Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf übergangsweise Aussetzung der Abschiebung

Aktenzeichen  M 9 E 16.3115

Datum:
17.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2
GG GG Art. 6
EMRK EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1 Bei Vorliegen eines Reisepasses oder der Möglichkeit eines Ausstellens eines Standardreisedokuments nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 AufenthV liegt keine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen vor (vgl. VG Bayreuth BeckRS 2015, 43562). (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Duldungsanspruch aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK kommt nicht in Betracht, wenn der Verbund zwischen Elternteil und Kind gerade nicht gelöst werden soll. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 1.250 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die übergangsweise Aussetzung ihrer Abschiebung.
Die Antragstellerin ist ghanaische Staatsangehörige und im Besitz einer italienischen Aufenthaltserlaubnis. Ihr Ehemann befindet sich in der Bundesrepublik Deutschland und ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 38a AufenthG. Am … 2016 kam das gemeinsame Kind in … zur Welt.
Unter dem 11. Juli 2016 informierte das Landratsamt Erding (im Folgenden: Landratsamt), dass beabsichtigt sei, eine für das Kind beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Eltern könnten hierfür jederzeit vorsprechen, es werde u. a. der Reisepass des Kindes benötigt. Es sei weiter beabsichtigt, den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG abzulehnen, da sie den Nachweis über einfache Sprachkenntnisse A1 nicht erbracht habe. Die Antragstellerin könne sich kraft ihrer italienischen Aufenthaltserlaubnis im Zeitraum von 180 Tagen jeweils 90 Tage im Bundesgebiet aufhalten. Danach müsse sie aktuell das Bundesgebiet am 12. Juli 2016 verlassen, könne aber nach Ablauf von 90 Tagen wieder visumsfrei einreisen. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für das Kind ändere hieran nichts. Dieses besitze die ghanaische Staatsangehörigkeit und könne jederzeit mit der Mutter aus- und wieder einreisen. Es werde sich eine Anzeige wegen illegalen Aufenthalts für den Fall der Überschreitung der erlaubten Aufenthaltszeiten vorbehalten.
Die Bevollmächtigte der Antragstellerin hat daraufhin am 18. Juli 2016 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie beantragt,
die Abschiebung der Antragstellerin auszusetzen, bis dem Kind … ein Pass und die Aufenthaltserlaubnis erteilt ist und der Antragstellerin mit ihrem Kind die gemeinsame Ausreise nach Italien zu ermöglichen.
Zwar sei dem Kind mit Schreiben des Landratsamtes vom 11. Juli 2016 in Aussicht gestellt worden, dass ihm sofort nach Vorlage eines Reisepasses eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werde. Der Antragstellerin sei jedoch eine Strafanzeige angedroht und sie sei zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert worden. Sie könne das Kind nicht beim Vater lassen, da sie noch stillen müsse. Der Reisepass für das Kind sei bereits beantragt worden, um die in Aussicht gestellte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Für den Erhalt des Passes sei mittlerweile aber auch eine Vorsprache in Berlin notwendig, was das Verfahren verzögere. Sofort nach Erhalt der Aufenthaltserlaubnis für das Kind werde die Antragstellerin zusammen mit dem Kind nach Italien ausreisen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin könne mit dem Kind zusammen nach Italien ausreisen. Der fehlende Reisepass für das Kind stelle dabei kein Hindernis dar, da das Landratsamt ein EU-Laissez-Passer ausstellen könne. Weiter könne ein Heimreiseschein beim Konsulat beantragt werden. Ein Reisepass könne auch bei der ghanaischen Botschaft in Italien beantragt werden. Die Aufenthaltserlaubnis für das Kind sei nur zugesagt worden, diese sei aber noch nicht wirksam erteilt worden, da die Erteilung an die Vorlage eines Reisepasses gebunden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen das Kind bereits jetzt eine Aufenthaltserlaubnis benötige, wenn es bis auf weiteres bei der Antragstellerin in Italien leben solle. Deswegen sei vorgeschlagen worden, den Antrag bis zur Vorlage des Reisepasses für das Kind ruhend zu stellen. Der Ehemann der Antragstellerin habe eine unbefristete italienische Aufenthaltserlaubnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u. a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht werden. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des § 123 VwGO kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. In diesem Rahmen ist das Gewicht des Anordnungsgrunds entscheidend für eine mögliche Vorwegnahme der Hauptsache. Voraussetzung dafür ist, dass eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes notwendig ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch für eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO.
Ein subjektives Recht auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG ist nicht gegeben. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen ist, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ein Duldungsanspruch aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK (BayVGH, B. v. 4.2.2016 – 10 CE 16.222 – juris Rn. 4f.; B. v. 2.3.2016 – 10 CS 16.408 – juris Rn. 4), mithin eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen, kommt deshalb nicht in Betracht, weil das Kind bereits nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin, die im Besitz eines italienischen Aufenthaltstitels ist, mit ihr ausreisen soll, der Verbund zwischen Mutter und Kind also gerade nicht gelöst wird. Die Ausreise des Kindes kann auch ohne Weiteres unabhängig vom Vorliegen eines Reisepasses erfolgen, da ihm beispielsweise ein Standardreisedokument nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 AufenthV erteilt werden kann. Da die Antragstellerin selbst einen Pass besitzt (Bl. 25 des Behördenakts), kommt auch eine Unmöglichkeit ihrer Abschiebung aus tatsächlichen Gründen (VG Bayreuth, B. v. 12.2.2015 – B 4 E 15.84 – juris Rn. 18) nicht in Betracht.
Es wird darauf hingewiesen, dass der Vater des Kindes nach unwidersprochen gebliebener Einlassung des Antragsgegners ebenfalls im Besitz einer italienischen Aufenthaltserlaubnis ist, weswegen die Familiengemeinschaft auch in Italien gelebt werden kann. Sollte sich der Vater des Kindes für einen Verbleib in Deutschland entscheiden, würde sich die Trennung von diesem auf einen Zeitraum von 90 Tagen beschränken. Nach Ablauf dieser Wartefrist ist es der Antragstellerin unbenommen, mit ihrem Kind nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ wieder in die Bundesrepublik einzureisen.
Ein Anspruch auf Duldung aus § 60a Abs. 2b AufenthG kommt nicht in Betracht, da das Kind keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG besitzt.
Weitere Duldungsansprüche sind nicht ersichtlich. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. Streitwertkatalog.


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