Verwaltungsrecht

Erfolgloser Folgeantrag wegen behaupteter Bisexualität

Aktenzeichen  M 15 E 20.30681

Datum:
6.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9740
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1 S. 1
VwVfG § 51
AufenthG § 60a Abs. 2c S. 3

 

Leitsatz

Bei einem anwaltlich vertretenen Asylbewerber ist davon auszugehen, dass er in einem nahezu vier Jahre dauernden Asylerstverfahren auch seine Bisexualität in das Verfahren einbringt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der am … Januar 1985 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Yoruba und Anhänger der Pfingstbewegung. Er wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags durch das Bundesamt für … (Bundesamt) als unzulässig.
Der Antragsteller stellte am … Mai 2015 einen ersten Asylantrag. Gegen die ablehnende Entscheidung durch das Bundesamt mit Bescheid vom 8. November 2016 ließ dieser durch seine Bevollmächtigte Klage erheben, die das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 7. März 2019 abwies (M 7 K 16.34166). Zum Thema Bisexualität äußerte sich der Antragsteller in diesem Verfahren nicht.
Am … Januar 2020 stellte der Antragsteller beim Bundesamt einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Hierzu gab er an, dass er vor kurzem festgestellt habe, dass er bisexuell sei. In seiner Heimat seien solche Praktiken nicht erlaubt. Die Bisexualität sei einer der Gründe, warum er Nigeria verlassen habe. In der informatorischen Anhörung am … Februar 2020 trug der Antragsteller vor, dass er seine sexuelle Orientierung bereits im Jahr 2012 entdeckt habe. Er habe dies aber immer geheim gehalten. In seinem Asylerstverfahren habe er noch wenig Erfahrung gehabt und habe seine Bisexualität deshalb nicht erwähnt. Er sei auch nicht danach gefragt worden. Zudem habe er Bluthochdruck, wogegen er Medikamente nehme, ferner habe er Depressionen. Hierzu wurde eine Bestätigung eines Facharztes für Allgemeinmedizin vom 7. Januar 2020 vorgelegt, in der die Diagnose essenzielle art. Hypertonie und depressive Episode sowie die Medikation Ramipril 10 mg und Candesartan 16 mg angegeben wurde. Darüber hinaus habe der Antragsteller einen Termin bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am 17. Februar 2020. Ein diesbezügliches Attest wurde vor Erlass des Bescheides nicht vorgelegt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20. Februar 2020 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig (Nr. 1) und den Antrag auf Änderung des Bescheids vom 8. November 2016 bezüglich der abgelehnten nationalen Abschiebungsverbote als einfach unbegründet ab (Nr. 2). Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die nach § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erforderliche Änderung der Sachlage sei nicht gegeben. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Ungeachtet des äußerst zweifelhaften Wahrheitsgehalts des Vorbringens des Antragstellers läge bereits keine nachträgliche Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr.1 VwVfG vor. Zudem sei dieses präkludiert. Der Antragsteller hätte sowohl in seiner persönlichen Anhörung im Erstverfahren am 2. November 2016 als auch in der Klageschrift vom 6. Dezember 2016 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 6. März 2019 die Gelegenheit gehabt, seine Bisexualität zu schildern.
Gegen diesen – dem Antragsteller am 26. Februar 2020 zugestellten – Bescheid erhob dieser am 26. Februar 2020 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 15 K 20.30680) und stellte den Antrag,
die Beklagte/Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem zuständigen Ausländeramt unverzüglich mitzuteilen, dass vor einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache eine Abschiebung des Klägers/Antragsteller nicht erfolgen darf.
Zur Begründung nahm der Antragsteller Bezug auf seine gegenüber dem Bundesamt gemachten Angaben.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte vor; eine inhaltliche Äußerung oder Antragstellung unterblieb.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren und in den Verfahren M 15 K 20.30680 und M 7 K 16.34166 sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Über den Rechtsstreit entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter, § 76 Abs. 4 Satz 1 Asylgesetz (AsylG).
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Bundesamts vom 20. Februar 2020, damit von der Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG an die zuständige Ausländerbehörde abgesehen werde bzw. diese zurückgenommen oder widerrufen werde.
Im wohlverstandenen Interesse des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers wird der Antrag gemäß § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend ausgelegt, dass der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz sowohl gegen die Ablehnung des Folgeantrags (§ 71 AsylG) als unzulässig durch Nr. 1 des Bescheids vom 20. Februar 2020 (sogleich unten 1.), als auch zur Sicherung von Ansprüchen auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (sogleich unten 2.) geltend macht.
1. Im Hinblick auf die Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids, die in der Hauptsache mit einer Anfechtungsklage anzugreifen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff.), ist allein Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, also die Anordnung der kraft Gesetzes (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung der Klage, statthaft. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes hier nicht bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 i.V.m. § 71 und § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes u.a. zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstige Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen. Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG beginnt die Frist mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Bei der Folgeantragstellung müssen substantiiert und schlüssig, gegebenenfalls unter Darlegung von Beweismitteln, sowohl die geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe als auch die Einhaltung der Frist dargelegt werden (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2016, § 71 AsylG, Rn. 41 ff.).
Hinsichtlich § 51 Abs. 2 VwVfG ist dem Betreffenden in der Regel ein qualifizierter Schuldvorwurf zu machen, wenn er nicht alle bereits eingetretenen und auch bekannt gewordenen Umstände, die das persönliche Umfeld betreffen, bei den zuständigen Stellen vorbringt. Dem von Verfolgung konkret Bedrohten muss sich – auch wenn er mit den Einzelheiten konkreter Verfahrensabläufe nicht vertraut ist – bei einfachsten Überlegungen aufdrängen, dass er schon im ersten bzw. in früheren Verfahren gegenüber den zuständigen staatlichen Stellen alles zu sagen und vorzubringen hat, was für seine Verfolgung auch nur entfernt von Bedeutung sein kann.
So liegt es hier. Insbesondere gab der Antragsteller selbst an, dass seine behauptete Bisexualität ein Grund für seine Ausreise aus Nigeria gewesen wäre. Mangelnde Erfahrung als Begründung, weshalb er diesen Umstand nicht bereits im nahezu vier Jahre dauernden Asylerstverfahren vorbrachte, erscheint nach Aktenlage nicht glaubhaft und abwegig. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend zu den Ausführungen des Bundesamts führt das Gericht aus, dass der Antragsteller bereits im Erstverfahren anwaltlich vertreten war, ohne dass der Verfolgungsgrund der sexuellen Orientierung – auch nicht im gerichtlichen Verfahren – vorgebracht wurde. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller bereits im Erstverfahren rechtlich beraten und hinreichend aufgeklärt war. Nach summarischer Prüfung spricht daher nach Ansicht des Gerichts viel dafür, dass die detailarm und teilweise widersprüchlich geschilderte Bisexualität des Antragstellers nicht vorliegt und das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass die besonderen Zulässigkeitsanforderungen der § 71 Abs. 1 AsylG, § 51 VwVfG nicht gegeben sind.
2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist insoweit zulässig, als die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids in der Hauptsache mit einer Verpflichtungsklage anzugreifen ist, so dass auch der Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO statthaft ist (vgl. z.B. VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 17 f.; B.v. 30.4.2019 – M 15 E 19.31617). Der Antrag ist jedoch ebenfalls unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft zu machen.
Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor, so dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen und eine Abänderung des Bescheids vom 8. November 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG von der Antragsgegnerin zu Recht verneint wurden. Das Gericht nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend hierzu führt das Gericht aus, dass es in dem Vorbringen des Antragstellers keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sieht, dass der Kläger an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Insbesondere lässt sich eine solche nicht auf die vom Antragsteller beigebrachten Unterlagen stützen. Die vorgelegte Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin und die Notiz über einen Termin bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie genügen offensichtlich nicht den Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest, § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG.
Im gerichtlichen Verfahren wurde bislang insoweit nichts vorgetragen, was zu einer anderen Bewertung führen könnte.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben