Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag wegen rein wirtschaftlicher Gründe

Aktenzeichen  M 28 S 17.34387

Datum:
20.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143051
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36
AsylG § 30 Abs. 1 u Abs. 2

 

Leitsatz

1 Maßgeblich für die Prüfung des Gerichts im Eilverfahren ist, ob sich das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Darüber hinaus ist am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu Recht verneint wurde. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein junger gesunder erwerbsfähiger Mann, der zudem in Nigeria über familiären Rückhalt verfügt, kann sich trotz der schlechten humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen dort eine zumindest existenzsichernde Lebensgrundlage schaffen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben verließ er Nigeria am 15. Januar 2015 und reiste über Niger, Libyen, Italien (dort Aufenthalt 13 oder 14 Monate) und Österreich am 3. oder 4. Juni 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 19. Juli 2016 stellte er einen Asylantrag.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 15. November 2016 gab der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen Folgendes an: Er habe Nigeria verlassen und sei nach Libyen gegangen, weil er dort habe arbeiten wollen. In Libyen habe er Nigerianer getroffen, die ihm gesagt hätten, er solle nach Europa gehen. Er habe gehört, dass es in Europa gute Länder gebe, wo man zur Schule gehen könne. Er wolle zur Schule gehen und arbeiten. In Libyen habe er auf Baustellen als Schweißer gearbeitet. In Nigeria lebten seine Mutter sowie ein Bruder und eine Schwester, ferner ein Onkel und eine Tante väterlicherseits. Die ganze Familie verdiene ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft. Die finanzielle Situation sei mittelmäßig. In Nigeria habe er acht Jahre lang die Schule besucht und zwei Jahre Friseur gelernt. Das Geld für die weitere Schulbildung habe gefehlt. Außerdem gebe es in Nigeria keine gute Unterstützung seitens der Regierung, um wirtschaftlich schlechtere Menschen im Bereich der Bildung zu fördern.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2017, zur Post gegeben am 1. März 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) jeweils als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6.). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Aus dem Sachvortrag des Antragstellers sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Der Wunsch des Antragstellers, in Deutschland zur Schule zu gehen, sei menschlich nachvollziehbar, flüchtlingsrechtlich jedoch unbeachtlich. Zudem sei offensichtlich, dass sich der Antragsteller lediglich aus wirtschaftlichen Gründen im Bundesgebiet aufhalte. Der Antragsteller habe keine Gefahren im Sinne des § 4 AsylG geltend gemacht. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen somit nach Ablehnung des internationalen Schutzes offensichtlich auch nicht vor. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Hinsichtlich des § 60 Abs. 5 AufenthG komme in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragsteller sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Beim Antragsteller handele es sich um einen jungen, gesunden Mann, dessen Familie in Nigeria lebte und ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft verdiene. Der Antragsteller könne sich bei Rückkehr nach Nigeria das wirtschaftliche Existenzminimum sichern. Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte am 6. März 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes vom 24. Februar 2017 aufzuheben sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass er asylberechtigt sei, die Flüchtlingseigenschaft bei ihm vorliege, der subsidiäre Schutzstatus bei ihm vorliege und Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 und 7 AufenthG bei ihm vorlägen. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wurde zunächst unter dem Aktenzeichen M 21 K 17.34386 und wird nunmehr unter dem Aktenzeichen M 28 K 17.34386 geführt.
Ferner ließ er ebenfalls am 6. März 2017 sinngemäß beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Am 22. März 2017 legte das Bundesamt dem Gericht seine Akten vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG), jedoch unbegründet.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Die Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG). Das Gericht hat daher die Einschätzung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Maßgeblich ist dabei, ob sich diese Einschätzung im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Darüber hinaus hat das Gericht gemessen am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint hat (vgl. zum Ganzen: Marx, Kommentar zum AsylG, 9. Auflage 2017, § 36 Rdnr. 43, 56 f. jew. m.w.N.).
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffen Bescheids vom 24. Februar 2017. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesamt keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festgestellt hat. Dem Antragsteller droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in Nigeria noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts 24. Februar 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Der Antragsteller hat sich zur Begründung seines Asylantrag allein auf wirtschaftliche Gründe berufen: Er habe Nigeria verlassen und sei nach Libyen gegangen, weil er dort habe arbeiten wollen. Nach Europa sei er gegangen, weil er in Libyen gehört habe, dass es dort gute Länder gebe, wo man zur Schule gehen könne. Er wolle zur Schule gehen und arbeiten. In Nigeria habe der Familie das Geld für die weitere Schulbildung gefehlt, seitens der Regierung gebe es in Nigeria keine gute Unterstützung, um Menschen im Bereich der Bildung zu fördern. Aus diesem Vorbringen ergeben sich schon im Ansatz ganz offensichtlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass beim Antragsteller eine asylrelevante und asylerhebliche Verfolgung, Bedrohung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen könnte. Insbesondere bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Nigeria in eine derart schlechte wirtschaftliche Lage kommen könnten, dass ausnahmsweise in seinem außergewöhnlichen Einzelfall aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht zu ziehen wäre (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 – 26 sowie Rn. 38). Der Antragsteller ist ein erwerbsfähiger, gesunder, junger Mann. Er hat in Nigeria immerhin acht Jahre lang die Schule besucht und Friseur gelernt. In Libyen hat er als Schweißer auf Baustellen gearbeitet. Er verfügt in Nigeria über familiären Rückhalt (Mutter, Bruder, Schwester, Onkel, Tante). Die Familie verdient ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft. Die eigene finanzielle Situation in Nigeria beschreibt der Antragsteller selbst als mittelmäßig. Bei dieser Sachlage bestehen auch unter Berücksichtigung der derzeitigen humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in Nigeria (vgl. dazu den Bescheid, § 77 Abs. 2 AsylG) ganz offensichtlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nicht in der Lage wäre, sich in Nigeria eine zumindest existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen (ebenso in vergleichbaren Fällen: VG Augsburg, B. v. 13.6.2017 – Au 7 S 17.33192 – juris Rn. 30; B. v. 8.6.2017 – Au 7 S 17.32413 – juris Rn. 28; VG Bayreuth, B. v. 4.4.2017 – B 4 S 17.30876 – juris Rn. 34; VG Aachen, B. v. 20.3.2017 – 2 L 103/17.A – juris Rn. 32 ff.; VG Minden, U. v. 14.3.2017 – 10 K 2413/16.A – juris Rn. 34 ff.).
Das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts ist gerechtfertigt gemäß § 30 Abs. 1 und 2 AsylG.
Nach alldem war der gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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