Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen die Androhung der Abschiebung nach Albanien

Aktenzeichen  M 2 S 20.32217

Datum:
10.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21840
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 36 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Die allgemeinen Lebensbedingungen in Albanien rechtfertigen grundsätzlich nicht die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Staatsangehörige der Republik Albanien. Sie reiste nach eigenen Angaben im Dezember 2019 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie stellte am 20. Januar 2020 einen förmlichen Asylantrag.
In der persönlichen Anhörung am 23. Januar 2020 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, Albanien im November 2019 verlassen zu haben, weil sie nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall im Jahr 2018 anhaltende Schwierigkeiten mit der Polizei und dem Unfallgegner erlebt habe; der Unfallgegner habe sie weiterhin bedroht und misshandelt. Außerdem sei bei einem Erdbeben ihre Wohnung zerstört worden. Die Antragstellerin wurde am 2. April 2020 Mutter eines Sohnes.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2020, zugestellt am 27. Juli 2020, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4) und drohte den Antragstellern mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Albanien an (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht vorlägen. Die Antragsteller stammten aus Albanien, einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) § 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. der Anlage II zum AsylG. Die Vermutung, dass einem Ausländer, der aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme, keine Verfolgung drohe, haben die Antragsteller nicht wiederlegen können. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Es drohe den Antragstellern auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Anhaltspunkte für schutzwürdige Belange, insbesondere für eine kürzere Fristsetzung, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei angemessen, schutzwürdige Belange seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 3. August 2020 Klage (M 2 K 20.32218) und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes vom 20. Juli 2020 aufzuheben und festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Zugleich beantragten sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Bescheid nicht berücksichtige, dass die Antragstellerin einen Sohn geboren habe. Eine Entscheidung über den Asylantrag sei noch nicht gestellt worden. Die Androhung der Abschiebung betreffe nur die Antragstellerin; sie ohne ihren Sohn abzuschieben, sei menschenrechtswidrig. Außerdem sei Albanien ein „Corona-Risikostaat“.
Die Antragsgegnerin hat die elektronischen Behördenakten vorgelegt, stellt aber keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 20.32218 und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Antrag ist nicht begründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, soweit er vorliegend angegriffen wurde, bestehen.
I.
Nach Art. 16a Abs. 4 Grundgesetz (GG), § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts – insbesondere am Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts – bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 94 ff.).
1. Das Gericht prüft im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Letzteres ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 171 f.; B.v. 10.7.1997 – 2 BvR 1291/96 – juris Ls.).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts insgesamt keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids und nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Republik Albanien ist sicherer Herkunftsstaat im Sinne von § 29a Abs. 2 AsylG (Anlage II zum AsylG).
2. Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Albanien (vgl. etwa VG Augsburg, U.v. 3.4.2019 – Au 6 K 19.30157 – juris Rn. 36) und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragstellerin ebenfalls offensichtlich nicht vor. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). Vor diesem Hintergrund kommt dem Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich einer unzulässigen Trennung von ihrem Sohn keine Relevanz zu. Aspekte einer Trennung der Familie sind als inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (nur) von der Ausländerbehörde zu prüfen.
Maßgeblich ist damit im vorliegenden Zusammenhang die Prüfung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66 und 105). Der gebotenen Gefahrenprognose ist eine gemeinsame Rückkehr der Antragstellerin mit ihren Sohn als Familie zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2119 – 1 C 45.18 – juris Rn. 15 ff.; U.v. 4.7.2019 – 1 C 49.18 – juris Rn. 11 ff.; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 22 ff. und U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 18 ff.).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich für die Antragstellerin in Albanien weder mit Blick auf die dortige allgemeine wirtschaftliche, soziale und humanitäre Situation noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine im Rahmen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für den Abschiebungsschutz relevante Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung ergeben wird
Allein wegen der harten Lebensbedingungen und in Weitem bestehenden ärmlichen Lebensverhältnisse in Albanien vermag sich die Antragstellerin weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu berufen. Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
Das Gericht geht unter Auswertung der vorhandenen einschlägigen Erkenntnismittel, insbesondere des aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 24. Juni 2019, nicht davon aus, dass der Antragstellerin in Albanien eine Existenzgrundlage gänzlich fehlen wird und sie dort im Sinne eines außergewöhnlichen Einzelfalls eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erwarten muss. Die Lebensbedingungen sind in Albanien grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRGK aufweisen (vgl. VG München, B.v. 25.7.2017 – M 2 S 17.45604). Dies gilt auch im Fall der Antragstellerin. Als junge Frau im erwerbsfähigen Alter. Es ist nicht ersichtlich, dass sie nicht – auch als junge Mutter – in der Lage sein sollte, in Albanien eine zumindest existenzsichernde Grundversorgung auf bescheidenem, landesangemessenem Niveau zu erzielen, zumal sie in ihrer Heimat Familie hat. Eine Rückkehr zu ihren Eltern ist auch nicht ausgeschlossen, allein weil sie – möglicherweise – einer Bedrohung durch nichtstaatliche Dritte, den damaligen Unfallgegner, ausgesetzt sein könnte.Der albanische Staat gewährt bedürftigen Staatsangehörigen im Inland Sozialhilfe und Sozialdienstleistungen, falls kein oder nur ein geringes Einkommen vorhanden ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 24.6.2019, S. 13). Damit ist auch für die Antragstellerin in jedem Fall die Grundversorgung ausreichend gesichert. Dazu kommt, dass in Albanien Grundnahrungsmittel, in erster Linie Brot, subventioniert wird (vgl. vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 24.6.2019, S. 14). Das Gericht verkennt nicht, dass sich das Leben in Albanien für die Antragstellerin jedenfalls zunächst durchaus als schwierig und hart erweisen kann. Die asylrechtlich sehr hohen Voraussetzungen, unter denen eine wirtschaftlich schlechte Lage im besonderen Einzelfall ausnahmsweise zu einem nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot führen kann, sind jedoch im Fall der Antragstellerin zur Überzeugung des Gerichts nicht erfüllt. Gleiches gilt hinsichtlich des – statistisch betrachtet – sehr überschaubaren Corona-Infektionsrisikos (vgl. WHO, Coronavirus disease (COVID-2019) situation reports – 202, Stand: 9. August 2020, abrufbar unter https://www.who.int/ docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200809-covid-19-sitrep-202.pdf ?sfvrsn=2c7459f6_2).
3. Auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung (Nr. 5 des Bescheids) ist nicht zu beanstanden.
4. Auch gegen das auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützte Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nr. 6 des Bescheids) bestehen keine rechtlichen Bedenken.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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