Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage ukrainischer Asylbewerber gegen landesinterne Umverteilung aus dezentraler Unterkunft in Gemeinschaftsunterkunft

Aktenzeichen  24 K 17.45 600

Datum:
10.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16792
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DVAsyl § 9 Abs. 1, Abs. 5
AufnG Art. 4 Abs. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

1. Bei der Ermessensentscheidung in von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilungen sind vor allem Grundrechte und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als gesetzliche Grenzen des Ermessens zu berücksichtigen; dabei kann ein Eingriff in Grundrechte allerdings gerechtfertigt sein. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die landesinterne Umverteilung verfolgt den legitimen Zweck, freie Kapazitäten in einer Gemeinschaftsunterkunft und eine dort vorhandene Bündelung behördlicher Kapazitäten zwecks Verfahrensbeschleunigung zu nutzen. (Rn. 45 – 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Über die Klage konnte gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Kläger und der Beklagte ausdrücklich auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichteten.
Zur Entscheidung berufen ist der Einzelrichter aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 20. Dezember 2017 (§ 76 Abs. 2 AsylG).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die vorliegend ohne mündliche Verhandlung ergehende Entscheidung ist der Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG).
2. Das Verwaltungsgericht (VG) München ist insbesondere örtlich zuständig gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es handelt sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz (AsylG), weil für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich jedenfalls auch § 53 AsylG ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2016 – 21 CS 16.30179 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 19.10.2016 – 21 ZB 16.30251 – juris Rn. 7). Dabei hatten die Kläger in dem (für die Bestimmung der örtlichen gerichtlichen Zuständigkeit gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG – maßgeblichen) Zeitpunkt des Klageeingangs aufgrund des streitgegenständlichen Bescheides ihren Aufenthalt in der GU Ingolstadt, mithin im Gerichtsbezirk des VG München zu nehmen (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO).
3. Die Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Sie ist jedoch unbegründet, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3.1. Rechtsgrundlage der im Bescheid von Amts wegen verfügten landkreisinternen Umzugsaufforderung ist § 9 Abs. 1 Satz 2 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl). Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder in eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen; die Kläger gehören als Asylbewerber zu dem in § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl-2016 genannten Personenkreis.
3.2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Zuständig ist insoweit gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl diejenige Regierung, innerhalb oder in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, vorliegend also die Regierung von Oberbayern, weil Ingolstadt im Regierungsbezirk Oberbayern liegt.
Dabei bedarf es für derartige Verteilungsentscheidungen gemäß § 50 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AsylG (vgl. auch § 9 Abs. 4 und § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl) weder einer Anhörung noch einer Begründung. Damit setzt die Asyldurchführungsverordnung voraus, dass wesentliche Teile der Sachverhaltsermittlung und der Begründung auch erst nach Bekanntgabe derartiger Umverteilungsentscheidungen erfolgen können, mithin auch im Wege von Schriftsätzen in nachfolgenden gerichtlichen Verfahren wie vorliegend.
3.3. Der Bescheid ist hinsichtlich Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheides materiell rechtmäßig.
3.3.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 DVAsyl für eine landesinterne Umverteilung liegen vor.
An der streitgegenständlichen Umverteilung besteht ein „öffentliches Interesse“, weil die GU Ingolstadt über freie Kapazitäten verfügt und damit zu rechnen ist, dass durch die Umverteilung in die GU Ingolstadt das Asylverfahren der Kläger wegen der dortigen Bündelung der beteiligten Stellen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von Oberbayern, Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts) beschleunigt und unter effizientem Einsatz öffentlicher Mittel fortgeführt werden kann. Da die allgemein bekannte Geschäftsstatistik des BAMF für die Zeit von Januar bis November 2017 für die Ukraine eine bundesweite Gesamtschutzquote von nur 5,3 Prozent ausweist, darf davon ausgegangen werden, dass sich nur in wenigen Asylverfahren von Personen dieses Herkunftslandes derart gravierende Asylgründe auftun werden, dass mit besonders langwierigen Asylverfahren zu rechnen ist, so dass die in der GU Ingolstadt vorhandenen freien Kapazitäten durch Umverteilungen von ukrainischen Asylbewerbern sinnvoll ausgelastet werden können und zudem die Umverteilungen in die GU Ingolstadt zu einem beschleunigten Abschluss des Asylverwaltungsverfahrens führen. Dieses aus einer Betrachtung der Gruppe der ukrainischen Asylbewerber folgende „öffentliche Interesse“ schlägt auch auf den Einzelfall der Kläger durch, weil diese zur Gruppe der ukrainischen Asylbewerber gehören. Zwar liegt hierin keine der in § 9 Abs. 5 DVAsyl genannten Fallvarianten; aus dem dort geschriebenen Wort „insbesondere“ folgt aber, dass § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl auch andere „öffentliche Interessen“ erfasst.
Der in der Klage- und Antragsschrift des Bevollmächtigten vom … Januar 2017 angesprochene Umstand, dass die Kläger nicht aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ i.S.v. § 29a i.V.m. Anlage II AsylG stammen und deshalb die Regelung des § 30a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 AsylG betreffend „beschleunigte Asylverfahren“ durch eine BAMF-Außenstelle, die einer „besonderen Aufnahmeeinrichtung“ zugeordnet sind, nicht einschlägig ist, steht einem öffentlichen Interesse an der streitgegenständlichen Umverteilung nicht entgegen. Denn schon wegen § 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b DVAsyl, der den Regierungen die Errichtung und den Betrieb von „Gemeinschaftsunterkünften“ unter anderem auch in Ingolstadt vorgibt, ist die GU Ingolstadt rechtlich und organisatorisch von der in § 4 Abs. 2 Nr. 1 DVAsyl vorgesehenen „besonderen Aufnahmeeinrichtung“ in Manching/Ingolstadt zu unterscheiden. Die „GU“ Ingolstadt ist keine Aufnahmeeinrichtung. Es ist keine Vorschrift ersichtlich, die es dem Freistaat Bayern verwehren würde, Gemeinschaftsunterkünfte i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 DVAsyl unter Berücksichtigung der räumlichen Verteilung von BAMF-Kapazitäten zu organisieren, und zwar auch dann, wenn die die förmliche Vorgabe in § 30a Abs. 3 AsylG und die Verpflichtung in § 30a Abs. 4 AsylG nicht einschlägig ist. Ganz im Gegenteil besteht ein öffentliches Interesse daran, durch organisatorische und umverteilungsrechtliche Maßnahmen eine Nutzung freier Unterkunftskapazitäten sowie eine Beschleunigung auch bei solchen Asylverfahren zu unterstützen, die nicht § 30a AsylG unterfallen, wozu auch der Bescheid beiträgt (s.o.). Dass bei einer Umverteilung in die GU Ingolstadt die rechtsstaatlichen Anforderungen an Asylverfahren, die dem § 30a AsylG nicht unterfallen, nicht erfüllt werden könnten, ist nicht ansatzweise ersichtlich.
3.3.2. Der Bescheid verstößt nicht gegen die in § 9 Abs. 6 DVAsyl genannten Anforderungen, bei denen es sich im Hinblick auf § 53 Abs. 1 Satz 2 AsylG um gerichtlich vollständig überprüfbare Anforderungen handelt; nach § 9 Abs. 6 DVAsyl soll der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie von Eltern und ihren minderjährigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von gleichem Gewicht Rechnung getragen werden.
Dem Aspekt der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern mit ihren minderjährigen ledigen Kindern wird vom Bescheid Rechnung getragen. Die Familie wird nicht getrennt, sondern vielmehr geschlossen in die GU Ingolstadt umverteilt.
Der Bescheid verstößt nicht gegen sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht. Insbesondere sind gesundheitliche Gründe, die einer landesinternen Umverteilung in die GU Ingolstadt entgegenstehen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich. Dabei hat die Klagepartei medizinische Aspekte, aus denen sich sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem, einer landesinternen Umverteilung entgegenstehendem, Gewicht ergeben, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) nicht nur vorzutragen, sondern auch zu belegen.
Auch der von der Klagepartei vorgebrachte Aspekt der laufenden Anerkennung der beruflichen Qualifikationen des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) steht dem Bescheid nicht gemäß § 9 Abs. 6 DVAsyl entgegen. Es handelt sich insoweit schon begrifflich nicht um „humanitäre“, sondern um berufliche und wirtschaftliche Erwägungen. Unabhängig davon ist aber jedenfalls – wie von dem Beklagten zu Recht vorgetragen – kein Grund ersichtlich, weshalb der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) ihr jeweiliges Qualifikationsanerkennungsverfahren nicht auch von Ingolstadt aus weiterverfolgen können sollten.
Der Vortrag der Klagepartei zur beruflichen Tätigkeit der Klägerin zu 2) im Klinikum … ist im Ausgangspunkt ebenfalls kein „humanitärer“, sondern ein beruflicher und wirtschaftlicher Grund. Unabhängig davon hat die Klagepartei weder die von ihr vorgebrachte Tätigkeit der Klägerin zu 2) als „Pflegehelferin zur Anerkennung“ noch die Zusage einer möglichen anschließenden Festanstellung (jeweils in Vollzeit) belegt, was der Beklagte insoweit zu Recht in ihrer Klageerwiderung eingefordert hat. Dabei ist es gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO Sache der Klagepartei, hinsichtlich der Klägerin zu 2) eine berufliche Tätigkeit, die allein in die rechtliche Sphäre der Klägerin zu 2) fällt, mit entsprechenden Unterlagen zu belegen, was vorliegend in dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (entgegen der Einforderung durch den Beklagten) bislang nicht geschehen ist. Auch aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich insoweit kein hinreichender Beleg. Hinsichtlich der Klägerin zu 2) wurden nämlich keine Belege hinsichtlich des Klinikums … vorgelegt, sondern nur solche der …-Klinik, wobei diese Belege sich wiederum nur auf einen Praktikumszeitraum vom 23. Mai 2016 bis zum 17. Juni 2016 beziehen, nicht aber auf die in der Klageschrift des Bevollmächtigten vom … Januar 2017 geschilderten Entwicklungen seit Herbst 2016.
Auch die von der Klagepartei vorgetragene Teilnahme des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) an einem Kurs bei der „… … …“ ist nicht humanitär, sondern im Hinblick auf die dort vermittelten Bewerbungstechniken nur berufsbezogen. Unabhängig davon ist nicht hinreichend dargelegt und nachgewiesen, wie lange diese Kurse noch fortdauern, dass sie nicht auch von Ingolstadt aus besucht werden können und dass Gründe vorliegen, weshalb eine Schulung in Bewerbungstechniken nicht auch im Raum Ingolstadt möglich sein sollte.
Der Kläger zu 3) kann seiner Schulpflicht auch in Ingolstadt genügen, so dass schon von daher § 9 Abs. 6 DVAsyl dem Bescheid nicht entgegensteht.
Der ältere Sohn des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2), ist bereits volljährig, so dass der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) als seine Eltern von vornherein nicht i.S.v. § 9 Abs. 6 DVAsyl von ihm als „minderjährigem Kind“ getrennt werden können, weswegen sich der Bescheid auf ihn auch schon formal nicht bezieht. Außerdem ist auch der volljährige Sohn – mit gesondertem Bescheid – ebenfalls nach Ingolstadt umverteilt, die Familie also nicht getrennt worden.
Die von der Klagepartei erwähnten Verwandten in … gehören nicht zu dem § 9 Abs. 6 Alt. 1 DVAsyl umschriebenen Personenkreis der Kernfamilie. Auch wenn die Kläger regelmäßige Kontakte pflegen, begründet eine Umverteilung nach Ingolstadt insoweit keinen humanitären Grund von einem Gewicht, das dem einer Trennung minderjähriger Kinder von ihren Eltern gleichkäme; insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb der Kontakt zu den in … lebenden Verwandten nicht auch von Ingolstadt aus möglich bleiben sollte.
3.3.3. Der Bescheid leidet hinsichtlich seiner Nr. 1 und Nr. 2 im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung nicht unter Ermessensfehlern.
Auf der Rechtsfolgenseite räumt § 9 Abs. 1 DVAsyl der Verwaltung Ermessen ein, das sowohl hinsichtlich des Entschließungsermessens als auch hinsichtlich des Auswahlermessens gemäß § 114 VwGO nur dahingehend gerichtlich überprüft werden kann, ob die in § 114 Satz 1 Alt. 1 und Alt. 2 VwGO genannten Ermessensfehler vorliegen. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO sind Ergänzungen noch im gerichtlichen Verfahren möglich, wobei stets auch die Wertung von § 50 Abs. 4 Satz 4 AsylG (i.V.m. §§ 9, 7 DVAsyl) zu berücksichtigen ist, wonach auch landesinterne Umverteilungen keiner Begründung bedürfen.
Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens i.S.v. § 114 Satz 1 Alt. 1 VwGO werden durch den Bescheid gewahrt.
Dabei sind bei von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilungen vor allem Grundrechte und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als gesetzliche Grenzen des Ermessens bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Daran ändert auch § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG nichts, wonach ein Asylbewerber keinen Anspruch auf einen bestimmten Aufenthaltsort hat. Denn bei von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilungen als belastenden Verwaltungsakten kommen die Grundrechte in ihrer Ausgangsfunktion als Abwehrrechte gegen den Staat (Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz – GG) zur Anwendung.
Auch ein Eingriff in Grundrechte kann dabei allerdings gerechtfertigt sein, was vorliegend der Fall ist.
Der Bescheid greift in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Kläger ein. Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) liegt dabei nicht vor, weil Art. 12 Abs. 1 GG nur Deutschen eine Grundrechtsposition verleiht. Ein sonstiger Grundrechtseingriff ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht in Art. 6 Abs. 1 GG; die Kläger und der volljährige Sohn des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) werden nicht getrennt, sondern geschlossen nach Ingolstadt umverteilt.
Die Intensität dieses Grundrechtseingriffs ist allerdings nicht tiefgreifend; insbesondere ist eine landesinterne Umverteilung innerhalb Bayerns von ihrer Grundrechtsrelevanz her nicht ansatzweise vergleichbar mit einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet heraus, was bei der Prüfung der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs von Bedeutung ist.
Der Grundrechtseingriff ist gerechtfertigt.
Die vorliegende landesinterne Umverteilung verfolgt einen legitimen Zweck. Es geht darum, einerseits freie Kapazitäten in der GU Ingolstadt und andererseits die dort vorhandene Bündelung behördlicher Kapazitäten zu nutzen, wobei die Kläger der Gruppe der ukrainischen Asylbewerber angehören, bei der – wie gezeigt – die Anerkennungsquote gering ist (s.o.). Die Nutzung der in der GU Ingolstadt zur Verfügung stehenden freien Kapazitäten durch die streitgegenständliche Umverteilung ist ein legitimes Ziel. Für Asylbewerber wie die Kläger hat der Gesetzgeber das in §§ 44 ff. AsylG i.V.m. Art. 4 AufnG i.V.m. der DVAsyl geregelte System der staatlich organisierten und vor allem auch finanzierten Unterkunft geschaffen. In diese wichtige Verwaltungsaufgabe investiert der Staat erhebliche Steuermittel. Im Gegenzug hält der Gesetzgeber in § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG explizit den Grundsatz fest, dass Asylbewerber keinen Anspruch darauf haben, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Dass bei der streitgegenständlichen Umverteilung der Aspekt der Bleibeperspektive berücksichtigt wurde, ist deshalb im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Maßnahme ist schon deshalb geeignet, das (legitime) Ziel der Kapazitätsnutzung und der Verfahrensbeschleunigung zu erreichen, weil die Kläger zur Gruppe der Ukrainer gehören und in der GU Ingolstadt freie Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Die Maßnahme ist auch erforderlich. Ohne eine Umverteilung könnten die freien Kapazitäten in der GU Ingolstadt nicht genutzt werden, um den Beschleunigungseffekt zu erzielen, so dass insoweit kein milderes, gleich geeignetes Mittel ersichtlich ist, um eben diesen Zweck der Nutzung freier Kapazitäten zu erreichen.
Auch erscheint der Bescheid bei einem Vergleich des legitimen, von ihm verfolgten öffentlichen Interesses mit der geringen Schwere des mit ihm verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen. Es ist nach derzeitiger Aktenlage nicht davon auszugehen, dass bei dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) die Vermittlung von Bewerbungstechniken und beim Kläger zu 3) die Schulausbildung i.S.v. Art. 35 BayEUG nicht auch in Ingolstadt möglich wäre. Auch ist nicht substantiiert vorgetragen und belegt, dass ein Kontakt zu den Verwandten in … von Ingolstadt aus nicht möglich wäre. Für die von der Klagepartei vorgetragene Arbeitsmöglichkeit der Klägerin zu 2) wurde, obwohl vom Beklagten zu Recht eingefordert, kein Nachweis vorgelegt. Unabhängig davon ist zu sehen, dass der Grund für den bisherigen Aufenthalt der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie ihr Asylantrag ist. Solange der Asylantrag der Kläger anhängig ist, kommt der effektiven Nutzung steuerfinanzierter und für Asylbewerber in Erfüllung des diesbezüglichen gesetzlichen Auftrags (§§ 44 ff. AsylG; Art. 4 AufnG) geschaffener staatlicher Unterkunftskapazitäten bei der Bewertung und Gewichtung des öffentlichen Interesses i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl erhebliches Gewicht zu. Deshalb führt schon das Vorhandensein freier Kapazitäten in der GU Ingolstadt für sich gesehen zu einem öffentlichen Interesse von erheblichem Gewicht, das gegenüber dem vorliegend nicht intensiven Eingriff in die Grundrechte der Kläger überwiegt. Unabhängig davon darf, wie dargestellt, aber auch davon ausgegangen werden, dass die Bündelung behördlicher Ressourcen in Ingolstadt eine effektive Bewältigung der Asylverfahren von Asylbewerbern aus dem Herkunftsland Ukraine fördert.
Der Ermessensgebrauch erfolgte vorliegend entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung (§ 114 Satz 1 Alt. 2 VwGO).
Vorliegend wurde in legitimer Weise im Interesse der Beschleunigung des Asylverfahrens auf den Aspekt der freien Kapazitäten und der möglichen Bündelung von Verwaltungseinrichtungen unter Berücksichtigung der geringen Anerkennungsquote ukrainischer Asylbewerber zurückgegriffen.
Die offene Formulierung des § 9 Abs. 1 DVAsyl gestattet die Berücksichtigung einer Vielzahl öffentlicher Zwecke und Aspekte. Deshalb können auch divergierende öffentliche Zwecke, die gegen eine Umverteilung sprechen, im Kontext dieser Vorschrift relevant werden.
Vorliegend sind derartige divergierende öffentliche Zwecke, die das vom Bescheid verfolgte Ziel, die in Ingolstadt vorhandenen Kapazitäten zu nutzen, relativieren könnten, allerdings nicht ersichtlich.
3.4. Nr. 3 und 4 des Bescheid erweisen sich ebenfalls als rechtmäßig und die Anfechtungsklage ist deshalb auch insoweit unbegründet (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 38 Abs. 1 VwZVG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).


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