Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung aus familiären Gründen nach Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung einer Duldung

Aktenzeichen  Au 6 E 21.2478

Datum:
5.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1794
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
ZPO § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

Das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag fehlt, wenn dem Antragsteller eine gültige Duldung ausgestellt wurde und eine Abschiebung derzeit wegen Passlosigkeit unmöglich ist. (Rn. 19 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt eine Duldung aus familiären Gründen.
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben kongolesischer Staatsangehöriger, reiste mit einem ihm von der kongolesischen Auslandsvertretung in Südafrika ausgestellten Reisepass und einem ihm von der deutschen Auslandsvertretung in Südafrika vom 5. September 2018 bis 10. Oktober 2018 erteilten Besuchsvisum nach Deutschland ein und ist nach anschließendem erfolglosem Asylverfahren seit dem 21. August 2019 vollziehbar ausreisepflichtig (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [im Folgenden: Bundesamt], Bescheid v. 15.2.2019; Abweisung der Klage hiergegen durch VG Augsburg, U.v. 18.4.2019 – Au 9 K 19.30361; Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung hiergegen durch BayVGH, B.v. 21.8.2019 – 1 ZB 19.32515; Bundesamt, Abschlussmitteilung v. 2.9.2019, Behördenakte Bl. 170 ff.), seiner Ausreisepflicht aber bisher nicht nachgekommen. Er verfügt über keinen Reisepass.
Auch ein Asylfolgeantrag (Bundesamt, Bescheid v. 9.12.2019; Verfahrenseinstellung nach Rücknahme der Klage hiergegen durch VG Augsburg, B.v. 13.7.2020 – Au 9 K 19.31771) blieb erfolglos.
Die bereits zuvor mit ihm in Südafrika lebende Ehefrau und zwei Kinder reisten ebenfalls nach Deutschland ein und beantragten zunächst erfolglos Asyl; das Klageverfahren ist hiergegen noch offen. Sie machen u.a. psychische Erkrankungen geltend.
Der Antragsgegner belehrte den Antragsteller erstmals am 17. Oktober 2019 und seither wiederholt, zuletzt am 1. Dezember 2021, über seine Ausreise- und seine Passpflicht und duldet ihn seither wegen Passlosigkeit. Zuletzt erhielt der Antragsteller am 1. Dezember 2021 eine bis 28. Februar 2022 gültige Duldung ausgestellt unter der aufschiebenden Bedingung des Erlöschens am Tag der Abschiebung bzw. mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins. Der Antragsteller erklärte auch zuletzt, nicht freiwillig ausreisen zu wollen.
Der Antragsgegner leitete ein Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers ein; der Antragsteller beantragte bei der kongolesischen Auslandsvertretung einen Reisepass, dessen Ausstellung zum Stand 30. November 2021 noch sechs Monate in Anspruch nehmen werde.
Am 9. Dezember 2021 ließ der Antragsteller einen Eilantrag nach § 123 VwGO stellen mit dem Antrag,
den Antragsgegner wegen besonderer Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu dulden.
Zur Begründung verweist er darauf, er habe einen Anspruch zum Schutz von Ehe und Familie seiner mit ihm zusammenlebenden Ehefrau und Kinder, die sich in ambulanter psychiatrischer Behandlung befunden hätten u.a. wegen PTBS. Es bestehe die konkrete Gefahr einer Abschiebung, da der Antragsgegner am Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapiers festhalte, ein Botschaftsbesuch des Landesamts für Asyl und Rückführungen hierzu geführt werden solle und wegen des Zeitablaufs jederzeit eine Abschiebung drohe. Der Antragsgegner habe nicht zugesichert, für die Dauer der Asylverfahren von Frau und Kindern auf eine Abschiebung des Antragstellers zu verzichten.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag nach § 123 VwGO wird abgelehnt.
Die Erfolgsaussichten des Verfahrens zur Beschaffung eines Passersatzpapiers und des Passantrags des Antragstellers seien noch völlig offen; eine Abschiebung ohne Dokumente scheide unzweifelhaft aus. Ein Abschiebungshindernis bezogen auf seine Familienangehörigen liege nicht vor.
Der Antragsteller hält auch auf gerichtlichen Hinweis hin an seinem Antrag fest, denn er begehre Sicherheit, dass er auch nach Vorlage eines Reisepasses aus familiären Gründen nicht abgeschoben werden könne.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist unzulässig und wäre im Übrigen auch unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
1. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist unzulässig, denn es fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat. Das Rechtsschutzinteresse fehlt insbesondere, wenn die Klage bzw. der Antrag offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, vor § 40 Rn. 38).
Wie soeben ausgeführt, hat der Antragsgegner dem Antragsteller zuletzt am 1. Dezember 2021 eine bis 28. Februar 2022 gültige Duldung ausgestellt unter der auflösenden Bedingung des Erlöschens am Tag der Abschiebung bzw. mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins. Damit hatte der Antragsteller im Zeitpunkt seines Antrags und hat er auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Duldung inne.
a) Die Abschiebung des Antragstellers ist derzeit wegen Passlosigkeit unmöglich und eine entsprechende Duldung ist erteilt.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers vorübergehend auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
Von einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung eines Ausländers im Zusammenhang mit einem nicht zur Verfügung stehenden Pass ist auszugehen, wenn ein Abschiebungsversuch gescheitert ist oder eine Abschiebung ohne Pass oder Passersatz nach §§ 3 ff. AufenthV nicht möglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2021 – 10 CE 21.1427 – Rn. 17). Gleiches gilt, wenn ungewiss ist, ob eine Abschiebung ohne derartige Papiere möglich sein wird. Umgekehrt ist die tatsächliche Unmöglichkeit zu verneinen, wenn eine Abschiebung nach den einschlägigen Erfahrungen der Ausländerbehörde auch ohne Pass oder Passersatz möglich ist. Die Ausländerbehörde hat diese Erfahrungen zu substantiieren und zu plausibilisieren (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2021 – 10 CE 21.1427 – Rn. 17 m.w.N.).
Der für die Durchführung der Abschiebung notwendige Zeitraum macht diese nicht zeitweise unmöglich. Dies gilt indes nur für den üblicherweise erforderlichen Zeitraum. Der Gesetzgeber geht insofern von der zügigen Durchführung der Abschiebung aus. Lediglich kurzfristige, mithin geringfügige zeitliche Verzögerungen begründen demnach keine tatsächliche Unmöglichkeit. Auch dies hat die Ausländerbehörde zu substantiieren und zu plausibilisieren. Ist absehbar, dass der üblicherweise erforderliche Zeitraum überschritten wird, kann die Ausländerbehörde die zu erteilende beziehungsweise zu verlängernde Duldung insbesondere mit einer kurzen Laufzeit versehen (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG: „solange“). Im Übrigen wird die Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2021 – 10 CE 21.1427 – Rn. 18 m.w.N.).
Hier hat der Antragsgegner selbst die derzeitige Unmöglichkeit der Abschiebung erkannt und mit der gesetzlich vorgesehenen Duldung reagiert. Damit hat der Antragsteller bereits vor und ohne Einleitung des Antragsverfahrens erreicht, was er mit diesem begehrt.
b) Ob die Abschiebung des Antragstellers aus anderen Gründen unmöglich ist und ebenfalls eine Duldung rechtfertigt, führt nicht zu einem Rechtsschutzbedürfnis.
Der Gesetzgeber hat die Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bewusst offen formuliert, um der Vielzahl tatsächlicher und rechtlicher Abschiebungshindernisse gerecht zu werden. Eine nähere Differenzierung hat er – außer in den hier nicht einschlägigen Sonderformen der § 60b, § 60c und § 60d AufenthG – aber anders als für zu Aufenthaltstiteln führende Aufenthaltszwecke nicht getroffen. Duldung ist Duldung.
Daher gibt es auch keine „Duldung auf Vorrat“, die griffe, sollte ein aktueller Duldungsgrund künftig entfallen. Vielmehr hat die Ausländerbehörde im Zeitpunkt einer geplanten Abschiebung zu prüfen, ob der Abschiebung tatsächliche oder rechtliche Abschiebungshindernisse entgegenstehen. Eine Prognose, ob der Antragsteller ab dem 1. März 2022 abgeschoben werden kann oder nicht, insbesondere seine Ehefrau und Kinder auf ihn angewiesen sein werden oder nicht oder ihm in das gemeinsame letzte Aufenthaltsland Südafrika folgen können, ist derzeit weder ausländerbehördlich seitens des Antragsgegners noch gerichtlich veranlasst.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO wäre auch unbegründet, da kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), solange eine Duldung erteilt und nicht absehbar ist, dass das Abschiebungshindernis vor ihrem Ablauf entfallen wird.
3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
4. Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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