Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines Algeriers gegen Einstellungsbescheid des BAMF wegen Nichtbetreibens des Verfahrens

Aktenzeichen  W 8 S 20.31362

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39897
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 33, § 34, § 75 Abs. 1

 

Leitsatz

Erscheint ein Asylbewerber unentschuldigt nicht zur Anhörung, hat das BAMF kein Wahlrecht sondern die Pflicht zur Einstellung des Verfahrens, weil diese bei einer fingierten Antragsrücknahme wegen Nichtbetreiben des Verfahrens als zwingende Folge begründet wird (BVerwG, Buchholz 402.251 § 33 AsylG Nr. 1).(Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste am 15. August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. September 2020 einen Asylantrag.
Der Antragsteller erhielt vom Antragsgegner schriftlich die „wichtige Mitteilung“ mit der Belehrung über seine Mitwirkungspflichten in arabischer Sprache persönlich ausgehändigt, wie er mit seiner Unterschrift im Rahmen der Asylantragstellung am 30. September 2020 bestätigte. Weiter übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller eine Ladung zur mündlichen Anhörung zuletzt für den 2. Dezember 2020 unter Hinweis auf die Folgen des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG. Den Erhalt der Ladung hat er laut seiner Empfangsbestätigung mit seiner Unterschrift am 26. November 2020 bescheinigt. Zum Anhörungstermin erschien er nicht.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Nr. 1). Weiter stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Algerien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am 9. Dezember 2020 erhob der Antragsteller zu Protokoll des Urkundsbeamten im Verfahren W 8 K 20.31361 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Sofortverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus: Er sei sich nicht bewusst gewesen, dass er die Anhörungstermine beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpasst habe. Er sei davon ausgegangen, dass aufgrund der Corona-Pandemie keine Anhörungen durchgeführt würden und er einen neuen Termin erhalte. Er wünsche einen neuen Termin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 8 K 20.31361) und die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antragsteller begehrt bei verständiger Würdigung des Vorbringens die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 38 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylG statthaft, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antrag wurde fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Klage- und Antragsfrist des § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt. Es spricht auch viel dafür, dass der Antragsteller ein Rechtschutzbedürfnis hat, da die Möglichkeit eines Wideraufnahmeantrages nach § 33 Abs. 5 AsylG im Vergleich zu einer gerichtlichen Entscheidung über Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides nicht gleichwertig ist, da nicht sichergestellt ist, dass der Antragsteller andernfalls keine Nachteile erleidet.
Der Antrag ist aber unbegründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende gerichtliche Interessensabwägung ergibt, dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt, nachdem die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Denn die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist rechtmäßig, weil das Asylverfahren des Antragstellers zurecht gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG eingestellt worden ist. Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG), wenn der betreffende Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gesetzlich gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Altern. vermutet, wenn der Antragsteller einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung ist gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nur widerlegt, wenn der Antragsteller unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umständen beruht, auf die er keinen Einfluss hatte.
Erscheint ein Ausländer unentschuldigt nicht zur Anhörung, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kein Wahlrecht. Die zwingende Folge der fingierten Antragsrücknahme bei Nichtbetreiben des Verfahrens begründet bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Pflicht zur Einstellung des Verfahrens (BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – Buchholz 402.251 § 33 AsylG Nr. 1). So liegt der Fall hier.
Der Antragsteller hat vorliegend die Ladung vom 25. November 2020 zur persönlichen Anhörung am 2. Dezember 2020 laut handschriftlicher Empfangsbestätigung am 26. November 2020 erhalten. Der Kläger ist der Ladung nicht nachgekommen und zu dem Termin nicht erschienen, ohne dass er einen Nachweis der unverschuldeten Versäumnis erbracht hat. Der Kläger gab vielmehr schlicht an, er habe gedacht, aufgrund der Corona-Pandemie würden keine Anhörungen durchgeführt. Dieses Vorbringen steht jedoch im Widerspruch zu den aktenkundigen Feststellungen und ist nicht glaubhaft. Der Kläger hat wiederholt Ladungen erhalten und dies mit Unterschrift auf der Empfangsbestätigung bescheinigt. Die Anhörungen wurden zwar teilweise wegen der Pandemie verschoben. Jedoch ist sein Vorbringen deshalb nicht glaubhaft, weil er schon den vorherigen Termin am 23. November 2020 versäumt und dazu ausdrücklich angegeben hatte, er habe aus Krankheitsgründen den Termin nicht wahrnehmen können, weil er wegen Magenschmerzen in der Ambulanz gewesen sei. Letzteres hat auch die Ambulanz bestätigt. Damit ist offenkundig, dass der Antragsteller gewusst hat, dass Anhörungstermine stattfinden und dass der letzte Termin nur wegen der von ihm vorgebrachten gesundheitlichen Gründe verschoben wurde. Daraufhin wurde der nun streitgegenständliche Termin anberaumt. Wieso der Antragsteller nach dieser Vorgeschichte annahm, dass dieser Termin wegen der Covid-19-Pandemie nicht stattfinden sollte, hat er nicht näher dargelegt. Die Versäumung der Anhörung ist dem Antragsteller anzulasten.
Der Antragsteller wurde des Weiteren zum Termin am 2. Dezember 2020 ordnungsgemäß geladen, insbesondere wurde er auf die Rechtsfolgen der Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins entsprechend § 33 Abs. 4 AsylG hingewiesen. Der Antragsteller wurde zudem in der ihm ausgehändigten „wichtigen Mitteilung“ über seine Mitwirkungspflichten belehrt. Diese schriftliche Mitteilung wurde ihm auch in arabischer Sprache ausgehändigt, wie er mit seiner Unterschrift bestätigte. Die Belehrung ist in ausreichend verständiger Sprache und mit gesetzesentsprechendem Inhalt wiedergegeben worden. Die Ladung zum Anhörungstermin ist ihm zudem laut von ihm unterschriebene Empfangsbestätigung am 26. November 2020 ausgehändigt worden. Der Antragsteller hat hierfür unterschrieben. Eine Fehlerhaftigkeit der Belehrung bzw. sonstige Mängel der Ladung (vgl. dazu Heusch, in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 27. Ed., Stand: 1.10.2020, § 33 AsylG Rn. 7 ff.; Marks, Kommentar zum Asylgesetz, 10. Aufl. 2019, § 33 Rn. 23 ff.) sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgebracht. Dass das Versäumnis des Antragstellers auf eine mangelhafte oder missverständliche Belehrung über seine Mitwirkungspflichten bzw. eine fehlerhafte Übersetzung beruhen könnte, hat der Antragsteller nicht einmal ansatzweise geltend gemacht. Der schlichte Verweis auf die Covid-19-Pandemie ist – wie ausgeführt – aufgrund der Vorgeschichte nicht glaubhaft, sondern ist als reine Schutzbehauptung zu werten.
Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 38 Abs. 2 VwGO.
Relevante zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erkennbar und vom Antragsteller auch nicht vorgebracht.
Ergänzend kann auf die Ausführung im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Der entsprechende Antrag ist persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Antragsteller vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet war. Stellt der Antragsteller einen neuen Asylantrag, gilt dieser als Antrag im Sinne des Satzes 2 (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 2 ff. AsylG).


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