Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Eilrechtsschutz im Asylfolgeverfahren

Aktenzeichen  M 24 E 16.31397

Datum:
23.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 43 Abs. 3 S. 1, § 71 Abs. 1, Abs. 3-5
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1-3
VwGO VwGO § 114, § 123

 

Leitsatz

Enthält der im Asylfolgeverfahren ergangene ablehnende Bescheid keine erneute Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, kann nur ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthafter Rechtsbehelf sein, um eine Abschiebung vor einer Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. (redaktioneller Leitsatz)
Die Ausländerbehörde darf zwar eine Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise einer Familie zu ermöglichen; ein Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens oder auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten ergibt sich daraus jedoch nicht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die am … 1967 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre am … 2004 geborene Tochter, die Antragstellerin zu 2), sind ihren Angaben im Asylverfahren zufolge mazedonische Staatsangehörige islamischen Glaubens und gehören zur Volksgruppe der Roma.
Bereits mit Bescheid vom 7. April 2014 (Antragstellerin zu 1) und 5. August 2014 (Antragstellerin zu 2) wurden ihre Asylanträge abgelehnt und sie unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise nach Mazedonien aufgefordert.
Am 9. Februar 2016 beantragten sie (zusammen mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) erneut ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung trug die Antragstellerin zu 1) für sich und ihre minderjährige Tochter mit Schreiben vom 29. Februar 2016 vor, dass sie Roma seien und keine Rechte und keine Arbeit in Mazedonien hätten. Sie hätten Probleme mit den Albanern. Ihr Haus sei in Brand gesteckt worden, weil sie ihre Stimme bei den Wahlen nicht den Albanern gegeben hätten, sondern für das mazedonische Volk gewählt hätten. Wenn sie wieder nach Mazedonien zurückkehren müssten, würden sie wieder malträtiert und unterdrückt werden.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2016 (Az. …), den Antragstellerinnen zugestellt am 11. Juni 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Nr. 1) und den Antrag auf Abänderung der Bescheide vom 7. April 2014 (Az. …, Antragstellerin zu 1) und vom 5. August 2014 (Az. …, Antragstellerin zu 2) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Nr. 2) ab und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 3).
Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Es werde im Wesentlichen der bereits in den vorangegangenen Asylverfahren zugrunde liegende Sachverhalt wiederholt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Gründe, die unabhängig vom Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Vom Erlass einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wurde gemäß § 71 Abs. 5 des Asylgesetzes (AsylG) abgesehen.
Am 14. Juni 2016 erhoben die Antragsteller Klage und beantragten, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweilen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen.
Zur Begründung der Klage und des Antrags verwies die Antragstellerin zu 1) auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt. Ihr Mann sei zur Zeit in Haft in … Ohne ihn sei eine Ausreise nicht möglich. Ihr sei der zeitliche Ablauf des Verfahrens beim Bundesamt nicht klar geworden und bitte das Gericht, dies im Rahmen des Gerichtsverfahrens anhand der Akten des Bundesamtes zu überprüfen.
Am 21. Juni 2016 übersandte die Antragsgegnerin die Behördenakte zum Asylfolgeverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Klageverfahrens der Antragstellerinnen (M 24 E 16.31397 und M 24 K 16.31396) und die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
1. Der streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom 23. Mai 2016 enthält keine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, hinsichtlich derer die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden könnte. Deshalb ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen, der statthafte Rechtsbehelf, um das Ziel, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, zu erreichen (§ 123 Abs. 5 VwGO).
2. Für die Entscheidung über diesen Antrag ist das Verwaltungsgericht … als Gericht der Hauptsache insbesondere örtlich zuständig, weil die Antragstellerinnen im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit ihren Aufenthalt nach dem AsylG im Regierungsbezirk Oberbayern (Stadt … und damit im Gerichtsbezirk zu nehmen hatten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO). Zur Entscheidung über den Antrag nach § 123 VwGO ist der Berichterstatter als Einzelrichter berufen (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
3. Der insoweit zulässige Antrag hat jedoch keinen Erfolg, weil die Antragstellerinnen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Anordnungsanspruch ist der materiell-rechtliche Anspruch, der im Hauptsacheverfahren geltend zu machen ist und der im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig gesichert oder geregelt werden soll. Die Antragstellerinnen haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (vgl. § 71 Abs. 1, § 13 Abs. 2 AsylG) oder auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG haben.
3.1. Es bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragstellerinnen keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens haben.
§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG bestimmt unter anderem, dass im Falle eines Folgeantrags nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asyl(erst)antrages ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG verpflichtet den Ausländer zu Angaben über seine Anschrift sowie zu Tatsachen und Beweismitteln, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG ergibt.
Gemäß § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG sind die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Zwar befassen sich §§ 34, 35 und 36 AsylG mit Fällen der Abschiebungsandrohung, die im streitgegenständlichen Bescheid im Hinblick auf § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG gerade nicht ausgesprochen worden ist. Die entsprechende Anwendung ist in solchen Fällen aber gleichwohl im Hinblick auf § 36 Abs. 4 AsylG insoweit von Bedeutung, als der Gesetzgeber dadurch den Maßstab der gerichtlichen Prüfung spezialgesetzlich vorgegeben hat. Das Verwaltungsgericht darf einstweiligen Rechtsschutz nur gewähren, wenn es ernstliche Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, B. v. 16.3.1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 1 und 22).
Der Vortrag der Antragstellerinnen enthält keine Angaben, die darauf schließen lassen, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 und 3 AsylG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind. Neue Beweismittel oder Dokumente, die belegen könnten, dass ihnen im Herkunftsland Gefahren drohen würden, wurden nicht vorgelegt. Es fehlt somit an einem glaubhaften Vortrag der Antragstellerinnen, dass Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf seine Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung internationalen Schutzes (vgl. § 13 Abs. 2, § 1 Abs. 1 AsylG, § 3 ff. AsylG) vorliegen.
Das Gericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 23. Mai 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3.2. Auch im Hinblick auf die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es bestehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragstellerinnen keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG haben.
Hat das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht bestehen, so ist eine erneute Befassung mit § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erst dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (vgl. BVerwG, U.v. 21.03.2000 – 9 C 41/99 – juris Rn. 9; BVerwG, B. v. 15.01.2001 – 9 B 475.00 – juris Rn. 5). Sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt, hat das Bundesamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird; insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG vom 15.01.2001, a.a.O, Rn. 5).
Auch in Bezug auf § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist das Bundesamt in seinem Bescheid vom 23. Mai 2016 zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Eine maßgebliche Änderung oder Verschlechterung der Verhältnisse im Heimatland gegenüber dem vorherigen Asylfolgeantrag wurde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Neue Beweismittel haben die Antragstellerinnen nicht vorgelegt.
Das Bundesamt lehnte es auch ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO) ab, die bestandskräftige frühere Entscheidung über das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten zurückzunehmen oder zu widerrufen (vgl. § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG). Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfordern würden, wurden weder geltend gemacht noch sind sie sonst ersichtlich.
Auch insoweit folgt das Gericht den Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes vom 23. Mai 2016 (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3.3. Soweit die Antragstellerin zu 1) den Eilantrag und die Klage vor allem damit begründet hat, dass sich ihr Ehemann zur Zeit in Haft befinde und ohne ihn eine Ausreise nicht möglich sei, darf die Ausländerbehörde die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen (§ 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Ein Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens oder für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG ergibt sich daraus jedoch nicht.
4. Der Antrag ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).


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