Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag im Verfahren gegen die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis und die Androhung der Abschiebung nach Serbien.

Aktenzeichen  10 ZB 21.940

Datum:
26.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9428
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
AufenthG § 11, § 53, § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a, § 82
BayVwVfG Art. 48

 

Leitsatz

1. Soweit der Sache nach auch eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder zum Beispiel wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einwand führt nicht zum Erfolg, die Schlussfolgerung, jemand habe einmal falsche Angaben gemacht und mache dementsprechend immer falsche Angaben, sei nicht zulässig. Es ist dem Verwaltungsgericht nicht verwehrt, bei der Gefahrenprognose das einschlägige Verhalten der Klägerin in der Vergangenheit zu bewerten. Zudem ist diese Bewertung auch in der Sache nicht zu beanstanden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage aufklärungsbedürftig waren, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese zu einer für den Betroffenen günstigeren Entscheidung hätten führen können, und dass dieser bereits vor dem Erstgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt hat oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Erstgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 20.1760 2020-09-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. April 2020 gerichtete Klage weiter, mit dem diese die Klägerin aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1 d. Bescheidstenors), ihr gegenüber ein auf fünf Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen (Nr. 2), die ihr zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnisse zurückgenommen (Nr. 3), ihren Antrag auf Erteilung beziehungsweise Verlängerung einer Aufenthaltstitels abgelehnt (Nr. 4) und ihr die Abschiebung nach Serbien angedroht hat (Nr. 5).
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin – der Sache nach − geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegen nicht vor beziehungsweise sind nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
a) Dies gilt insbesondere für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
bb) Das Zulassungsvorbringen zeigt keine derartigen Zweifel auf.
Nicht durchdringen kann die Klägerin insbesondere mit dem Einwand, die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sie den Aufenthaltszweck nicht erfüllt, die angegebene Arbeitsstelle nicht ordnungsgemäß angetreten und durch falsche Angaben einen Ausweisungsgrund geschaffen habe, beruhe − unter Berücksichtigung des § 82 Abs. 1 AufenthG − auf einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung und falschen Schlüssen.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Soweit wie hier der Sache nach auch eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder zum Beispiel wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2013 – 10 ZB 13.1725 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Zwar gilt § 82 Abs. 1 AufenthG für das Verwaltungsverfahren, so dass er die gerichtliche Pflicht des § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO nicht zurückdrängt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und zu klärungsbedürftigen Fragen weitere Nachforschungen anzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2014 – 10 CS 14.1581 – juris Rn. 28 m.w.N.). Die Mitwirkungsverpflichtung des Betroffenen ist aber umso stärker, je mehr sich die Tatsachen auf die Person des Ausländers und dessen Sphäre beziehen (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 82 Rn. 9).
Gemessen an diesen Anforderungen hat die Klägerseite eine unzureichende Sachverhaltsermittlung, falsche Schlussfolgerungen und eine fehlerhafte Anwendung des § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch das Verwaltungsgericht nicht hinreichend dargetan. Die Klägerin beruft sich im vorliegenden Fall zu ihren Gunsten darauf, dass sie tatsächlich jeweils über ein konkretes Arbeitsplatzangebot der … … … und des Unternehmens … … verfügt und die Beschäftigungen dort, wie gegenüber der Beklagten angegeben, angetreten und auch ausgefüllt habe. Diese Umstände liegen, worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, sämtlich in der Sphäre der Klägerin. Die Angaben der Klägerin diesbezüglich waren und sind auch im Zulassungsverfahren vage, pauschal und unsubstantiiert. Mit den einschlägigen ausführlichen und differenzierten Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Klägerin nicht auseinander (vgl. UA S. 16 ff., insbesondere: S. 17: „erneut eine Beschäftigung bei der … … … aufnehmen wollte, obwohl sie hier ein Jahr lang keine Vergütung erhalten haben will“).
Insbesondere trifft die Behauptung der Klägerin nicht zu, sie habe diesbezüglich bestehende Verdachtsmomente ausgeräumt und vorgetragen, wie es sich tatsächlich ereignet habe. Die Angaben der Klägerin beschränken sich – weiterhin – auf die Aussage, dass sie die Arbeit bei der … … … angetreten habe, es im Nachhinein zu Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber gekommen sei und die fehlerhafte Anmeldung, die fehlerhafte Bezahlung und der falsche Einsatz als Arbeitskraft auf den Geschäftsführer zurückzuführen seien, wobei die Klägerin gegen die Missstände angekämpft habe. Hierbei fehlt es erkennbar an konkreten Ausführungen zu Zeiten, Orten und Beträgen sowie Motiven, Hintergründen und Geschehensabläufen. So bleibt gänzlich im Dunkeln, wann und wo die Klägerin die Beschäftigung angetreten hat, welche Tätigkeit sie konkret ausgeübt hat, welche Vergütung sie hierfür erhalten hat, wann und konkret welche Schwierigkeiten aufgetreten sind, wann sie hiervon erfahren hat und wie sie auf deren Beseitigung hingewirkt hat beziehungsweise wie es sein kann, dass sie trotz Aufforderung hierzu im Verwaltungsverfahren zu all dem keine näheren Ausführungen gemacht und keine Nachweise vorgelegt hat. In der Zulassungsschrift wird zudem selbst diese eine Aussage relativiert (vgl. Senatsakte, Zulassungsschrift, S. 3: „Die Klägerin hat … unmittelbar mit Erhalt der Aufenthaltserlaubnis alles darangesetzt, bei der … … … anzufangen“). Angaben zu der Beschäftigung bei dem Unternehmen … … fehlen gänzlich, worauf auch das Verwaltungsgericht hingewiesen hat (vgl. UA S. 18).
Fehl geht die Klägerin mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe ihre Angaben nicht als Schutzbehauptungen abtun dürfen, ohne ihren Sachvortrag zu widerlegen. Vielmehr ist es so, dass der Sachvortrag der Klägerin als unsubstantiiert zu erachten ist und sie sich nicht mit den einschlägigen ausführlichen und differenzierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (s.o.). Gleiches gilt für die Rüge, das Verwaltungsgericht hätte den Umstand, dass die ehemalige Bevollmächtigte ihr Mandat niedergelegt habe, nicht zu Lasten der Klägerin werten dürfen, da sich diese mit dem Ehemann der ehemaligen Bevollmächtigten gestritten habe. Zum einen setzt sich die Klägerin insoweit ebenfalls nicht mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinander, mit denen dieses die Mandatsniederlegung zeitlich und auch inhaltlich kontextualisiert und gewürdigt hat (vgl. UA S. 17: „Die damalige Bevollmächtigte legte sodann auch umgehend das Mandat nieder, als dieses Arbeitsverhältnis von der Beklagten hinterfragt wurde“), zum anderen ist die getroffene Würdigung des Verwaltungsgerichts angesichts aller Umstände auch in der Sache nicht zu beanstanden, zumal, worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, die Klägerin schon zuvor die Möglichkeit gehabt hat, den behaupteten Interessenkonflikt mit dem Arbeitgeber, mithin dem Ehemann der ehemaligen Bevollmächtigten, mithilfe eines anderen Bevollmächtigten aufzulösen.
Ins Leere geht der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe für das Ausweisungsinteresse (gemeint wohl: Wiederholungsgefahr im Rahmen der Prüfung der Ausweisung) nicht darauf abstellen dürfen, dass sie nach ihrem gesamten Verhalten unter Angabe verschiedenster Gründe versucht habe, einen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erreichen. Denn das Verwaltungsgericht hat es bei dieser Aussage nicht belassen, sondern seine individualpräventive Gefahrenprognose näher begründet und eine Gesamtschau angestellt (vgl. UA S. 20: „vorgeschobene Eheabsicht im Jahr 2001“ u. „nunmehr im Vorspiegeln einer ordnungsgemäßen Beschäftigung“ u. „In der Gesamtschau“). Auch damit setzt sich die Klägerseite nicht auseinander.
Ferner führt der Einwand der Klägerin nicht zum Erfolg, die Schlussfolgerung, jemand habe einmal falsche Angaben gemacht und mache dementsprechend immer falsche Angaben, sei nicht zulässig. Erstens ist es dem Verwaltungsgericht nicht verwehrt, bei der Gefahrenprognose das einschlägige Verhalten der Klägerin in der Vergangenheit zu bewerten. Zweitens ist diese Bewertung auch in der Sache nicht zu beanstanden. Drittens hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung unabhängig davon, worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, zusätzlich auf generalpräventive Aspekte gestützt, ohne dass die Klägerin dies angreift.
Soweit die Klägerin im Zulassungsverfahren schließlich vorträgt, in Bezug auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bereits gegenüber der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht vorgetragen zu haben, umgehend eine Arbeitsstelle in der Schneiderei ihrer Mutter besetzen und dort ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern zu können, kann der Senat dies nicht nachvollziehen (vgl. UA S. 11: „… noch eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck beantragt“ u. VG München, Gerichtsakte M 12 K 20.1769, Bl. 23 ff., insbesondere Bl. 24: „der Klageantrag … gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis zur erneuten Beschäftigung bei … … solle aufrecht erhalten bleiben“ u. „Der Beklagtenvertreter erklärt, einen erneuten Antrag auf Beschäftigung habe die Klägerin nicht gestellt“ sowie gleichlautend: Gerichtsakte M 12 S 20.1761, Bl. 15 ff., insbesondere Bl. 16). Insoweit fehlt es mangels eines zugrundeliegenden Antrags bei der Behörde bereits am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für das verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutzverfahren. Abgesehen davon ist das Vorbringen der Klägerin diesbezüglich, worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, mangels Nachweisen zudem als unsubstantiiert einzustufen.
b) An diesem Befund ändert sich auch nichts, wenn man das Zulassungsvorbringen dahingehend auslegt, dass die Klägerin den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Form der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht geltend macht.
Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage aufklärungsbedürftig waren, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese zu einer für den Betroffenen günstigeren Entscheidung hätten führen können, und dass dieser bereits vor dem Erstgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt hat oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Erstgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261/97 – juris Rn. 4 m.w.N.). An all dem fehlt es hier (s.o.).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.


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