Verwaltungsrecht

Erfolgose Asylklage pakistanischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31746, Au 3 K 16.32042, Au 3 K 17.34828, Au 3 K 19.30388

Datum:
2.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9140
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Zur Klärung der religiösen Identität kann ausnahmsweise eine Anhörung des Asylbebwerbers entbehrlich sein, wenn über eine Vorverfolgung und die Identität getäuscht wurde und dazu gefälschte Unterlagen vorgelegt worden sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Ahmadis, für die die in Pakistan verbotene öffentliche Glaubensausübung ein zentrales Element ihrer religiösen Identität ist, besteht eine inländische Fluchtalternative in Rabwah. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger tragen jeweils die Kosten ihres Verfahrens.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn von § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Sie halten sich nicht aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung außerhalb Pakistans auf. In ihrem Herkunftsland sind ihr Leben, ihre Freiheit und andere in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU geschützte Rechtsgüter wegen ihrer Religion nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht. Auf den sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab für vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber können sie sich nicht mit Erfolg berufen, weil sie nicht verfolgungsbedingt ausgereist sind. Ihr diesbezügliches Vorbringen ist bereits nicht glaubhaft.
Das Vorbringen des Klägers zu 1. weicht in wesentlichen Punkten von dem Inhalt der von ihm als Beweismittel vorgelegten Kopie des First Information Report (FIR) vom 4. Juli 2012 ab. So gab der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung an, seine Inhaftierung sei „in jedem Fall vor Juli im Mai oder im Juni“ gewesen, obwohl sie laut FIR am 4. Juli 2012 gewesen sein müsste. Des Weiteren trug er vor, mit ihm zusammen seien acht bis neun Personen inhaftiert worden, nach dem FIR müssten es elf Personen gewesen sein, nach der Mitgliedsbescheinigung vom 29. März 2017 sogar zwölf. Nach dem Kläger zu 1. soll es um einen Umbau der Ahmadiyya-Moschee gegangen sein, laut FIR um einen Neubau („Die „Qadianis“ in unserem Dorf wollen ohne … Erlaubnis der Regierung mit eigener Hand ein Gotteshaus … erbauen“). Einerseits sollen die Ahmadis noch nicht dazu gekommen sein, den neuen Dachstuhl zu errichten, andererseits soll das komplette neue Dach der Moschee kurz vor der Fertigstellung gestanden haben. Einerseits soll die Moschee im März des Jahres 2013 seit zwei Jahren im Umbau gewesen sein (vgl. Niederschrift über die Befragung des Klägers zu 1. durch die Regierung von … S. 3), andererseits soll der Umbau nur etwa einen Monat gedauert haben, bis er im Frühjahr 2012 verboten und eingestellt wurde (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung S. 5 und 7). Einerseits soll sich die Anzeige auf § 298c PPC gestützt haben, andererseits auf § 298b PPC, laut Mitgliedsbescheinigung vom 29. März 2017 auf § 298 PPC.
Nach alledem ist das Gericht überzeugt, dass die vorgelegte FIR-Kopie vom 4. Juli 2012, deren Übersetzung bereits vor der Ausreise des Klägers zu 1. am 29. November 2012 in Deutschland angefertigt wurde, eine Fälschung ist.
Zudem steht damit fest, dass es sich bei der Mitgliedsbescheinigung des Klägers zu 1. vom 29. März 2017 und derjenigen der Klägerin zu 2. vom 19. Januar 2017 jedenfalls insoweit um Gefälligkeitsbescheinigungen handelt, als bestätigt wird, der Kläger zu 1. sei am 4. Juli 2012 mit weiteren zwölf Ahmadis nach § 298 PPC angezeigt und verhaftet worden und der Prozess sei zum Zeitpunkt der Ausreise aktiv gewesen.
Gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. spricht auch nachdrücklich, dass sie im Asylverfahren über die Identität der Klägerin zu 2. getäuscht haben. Obwohl sie „Mu… Za…“ heißt, wie sie erstmals in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, gaben sie und der Kläger zu 1. ihren Namen mit „Mo… Bibi Ma…“ an. Zudem enthält die nur in Kopie vorgelegte Heiratsurkunde vom 16. November 2013 hinsichtlich der Klägerin zu 2. den falschen Namen „M… BIBI“ und den im Tehsil Sh… nicht existenten Wohnort „AN…“. Bezeichnenderweise haben die Kläger zu 1. und 2. zu dem Heimatdorf der Klägerin zu 2. unterschiedliche Angaben gemacht (einerseits A… Ka…, andererseits A… Nu… bzw. A…; einerseits ca. zehn Minuten, andererseits ca. eine Stunde Fahrtzeit von Sh… entfernt). Das Gericht ist deshalb überzeugt, dass es sich bei der vorgelegten Kopie einer Heiratsurkunde ebenfalls um eine Fälschung handelt, zumal die Schrift des oberen Teils nicht parallel zur Schrift des übrigen Teils verläuft.
Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass die öffentliche Glaubensausübung, bei der in Pakistan für einen Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft die begründete Furcht vor einer Verfolgung aus religiösen Gründen besteht, ein zentrales Element der religiösen Identität der Kläger und in diesem Sinn für sie unverzichtbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67/79 Rn. 30). Da sie über eine Vorverfolgung und die Identität der Klägerin zu 2. getäuscht und dazu sogar gefälschte Unterlagen vorgelegt haben, sieht das Gericht bereits deshalb keine Veranlassung, ihren (weiteren) Angaben zur religiösen Prägung bzw. zu religiösen Aktivitäten Glauben zu schenken, soweit diese nicht durch die wenigen vorgelegten Fotos belegt sind. Zwar verlangt das Bundesverwaltungsgericht zur Klärung der religiösen Identität „in aller Regel“ eine Anhörung der Betroffenen im Rahmen der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 a.a.O. Rn. 31), doch ist hier angesichts der dargelegten gravierenden Täuschungshandlungen ein Ausnahmefall zu bejahen.
Abgesehen davon hat der Kläger zu 1. sein diesbezügliches Vorbringen erheblich gesteigert, indem er erstmals in der mündlichen Verhandlung – also mehr als zweieinhalb Jahre nach Klageerhebung – behauptet hat, er sei in Pakistan missionarisch tätig gewesen und habe sogar zwei Sunniten zur Konversion veranlasst. Auch die behaupteten Ämter auf Distriktsebene werden ihm selbst in der Mitgliedsbescheinigung vom 29. März 2017 nicht bescheinigt. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt war er lediglich Jugendleiter der Ahmadiyya-Gemeinde in seinem Dorf und für die Sauberkeit im Kreis S… verantwortlich, nicht aber zusätzlich Sekretär für das Waqf-e-Nau-Programm und Zuständiger für religiöse Erziehung, wie es offenbar gefälligkeitshalber in der Mitgliedsbescheinigung vom 29. März 2017 steht. Bei der Anhörung durch das Bundesamt am 3. Juni 2016 war auch von einer Missionstätigkeit in Deutschland seit dem Frühjahr 2013 keine Rede. Die fehlende Glaubwürdigkeit des Klägers zu 1. wird durch seine Behauptung verdeutlicht, im Zusammenhang mit seiner Missionstätigkeit sei 2007 oder 2008 auf ihn geschossen worden, als er mit dem Auto unterwegs gewesen sei. Dabei sei die Kugel in seine rechte Fußsohle eingedrungen und oben am Fuß wieder herausgekommen. Die geschilderte Schussverletzung ist für einen Autoinsassen völlig unrealistisch.
Erst recht konnte das Gericht bei der Klägerin zu 2. nicht die Überzeugung gewinnen, dass eine öffentlichkeitswirksame Glaubensausübung zu ihrer religiösen Identität gehört. Dies ergibt sich bereits aus ihrer traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter. Im Übrigen ist nicht glaubhaft, dass sie bei der Ahmadiyya-Gemeinde in ihrem Heimatdorf ein Amt innehatte. Während ihr in der – auf den falschen Namen Mo… Bibi Ma… ausgestellten – Mitgliedsbescheinigung vom 19. Januar 2017 bescheinigt wird, sie habe in ihrer lokalen Frauenorganisation als Sekretärin für Finanzen und Bildung gedient, äußerte sie in der mündlichen Verhandlung, sie sei Sekretärin für Finanzen gewesen, habe aber kein weiteres Amt innegehabt. Angesichts der geringen Schulbildung der Klägerin zu 2., die nur fünf Jahre die (Grund-) Schule besucht hat, ist es ohnehin nicht glaubhaft, dass sie die nötige Qualifikation hatte und ein solches Amt ausgeübt hat.
Entgegen der – offenbar vereinzelt gebliebenen – Einschätzung des Verwaltungsgerichts München in dem vorgelegten Urteil vom 18. Mai 2016, Az. M 23 K 14.31133 – juris -, besteht für Ahmadis in Pakistan unabhängig davon, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelt, nicht die Gefahr, dass sie bei einem Moscheebesuch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer asylrelevanter Übergriffe werden. Der Umstand, dass Frauen und Kinder der Glaubensgemeinschaft keine Moschee besuchen, stellt lediglich eine Vorsichtsmaßnahme der Glaubensgemeinschaft vor den Hintergrund dar, dass asylrelevante Übergriffe nicht ausgeschlossen werden können.
Abgesehen davon besteht für Ahmadis, für die die in Pakistan verbotene öffentliche Glaubensausübung ein zentrales Element ihrer religiösen Identität ist, eine inländische Fluchtalternative in Rabwah (vgl. VG Augsburg, U.v. 10.3.2016 – Au 3 K 16.30051 – juris; VG Oldenburg, U.v. 30.1.2017 – 5 A 513/14 – juris; VG Frankfurt am Main, U.v. 9.8.2017 – 4 K 5804/16. F.A – juris; a.A. VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris; VG München, U.v. 18.5.2016 – M 23 K 14.31133 – juris). Rabwah, ihr religiöses Zentrum, bietet ihnen einen Rückzugsraum mit einem erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort fast ausschließlich unter sich sind (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan vom 21.8.2018, Zusammenfassung S. 6, II. 4. Ausweichmöglichkeiten S. 20). Diese Einschätzung wird durch einen im Dezember 2017 in der New York Times erschienenen Artikel bestätigt, dessen Überschrift ins Deutsche übersetzt in etwa lautet: „Gemieden von Pakistans Muslimen finden Ahmadis Zuflucht in ihrer eigenen Stadt“ (vgl. www.nytimes.com/2017/ 12/27/World/Asia/Pakistan-Rabwah-Ahmadi.html). Demnach ist die Lage für die etwa 70.000 derzeit in Rabwah lebenden Ahmadis hinreichend sicher. Noch immer leben in dieser Stadt Ahmadis, die im November 2015 dort Zuflucht gefunden haben, nachdem aufgrund eines Gerüchts religiöse Extremisten eine einem Ahmadi gehörende Fabrik samt Mitarbeiterwohnungen in Brand gesetzt hatten.
2. Demnach haben die Kläger auch weder einen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinn von § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG noch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Pakistans vorliegen.
3. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wie üblich auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist nicht zu beanstanden. Die Kläger haben keine Gründe vorgetragen, die eine kürzere Frist gebieten würden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).


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