Verwaltungsrecht

Erfolgloses Rechtsmitel in einem Asylrechtsstreit (Sierra Leone)

Aktenzeichen  9 ZB 21.31248

Datum:
31.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28516
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 5 S. 2
VwGO § 138
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf. (Rn. 5) (red. LS Andreas Decker)
2. Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 S. 1 VwGO) ist grundsätzlich kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG iVm § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel. (Rn. 7) (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

RN 14 K 19.32536 2021-06-22 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 22. Juni 2021 die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) oder eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2021 – 9 ZB 21.30485 – juris Rn. 4). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Abgesehen davon, dass im Zulassungsvorbringen bereits keine konkrete Frage formuliert wird, wird auch nichts dargelegt, woraus sich eine über den Einzelfall hinausgehende Klärungsbedürftigkeit ergibt. Soweit sich dem Zulassungsvorbringen die Frage entnehmen lässt, ob der Kläger auch unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist diese nicht verallgemeinernd, sondern nur im Einzelfall zu beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 9 ZB 20.30689 – juris Rn. 4). Das Zulassungsvorbringen beanstandet zudem, dass sich das Verwaltungsgericht auf Erkenntnismittel beziehe, die nicht mehr aktuell seien. Zwar trifft zu, dass die vom Verwaltungsgericht eingeführte Erkenntnismittelliste auch ältere Dokumente enthält, in gleicher Weise bezieht sich das Verwaltungsgericht aber auf eine Vielzahl aktuellerer Dokumente einschließlich des Jahres 2020. Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 9 ZB 20.32156 – juris Rn. 4). Entsprechendes lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Vielmehr macht das Zulassungsvorbringen im Gewand einer Grundsatzrüge ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend, was keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 9 ZB 20.31760 – juris Rn. 6).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO zuzulassen.
Soweit das Zulassungsvorbringen darauf abstellt, es liege ein Verfahrensmangel vor, weil das Verwaltungsgericht keine aktuellen Erkenntnismittel im Hinblick auf die Corona-Pandemie herangezogen oder eingeholt habe, führt dies nicht zum Erfolg des Antrags. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag aber nicht auf. Vielmehr hat der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hierzu auch keinerlei Vortrag gemacht oder Beweisantrag gestellt. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist aber kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten im vorangegangenen Instanzenzug zu kompensieren (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Abgesehen davon, dass sich das Verwaltungsgericht mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie befasst hat und hierbei auch auf Erkenntnisse aus dem Jahr 2021 abgestellt hat (vgl. UA S. 14), legt das Zulassungsvorbringen auch nicht dar, dass sich dem Verwaltungsgericht auf Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39/16 – juris Rn. 22 m.w.N).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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