Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines kosovarischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  M 17 S 17.30165

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a, § 36
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

1 Es bestehen weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung des Kosovo als sicherer Herkunftsstaat. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Schilderung lediglich persönlicher Schwierigkeiten eines kosovarischen Asylbewerbers mit dem Freund der Ehefrau kann die Nichtverfolgungsvermutung des § 29a AsylG nicht erschüttern. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Von der Unwilligkeit bzw. Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, eigene Staatsangehörige vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist nicht auszugehen. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Aus dem Umstand, dass ein kosovarischer Asylbewerber einen anderen Asylbewerber außerhalb der Asylbewerberunterkunft begleitet, lässt sich kein Abschiebungsverbot ableiten. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Kosovo. Nachdem bereits im Jahr 1995 ein Asylverfahren durchgeführt worden war, reiste er nach eigenen Angaben am … Mai 2016 auf dem Landweg erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. September 2016 einen Asylfolgeantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Dezember 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass er Probleme mit seiner Frau gehabt habe, die ihn betrogen habe und ihm seine Kinder weggenommen habe. Er habe befürchtet, dass er seiner Frau bzw. seinem Nebenbuhler Gewalt antun könne, wenn er im Land zurückbleibe. Im Jahr 2015 sei er zwei oder drei Mal von dem neuen Freund seiner Frau mündlich bedroht worden. Er habe dies bei der Polizei angezeigt, es sei aber nichts geschehen, da der Nebenbuhler selbst Polizist sei. Deswegen habe er am 28. April 2016 einen Asylfolgeantrag gestellt. Den damaligen Anhörungstermin habe er nicht wahrnehmen können, weil er zu dieser Zeit zu Besuch in … gewesen sei. Neue Gründe habe er nicht.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass ein weiteres Asylverfahren durchzuführen gewesen sei, weil das Erstverfahren vor dem 28. August 2007 entschieden worden sei, so dass subsidiärer Schutz nicht habe geprüft werden können. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen aber offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat, so dass vermutet werde, dass er nicht verfolgt werde. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat, in seinem Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Er mache eine Bedrohung durch private Dritte geltend, die 2015 mündlich erfolgt sei. Im Jahr 2016 habe es jedoch keine weiteren Bedrohungen gegeben. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor, insbesondere sei weder von der kosovarischen Regierung noch durch nichtstaatliche Dritte eine unmenschliche Behandlung zu erwarten. Die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte gewährleisteten grundsätzlich Schutz und Sicherheit. Der Vortrag des Antragstellers sei nicht geeignet, zu einem für ihn abweichenden Ergebnis einer dennoch bestehenden individuellen Gefährdung zu gelangen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Kosovo führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliege. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben.
Gegen die Nrn. 1 und 3 bis 6 des Bescheids erhob der Antragsteller am 5. Januar 2017 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 17.30164) und beantragte gleichzeitig,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen.
Zur Begründung nahm er Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt. Er habe zudem die Begleitung von … übernommen. Seither gehe es der Familie besser.
Eine Begleitungsbestätigung, wonach der Antragsteller den am … Juni 1987 geborenen Herrn … außerhalb der Asylunterkunft begleitet und die Verantwortung für diesen übernimmt, wurde vorgelegt.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.30164 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B. v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Antragstellers nicht erkennbar.
a) Die Ablehnung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet beruht auf § 29a Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist der Asylantrag eines Ausländers aus einem Staat i. S. d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG (sicherer Herkunftsstaat) als offensichtlich unbegründet abzulehnen, es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.
b) Das Heimatland des Antragstellers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Kosovos als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich.
c) Der Antragsteller hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Vielmehr hat er sich lediglich auf persönliche Schwierigkeiten mit dem neuen Freund seiner Ehefrau berufen. Dies begründet aber bereits mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG oder § 3 AsylG. Das Gericht folgt daher der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.2 Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
a) Abgesehen davon, dass der Vortrag des Antragstellers sehr pauschal und unsubstantiiert sowie widersprüchlich ist, erfordert § 3c Nr. 3 AsylG (i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nicht auszugehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 7. Dezember 2016, im Folgenden: Lagebericht; Ausführungen im Bescheid des Bundesamts zu Polizei, Justiz und EULEX, § 77 Abs. 2 AsylG; ebenso u. a. VG Leipzig, U. v. 16.10.2015 – 7 K 643/15.A – juris; VG Darmstadt, B. v. 24.4.2015 – 2 L 430/15.DA.A – juris). Vielmehr ist der kosovarische Staat bei einer Bedrohung, bei der es sich um kriminelles Unrecht eines nichtstaatlichen Akteurs handelt, in der Lage und auch willens, hinreichenden Schutz zu gewähren (vgl. § 3d Abs. 1 und 2 AsylG). Falls die örtliche Polizei dem Antragsteller bisher wirklich nicht geholfen haben sollte, könnte sich dieser gegebenenfalls an übergeordnete staatliche Stellen wenden.
Zudem ist davon auszugehen, dass – jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden – ganz offensichtlich eine inländische Fluchtalternative besteht (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG). Der Antragsteller kann durch Verlegung seines Wohnsitzes in andere Landesteile Kosovos, insbesondere urbane Zentren, wo ein Leben in gewisser Anonymität möglich ist und ihn nichtstaatliche Dritte mit asylrechtlich hinreichender Sicherheit nicht ausfindig machen können, eine etwaige Gefahr für Leib oder Leben abwenden (st. Rspr. der Kammer, vgl. z. B. VG München, U. v. 5.2.2015 – M 17 K 14.31233; VG Würzburg, B. v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20; VG Gelsenkirchen, U. v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Aachen, B. v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris bzgl. Blutrache bei Grundstücksstreit). Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (Lagebericht S. 16) und ist dem Antragsteller als gesunden Erwachsenen auch zumutbar.
b) Aus dem Umstand, dass der Antragsteller einen anderen Asylbewerber außerhalb der Asylbewerberunterkunft begleitet, lässt sich ebenfalls kein Abschiebungsverbot ableiten.
3. Vor diesem Hintergrund ist auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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