Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  M 25 S 16.50718

Datum:
6.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 25 Abs. 2
GRCh GRCh Art. 4
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Es ist derzeit nicht davon auszugehen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung eines im Rahmen des Dublin-Verfahrens dorthin überstellten volljährigen, alleinstehenden jungen Mannes implizieren. (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Der Antrag wird abgelehnt.
II.Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. „Dublin Verfahrens“.
Der nach eigenen Angaben 25-jährige Antragsteller ist malischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im März 2015 ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 4. April 2016 Asylantrag.
Ein EURODAC-Abgleich ergab einen Treffer der Kategorie Ifür Italien. Ein am 1. Juni 2016 an Italien gerichtetes Übernahmeersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wurde nicht beantwortet.
Mit – mittlerweile rechtkräftigem – Urteil des Amtsgerichts … vom 29. Februar 2016 wurde der Antragsteller wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Er hatte am … August 2016 in … an zwei Abnehmer Marihuana verkauft.
Mit Bescheid vom 13. September 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 18. September 2016 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben und gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
den Bescheid vom 13. September 2016 aufzuheben.
Man finde eine Abschiebung nach Italien unzulässig und verwies auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 8. August 2016 (M 24 S. 16.5049).
Die Beklagte legte die Behördenakten am 30. September 2016 in elektronischer Form und am 4. Oktober 2016 zusätzlich in Papierform vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
1. Obwohl der Antragsteller anwaltlich vertreten ist, geht das Gericht zu seinen Gunsten davon aus, dass er vorliegend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beantragt hat (§ 88 VwGO).
2. Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Es bestehen nämlich keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
2.1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a AsylG), weil Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig ist, und die Abschiebung nach Italien angeordnet.
Ein Asylantrag ist als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 – Dublin-III-VO – für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a AsylG). In einem solchen Fall ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Für die Prüfung des vom Antragsteller am 4. April 2016 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrags ist Italien zuständig, da er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat (Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b VO (EU) Nr. 604/2013 – Dublin-III-VO).
Da Italien auf das Übernahmeersuchen vom 1. Juni 2016 nicht fristgerecht geantwortet hat, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird (Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO). Italien ist aufgrund dieser Regelung für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers somit nach wie vor zuständig.
Die Antragsgegnerin ist vorliegend auch nicht verpflichtet, den Asylantrag des Antragstellers trotz der Zuständigkeit Italiens abweichend vom Grundsatz selbst inhaltlich zu prüfen.
Denn nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14A; U.v. 24.4.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B.v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH U.v. 28.2.2014 – 13 a B 13.30295; OVG Magdeburg, B.v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 17.10.2013 – OVG 3 S. 40.13) geht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon aus, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta implizieren.
Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse. Sie werden im Allgemeinen in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2014, a.a.O.).
Diese Einschätzung wird auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR v. 4.11.2014 – 2921/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt. Der volljährige, alleinstehende Antragsteller gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen.
Die Aufnahmebedingungen in Italien begründen für den alleinstehenden jungen Mann grundsätzlich keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (EGMR, U.v. 13.01.2015 – 51428/10 – A.M.E. gegen Niederlande).
Der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien).
2.2. Das Bundesamt hat auch zu Recht Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens verneint.
2.3. Keinen Bedenken begegnet das auf § 11 Abs. 2, 3 AufenthG gestützte sechsmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.


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