Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen grundlegender Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien

Aktenzeichen  8 ZB 18.33262

Datum:
1.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7231
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 5, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 müssen Personen wegen ihrer Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die einer der in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisationen der Ginbot7, OLF oder ONLF nahesteht, oder wegen einer exilpolitischen Tätigkeit für eine solche Organisation bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien grds. nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen befürchten (BayVGH BeckRS 2019, 2276, BeckRS 2019, 3416, BeckRS 2019, 3422 und BeckRS 2019, 3411). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 § 26 AsylG ist mangels Regelungslücke nicht analog auf die Fälle anzuwenden, in denen Familienangehörigen des betroffenen Ausländers lediglich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt wurde (BayVGH BeckRS 2019, 246). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.36579 2018-08-01 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der von den Klägern allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Kläger nicht.
1. Bezüglich der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage,
„ob einem äthiopischen Staatsangehörigen, der Anhänger der Oromo-Befreiungsfront (OLF) ist und für die Partei OFC an Demonstrationen teilgenommen hat und die Partei OFC finanziell unterstützt, bei einer Rückkehr nach Äthiopien durch die staatlichen Sicherheitsbehörden und die äthiopische Polizei Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 3 AsylG drohen“,
haben die Kläger hinsichtlich ihrer vermeintlichen Aktivitäten in Äthiopien die Entscheidungserheblichkeit nicht aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung nämlich darauf gestützt, dass die Ausführungen der Kläger widersprüchlich und unglaubhaft sind (vgl. Urteilsabdruck S. 12 ff.). Es hat ausgeführt, dass die Kläger zu 1 und 2 zu ihrer Vorverfolgung einen unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen haben, von dem das Gericht angenommen hat, dass er sich nicht ereignet hat, was im Einzelnen ausführlich dargelegt wurde (vgl. Urteilsabdruck S. 12, 16). Hiergegen haben die Kläger keine Einwände erhoben.
Auf exilpolitische Tätigkeiten der Kläger zu 1 und 2 ist die Frage nicht bezogen. Im Übrigen wäre eine entsprechende Fragestellung für den Verwaltungsgerichtshof in einem Berufungsverfahren auch nicht (mehr) von Bedeutung. Denn infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 und der daraus folgenden Situation für (frühere) Oppositionelle sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass sich die behauptete politische Verfolgung wiederholt und eine Person allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Überzeugung oder ihrer früheren regierungskritischen Handlungen wie der Teilnahme an einer Demonstration (noch) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen nach § 3a AsylG oder einen ernsthaften Schaden im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG befürchten muss (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.30257 – juris Rn. 32 ff.; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30274 – juris Rn. 25 ff.; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252 – juris Rn. 24 ff.).
Kommt es aber, gleichgültig aus welchem Grund, auf eine Frage, die das Verwaltungsgericht möglicherweise fehlerhaft beantwortet hat, für die Berufungsentscheidung nicht (mehr) an, darf die Berufung wegen dieses Fehlers nicht zugelassen werden. Das gilt für alle Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO bzw. § 78 Abs. 3 AsylG gleichermaßen und somit auch für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2010 – 1 ZB 08.2292 – juris Rn. 8; Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 151 und 154). Denn nach dem die gesetzliche Regelung des Berufungszulassungsverfahrens beherrschenden Grundgedanken soll ein Berufungsverfahren nur eröffnet werden, wenn die angeführten Zulassungsgründe für die Entscheidung in der Hauptsache erheblich sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2011 – 8 ZB 11.345 – BayVBl. 2012, 287 m.w.N.; B.v. 24.4.2017 – 12 ZB 13.2094 – juris Rn. 28).
Soweit die Kläger vorbringen, sie hätten nachvollziehbar und ausführlich bekundet, dass sie die Partei OFC finanziell unterstützt hätten, dass die Klägerin zu 2 Mitglied der Organisation OFC in Äthiopien sei und dass sie insofern glaubhaft eine Inhaftierung sowie eine Folterung durch äthiopische Sicherheitsbehörden geschildert hätten, zeigen sie keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf, sondern wenden sich in der Sache gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit wird jedoch kein Berufungszulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG benannt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2018 – 8 ZB 18.31802 – juris Rn. 7; B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 9 ff.). Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, insbesondere wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel hier vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
2. Für die weitere, von den Klägern sinngemäß als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„ob für die Eltern eines Kindes, das in Deutschland nach der Asylantragstellung der Eltern geboren wurde, aus dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz von Art. 6 Abs. 1 GG ein nationales Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen ist“,
haben die Kläger ebenfalls die Entscheidungserheblichkeit nicht hinreichend dargelegt. Im Übrigen lassen sich die im Hintergrund stehenden Fragen des Familienasyls aus dem Gesetz sowie anhand der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass einem weiteren Kind der Kläger zu 1 und zu 2, das am 10. Oktober 2017 im Bundesgebiet geboren wurde, mit Bescheid vom 14. Mai 2018 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Es hat im angefochtenen Urteil aber dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG nicht vorliegen, wonach die Familie schon in dem Staat bestanden haben muss, in dem der Asylberechtigte (bzw. der nach Abs. 5 Geschützte) politisch verfolgt wird. Hiergegen wenden sich die Kläger nicht. Vielmehr gehen sie in ihrem Zulassungsantrag davon aus, dass sie den Nachweis, dass ihnen gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht, nicht haben führen können. Dementsprechend steht nicht in Zweifel, dass ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG (und erst Recht auf Anerkennung als Asylberechtigte) nicht in Betracht kommt.
In der Rechtsprechung ist jedoch geklärt (BayVGH, B.v. 15.1.2019 – 13a ZB 18.30495 – juris), dass § 26 AsylG nicht analog auf die Fälle anzuwenden ist, in denen Familienangehörigen des betroffenen Ausländers lediglich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt wurde (was hier aber in Bezug auf das dritte Kind nicht der Fall ist, dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde). Es liegt nämlich keine Regelungslücke vor. Vielmehr hat der Gesetzgeber im Hinblick auf den europäischen Regelungskontext in diese Bestimmung nur Familienangehörige von international Schutzberechtigten einbezogen und bewusst auf eine Ausdehnung auf den nationalen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verzichtet (BayVGH, B.v. 15.1.2019 – 13a ZB 18.30495 – juris Rn. 4 m.w.N.; Schröder in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 31). Diese Regelungen zielen zudem allein auf den Schutz vor konkret-individuellen Gefahren (Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 21. Edition Stand: 01.02.2019, § 26 AsylG Rn. 30).
Erst Recht können die Kläger in einem Fall, in dem einem Familienangehörigen – hier dem gemeinsamen Kind – die Flüchtlingseigenschaft (und damit nicht lediglich nationaler Abschiebungsschutz) zuerkannt wurde, keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ableiten, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht vorliegen. Hiergegen spricht neben der fehlenden Regelungslücke (vgl. oben) die Systematik des § 26 AsylG, der vom Grundsatz geprägt ist, dass der dem Familienangehörigen zuerkannte Status auch den anderen Familienangehörigen bzw. dem Ehegatten oder Lebenspartner zusteht (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl 2014, § 26 Rn. 40).
Woraus die Kläger, die sich nur allgemein auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen, einen Anspruch ableiten wollen, haben sie nicht dargelegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht zur Vorgängerregelung des § 26 AsylVfG entschieden hat, dass Art. 6 Abs. 1 GG weder allein noch im Zusammenhang mit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ein Asylrecht von Familienangehörigen politisch Verfolgter, die in ihrer Person keine politische Verfolgung erlitten haben und denen auch keine politische Verfolgung droht, gewährleistet (BVerfG, B.v. 19.12.1984 – 2 BvR 1517/84 – juris Rn. 1; B.v. 3.6.1991 – 2 BvR 720/91 – juris Rn. 3; B.v. 14.12.2000 – 2 BvR 517/99 – juris Rn. 3; vgl. auch BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 389.94 – juris Rn. 11).
Die Kläger haben schließlich auch nicht dargelegt, dass hier entscheidungserheblich sein könnte, dass der Gedanke der Familieneinheit gegebenenfalls im Rahmen der Frage der Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung Niederschlag finden kann (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 21. Edition Stand: 01.02.2019, § 26 AsylG Rn. 30). Hierfür sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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