Verwaltungsrecht

Erfolgloser Asylantrag eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 2 K 15.30806

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Afghanische Staatsangehörige sind bei einer Rückkehr in die Zentralregion im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus den allgemein schlechten humanitären Verhältnissen in Afghanistan folgt keine Gefahr iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG iVm Art. 3 EMRK. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen in seiner Person auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
1.1 Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. In den §§ 3a bis 3e AsylG sind in Umsetzung von Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 vom 20.12.2011) – QRL – (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 19) die Voraussetzungen für Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgründe, Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann und Akteure, die Schutz bieten können, und für internen Schutz geregelt. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 – II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
Der Schutzsuchende muss sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Er muss die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, zu denen insbesondere seine persönlichen Erlebnisse fallen, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen (VG Bayreuth, U.v. 13.7.2015 – B 3 K 14.30344 – juris). Dies ist nicht der Fall, wenn der Schutzsuchende im Laufe der Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen unauflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich erachtet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris, VGH Kassel, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen (vgl. VG München, U.v. 31.3.2014 – M 25 K 13.31344 – juris). Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person (VG München, U.v. 20.12.2012 – M 15 K 12.30068 – juris). Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
1.2 Unter Zugrundelegung der Voraussetzungen des § 3 AsylG hat der Kläger in Anbetracht der Sachverhaltsdarstellung im Asylverfahren und in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts vor seiner Ausreise keine solche Verfolgung erlitten. Im Klageverfahren wurde deutlich, dass die vom Kläger geltend gemachte Verfolgungsgeschichte – Aufforderung zur Mitarbeit und Teilnahme am Heiligen Krieg als Jurist für die Taliban (Zwangsrekrutierung) – nicht der Wahrheit entsprechen kann.
Es ist, worauf bereits im angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 30. November 2015 hingewiesen wird, nicht nachvollziehbar, warum der Kläger sich erst nach dem dritten Drohbrief zur Ausreise entschlossen haben will. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, in den ersten beiden Drohbriefen hätten die Taliban eine Zusammenarbeit gefordert. Erst im dritten Drohbrief sei ihm mit einer Tötung gedroht worden. Allerdings wurde dem Kläger unter Zugrundelegung der von der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung getätigten Übersetzung bereits in den ersten beiden Drohbriefen (Anlagen K2 und K3) mit einer Tötung gedroht, sollte er sich nicht den Taliban anschließen. In der mündlichen Verhandlung sind zudem Widersprüche zu Tage getreten. So gab der Kläger in der Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 24. November 2015 an, in Kabul als Englischlehrer tätig gewesen zu sein (Bl. 6 d. Anhörungsniederschrift). Demgegenüber führte er in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2016 an, neben seinem Studium im Finanzbereich für ein Handelsunternehmen tätig gewesen zu sein und ließ seine Arbeit als Englischlehrer zunächst unerwähnt. Diesen Widerspruch hat der Kläger nicht nachvollziehbar aufklären können. In der mündlichen Verhandlung führte er auf den diesbezüglichen Vorhalt des Gerichts aus, in der Zeit vor seinem Studium als Englischlehrer gearbeitet zu haben. Dies stellt wiederum einen Widerspruch zu dem vom Kläger geschilderten Bedrohungsinhalt dar. Der Kläger hatte in der Anhörung gegenüber dem Bundesamt angegeben, die Taliban hätten ihm gegenüber beanstandet, dass er den Leuten die „Atheistensprache“ beibringen würde (Bl. 6. d. Anhörungsniederschrift). Unter Zugrundelegung der klägerischen Tätigkeit als Englischlehrer ausschließlich vor Beginn des Studiums erscheint es nicht nachvollziehbar, warum die Taliban hierauf noch hätten Bezug nehmen sollen. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung führte der Kläger außerdem aus, er sei jedes Wochenende zu seiner Familie in die Provinz Laghman/Dorf Tschapahar gereist. Demgegenüber gab er in der Anhörung am 24. November 2015 an, seine Eltern seit Herbst 1993 nur noch drei Mal besucht zu haben (Bl. 7. d. Anhörungsniederschrift). Diese Angabe bekräftige er erst im Verlauf der mündlichen Verhandlung. Auch im Hinblick auf den Zeitpunkt des Verlassens Afghanistans hat der Kläger unklare Angaben getätigt. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, er sei am 24.5.1394 aus Afghanistan ausgereist, d.h. im August 2015. Im späteren Verlauf der mündlichen Verhandlung gab er an, er sei vom 7. Oktober 2015 vier Monate zurückgerechnet aus Afghanistan ausgereist, d.h. im Juni 2015. Im Anschluss gab er an, sich verrechnet zu haben; er sei im August 2015 ausgereist. Demgegenüber hatte der Kläger vor dem Bundesamt geschildert, Afghanistan vom Datum der Anhörung (= 24. November 2015) zurückgerechnet vor ca. vier Monaten verlassen zu haben (Bl. 3 d. Anhörungsniederschrift), d.h. Ende Juli 2015. Genauere Angaben könne er nicht machen. In Anbetracht des vom Kläger angegeben hohen Bildungsgrades (12 Jahre Schulbesuch, Student der Rechtswissenschaft) erscheinen diese chronologischen Ungereimtheiten trotz der bestehenden Umrechnungsschwierigkeiten nicht nachvollziehbar. Insoweit dringt der Einwand des Klägerbevollmächtigten, wonach der Dolmetscher ihm in der Anhörung keine Zeit gegeben habe sich zu sammeln, nicht durch. Schließlich gab der Kläger nach der Anhörung an, dass er keine Beanstandungen an der durchgeführten Anhörung habe (Bl. 8. d. Anhörungsniederschrift). Zudem wurde ihm eine Ausfertigung der Niederschrift über die Anhörung ausgehändigt. Auch gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, er habe vor seiner Ausreise seine Familie in seinem Heimatort besucht. Sie seien dann zusammen in das Zentrum von Mertalam baba gefahren. Dort habe er übernachtet und sei dann nach Kabul gefahren. Demgegenüber ließ er in der Anhörung am 24. November 2015 den Aufenthalt in Mertalam baba unerwähnt und gab an, von seinem Heimatdorf aus nach Kabul gegangen zu sein (Bl. 3 d. Anhörungsniederschrift). Darüber hinaus hatte der Kläger in der Anhörung am 24. November 2015 auf die Frage, ob sein Bruder ebenfalls Probleme habe, geantwortet, dieser sei „bis jetzt nicht“ bedroht worden (Bl. 7 d. Anhörungsniederschrift). Demgegenüber führte er in der mündlichen Verhandlung aus, dass auch seine Familie seit ca. zwei Jahren von den Taliban bedroht werde. Sein Bruder sei in der Koranschule von den Taliban aufgefordert worden, Minen zu verlegen. Daraufhin habe der Kläger seinem Bruder geraten, nicht mehr dorthin zu gehen. Die vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung geschilderte Bedrohung seiner gesamten Familie sowie der Anwerbeversuch der Taliban gegenüber seinem Bruder stellt eine Steigerung im Sachvortrag dar, die gegen seine Glaubwürdigkeit spricht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger dieses für seine Verfolgungsgeschichte relevante Element gegenüber dem Bundesamt unerwähnt ließ. Die Behauptung des Klägers, wonach er bereits gegenüber dem Bundesamt auf eine Lebensgefahr seiner Familie hingewiesen habe, stimmt nicht mit der Anhörungsniederschrift vom 24. November 2015 überein.
Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger im Laufe des gerichtlichen Verfahrens insgesamt vier Drohbriefe vorlegte. Diese von der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung übersetzten und in die Entscheidungsfindung einbezogenen Dokumente sind jedoch unzureichend, um eine Überzeugung des Gerichts vom Verfolgungsschicksal des Klägers herbeizuführen und die Widersprüche und Ungereimtheiten im klägerischen Vortrag auszuräumen. Darüber hinaus hat der Kläger die Drohbriefe lediglich in Kopie und erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgelegt. In Anbetracht der erläuterten Widersprüche im klägerischen Vortrag ist weder der Inhalt der Drohbriefe noch die Art und Weise der Vorlage ausreichend, um eine Überzeugung von der Wahrheit der Verfolgungsgeschichte zu begründen.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
2.1 Dem Kläger steht kein subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylG zu. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen einer Straftat gesucht wird und bei seiner Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr einer Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht, liegen nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG liegen ebenfalls nicht vor. In diesem Zusammenhang ist vor allem Art. 3 EMRK sowie die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07, Elgafaji – juris Rn. 28; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris). Das Gericht hat nicht die Überzeugung erlangt, dass sich die vom Kläger behaupteten Ereignisse tatsächlich zugetragen haben, so dass sich hieraus keine Anhaltspunkte ergeben, dass er bei einer Rückkehr Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten hat. Aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan folgt keine Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK. Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können schlechte humanitäre Verhältnisse für sich isoliert zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167, BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris). Unter Einbeziehung der vorliegenden Erkenntnismittel ist nicht davon auszugehen, dass insoweit eine deutliche Verschlechterung der humanitären Verhältnisse eingetreten ist. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bezeichnet die Situation für Rückkehrende als „weiterhin schwierig“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan vom 13.9.2015, S. 22). Dieser Angabe ist zu entnehmen, dass sich im Hinblick auf die Rückkehrersituation in den vergangenen Monaten keine erheblichen Veränderungen ergeben haben. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist die Grundversorgung für große Teile der Bevölkerung in Afghanistan eine Herausforderung. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen in Afghanistan zu verbessern. (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 23 f.). Laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe verfügten nur etwa 39% der afghanischen Bevölkerung über Zugang zu sauberem Trinkwasser und gar erst 7,5% zu einer adäquaten Abwasserentsorgung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan vom 13.9.2015, S. 20 ff.). Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40 Prozent gestiegen (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 23). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht von einer Arbeitslosigkeit von bis zu 50% aus. Es gelangten jedes Jahr weitere ca. 500.000 junge Personen auf den Arbeitsmarkt. Die hohe Arbeitslosigkeit treffe vor allem Jugendliche. Der Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und anderen Dienstleistungen sei teilweise erschwert. Aufgrund der fehlenden Netzwerke sei es äußerst schwierig, eine Verdienstmöglichkeit und eine Unterkunft zu finden. Die Unterstützung durch Hilfswerke mit Nahrungsmitteln oder Bargeld habe eher symbolischen Wert (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan vom 13.9.2015, S. 20 ff.). Naber berichtet u.a. davon, dass junge zurückkehrende Männer im Durchschnitt ca. neun Monate lang nach einer Arbeit suchen und sich in Kabul vielfach auf eigene Faust durchschlagen, weil sie dort keine Familie haben oder sich nicht in deren Obhut begeben wollen. Außerdem ist vom Tagelöhnerdasein mit temporärer Minimalgrundsicherung und von absoluter Armut die Rede (Naber, Afghanistan: Gründe der Flucht und Sorgen jugendlicher Rückkehrer, Asylmagazin 1-2/2016, S. 4 ff.). Den dem Gericht vorliegenden Auskünften zur wirtschaftlichen Lage ist eine höhere Aussagekraft als der Stellungnahme von Dr. D. (Dr. D., Bayerischer Flüchtlingsrat, Stellungnahme vom 9.2.2015, Keine Abschiebungen nach Afghanistan), in der auf eine erhebliche Verschlechterung der afghanischen Wirtschaft im Jahr 2014 durch die Einfrierung von Hilfsmitteln hingewiesen wird, beizumessen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ringt die afghanische Wirtschaft mit sinkenden internationalen Investitionen und einer stark schrumpfenden Nachfrage. Das Jahr 2015 werde nach Weltbank-Angaben mit einem geringen Wirtschaftswachstum schließen. Die afghanische Regierung erhalte weiterhin erhebliche finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Nach den USA und Japan sei Deutschland der drittgrößte Geber (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 24). Insgesamt lässt sich auch unter Berücksichtigung der Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Afghanistan aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht der Schluss ziehen, dass der Kläger aufgrund der Versorgungslage einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ausgesetzt ist. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der alleinstehende und gesunde Kläger aufgrund seiner schulischen und universitären Bildung, verschiedener in der Vergangenheit ausgeübter Tätigkeiten (Englischlehrer, Tätigkeit im Handelsbereich eines Unternehmens) und seiner Sprachkenntnisse vergleichsweise gute Möglichkeiten hat, eine Arbeit zur Sicherung seines Existenzminimums zu erlangen.
2.2 Der Kläger hat in Bezug auf Kabul auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Als ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG eine ersthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt jedenfalls dann vor, wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter verantwortlicher Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen ausüben können. Hiervon abzugrenzen sind Fälle bloßer innerer Unruhen oder Spannungen wie Tumulte oder vereinzelt auftretende Gewalttaten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes zwar nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss dann aber ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, was beispielsweise bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen der Fall ist (vgl. EuGH, U.v. 30.1.2014 – Elgafaji, C-285/12 – juris; VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 23). Aufgrund eines derartigen Konflikts muss für den Schutzsuchenden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit bestehen. Hierbei ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Schutzsuchenden so verdichtet hat, dass sie eine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Hierbei ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren würde (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188; BayVGH, U.v. 12.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris Rn. 15 m.w.N.), also auf seinen „tatsächlichen Zielort“ (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – juris Rn. 40). Da der Kläger nach eigenen Angaben die letzten Jahre vor seiner Ausreise aus Afghanistan in Kabul gelebt hat, ist auf diese Herkunftsregion abzustellen.
Hierbei ist jedenfalls annäherungsweise eine quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betroffenen Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Anzahl der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben der Zivilpersonen verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Ob die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllt sind, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – NVwZ 2009, 1237).
Normalerweise hat ein derartiger bewaffneter Konflikt nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebietes ernsthaft individuell bedroht sein werden. Ein Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land/die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dies bleibt allerdings außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris; EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – juris). Eine Individualisierung kann sich auch bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden als Arzt oder Journalist ergeben, ebenso aber aus seiner religiösen und ethnischen Zugehörigkeit, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
Der Bayer. Verwaltungsgerichtshof geht in seiner aktuellen Rechtsprechung auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel davon aus, dass afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Zentralregion, zu der Kabul zählt, nach derzeitiger Sicherheitslage im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.8.2015 – 13a ZB 15.30062 – juris; B.v. 16.4.2014 – 13a ZB 14.30069 – juris; B.v. 11.3.2014 – 13a ZB 13.30246 – juris; U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30111 – juris). Das Gericht schließt sich der Einschätzung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs an. Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage keine derart hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson schon alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in Kabul einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt wäre (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, Januar 2016, S. 34 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 4). Trotz einer Reihe von Selbstmordanschlägen ist Kabul sicherer als andere Orte in Afghanistan. Zwar ist den Erkenntnismitteln eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul zu entnehmen (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, Januar 2016, S. 30 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, 13.9.2015, S. 3 ff., 10, 22; ECOI, Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 15.3.2016; UNAMA, Afghanistan Annual Report, Februar 2016). Allerdings stellt sich diese nicht derart prekär dar, als dass aufgrund dessen jede dort lebende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt wäre. So weist das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht explizit darauf hin, dass die Provinz Kabul im Vergleich mit anderen Landesteilen relativ sicher sei; die Mehrheit der Binnenflüchtlinge halte sich im Großraum Kabul auf (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 4). Das Risiko eines Zivilisten erreicht in Anbetracht der hohen Bevölkerungszahl (die Provinz Kabul verfügt über ca. 4 Mio. Einwohner) trotz der Häufung von Anschlägen nicht die erforderliche Gefährdungsdichte. Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die im gesamten Land unzureichende medizinische Versorgungslage, bei der nur eingeschränkt gewährleistet sein dürfte, dass den Opfern nach schweren körperlichen Verletzungen keine dauerhaften Schäden verbleiben (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 24 f.). In der Person des Klägers sind keine gefahrerhöhenden Gesichtspunkte vorhanden.
3. Kann der Schutzsuchende keinen subsidiären Schutz erlangen, sind weiter hilfsweise die nationalen Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 AufenthG und des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360).
3.1 Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In Konstellationen wie der Vorliegenden, in der gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, weshalb in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; VG München, U.v. 8.5.2014 – M 15 K 12.30903 – juris Rn. 37). Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine hiervon abweichende Fallgestaltung.
3.2 Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Demnach kann der Schutzsuchende auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG lediglich individuelle nur ihm persönlich drohende Gefahren geltend machen (BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – NVwZ 2011, 48). Hingegen können allgemeine Gefahren außerhalb bewaffneter Konflikte, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Schutzsuchende angehört, nur bei Anordnungen nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG berücksichtigt werden. Hierzu zählt auch eine unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die insbesondere für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und ohne familiäre Unterstützung besteht. Diese Gefahr kann auch dann nicht im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage darstellt (BVerwG, U.v. 8.12.1998 – 9 C 4.98 – BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Jedoch ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für die kein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG vorliegt, ausnahmsweise Schutz vor der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Schutzsuchende gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (st. Rspr. des BVerwG, z.B. U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – BVerwGE 115,1 m.w.N.).
Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren sich zu einer extremen Gefahr verdichten und somit zu einem Abschiebungsverbot von Verfassungswegen führen, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Zudem müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Schutzsuchende mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (z.B. U.v. 3.2.2011 – 13a B 10.30394 – juris Rn. 31 ff.; U.v. 8.11.2012 – 13a B 11.30391 – juris Rn. 28 ff; U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30292, 13a B 12.30325 – juris Rn. 35 ff.; B.v. 19.12.2014 – 13a ZB 14.30065; B.v. 30.7.2015 – 13a ZB 15.30031 – juris; B.v. 10.8.2015 – 13a ZB 15.30050 – juris; s.a. OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris), der sich das Gericht anschließt, ist unter Zugrundelegung sämtlicher Auskünfte und Erkenntnismittel nicht davon auszugehen, dass ein arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Dies gilt grundsätzlich auch für Rückkehrer, die keine Berufsausbildung haben und über keinen aufnahmefähigen Familienverband verfügen. Den vorliegenden Erkenntnismitteln sind keine Anhaltspunkte dahingehend zu entnehmen, dass diese Einschätzung überholt wäre.
In Bezug auf Kabul ist, wie zuvor erläutert, im Hinblick auf die derzeitige Sicherheitslage nicht von einer extremen allgemeinen Gefahrenlage auszugehen. Die Versorgungslage ist, wie zuvor umfassend erläutert (2.1), zwar kritisch. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt und belegt trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 weiterhin einen sehr niedrigen Rang im Human Development Index (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 24.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan vom 13.9.2015, S. 20 ff.). Wie zuvor erläutert stieg die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% an. Demgegenüber ringt die afghanische Wirtschaft nach Angaben des Auswärtigen Amtes mit sinkenden internationalen Investitionen und einer stark schrumpfenden Nachfrage. Das Jahr 2015 werde nach Weltbank-Angaben mit einem geringen Wirtschaftswachstum schließen. Die afghanische Regierung erhalte weiterhin erhebliche finanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft (Auswärtiges Amt, Bericht vom 6.11.2015 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 24).
Zusammenfassend lassen sich damit auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln keine für die Beurteilung der hier relevanten Gefahrenlage bedeutsamen Änderungen entnehmen. Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen sind insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch ihre Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber Flüchtlingen, die in Nachbarländer geflohen sind, wesentlich höher. Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar, wie oben ausgeführt, nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Aus den von der Klägerseite vorgelegten Berichten ergibt sich nichts anderes.
Im Sinne einer Gesamtgefahrenschau ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohe oder ernste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Kläger ist gesund, leistungsfähig und verfügt über Landeskenntnisse. Ihm kommt insbesondere zugute, dass er mehrere Jahre in Kabul gelebt hat und sich dort auskennt. Nach Angaben des Klägers ist seine Familie mittlerweile ebenfalls in Kabul ansässig. Darüber hinaus hat der Kläger mehrere Semester Rechtswissenschaft studiert. Mit diesem Bildungsniveau hebt er sich deutlich von der Mehrheit der männlichen Afghanen in seinem Alter ab. Zudem war er in der Vergangenheit sowohl als Englischlehrer als auch im Finanzbereich eines Handelsunternehmens tätig. Demnach ist er als Arbeitskraft flexibel einsetzbar. Es ist auch in Anbetracht seines noch jungen Alters davon auszugehen, dass er befähigt sein wird, sich sein Existenzminimum zumindest in Kabul zu sichern.
4. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind gegeben. Die Bezeichnung des Abschiebezielstaats im Bescheid des Bundesamtes genügt den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (BayVGH, B.v. 10.1.2000 – 19 BZ 99.33208 – juris Rn. 4).
5. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit konnte die Klage keinen Erfolg haben.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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