Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag auf vorläufige Anerkennung des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung unter Rückgriff auf die Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts

Aktenzeichen  7 CE 21.17

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6119
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 5 Abs. 2 Nr. 7 lit. b
ÄVO-ÄApprO § 5, § 7, § 8
ÄApprO § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, Abs. 3 S. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 2, § 28, § 30
BÄO § 4
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 74 Nr. 19

 

Leitsatz

1. Die vorläufige Anerkennung einer abgesagten Prüfung kann nicht mit einem Folgenbeseitigungsanspruch durchgesetzt werden, weil es sich bei der begehrten Anerkennung nicht um einen Zustand handelt, der zum Zeitpunkt der Absage bestand.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Begehren einer Anerkennung der Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts als Prüfungsnote der M2-Prüfung und damit eines vollständigen Verzichts auf die Durchführung der M2-Prüfung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit kann ein Land schon aus kompetenzrechtlichen Gründen mit Blick auf die abschließende bundesrechtliche Regelung nicht nachkommen (Anschluss an VGH BW BeckRS 2021, 2302). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weder die Behauptung des Bestehens eines Folgenbeseitigungsanspruch noch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz, ein erworbener Prüfungszulassungsanspruch oder das Gebot der Chancengleichheit können dazu führen, dass eine bestimmte Note ohne entsprechende normative Grundlage als Äquivalent für eine tatsächlich nicht erbrachte Prüfungsleistung gerichtlich festgesetzt wird.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 6 K 19.791 2020-11-30 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Abänderung von Nr. 3 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 30. November 2020 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die auf die fristgerecht dargelegten Gründe beschränkte Prüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO) ergibt, dass das Rechtsmittel nicht begründet ist. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses vom 30. November 2020 nicht. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag gemäß § 123 VwGO im Haupt- und Hilfsantrag zu Recht abgelehnt. Zur Begründung folgt der Senat zunächst den zutreffenden Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen weist der Senat ergänzend auf folgendes hin:
I.
Das Verwaltungsgericht hat den auf vorläufige Anerkennung des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung unter Rückgriff auf die Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts gerichteten Hauptantrag zutreffend abgelehnt. Unabhängig davon, ob die Antragstellerin erfolgreich einen Anordnungsgrund glaubhaft machen konnte (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 25.1.2021 – 9 S 3423/20 – juris Rn. 32 m.w.N.), hat sie auch im Beschwerdeverfahren das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs hierauf nicht durchgreifend aufgezeigt.
1. Das Verwaltungsgerichts hat zum Hauptantrag der Antragstellerin im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an einem Anordnungsanspruch, weil dem Hauptantrag das prüfungsrechtliche Verbot der Anerkennung fiktiver Leistungen entgegenstehe. Fiktive Leistungen könnten selbst dann nicht anerkannt werden, wenn die unterbliebene Leistungserbringung oder die vereitelte Leistungsbewertung durch den Prüfling und/oder die Prüfungsbehörde veranlasst oder verschuldet wurde. Es sei nicht entscheidungserheblich, ob und ggf. inwieweit der Antragsgegner im Rahmen seiner Entscheidung zur Absage des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung (im Folgenden: M2-Prüfung) im Frühjahr 2020 rechtmäßig gehandelt habe. Selbst im Fall der Rechtswidrigkeit könnte der daraus resultierende Mangel des Prüfungsverfahrens nicht durch die begehrte (vorläufige) Anerkennung der tatsächlich nicht erbrachten M2-Prüfung mit der Bewertung einer Studienverlaufsnote kompensiert werden. Dies würde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, jedenfalls mit Blick auf Studierende vorausgegangener M2-Prüfungen sowie hinsichtlich anderer Prüflinge desselben Prüfungstermins aus anderen Bundesländern. Es bestehe kein Anordnungsanspruch, weder hinsichtlich der begehrten Prüfungsanerkennung und -bewertung noch hinsichtlich einer dahingehenden Ermessensentscheidung des Antragsgegners. Daher könnten Fragen zur formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 30. März 2020 – ÄVO-ÄApprO – (im Folgenden: Abweichungsverordnung) sowie Fragen der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners, nicht nach § 7 Abs. 4 ÄVO-ÄApprO vorzugehen, offenbleiben.
2. Soweit die Antragstellerin dem entgegenhält, die mit dem Hauptantrag begehrte vorläufige Anerkennung der M2- Prüfung unter Rückgriff auf die Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts ergebe sich aus dem Folgenbeseitigungsanspruch, verkennt sie Inhalt und Umfang dieses Anspruchs. Der verschuldensunabhängige Folgenbeseitigungsanspruch entsteht, wenn durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 19.7.1984 – 3 C 81.84 – juris Rn. 29 m.w.N.). Er ist allein auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Tuns oder Unterlassens der vollziehenden Gewalt gerichtet und gewährt nur einen Ausgleich in natura (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 19.7.1984 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Der Folgenbeseitigungsanspruch knüpft nicht an die Rechtswidrigkeit des Eingriffsakts, sondern an die Rechtswidrigkeit des dadurch geschaffenen Zustands an (BVerwG, U.v. 23.5.1989 – 7 C 2.87 – juris Rn. 80). Er dient der Wiederherstellung des Zustands, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestand (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 19.7.1984 a.a.O.; BVerwG, U.v. 23.5.1989 a.a.O.) und ist nicht auf einen Ausgleich materieller oder immaterieller Schäden gerichtet, die durch eine rechtswidrige Handlung der Exekutive verursacht werden (BVerwG, U.v. 18.4.2002 – 2 C 19.01 – juris Rn. 19).
Dahingestellt bleiben kann, ob die Antragstellerin zutreffend davon ausgeht, dass für den von ihr behaupteten Folgenbeseitigungsanspruch der Antragsgegner passivlegitimiert ist, und ebenso, ob die Voraussetzungen eines Folgenbeseitigungsanspruchs vorliegen. Unmaßgeblich ist insbesondere, ob durch die in § 7 Abs. 1 ÄVO-ÄApprO festgelegte, von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 1 ÄApprO abweichende Reihenfolge von M2-Prüfung, Praktischem Jahr und Drittem Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (im Folgenden: M3-Prüfung) rechtswidrig in subjektive Rechte der Antragstellerin eingegriffen wurde. Jedenfalls kann die von ihr im Hauptantrag begehrte vorläufige Anerkennung der M2-Prüfung nicht mit einem Folgenbeseitigungsanspruch durchgesetzt werden. Denn die Antragstellerin will damit nicht einen Zustand erreichen, der zum Zeitpunkt des behaupteten Eingriffs bestand – als solcher käme nur die nicht streitige Zulassung zur M2-Prüfung im Frühjahr 2021 in Betracht -, sondern sie strebt eine Veränderung dieses Zustands als Ausgleich für die Auswirkungen der durch § 7 Abs. 1 ÄVO-ÄApprO normierten neuen Prüfungsabfolge an. Einen Ausgleich für die von ihr in diesem Zusammenhang vorgetragenen Nachteile, Erschwernisse und Belastungen kann sie jedoch mit dem Folgenbeseitigungsanspruch nicht erreichen. Daher kommt es in diesem Zusammenhang weder darauf an, ob die Abweichungsverordnung formell und materiell verfassungsmäßig ist, noch ist es von Belang, ob die Entscheidung des Antragsgegners rechtmäßig war, anders als andere Bundesländer von der durch § 7 Abs. 4 Satz 1 ÄVO-ÄApprO eingeräumten Möglichkeit, die M2-Prüfung planmäßig im Frühjahr 2020 stattfinden zu lassen, keinen Gebrauch zu machen und die M2-Prüfung in das Frühjahr 2021 zu verschieben.
3. Ebenfalls nicht durchdringen kann die Antragstellerin mit ihrem Einwand, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass fiktive Leistungen per se nicht anerkannt werden könnten. Soweit sie auch im Beschwerdeverfahren darauf verweist, in einem besonderen Ausnahmefall, der hier vorliege wegen der Corona-Pandemie, der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der in diesem Zusammenhang verhängten Maßnahmen und den damit verbundenen Nachteilen für die Antragstellerin, folge aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass auf eine Leistungserbringung verzichtet werden könne, wiederholt sie im Wesentlichen die im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Argumente, ohne sich jedoch substantiiert im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen, dem Hauptantrag stehe das prüfungsrechtliche Verbot der Anerkennung fiktiver Leistungen entgegen. Unabhängig davon kann die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen auch in der Sache nicht durchdringen.
a) Gestützt auf die Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b IfSG hat das Bundesministerium für Gesundheit am 30. März 2020 die Abweichungsverordnung erlassen und hiermit – in den Grenzen der Ermächtigungsgrundlage – sein Ermessen zur Gestaltung der durch den Deutschen Bundestag am 28. März 2020 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite ausgeübt. Eine Zustimmung des Bundesrats war gesetzlich nicht vorgesehen. Die Abweichungsverordnung bezweckt, von der Approbationsordnung für Ärzte abweichende Regelungen zu den Zeitpunkten und Anforderungen an die Durchführung der einzelnen Abschnitte der Ärztlichen Prüfung zu treffen und sicherzustellen, dass den Studierenden infolge ihrer Mitwirkung in der Gesundheitsversorgung im Zusammenhang mit der epidemischen Lage von nationaler Tragweite keine Nachteile für den Studienfortschritt entstehen (vgl. § 1 der ÄVO-ÄApprO).
Zwar wurde im Vorfeld des Erlasses der Abweichungsverordnung wegen der zunehmenden Ausbreitung von COVID-19 und den damit verbundenen Auswirkungen auch auf den Ablauf des Medizinstudiums von einigen Seiten der Vorschlag unterbreitet, einmalig auf die Durchführung der M2-Prüfung zu verzichten und stattdessen die bereits abgeschlossenen Prüfungen des klinischen Studienabschnitts als Äquivalent anzuerkennen (vgl. u.a. Ausführungen im Schreiben der Medizinischen Fakultät Heidelberg vom 26.3.2020, Bl. 39 der VG-Akte). Eine derartige Regelung hätte jedoch nur unter Mitwirkung des Bundesrats erlassen werden können (vgl. § 4 Abs. 1 BÄO).
Demnach haben Medizinstudierende nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ÄVO-ÄApprO trotz Bestehens einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite weiterhin eine M2-Prüfung abzulegen. Durch die Regelungen der Abweichungsverordnung wurden die hierfür in § 13 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 28 ÄApprO festgelegten Anforderungen weder aufgegeben noch wesentlich verändert. An die Regelungen der Abweichungsverordnung ist der Antragsgegner gebunden. Da dieser von der ihm nach § 7 Abs. 4 Satz 1 ÄVO-ÄApprO eingeräumten Möglichkeit, am vorgesehenen Prüfungstermin 2020 festzuhalten, keinen Gebrauch gemacht hat, haben die Prüfungskandidaten, die nach Bestehen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung ursprünglich im April 2020 die M2-Prüfung ablegen sollten, diese gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3, Abs. 1 Nr. 1 ÄVO-ÄApprO nach Abschluss des vorzeitigen Praktischen Jahres (vgl. § 5 ÄVO-ÄApprO) abzuleisten.
Mit der von ihr begehrten Anerkennung der Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts als Prüfungsnote der M2-Prüfung stellt die Antragstellerin sinngemäß die Forderung auf, der Antragsgegner müsse aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu ihren Gunsten vollständig auf die Durchführung der M2-Prüfung verzichten. Dem kann der Antragsgegner bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht nachkommen. Denn der Bund hat von der ihm durch Art. 74 Nr. 19 GG eingeräumten Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von Regelungen für die Zulassung zu ärztlichen Heilberufen abschließend Gebrauch gemacht (vgl. VGH BW, B.v. 25.1.2021 – 9 S 3423/20 – juris Rn. 32 m.w.N.). Abweichungen von den in § 4 Abs. 1 bis 3, 5 und 6 BÄO sowie der auf dieser Grundlage erlassenen Approbationsordnung für Ärzte und den dort enthaltenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens durch Landesrecht sind ausgeschlossen (vgl. § 4 Abs. 7 Satz 1 BÄO). Der Forderung der Antragstellerin, von der im April 2020 wegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 ÄVO-ÄApprO nicht durchgeführten M2-Prüfung gänzlich abzusehen, kann der Antragsgegner schon aus diesem Grund nicht entsprechen.
b) Abgesehen davon, dass das Vorbringen der Antragstellerin insoweit wenig substantiiert ist, kann sie sich gegenüber dem Antragsgegner nicht erfolgreich darauf berufen, in vielen Ländern seien Prüfungserleichterungen (Verzicht auf Prüfungen/Prüfungsteile, Notenanhebungen) gewährt worden, in Frankreich gebe es „ein Abitur ohne Prüfung“ und in Berlin müssten „10.-Klässler keine Abschlussprüfung schreiben“. Da die M2-Prüfung nach der eindeutigen Regelung in § 7 Abs. 1 Nr. 1 ÄVO-ÄApprO trotz der COVID-19 Pandemie abzulegen ist, hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner keinen Anspruch auf Gleichbehandlung. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine Medizinstudierenden, bei denen aus Pandemiegründen auf die Ablegung der M2-Prüfung oder von Teilen dieser Prüfung verzichtet wurde.
c) Soweit die Antragstellerin der Ansicht ist, ihr Anspruch auf Anerkennung der Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts als Prüfungsnote der M2-Prüfung folge aus ihrem Anspruch auf Prüfungszulassung, kann sie ebenfalls nicht durchdringen. Mit Inkrafttreten der Abweichungsverordnung zum 1. April 2020 (vgl. § 12 ÄVO-ÄApprO) wurde ihr Zulassungsanspruch durch § 7 Abs. 1 Nr. 1 ÄVO-ÄApprO insoweit modifiziert, dass die M2-Prüfung erst nach Bestehen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung und nach Abschluss des vorzeitigen Praktischen Jahres abgelegt werden kann. Allein aus einem Prüfungszulassungsanspruch kann sich kein Anspruch auf ein bestimmtes Prüfungsergebnis ergeben.
d) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergibt sich ein Anordnungsanspruch für die beantragte Anerkennung der Durchschnittsverlaufsnote des klinischen Studienabschnitts als Prüfungsnote der M2-Prüfung auch nicht aus Gründen des Nachteilsausgleichs. Einem derartigen Anspruch steht bereits entgegen, dass die Antragstellerin mit den von ihr genannten Nachteilen nicht solche aufzeigt, die aus Gründen der Chancengleichheit auszugleichen wären.
aa) Das Gebot der Chancengleichheit (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) soll sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. Zu diesem Zweck sollen die Bedingungen, unter denen die Prüfung abgelegt wird, für alle Prüflinge möglichst gleich sein (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – BVerwGE 152, 330 Rn. 15 m.w.N.). Da einheitliche Prüfungsbedingungen geeignet sind, die Chancengleichheit derjenigen Prüflinge zu verletzen, deren Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erheblich beeinträchtigt ist, steht diesen Prüflingen ein Anspruch auf Änderung der einheitlichen Prüfungsbedingungen im jeweiligen Einzelfall unmittelbar aufgrund des Gebots der Chancengleichheit nach Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG zu. Den Schwierigkeiten des Prüflings, seine vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Geltung der einheitlichen Bedingungen darzustellen, muss durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen werden. Dieser Nachteilsausgleich ist erforderlich, um chancengleiche äußere Bedingungen für die Erfüllung der Leistungsanforderungen herzustellen. Aus diesem Grund muss die Ausgleichsmaßnahme im Einzelfall nach Art und Umfang so bemessen sein, dass der Nachteil nicht „überkompensiert“ wird (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 a.a.O. Rn. 16). Ebenso wenig darf die Gewährung von Nachteilsausgleich zu einer Modifizierung der Prüfungsinhalte führen.
bb) Ein Nachteilsausgleich setzt demnach regelmäßig voraus, dass in der Person des Prüflings liegende Einschränkungen oder sonstige Nachteile aus Gründen der Chancengleichheit ausgeglichen werden müssen. Derartige Einschränkungen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Die von ihr im Zusammenhang mit der Betreuung ihrer Kinder in Pandemiezeiten genannten Schwierigkeiten und Belastungen können über einen Nachteilsausgleich nicht ausgeglichen werden. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Antragstellerin besonders von der Änderung der Prüfungsabfolge betroffen ist, weil sie sich während der sog. „2. Welle“ erneut auf die M2-Prüfung vorbereiten muss, andererseits aber die hierfür erforderlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten wegfallen oder stark eingeschränkt sind. Die im Zusammenhang mit den Schulschließungen und den veränderten Anforderungen an die Kinderbetreuung vorgetragene Doppelbelastung der Antragstellerin als Mutter ist aber dem privaten Lebensbereich zuzuordnen und keine Folge der in der Abweichungsverordnung getroffenen Regelungen, sondern Konsequenz der – nicht nur die Antragstellerin vor hohe organisatorische Anforderungen stellenden – Pandemie. Das Gleiche gilt, soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf Nachteile und Erschwernisse während des vorzeitigen Praktischen Jahres verweist. Da es sich auch insoweit um Auswirkungen der Pandemie handelt, wäre die Antragstellerin von den von ihr geschilderten Veränderungen der Lehrbedingungen im Praktischen Jahr – u.a. weniger Operationen, ausgefallener Unterricht – in gleicher Weise betroffen gewesen, wenn sie die M2-Prüfung im April 2020 planmäßig hätte absolvieren und anschließend regulär das Praktische Jahr hätte ableisten können.
Soweit sie auch im Beschwerdeverfahren u.a. darauf verweist, ihr fehle eine ausreichende Vorbereitungszeit auf die M2-Prüfung und sie müsse nun das sog. „Hammerexamen“ absolvieren, handelt es sich ebenfalls nicht um Nachteile, die in ihrer Person begründet sind, sondern die gleichermaßen alle von § 7 Abs. 1 ÄVO-ÄApprO betroffenen Medizinstudierenden treffen.
e) Darüber hinaus können fiktive Leistungen nicht Gegenstand einer Bewertung sein. Die Antragstellerin verkennt in diesem Zusammenhang, dass dies keine Frage der Überkompensation ist. Angenommene Leistungen, die der Prüfling normalerweise hätte erbringen können, wegen außergewöhnlicher Umstände jedoch tatsächlich nicht erbracht hat, sind einer Bewertung nicht zugänglich. Dies gilt selbst dann, wenn die Gründe hierfür nicht in der Sphäre des Prüflings liegen. Daher kommt es insgesamt nicht darauf an, ob die Regelungen der Abweichungsverordnung bzw. die Entscheidung des Antragsgegners, von der Ausnahmemöglichkeit nach § 7 Abs. 4 Satz 1 ÄVO-ÄApprO keinen Gebrauch zu machen, rechtmäßig gewesen sind.
4. Unabhängig davon können weder der behauptete Folgenbeseitigungsanspruch noch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz, ein erworbener Prüfungszulassungsanspruch oder das Gebot der Chancengleichheit dazu führen, dass eine bestimmte Note ohne entsprechende normative Grundlage als Äquivalent für eine tatsächlich nicht erbrachte Prüfungsleistung gerichtlich festgesetzt wird. Hierdurch würde der Senat seine Kompetenz überschreiten und entgegen dem eindeutig geäußerten Willen des Verordnungsgebers unzulässig in das diesem in § 4 BÄO sowie § 5 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b IfSG eingeräumte Gestaltungsermessen eingreifen.
II.
Das Verwaltungsgericht hat den von der Antragstellerin mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch, ihr einen „angemessenen Ausgleich zu gewähren für 1. die Verschiebung des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung (im) Frühjahr 2020 aufgrund der Änderung der Zulassungsvoraussetzung für diese Prüfung und 2. den vorzeitigen Beginn des Praktischen Jahres mit einer Untergliederung in drei Ausbildungsabschnitte von 15 Wochen unter Vorgabe des klinisch-praktischen Fachgebiets für den dritten Ausbildungsabschnitt“, ebenfalls zu Recht abgelehnt. Ungeachtet dessen, dass der Senat bereits erhebliche Zweifel hat, ob der Hilfsantrag hinreichend bestimmt ist, hat die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren nicht durchgreifend dargelegt, woraus sich ein Anspruch auf die mit diesem Antrag sinngemäß geforderten Ausgleichsmaßnahmen für die nach Ansicht der Antragstellerin unmittelbar auf § 7 ÄVO-ÄApprO beruhenden Nachteile und Ausbildungserschwernisse ergeben soll. Unabhängig davon zeigt sie nicht auf, dass der Antragsgegner die geforderten Ausgleichsmaßnahmen überhaupt vornehmen kann.
1. Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ausführt, durch das vorzeitige Praktische Jahr sei ihr ein „normaler Einblick in die reguläre Versorgung“ von Patienten genommen, oder, „die vorgezogenen PJ-Studierenden“ würden im Klinikalltag nicht benötigt, und dadurch sinngemäß auf Belastungen und Nachteile verweist, die sich ihrer Meinung nach aus der Ausgestaltung des vorzeitigen Praktischen Jahres ergeben, kann sie bereits deshalb nicht durchdringen, weil die geschilderten Belastungen keine unmittelbare Folge der durch § 7 Abs. 1 Nr. 1 ÄVO-ÄApprO geänderten Abfolge von M2-Prüfung und Praktischem Jahr sind. Vielmehr handelt es sich um Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf den normalen Klinikalltag. Erschwernisse, die ihr nicht auch widerfahren wären, wenn sie ihre M2-Prüfung regulär im April 2020 absolviert und nach deren Bestehen das Praktische Jahr planmäßig hätte beginnen können, nennt die Antragstellerin nicht. Unmittelbare Auswirkungen auf die nun im Frühjahr 2021 abzuleistende M2-Prüfung sind ebenfalls nicht substantiiert dargelegt.
2. Im Hinblick auf die übrigen von der Antragstellerin genannten Erschwernisse ist ein Ausgleich durch den Antragsgegner ausgeschlossen. Die Antragstellerin benennt im Wesentlichen Nachteile, die nicht in ihrer Person begründet sind, sondern alle Studierenden der Humanmedizin betreffen, die ihre M2-Prüfung aufgrund von § 7 Abs. 4 Satz 1 und 3 ÄVO-ÄApprO im April 2020 nicht ablegen konnten. Mit Ausnahme ihres Verweises auf den Folgenbeseitigungsanspruch, der aus den unter I.2. genannten Gründen auch insoweit nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, verhält sich die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren nicht dazu, auf welche Anspruchsgrundlage sie ihre Forderungen stützt. Auf Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG kann sie sich hinsichtlich der im erstinstanzlichen Verfahren beispielhaft genannten Ausgleichsmaßnahmen nicht berufen.
a) Zwar verlangt der prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit nach Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, dass für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe gelten. Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Prüflinge oder Teilnehmergruppen einer Prüfung sollen vermieden werden, um allen Teilnehmern gleiche Erfolgschancen zu bieten. Unterschiedliche Prüfungsbedingungen für die Teilnehmer einer Prüfung sind mit dem Gebot der Chancengleichheit nur vereinbar, wenn sie auf einen sachlichen Grund zurückzuführen sind, dessen Gewicht die Unterschiede nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag. Darüber hinaus darf die Ungleichbehandlung der Prüflinge keine ungleichen Erfolgschancen nach sich ziehen. Dem Gebot der Chancengleichheit wird nur eine Gleichwertigkeitsprüfung gerecht, die die Gesamtheit der Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Prüfungsvorbereitung in den Blick nimmt und vergleicht (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.2015 – 6 B 11.15 – NVwZ-RR 2015, 858).
Inwieweit die Verschiebung der M2-Prüfung vom Frühjahr 2020 in das Frühjahr 2021 durch hinreichend sachliche Gründe gerechtfertigt war, bedarf im vorliegenden Eilverfahren keiner Entscheidung. Denn es ist derzeit völlig ungesichert, ob und inwieweit die geänderte Prüfungs- und Ausbildungsabfolge tatsächlich ungleiche Erfolgschancen für die Antragstellerin nach sich zieht. Die von ihr in diesem Zusammenhang geäußerten Befürchtungen, sie werde aufgrund der geschilderten Umstände in der kommenden M2-bzw. M3-Prüfung schlechter abschneiden als die Prüflinge, die planmäßig im Frühjahr 2020 die M2-Prüfung ablegen konnten, beruhen auf Mutmaßungen. Sind jedoch bereits konkrete und verlässliche Aussagen dazu nicht möglich, dass es durch die Regelungen der Abweichungsverordnung zu einer vorbereitungsbedingten Verzerrung der Ergebnisse der kommenden M2- bzw. M3-Prüfung zu Lasten der Antragstellerin kommen wird, lässt sich ein Verstoß gegen den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit nach Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls derzeit nicht feststellen.
b) Darüber hinaus verlangt die Antragstellerin mit ihrer im erstinstanzlichen Verfahren aufgestellten Forderung „nach erleichterten transparenten Konditionen beim Zusammenlegen von M2- und M3-Prüfung im Frühjahr 2021“ – konkret benennt die Antragstellerin folgende Beispiele: „Freiversuch; Vorbereitungszeit von 100 Tagen, ggf. unter Anrechnung auf das PJ; Ausschluss von Prüfungsfragen zu berufspraktischen Anforderungen an den Arzt und die Krankheitsbilder, die im Zusammenhang mit der Bekämpfung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite stehen bei M2- und M3-Prüfung; Reduzierung der Prüfungszeit bei M2- und M3-Prüfung mit entsprechender Reduzierung der Prüfungsaufgaben; konkrete Eingrenzung des Prüfungsgegenstands bei M2- und M3-Prüfungen“ – entweder Maßnahmen, zu denen es in der Approbationsordnung für Ärzte keine Regelungen gibt, die aber nach § 4 Abs. 1 BÄO vom Verordnungsgeber zu treffen wären (Freiversuch, 100 Tage Vorbereitungszeit), oder sie begehrt eine Modifizierung von Umfang, Bedingungen und Anforderungen der M2- und M3-Prüfung und damit Abweichungen von den Regelungen in § 28 bzw. § 30 ÄApprO, die ebenfalls nur durch das zuständige Bundesministerium der Gesundheit vorgenommen werden könnten. Der Antragsgegner kann den Wünschen der Antragstellerin schon deswegen nicht nachkommen, weil er mangels Normsetzungskompetenz daran gehindert ist, die Regelungen der Approbationsordnung zu verändern (vgl. § 4 Abs. 7 Satz 1 BÄO). Damit ist der Hilfsantrag der Antragstellerin bereits wegen fehlender Passivlegitimation des Antragsgegners unbegründet.
c) Soweit die Antragstellerin für den Fall, dass „die Noten in dem Prüfungsdurchlauf im Prüfungsdurchschnitt und/oder in der Durchfallquote schlechter als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre“ ausfallen, zusätzlich eine „Notenanpassung auf den bisherigen Durchschnitt“ fordert, kann sie dies im vorliegenden Verfahren nicht durchsetzen. Für die im Vorfeld der M2- bzw. M3-Prüfung begehrten Ausgleichsmaßnahmen in Form von Notenanpassungen besteht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2, § 45 Abs. 1 Satz 2 und 3 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013. Die Abänderungsbefugnis ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.


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