Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines nigerianischen Staatsangehörigen gegen die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  M 9 S 17.39704

Datum:
15.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3761
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

In der bloßen Bezugnahme auf Boko Haram liegt – ohne Vortrag eines Geschehens, das auf eines der asylerheblichen Merkmale im Sinne des Asylgesetzes hinweist – keine Anknüpfung an Umstände, die für ein Asylbegehren, den Flüchtlingsschutz oder auch den subsidiären Schutz relevant ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben, der Antragsteller hat keine Personaldokumente seines Heimatlandes vorgelegt) nigerianischer Staatsangehöriger, geboren am 25. Dezember 1979, er reiste spätestens am 20. Februar 2015 (vgl. Bl. 31 bzw. 33 der Bundesamtsakte) auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Mai 2015 Asylantrag.
Die Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 7. September 2016. Zur Begründung des Asylbegehrens machte der Antragsteller im Wesentlichen geltend, er sei in Nigeria Sicherheitsmitarbeiter gewesen. Als Boko Haram nach Gombe gekommen sei, hätten sie ihm Geld geboten, damit er in Egwe-Church eine Bombe lege. Das habe er abgelehnt. An einem Sonntag habe Boko Haram den Anschlag ausüben wollen. Der Antragsteller habe das verhindert, indem er die Polizei informiert habe, deswegen seien sie hinter ihm her. Am 22. Dezember 2014 hätten Terroristen versucht, den Antragsteller zu töten. Dieses Datum hat der Antragsteller später im Verlauf der Anhörung auf den 22. November 2014 korrigiert. Er habe mit dem Bus verreisen wollen und bemerkt, dass man ihn beobachte. Darum habe er entschieden, doch nicht mit dem Bus zu fahren und habe die Polizei informiert. Der Bus sei explodiert und 20 Menschen seien gestorben. Er habe entkommen können und die Polizei erneut informiert. Der Antragsteller habe zwei Tage im Busch verbracht und sei dann zu einem Bekannten gegangen. Dieser habe den Antragsteller einem Herrn Elijah vorgestellt, der das Visum für die Ausreise des Antragstellers nach Deutschland (tatsächlich nach Griechenland, vgl. den griechischen VIS-Treffer in der Bundesamtsakte) organisiert habe. Auf die Niederschrift über die Anhörung im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 45 – 50 der Bundesamtsakte).
Mit Bescheid vom 5. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), forderte den Antragsteller zum Verlassen der Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 5). Unter der Nr. 6 des Bescheids wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristet. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Der Bescheid wurde am 8. Mai 2017 als Einschreiben aufgegeben.
Der Antragsteller ließ mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 11. Mai 2017, beim Verwaltungsgericht München per Telefax am selben Tag eingegangen, Klage erheben (M 9 K 17.39701) mit dem Antrag,
den Bescheid vom 5. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei ihm vorliegen.
Mit weiterem Schreiben vom selben Tag wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Begründungen der Rechtsbehelfe würden nachgereicht werden, was bis heute nicht geschehen ist.
Die Antragsgegnerin hat die Akten vorgelegt, sich in der Sache jedoch nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung ist unbegründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt für die Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht ist daher die Prüfung, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Der Antragsteller hat aller Voraussicht nach weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG, Anerkennung als Asylberechtigter, Art. 16a Abs. 1 GG, subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 5. Mai 2017, auf den gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist unter Zugrundelegung des Prüfungsumfangs des Verfahrens auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Maßgabe der oben dargelegten Grundsätze bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils.
Die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils ist nach der Maßgabe von § 30 Abs. 1 AsylG sowie § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zu beanstanden.
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Der Antragsteller hat bezogen auf ein Asylbegehren, den Flüchtlingsschutz, und auch den subsidiären Schutz nichts Durchgreifendes vorgetragen. Die Schilderung der Geschehnisse, die ihn nach seinen Angaben zum Verlassen des Heimatlandes bewegt haben, weist keine Anknüpfung an Umstände auf, die asyl- oder flüchtlingsrelevant sein könnten, da es daran fehlt, dass die geschilderten Geschehnisse an ein asylerhebliches Merkmal i.S.v. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG anknüpft. Wie das Bundesamt im angegriffenen Bescheid zu Recht ausführt, liegt in der bloßen Bezugnahme auf Boko Haram, ohne Vortrag eines Geschehens, das auf eines der asylerheblichen Merkmale im Sinne des Gesetzes hinweist, keine Anknüpfung an Umstände, die für ein Asylbegehren, den Flüchtlingsschutz oder auch den subsidiären Schutz relevant ist. Schließlich wäre unter Zugrundelegung des Vortrags des Antragstellers auch ohne weiteres eine inländische Fluchtalternative gegeben,
§ 3e AsylG bzw. §§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. 3e AsylG. Die Bewertung des Bundesamts, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen gemäß § 30 Abs. 1 AsylG vorliegen, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.
Ebenso liegt, wie das Bundesamt ebenfalls zu Recht annimmt, auch das Regelbeispiel gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG vor. Nach dieser Vorschrift ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird. Das Vorbringen des Antragstellers ist sowohl nicht substantiiert als auch in sich widersprüchlich. Auf die entsprechenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamts, insbesondere auf Seite 3 zweiter Absatz von unten bis Seite 4 zweiter Absatz von oben, mit denen ausführlich und unter Bezugnahme auf die Angaben des Antragstellers in der Anhörung der Tatbestand des Regelbeispiels subsumiert wird, wird Bezug genommen. Allein schon der in sich vollkommen widersprüchliche und mehrfach wechselnde Vortrag zu dem Datum, an dem versucht worden wäre, ihn zu töten, begründet das Vorliegen des Regelbeispiels; dazu kommen noch die weiteren Umstände, in Bezug derer nochmals auf die Ausführungen im Bescheid Bezug genommen wird.
Auch ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse im Heimatland kommt nicht in Betracht; insofern wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die auch diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid, dort insbesondere auf Seite 9 unter 4. bis Seite 11 Bezug genommen; dabei weist das Bundesamt zutreffend darauf hin, dass vom Antragsteller als erwerbsfähigem Mann erwartet werden kann, dass er in der Lage ist, sich im Heimatland nach der Rückkehr dorthin eine Lebensgrundlage zu schaffen, zumal nach seinen Angaben dort noch Verwandte leben, die ihm beistehen können. Für den Antragsteller kann auf Grund seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Dazu kommt noch, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben (z.B. Bl. 47 der Bundesamtsakten) elf Jahre lang die Schule besucht hat, was für die Verhältnisse in Nigeria eine Besonderheit darstellt; es ist davon auszugehen, dass die damit erlangten Kenntnisse dazu beitragen, dass der Antragsteller Arbeit bekommen kann bzw. dass ihm dies dadurch erleichtert wird. Der arbeitsfähige Antragsteller wird daher auch im Falle der Rückkehr nach Nigeria in der Lage sein, den Lebensunterhalt für sich sicherzustellen. Es ist nichts durchgreifendes dafür ersichtlich, dass gerade der Antragsteller in herausgehobener Weise stärker betroffen wäre als vergleichbare Personen.
Es liegen auch ansonsten keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist nach alledem nicht zu beanstanden.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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