Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf aufschiebende Wirkung gegen eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  W 8 S 18.31889

Datum:
7.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21652
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 30, § 36 Abs. 4 S. 1, § 43 Abs. 3 S. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

1 Stellt ein Asylsuchender seine Verfolgungsgeschichte widersprüchlich dar, so erscheint auch die vorgetragene drohende Gefahr nicht glaubhaft. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die schwierigen Lebensverhältnisse in Algerien stellen für sich allein keinen Asylgrund dar. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen sind algerische Staatsangehörige (Mutter mit vierjähriger Tochter). Die Antragsgegnerin lehnte ihre Asylanträge mit Bescheid vom 29. August 2018 als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihnen die Abschiebung nach Algerien an.
Die Antragstellerinnen erhoben am 5. September 2018 im Verfahren W 8 K 18.31888 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragten gleichzeitig im vorliegenden Sofortverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Antragsbegründung gab die Antragstellerin zu 1) im Wesentlichen an: Sie könnten nicht nach Algerien zurück, da sie fürchte von ihrer Familie verfolgt und getötet zu werden. Sie habe ein uneheliches Kind. Sie sei Muslimin. In ihrer Religion stelle dies einen Sittenverstoß und ein Verbot dar. Sobald sie nach Algerien zurückkehre und ihre Familie davon erfahre, werde sie umgebracht. Der Vater der Tochter – der Antragstellerin zu 2) –, libyscher Staatsangehöriger, sei seit dem Krieg verschwunden. Die Antragstellerin zu 1) befürchte auch, dass ihre Tochter von ihrer Familie oder der Familie des Kindsvaters entführt werden könnte bzw. ihr weggenommen werden könnte, wenn sie nach Algerien oder nach Libyen zurückgehe. Sie hätten niemanden in Algerien, der sie unterstützen könnte.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 18.31888) und die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerinnen ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bundesamtsbescheids vom 29. August 2018 begehren, zumal ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheids unzulässig wäre.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018).
Das Vorbringen der Antragstellerinnen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die angesprochene persönliche Situation ist offensichtlich (vgl. § 30 AsylG) nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant, wie die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat.
Nach dem eigenen Sachvortrag der Antragstellerin zu 1) gegenüber dem Bundesamt war wesentlicher Ausreisegrund ihre wirtschaftliche Situation.
Die in der Antragsbegründung erstmals vorgebrachte weitere Begründung, die Antragstellerin zu 1) fürchte, von ihrer Familie verfolgt und getötet zu werden, weil sie ein uneheliches Kind habe, bzw. das Kind könnte ihr weggenommen werden, wertet das Gericht zum einen als gesteigertes Vorbringen, um dem Antragsbegehren zum Erfolg zu verhelfen, und zum anderen als spekulativ und letztlich nicht glaubhaft. Denn die Antragstellerin zu 1) hat selbst erklärt, den Vater des Kindes geheiratet zu haben. Bei der Hochzeit seien auch ihre Eltern anwesend gewesen. Lediglich die Registrierung sei unterblieben. Insofern ist dem Gericht nicht nachvollziehbar, inwieweit die Antragstellerin zu 2) unehelich sein könnte. Wenn der Vater der Tochter, der Antragstellerin zu 2), der zurzeit als vermisst gilt, nicht mehr leben würde, wäre die Antragstellerin zu 1) verwitwet, die Antragstellerin zu 2) aber nicht unehelich. Die Antragstellerin zu 1) hat zwar gegenüber dem Bundesamt erwähnt, dass ihre Geschwister ihr die Hilfe verweigert hätten, weil aus ihrer Sicht das Kind unehelich sei. Gleichwohl sind die Antragstellerinnen in Algerien der Vergangenheit unbehelligt geblieben (anders als etwa in dem Fall des Verfahrens des VG Göttingen, U.v. 6.9.2011 – 3 A 163/09 – juris). Auch von konkreten Bedrohungen hat die Antragstellerin zu 1) nichts berichtet. Insofern ist nicht verständlich, wieso die Antragstellerin zu 1) bei einer Rückkehr nun sofort umgebracht werden sollte bzw. ihr Kind nunmehr entführt oder ihr weggenommen werden sollte.
Schon die vorstehend ausgeführten Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten sprechen gegen das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr. Des Weiteren müssen sich die Antragstellerinnen grundsätzlich auf den Schutz der algerischen Polizei verweisen lassen, falls ihnen Gefahr durch private Dritte in ihrem Heimatland drohen sollte. Darüber hinaus bestünde in einem großen Land wie Algerien die Möglichkeit einer inländischen Aufenthaltsalternative. Die Antragstellerinnen könnten sich etwa in Algier oder in einer anderen großen Stadt in Algerien niederlassen, ohne dass ihnen Gefahren von dritter Seite drohen müssten. Den Antragstellerinnen ist insoweit auch eine Übersiedlung in andere Landesteile und Städte möglich und zumutbar, um den behaupteten angeblich drohenden Gefahren zu entgehen. Speziell bezogen auf die Antragstellerin zu 1) ist anzumerken, dass alleinstehende Mütter in Großstädten, insbesondere in Algier und Oran, im geringerem Ausmaß von Stigmatisierung betroffen sind, da dort die gesellschaftliche Haltung zu manchen Themen, darunter auch zu außerehelichen sexuellen Beziehung, zunehmend offener wird (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Algerien: Strafbarkeit von vorehelichen Geschlechtsverkehr …, vom 29. Juli 2014), sodass selbst bei vermeintlicher Unehelichkeit ein zumutbarer Ausweg in Algerien bestünde.
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation in Algerien wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid verwiesen, in dem schon im Einklang mit der Auskunftslage ausführlich dargelegt ist, dass das Existenzminimum der Antragstellerinnen bei einer Rückkehr gesichert ist und Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung in Algerien gewährleistet sind (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 21 ff.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Die Antragstellerin zu 1) ist noch jung und erwerbsfähig; ihr ist zuzumuten zur Sicherung ihres Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden Großfamilie zurückzugreifen (ebenso VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; siehe auch BVerwG, U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – juris).
Speziell bezogen auf die Antragstellerinnen ist weiter anzumerken, dass das Gericht auch bei ihnen eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse in Algerien für möglich und zumutbar hält. Nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin zu 1) leben in Algerien noch zwei Onkel mütterlicherseits und vier Tanten mütterlicherseits sowie ein Bruder und eine Schwester. Wie bereits ausgeführt, waren die Eltern der Antragstellerin zu 1) bei der Hochzeit anwesend, so dass zum einen gerade im arabischen und islamischen Kulturkreis nicht ersichtlich ist, wieso die Antragstellerin zu 2) unehelich sein sollte und wieso die Großfamilie nicht – wie üblich – ihre Verwandten helfen sollte. Abgesehen davon hat die Antragstellerin zu 1) vorgebracht, dass sich ihre Mutter (nur) besuchsweise in Frankreich aufhält, so dass es das Gericht durchaus für möglich hält, dass diese ebenfalls nach Algerien zurückkehrt und die Antragstellerinnen ebenfalls unterstützen könnte.
Das Gericht verkennt nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Algerien. Diese betreffen jedoch jeden algerischen Staatsangehörigen in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ausländerbehörde zuständig ist, eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa eine Reiseunfähigkeit oder familiäre Aspekte – zu prüfen (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen.
Derartige inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind ausländerrechtlich gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen und nicht im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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