Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsandrohung – Zweitantrag

Aktenzeichen  W 3 S 16.30475

Datum:
24.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 36 Abs. 4, § 71a Abs. 1
VwGO VwGO § 58 Abs. 1, § 80 Abs. 5
VwVfG VwVfG § 51

 

Leitsatz

Nach der Legaldefinition des § 71a Abs. 1 AsylG liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat, für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Union über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger. Er stellte erstmals am 17. Mai 2013 einen Asylantrag. Der Antragsteller gab damals an, er habe im September 2012 einen Asylantrag in Italien gestellt, der negativ beschieden worden sei. Er habe von Italien die Aufforderung erhalten, das Land zu verlassen. Da er befürchte, nach Äthiopien abgeschoben zu werden, sei er nach Deutschland gekommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 22. Januar 2014 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an. Dieser Bescheid wurde im Verfahren W 3 K 14.30101 mit Urteil vom 21. Juli 2014 aufgehoben. Auf die Gründe des Urteils wird Bezug genommen.
Der von der Antragsgegnerin gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 3. November 2014 abgelehnt, „weil dem angegriffenen Urteil eine Konstellation des Zweitantrags i. S. d. § 71a AsylVfG nicht zugrunde liegt, und deshalb die darauf bezogenen Rechtsfragen mangels Entscheidungserheblichkeit nicht klärungsfähig sind …“.
Auf den Asylantrag des Antragstellers traf das Bundesamt sodann mit Bescheid vom 27. November 2015 folgende Entscheidung:
„1. Der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wird abgelehnt.
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.
3. Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, wird er nach Äthiopien abgeschoben. Der Antragsteller kann auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist.
4. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.“
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Es handele sich um einen Zweitantrag, weil der Antragsteller bereits in Italien ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen habe. Die Begründung des Zweitantrages sei bereits bei der Anhörung am 22. Mai 2013 erfolgt. Aufgrund des vom Antragsteller eingereichten Ablehnungsbescheides der Territorialkommission Bari vom 4. Februar 2013 sei ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 AsylG nicht vorlägen. Der Antragsteller habe gegenüber dem Verfahren in Italien keine neue Sachlage als Begründung für seinen Zweitantrag vorgetragen. Vielmehr beziehe er sich auf Ereignisse vor seiner Ausreise aus Äthiopien. Aus den Gründen des vorgelegten Ablehnungsbescheides aus Italien sei zudem offenbar geworden, dass die jeweiligen Asylbegründungen widersprüchlich und damit nicht glaubhaft seien. Abgesehen von den Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten sei festzustellen, dass kein weiterer Sachvortrag hinsichtlich einer geänderten Sachlage erfolgt sei.
Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Aus dem vom der Antragsteller vorgelegten ärztliches Attest, das den Verdacht auf eine Gefäßerkrankung nahe lege, sei weder ersichtlich, ob überhaupt eine Behandlung erforderlich sei, noch, dass eine Gefahr für Leib oder Leben bestehe.
Der Bescheid wurde am 4. Dezember 2015 zur Post gegeben.
II.
Am 14. Dezember 2015 ließ der Antragsteller Klage erheben (Az: W 3 K 15.30818), über die noch nicht entschieden ist.
Am 25. April 2016 ließ der Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 14. Dezember 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. November 2015 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag sei zulässig, obwohl grundsätzlich die Frist zur Stellung des Antrages auf einstweiligen Rechtschutz verstrichen sei. Die Rechtsmittelfrist sei aber gewahrt, weil die Antragsgegnerin den Bescheid vom 27. November 2015 mit einer falschen Rechtsmittelbelehrung versehen habe. Dort heiße es, dass gegen den Bescheid innerhalb einer Woche nach Zustellung Klage beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Ludwigstr. 23 in München erhoben werden könne. Zuständig sei jedoch das Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg. Die falsche Rechtsmittelbelehrung führe dazu, dass eine Rechtsmittelfrist nicht ausgelöst werde und das Rechtsmittel innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes eingelegt werden könne.
Der Antrag sei auch begründet, weil die Antragsgegnerin fehlerhaft von einem Zweitantrag i. S. d. § 71a AsylG ausgehe, obwohl dies der Bayer. Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung über Zulassung der Berufung im „Dublin-Verfahren“ verneint habe. Insoweit werde auf die Klagebegründung im Hauptsacheverfahren Bezug genommen.
III.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz ist zulässig.
Nach § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Wenn die Belehrung unterblieben ist oder unrichtig erteilt wurde, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig. Vorliegend ist die Belehrung unrichtig erteilt worden, weil das unzutreffende Gericht und die unzutreffende Instanz (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof in München) in der Rechtsbehelfsbelehrung benannt war. Vorliegend gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Klage rechtzeitig zum zuständigen Gericht erhoben wurde. Die Vorschrift des § 58 VwGO macht den Lauf der Frist ohne Rücksicht darauf, ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war, in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung abhängig (Kopp, Kommentar zu VwGO, 19. Aufl. 2013, § 58 Rn. 1).
Der Antrag ist aber unbegründet.
Nach § 71a Abs. 4 AsylG sind in den Verfahren, in denen ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, die §§ 34 bis 36, 42 und 43 entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung statthaft ist und dieser innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen ist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. „Ernstliche Zweifel“ liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht Stand hält (Marx, Kommentar zum AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 36 Rn. 51). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Das Gericht hat in diesem Sinne keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 27. November 2015; insbesondere handelt es sich um einen Zweitantrag. Nach der Legaldefinition des § 71a Abs. 1 AsylG liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat, für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist ein Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
Soweit der Antragstellerbevollmächtigte unter Bezug auf die Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung herleiten will, es liege kein Zweitantrag vor, überzeugt dies nicht. Die Tenorierung im Beschluss vom 3. November 2014 bezieht sich auf den Antrag auf Zulassung der Berufung. In diesem waren von der Antragsgegnerin theoretische Ausführungen zum Zweitantrag gemacht worden, obwohl das Urteil vom 21. Juni 2014 diese Frage gar nicht thematisiert hatte. Vielmehr wurde der Bescheid vom 22. Januar 2014 wegen fehlerhafter Ermessensausübung aufgehoben.
Der Antragsteller hat unzweifelhaft in Italien ein Asylverfahren mit für ihn negativem Ausgang durchlaufen. Dies ergibt sich aus dem vom Antragsteller vorgelegten Bescheid der Territorialkommission Bari (Übersetzung Bl. 189 – 194 Bundesamtsakte), sowie aus den eigenen Angaben des Antragstellers.
Ernstlichen Zweifeln begegnet auch nicht die Feststellung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Der Antragsteller hat keine neuen Tatsachen in seinem Verfahren vorgebracht. Vielmehr bezog sich sein Vortrag auf Vorgänge vor seiner Ausreise aus Äthiopien. Diese hat er zwar bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 22. Mai 2013 wesentlich anders geschildert als im Verfahren in Italien. Dadurch ergibt sich aber keine Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.
Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht vorgetragen bzw. nicht glaubhaft gemacht.
Nachdem keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 27. November 2015 bestehen, konnte der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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