Aktenzeichen B 6 S 18.876
Leitsatz
Solange ein drogenabhängiger Ausländer nicht nachweist, dass er eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat, muss von einer Wiederholungsgefahr bezüglich begangener BTM-Delikte ausgegangen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um eine Ausweisung.
Der Antragsteller, Angehöriger des Staates Bosnien und Herzegowina, reiste mit einem vom 01.10.2017 bis 31.03.2018 gültigen nationalen Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aufenthaltszweck war die Beschäftigung vom 01.10.2017 bis zum 30.09.2018 als Pflegefachkraft ohne deutsche Anerkennung bei der Seniorenhaus … GmbH. Auf seinen Antrag vom 22.02.2018 erteilte ihm das Landratsamt B. …eine vom 22.02.2018 bis 05.10.2018 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 3 AufenthG mit der Nebenbestimmung „Beschäftigung als Gesundheits- und Krankenpfleger (ohne deutsche Anerkennung) im Seniorenhaus GmbH, … gestattet gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BeschV i.V.m. § 18 Abs. 3 AufenthG. Sonstige Erwerbstätigkeit nicht gestattet. Die Aufenthaltserlaubnis erlischt bei Beendigung der o.g. Tätigkeit bzw. bei Beantragung von Sozialleistungen.“
Mit Schreiben vom 06.08.2018 kündigte die Seniorenhaus … GmbH dem Antragsteller fristlos wegen Drogenmissbrauchs.
Laut Aktenvermerk der Polizeiinspektion … vom 30.07.2018 wird der Antragsteller verdächtigt, verschreibungspflichtige, dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende Medikamente entwendet zu haben. Unter anderem solle er morphinhaltige Pflaster von Senioren abgezogen und an sich genommen sowie unter Verschluss gehaltene Medikamente aus einem Schrank entwendet haben. Ein freiwilliger Drogentest verlief positiv auf Opiate; leichte Spuren von Amphetamin und THC waren ebenfalls feststellbar.
Aus dem Ermittlungsbericht der Polizeiinspektion … vom 07.08.2018 ergibt sich folgender Sachverhalt:
Am 03.08.2018 wurden die Heimleiterin und drei Altenpflegerinnen, darunter die Stationsleiterin des Antragstellers, als Zeuginnen vernommen. Im Seniorenheim würden seit Mitte Juli 2018 Medikamente und aufgeklebte Fentanyl-Pflaster entwendet. Zudem fehle ein morphinhaltiges Nasenspray. Bei der Durchsuchung des WG-Zimmers des Antragstellers wurden eine geringe Menge Marihuana (1,5 g), sieben angerauchte Joints sowie Betäubungsmittelutensilien (Spritzbesteck, Gürtel, angebrannter Löffel) aufgefunden und unbekannte Medikamente sichergestellt. Eine Heimbewohnerin, der mehrmals das am Rücken aufgeklebte Fentanyl-Pflaster entwendet worden war, identifizierte den Antragsteller als Täter. Außerdem wurde er von Pflegekräften auf der entsprechenden Station gesehen, obwohl er dort nicht arbeitet. Einem nicht mehr vernehmungsfähigen Heimbewohner wurde im Tatzeitraum 12.07.2018 bis 06.08.2018 ebenfalls mehrmals das Fentanyl-Pflaster vom Rücken entwendet, so auch am Morgen des 05.08.2018. Das Ersatzpflaster war um 16.00 Uhr wieder weg. Ca. eine Stunde nach Ausspruch der Kündigung am 06.08.2018 befand sich der Antragsteller erneut im Aufenthaltsraum und habe das Fentanyl-Pflaster am Rücken des vorgenannte Heimbewohners gesucht, das jedoch nunmehr auf den Oberschenkel geklebt und mit einer Binde eingebunden war. Einer weiteren nicht mehr vernehmungsfähigen Heimbewohnerin wurden im Tatzeitraum 16.07.2018 bis 05.08.2018 ebenfalls mehrmals Fentanyl-Pflaster vom Körper entwendet. Insgesamt habe der Antragsteller 11 Fentanyl-Pflaster entwendet. Vom 21.07.2018 bis 27.07.2018 hatte er Urlaub. Der Antragsteller war unter anderem auch für die Medikamentenvergabe an die Heimbewohner zuständig. Laut seiner Stationsleiterin war der Medikamentenbestand immer in Ordnung und ohne Auffälligkeiten. Von den im WG-Zimmer des Antragstellers aufgefundenen 3 ½ zunächst unbekannten rosa Tabletten wurde nachträglich durch die Stationsleiterin bekannt, dass es sich hierbei um das dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende Schmerzmittel Oxycodon für einen Krebspatienten handeln müsse, das der Antragsteller offenbar selber eingesteckt habe, anstatt es dem Heimbewohner zu geben. Die Entgegennahme der Kündigung vom 06.08.2018 hat der Antragsteller nicht unterschriftlich bestätigt und eine Klageerhebung beim Arbeitsgericht angekündigt. Am Abend des 06.08.2018 gegen 20.30 Uhr war der Antragsteller erneut vor dem bereits verschlossenen Eingang des Seniorenheims. Er habe hineingewollt, sich jedoch wieder entfernt, nachdem er eine Pflegerin bemerkt habe.
Am 07.08.2018 sprachen der Antragsteller und seine Freundin, eine kroatische Staatsangehörige, beim Standesamt … zwecks Eheschließung vor.
Mit Bescheid des Landratsamtes …vom 07.08.2018 wurde
1.der Antragsteller ausgewiesen,
2.der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich zu verlassen,
3.die sofortige Vollziehung der Ziffern 1. und 2. angeordnet,
4.dem Antragsteller die Abschiebung nach Bosnien angedroht unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 17.08.2018 bzw. für den Fall eines erfolgreichen gerichtlichen Eilverfahrens von einer Woche ab Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung,
5.das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von drei Jahren ab nachgewiesener Ausreise bzw. vollzogener Abschiebung befristet.
In den Gründen wird ausgeführt, die Ausweisung sei rechtmäßig. Das Verhalten des Antragstellers, insbesondere die Entfernung der BTM-Pflaster vom Körper der Heimbewohner und die widerrechtliche Aneignung dieser Betäubungsmittel zum eigenen Gebrauch, stelle einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften dar und begründe deshalb ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Dem stehe kein besonders schwer wiegendes oder zumindest schwer wiegendes Bleibeinteresse gegenüber, weil die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG nicht erfüllt seien. Aufgrund der vom Antragsteller ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überwiege das öffentliche Interesse an seiner Ausreise das Interesse des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Ausweisungszweck sei sowohl die Abschreckung anderer Ausländer (Generalprävention) als auch die Verhinderung neuer Straftaten des Antragstellers (Spezialprävention). Indem der Antragsteller aufgrund seiner eigenen Drogenabhängigkeit Betäubungsmittelpflaster vom Körper schwerstkranker Heimbewohner abgenommen habe, habe er das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Arbeitgeber sowie den ihm anvertrauten und auf ihn angewiesenen, wehrlosen Heimbewohnern stark missbraucht. Durch die Ausweisung gelte es zu verhindern, dass der Antragsteller diesen Plan bei einem eventuellen nächsten Arbeitgeber oder nach einer möglichen Wiedereinreise weiter verfolge. Ferner solle mit der Ausweisung des Antragstellers die Gefahr ausgeräumt werden, dass der Antragsteller aufgrund seiner eigenen Abhängigkeit in naher Zukunft arbeitsunfähig oder sich einer Entwöhnungstherapie unterziehen werde und dadurch erhebliche Kosten für die öffentlichen Kassen verursachen könne. Die Ausweisung sei verhältnismäßig und stehe auch mit Art. 8 EMRK in Einklang. Die erneute Begehung von Straftaten im Bundesgebiet könne nur durch eine Ausweisung verhindert werden. Die Rückkehr in sein Heimatland, in dem der Antragsteller sein bisheriges Leben mit Ausnahme der letzten kurzen Zeit in Deutschland verbracht habe, für eine längere Dauer sei zumutbar. Der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung liege das besondere Interesse zugrunde, den Aufenthalt des Antragstellers möglichst bald zu beenden. Die aufschiebende Wirkung einer möglichen Klage würde ihm die Gelegenheit verschaffen, weitere Straftaten zu begehen. So habe der Antragsteller versucht, trotz Kündigung und Hausverbotes wieder in das Seniorenheim einzudringen. Dieses Verhalten rechtfertige die Annahme, dass seine Drogensucht ihn zu erneuten Versuchen zwingen werde, sich im Seniorenheim Schmerzpflaster zu besorgen. Da eine lückenlose Eingangsüberwachung im Seniorenheim nicht zu gewährleisten sei, bestehe die begründete Gefahr, dass der Antragsteller wieder Patienten mit Schmerzpflastern aufsuchen werde, um diese zu entwenden. Dadurch gefährde er die Gesundheit der Heimbewohner und stelle eine fortwährende Bedrohung dar, solange er sich in Deutschland aufhalte. Diese Gefährdung rechtfertige die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf drei Jahre sei verhältnismäßig. Es gelte, erneute Rechtsverstöße in Deutschland zu verhindern, solange die Wiederholungsgefahr schon aufgrund der eigenen Drogenabhängigkeit noch als sehr hoch einzustufen sei.
Laut einem Aktenvermerk des Landratsamtes … vom 08.08.2018 teilte die Seniorenhaus … GmbH an diesem Tag telefonisch mit, dass der Antragsteller nun von der Polizei festgenommen worden sei, da er trotz des Hausverbotes erneut das Seniorenheim aufgesucht habe.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 21.08.2018, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 22.08.2018, hat der Antragsteller Klage erhoben und die Aufhebung des Bescheides vom 07.08.2018 sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung wird geltend gemacht, die vom Antragsgegner angestellte Gefahrenprognose sei unzureichend. Er habe weder konkret dargelegt, aus welchen Umständen ein persönliches Verhalten des Antragstellers zu erkennen sei, aus dem folge, dass er eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, noch konkrete Anhaltspunkte dafür benannt, dass in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut durch neue Verfehlungen des Antragstellers ernsthaft drohten. Zudem beziehe sich der Antragsgegner insoweit ausschließlich auf die Angaben der Betreiberin des Seniorenheimes. Dem Antragsteller habe er keine Gelegenheit gegeben, seine Sicht des Sachverhaltes zu schildern. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass die Angaben des Antragsgegners im Bescheid teilweise nicht den durch die Polizei festgestellten Tatsachen entsprächen. So führe der Antragsgegner aus, bei der Wohnungsdurchsuchung seien „diverse Drogenutensilien“ aufgefunden worden. Das stimme nicht. Ausweislich des Sicherstellungsprotokolls seien diverse Tabletten und Medikamente und eine Tüte Marihuana sichergestellt worden. Auch stehe nicht fest, dass der Antragsteller durch Straftaten in den Besitz dieser Medikamente gelangt sei. So sei das aufgefundene Medikament „Tramal“ dem Antragsteller aufgrund eines bei einem Arbeitsunfall erlittenen Rippenbruchs ärztlich verordnet worden. Das ebenfalls aufgefundene Medikament „Diazepam“ sei dem Antragsteller bereits in Bosnien ärztlich verordnet worden. Es stehe also nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass der Antragsteller durch Straftaten und insbesondere durch angeblich im Seniorenhaus verübte Straftaten in den Besitz der Medikamente gelangt sei. Des Weiteren habe der Antragsteller auch keine Fentanyl-Pflaster entwendet. Solche seien auch bei der Hausdurchsuchung nicht aufgefunden worden. Ein die Ausweisung rechtfertigender Verstoß gegen die Rechtsordnung liege daher nicht vor. Ferner treffe es nicht zu, dass der Antragsteller das Hausverbot missachtet habe. Vielmehr sei er auf ausdrücklichen Wunsch und nach Aufforderung durch die Heimleitung nochmals vor Ort gewesen. Er habe während seiner Tätigkeit ein Mitarbeiterzimmer im Seniorenhaus bewohnt. Nach Erhalt der Kündigung und Erteilung des Hausverbotes habe ihn die Heimleitung aufgefordert, seine Habe aus dem Zimmer zu holen und die Schlüssel abzugeben. Allein zu diesem Zweck habe der Antragsteller das Seniorenhaus am Tag nach Erteilung des Hausverbotes noch einmal aufgesucht. Darüber hinaus könne der Antragsteller ein schwer wiegendes Bleibeinteresse geltend machen. Er lebe in häuslicher und familiärer Gemeinschaft mit einer kroatischen Staatsangehörigen, die einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgehe. Die Eheschließung solle angemeldet werden, sobald die erforderlichen Unterlagen beschafft seien. Der Antragsteller befinde sich seit dem 15.08.2018 im Bezirkskrankenhaus …, wo seine Suchtmittelabhängigkeit behandelt werde. Er habe sich aus eigenem Entschluss dorthin begeben, da ihm durch die zurückliegenden Vorfälle seine Suchtmittelabhängigkeit bewusst geworden sei und er erkannt habe, dass er dagegen etwas unternehmen müsse.
Aus dem der Antragsbegründung beigefügten „Nachschaubericht (bei allgemeiner Heilbehandlung)“ des Durchgangsarztes des Unfallversicherungsträgers vom 04.08.2018 ergibt sich, dass der Antragsteller am 21.06.2018 einen Arbeitsunfall mit Rippenfraktur erlitt, bis 08.07.2018 krankgeschrieben war und anschließend Urlaub hatte, am 04.08.2018 noch über starke Schmerzen im linken Thorax klagte, eine Krankmeldung wollte und Fentanyl-Pflaster und, weil das nicht verfügbar war, Tramal anfragte sowie für arbeitsunfähig bis voraussichtlich 17.08.2018 befunden wurde.
Laut dem ebenfalls beigefügten Arztbrief eines Facharztes für Orthopädie-Unfallchirurgie … vom 15.08.2018 stellte sich der Antragsteller an diesem Tag in der Notbehandlung vor. Laut einem Bericht des Bezirkskrankenhauses …vom 16.08.2018 „Zur Vorlage bei Behörden“ befindet sich der Antragsteller seit dem 15.08.2018 dort in einer Behandlung bei Opiatabhängigkeit, Benzodiazepinabhängigkeit, Cannabisabhängigkeit sowie Polytoxikomanie; über den möglichen Entlasszeitpunkt könnten bisher keine Angaben gemacht werden; aus medizinischer Sicht sei der Patient aktuell reisefähig.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 28.08.2018 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Ausweisungsverfügung stütze sich ausschließlich auf die Mitteilungen der Heimleiterin des Seniorenheimes, in dem der Antragsteller gearbeitet habe, und auf die Feststellungen der Polizeiinspektion … Von der Anhörung des Antragstellers sei gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG abgesehen worden, da eine unverzügliche Entscheidung über die Ausweisung geboten gewesen sei. Eine Anhörung mit der Gewährung einer Anhörungsfrist hätte den Erlass der Ausweisungsverfügung um mehrere Wochen hinausgezögert. Nach Auswertung des Ermittlungsberichts der Polizei und der Mitteilung der Heimleitung sei Eile geboten gewesen, um weiteres straffälliges Verhalten des Antragstellers zu verhindern und die Heimbewohner zu schützen. Infolgedessen sei auch die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung angeordnet worden. Diese Entscheidung beruhe mitnichten allein auf den Schilderungen der Heimleiterin. Das Ermittlungsergebnis der Polizei, insbesondere das der Wohnungsdurchsuchung, sei eindeutig. Der Antragsteller sei drogensüchtig, dies werde von seiner Prozessbevollmächtigten auch nicht in Frage gestellt. Der Drogentest sei positiv gewesen. Bei der Wohnungsdurchsuchung sei Marihuana aufgefunden worden, die von den Polizeibeamten angefertigten Lichtbilder sprächen für sich. Neben einer Vielzahl von Medikamenten seien Spritzen zum Aufziehen der flüssig gemachten Drogenpulver aufgefunden worden. Die Bilder zeigten einen Teelöffel, eine Kerze, ein Feuerzeug und einen Gürtel zum Abbinden des Oberarms. Natürlich seien dies Alltagsgegenstände, in diesem Auffindungszusammenhang seien es aber offensichtlich die üblichen Drogenutensilien eines Drogenabhängigen für seine eigene Sucht. Bei den beim Antragsteller aufgefundenen roten Tabletten habe es sich laut Angaben der Stationsleiterin um die Betäubungsmittel Oxycodon und Hydromorphon gehandelt, die dem Betäubungsmittelgesetz unterlägen und für zwei Heimbewohner verwendet würden. Auch bestünden keine Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussagen der Heimbewohner, dass ihnen vom Antragsteller die Schmerzpflaster wieder abgezogen worden seien. Die Gefahr, dass der Antragsteller erneut in das Seniorenheim eindringen werde, um sich Drogen bzw. Schmerzmittel zu beschaffen, sei hoch. Bereits eine Stunde, nachdem dem Antragsteller ein Hausverbot erteilt und am 06.08.2018 die sofortige Kündigung bekannt gegeben worden sei, habe man ihn bei einem Patienten angetroffen, bei dem er schon wieder das Schmerzpflaster gesucht habe. Am Abend desselben Tages sei er erneut vor dem verschlossenen Eingang des Seniorenheimes gesehen worden. Dieses persönliche Verhalten des Antragstellers gebe Anlass zu der Gefahrenprognose, dass er künftig wieder versuchen werde, in das Seniorenheim einzudringen. Es sei ja gerade Sinn und Zweck einer Ausweisung, vorbeugend künftige Straftaten eines Ausländers zu verhindern. Die Ausführung in der Antragsbegründung, der Antragsteller bewohne ein Zimmer im Seniorenheim selbst, treffe nicht zu. Er wohne in B. … in einem Zimmer in einem anderen Haus und bisweilen auch bei seiner Freundin. Er habe also gar kein Zimmer im Seniorenheim, das er hätte räumen müssen. An der Einschätzung der Wiederholungsgefahr und der vom Antragsteller aufgrund seiner Drogensucht ausgehenden Gefährdung habe sich nichts geändert. Es bleibe daher bei der Anordnung des Sofortvollzuges.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Ausländerakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zulässig, nachdem der Antragsgegner gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Ziffer 3 des Bescheides vom 07.08.2018 die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides vom 07.08.2018 besonders angeordnet hat, jedoch unbegründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell und materiell rechtmäßig ist.
1.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ist formell rechtmäßig, insbesondere genügt sie dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere (öffentliche, vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen ist. Dementsprechend hat der Antragsgegner das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung mit der Gefährlichkeit des Antragstellers begründet, die er einzelfallbezogen und konkret aus dem zugrunde gelegten Verhalten des Antragstellers abgeleitet hat.
1.2 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ist auch materiell rechtmäßig, weil die Ausweisung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage unter Zugrundelegung des Sach- und Kenntnisstandes im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung allem Anschein nach rechtmäßig ist (1.2.1) und angesichts dessen die gebotene Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen zu dem Ergebnis führt, dass das Interesse des Antragstellers daran, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nicht abgeschoben zu werden, das aus der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung resultierende Sofortvollzugsinteresse nicht überwiegt (1.2.2).
1.2.1 Die Ausweisung des Antragstellers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG.
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Danach ist die Ausweisung eine rechtlich gebundene Entscheidung, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3/16, juris Rn. 21).
Erforderlich ist zunächst die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, a.a.O. Rn. 23). Ist der Tatbestand eines „besonders schwer“ bzw. „schwer“ wiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AufenthG verwirklicht, ist ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG entbehrlich. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, a.a.O. Rn. 26).
Dem festgestellten Ausweisungsinteresse sind die Bleibeinteressen gegenüberzustellen, wobei § 55 AufenthG die Voraussetzungen normiert, unter denen das Bleibeinteresse „besonders schwer“ (§ 55 Abs. 1 AufenthG) bzw. „schwer“ (§ 55 Abs. 2 AufenthG) wiegt.
Neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Ausweisungs- und Bleibeinteressen, denen durch den Gesetzgeber von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen wird, sind noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (BVerwG, a.a.O. Rn. 21, 24).
Bei der Abwägung der Ausweisungsinteressen mit den Bleibeinteressen nach § 53 Abs. 1 Halbs. 2 AufenthG sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
Gemäß § 54 Abs. 2 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG unter anderem dann schwer, wenn der Ausländer entweder einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat (§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG) oder als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht oder dies versucht (§ 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG), d.h. Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft.
Ob der gegenwärtige Stand der polizeilichen Ermittlungen – insbesondere die Vernehmung des Antragstellers steht noch aus – bereits die Feststellung rechtfertigt, dass der Antragsteller wiederholt aufgeklebte Fentanyl-Pflaster entwendet und dadurch einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat, kann dahinstehen. Fest steht, dass der Antragsteller drogenabhängig ist – das ergibt sich zweifelsfrei aus dem Schreiben des Bezirkskrankenhauses … vom 16.08.2018 – und dass in seinem WG-Zimmer 1,5 g Marihuana sowie das dem BtMG unterliegende Schmerzmittel Oxycodon aufgefunden wurden. Indem der Antragsteller diese Betäubungsmittel nach derzeitigem Sachstand auch unter Berücksichtigung seines bisherigen Vortrages im Rahmen der summarischen Prüfung unerlaubt erworben oder sich in sonstiger Weise verschafft hat, hat er den Tatbestand eines schwer wiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG verwirklicht. Solange der Antragsteller nicht nachweist, dass er eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat, muss auch von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.
Bleibeinteressen, die demgegenüber spürbar ins Gewicht fallen würden, sind nicht ersichtlich. Den Tatbestand eines kraft Gesetzes besonders schwer oder schwer wiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 AufenthG erfüllt der Antragsteller offensichtlich nicht. Seine verhältnismäßig kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland von knapp einem Jahr vermag gegenüber dem schwer wiegenden Ausweisungsinteresse kein relevantes Bleibeinteresse zu begründen, zumal die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ohnehin mit Ablauf ihrer Geltungsdauer am 05.10.2018 erloschen wäre (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Schützenswerte wirtschaftliche Bindungen im Bundesgebiet sind nicht erkennbar. Das Arbeitsverhältnis des Antragstellers war von vornherein bis zum 30.09.2018 befristet. Die konkrete Möglichkeit einer weiteren Beschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Hiervon kann nach der fristlosen Kündigung und angesichts des Umstandes, dass der Antragsteller den Anpassungslehrgang für ausländische Pflegekräfte in der Krankenpflege wohl nicht erfolgreich abgeschlossen hat, auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. An persönlichen oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet steht nur die Absichtsbekundung im Raum, eine in Deutschland lebende kroatische Staatsangehörige heiraten zu wollen. Das schwer wiegende Ausweisungsinteresse vermag dieser Sachverhalt aber nicht zu überlagern, zumal keine Gründe ersichtlich sind, aus denen diese Ehe nicht auch in Bosnien und Herzegowina geschlossen werden könnte.
1.2.2 Rechtfertigt somit die vom Antragsteller ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet, besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse daran, zu verhindern, dass der Antragsteller bis zu Entscheidung im Klageverfahren gegen die Ausweisung erneut im Bundesgebiet gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG straffällig wird. Insoweit decken sich insbesondere bei Drogendelikten regelmäßig die Gründe für die Verfügung der Ausweisung und für die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung (zur möglichen „(Teil-) Identität“ vgl. BayVGH, Beschluss vom 15.02.2018 – 10 CS 18.98, juris Rn. 7).
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffer 2 des Bescheides vom 07.08.2018 ist unzulässig, weil kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Es macht im Ergebnis keinen Unterschied, ob die Klage gegen die Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich zu verlassen, aufschiebende Wirkung hat oder nicht.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung würde nichts daran ändern, dass der Antragsteller gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG unmittelbar kraft Gesetzes zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet ist. Gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Diesen Tatbestand erfüllt der Antragsteller, weil gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG seine Aufenthaltserlaubnis durch die Ausweisung erloschen ist, und zwar unabhängig von der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung, weil gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die gegen die Ausweisung erhobene Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt lässt. Sowohl die Ausreiseaufforderung als auch die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung enthalten daher keine eigenständige Beschwer des Antragstellers. Allein die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung begründet die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
3. Soweit auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des Bescheides vom 07.08.2018) beantragt wird, ist dieser Antrag zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, Art. 21a VwZVG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist der Antrag statthaft, weil es sich beim Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG um eine Maßnahme handelt, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen wird.
Der Antrag ist aber nicht begründet, weil die vom Gericht durchzuführende Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers, vorläufig nicht abgeschoben zu werden, das als Regelfall unterstellte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nicht überwiegt. Ein überwiegendes privates Interesse besteht in der Regel nicht, wenn die Anfechtungsklage gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. So verhält es sich hier. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht ernsthaft zu rechnen, weil sie aller Voraussicht nach rechtmäßig und der Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die in § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Abschiebung eines Ausländers unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen, wobei gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt (nur) voraus, dass der Ausländer gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet ist.
Danach begegnet die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Abschiebungsandrohung nach summarischer Prüfung keinen Bedenken. Wie dargelegt, ist der Antragsteller gemäß § 50 Abs. 1 in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG ausreisepflichtig. Die Abschiebungsandrohung entspricht auch den Anforderungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Dies gilt insbesondere für die Ausreisefristbestimmung „bis zum 17.08.2018“. Da der Antragsteller nicht nur ausreisepflichtig, sondern infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung auch vollziehbar ausreisepflichtig ist (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), ist es unschädlich, dass die Ausreisefrist vor Eintritt der Rechtskraft der Ausweisung abläuft.