 11 Abs. 3 AufenthG bewegt.
Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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