Verwaltungsrecht

Erfolgloses Asylverfahren eines nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 27 K 17.49639

Datum:
24.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43402
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Selbst bei Annahme des Vorliegens einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung oder Bedrohung durch einen Familienangehörigen als sogenannte nichtstaatliche Akteure besteht eine inländische Fluchtalternativen innerhalb Nigerias. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten über die Klage verhandeln und aufgrund der mündlichen Verhandlung entscheiden. In den Ladungsschreiben war auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte hat im Rahmen eines Generalverzichts auf förmliche Ladung verzichtet.
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch des Klägers auf die von ihm begehrte Verpflichtung der Beklagten besteht nicht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt insgesamt den Feststellungen und der Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten. Auf die dortigen Ausführungen wird insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Rahmens und des Prüfungsmaßstabs bezüglich der Art. 16a GG, §§ 3 ff., 4 AsylG sowie des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verwiesen. Von einer nochmaligen Darstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG abgesehen.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch aus dem Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren keine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage ergibt, welche zu einem Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, welcher im Übrigen bereits an der Einreise des Klägers auf dem Landweg scheitert (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG), auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG führen könnte. Das Gericht ist nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung bereits nicht von der Wahrheit des klägerischen Vorbringens überzeugt (nachfolgend 1.). Ungeachtet dessen muss sich der Kläger darauf verweisen lassen, vor der von ihm behaupteten Verfolgung Schutz innerhalb von Nigeria zu suchen (nachfolgend 2.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (nachfolgend 3.). Die dem Kläger in dem streitgegenständlichen Bescheid gesetzte Ausreisefrist sowie die erlassene Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (nachfolgend 4.).
1. Auch in Asylstreitigkeiten muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann. Wenn wegen Fehlens anderer Beweismittel nicht anders möglich, muss die richterliche Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Asylsuchenden glaubt (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3). Dabei obliegt es dem Asylbewerber, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11).
Diese Anforderungen erfüllt das klägerische Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht. Der Vortrag des Klägers war vage und detailarm, wich nicht nur von seinen im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt getätigten Angaben in wesentlichen Punkten ab, sondern war darüber hinaus auch in sich widersprüchlich und kann dem Kläger daher nicht geglaubt werden. So ist für das Gericht bereits der zeitliche Rahmen der von dem Kläger geschilderten Geschehnisse in Nigeria nicht nachvollziehbar. So stimmen bereits die zeitlichen Angaben zu dem geschilderten Kerngeschehen des klägerischen Asylvorbingens (Angriffe auf seine beiden Brüder) nicht mit dem Vorbringen gegenüber dem Bundesamt überein. Während der Kläger im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt erklärt hat, die Tötung seiner Brüder sei in den Jahren 2004 und 2005 erfolgt, behauptete er in der mündlichen Verhandlung, dies sei in den Jahren 2005 und 2006 geschehen. Trotz intensiver gerichtlicher Nachfragen blieb auch der weitere zeitliche Geschehensablauf unklar. So trug der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals vor, im Mai oder Juni 2007 aus Nigeria ausgereist zu sein, während er seine Ausreise gegenüber dem Bundesamt auf Oktober oder November 2006 datiert hatte. Diesen Widerspruch vermochte der Kläger auch nicht durch die Erklärung, zwischenzeitlich nach Ghana ausgereist zu sein, überzeugend aufzulösen, da explizit nach dem Zeitpunkt der Ausreise aus Nigeria gefragt war. Schließlich erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, noch nicht einmal genau sagen zu können, woher er wisse, dass sein Onkel und seine Tante die Akteure der geschilderten Taten gewesen seien. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger tatsächlich selbst Erlebtes geschildert hat. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und für die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) können auf der Basis dieses Vorbringens mithin nicht angenommen werden.
2. Ungeachtet dessen wäre der Kläger zudem auf internen Schutz innerhalb Nigerias nach § 3e AsylG (bzw. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG) zu verweisen, da selbst bei Annahme des Vorliegens einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung oder Bedrohung des Klägers durch seinen Onkel oder durch seine Tante als sogenannte nichtstaatliche Akteure (vgl. § 3a i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG) für den Kläger Fluchtalternativen innerhalb Nigerias bestehen. Es ist dem Kläger möglich, in anderen Gegenden Nigerias internen Schutz gemäß § 3e Abs. 1 AsylG zu finden und aufgrund seiner 12-jährigen Schulbildung, seiner in Libyen gewonnen Berufserfahrung als Elektriker und seiner in Deutschland abgeschlossenen Ausbildung als Maler- und Lackierer sowie der in diesem Beruf anschließend erworbenen Berufserfahrung für sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, etwa in Benin City oder Abuja.
Es wurde auch weder schlüssig und glaubhaft dargestellt noch wäre es dem Gericht sonst erkennbar, wie der Kläger an den genannten Orten angesichts des in Nigeria fehlenden funktionierenden Meldesystems (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, S. 24) von den genannten Personen aufgefunden werden könnte.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 sind vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG bestehen ebenfalls nicht.
4. Auch die dem Kläger vom Bundesamt nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG gesetzte Ausreisefrist sowie die nach § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken.
III. Die nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage war deshalb abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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